Friesen und Sorben - wieso kein eigenes Territorium?

Spätestens mit dem Ende der Staufer waren „Stämme“ nur noch Reminiszenzen an vergangene Zeiten. Die Zukunft gehörte schon lange dem herrschaftlich, feudalen Personenverband

Und genau deshalb konnten die Sorben - mächtig genug oder nicht - kein "Territorium" ausbilden:
Als sie aus der Zeit ihrer "Clanverbünde" ins Mittelalter katapultiert wurden, war die Zeit der Stammesherzogtümer schon vorbei. Die Elbslawen wurden von Albrecht dem Bären "erobert", und der tat das als Oberhaupt einer Dynastie, von einer "simplen" Grafschaft aus. Sie gerieten daher nach Gründung der MArk Brandenburg nicht unter die Herrschaft irgendeines Stammes, sondern unter die Herrschaft eines Dynasten.
Und nachdem die Stammesherzogtümer wie gesagt schon Vergangenheit waren, bekamen die Elbslawen auch keine Chance mehr, die Gründung eines solchen Herzogtums nachzuholen, etwa unter der Führung des Fürsten von Spandau.

Friedi
 
Jedenfalls bezeichnen sie sich so: Lipper. Natürlich wird bei jedem Fest in Lippe auch die Lippische Flagge hochgezogen. NRW ist halt genau wie Nds. ein Kunstprodukt aus verschiedenen Regionen/Identitäten. Genauso wird in ganz Schaumburg inzwischen weiss/rot/blau geflaggt, hat sich halt so entwickelt...

Niedersachsen deckt sich ziemlich komplett mit dem alten Stammesherzogtum Sachsen - im Osten und Westen vormals etwas größer - und ist daher weniger Kunstprodukt als Nordrhein-Westfalen, das mit dem Rheinland und Westfalen sehr gegensätzliche und erst kürzlich zusammengefügte Landesteile miteinander verbindet.

Auch nach der Territorialisierung war (Nieder)sachsen ziemlich deckungsgleich mit dem welfischen Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, denn die Gebiete der Grafschaften Oldenburg, Lippe und Schaumburg-Lippe sowie weitere winzige Einsprengsel machten umfangmäßig wenig aus. Noch geschlossener sind freilich Bayern oder Sachsen.

Warum gab es für einen Bewohner der 1648 hessisch geworden Gft. Schaumburg bis ins 20Jhdt. fast keine schlimmere Beleidigung als von einen S.-L.er als "Hesse" bezeichnet zu werden? Umgekehrt bei den S.-L.ern als Lipper? Und das nach 300Jahren.

Die auf territorialer und machtpolitischer Konkurrenz basierenden Gegensätze der herrschenden fürstlichen Dynastien färbten auf die Bevölkerung ab, die im Lauf der Jahrhunderte eigene regionale Identitäten entwickelt hatte - und seien es auch nur Fürstentümer von Zaunkönigen wie Waldeck, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe, Schwarzburg-Sondershausen, Reuß jüngere Linie, Hoya u.a.
 
Was bleibt nun mit den Identitäten "Stamm", "Familie" oder "Nation"? Nach diesem "unanständigen Rundumschlag" :fruchtgrapscher:gegen geheiligte Regeln der "Identitäten" komme ich endlich zum Ende. Identität ist nicht nur fortgelebte Geschichte, sondern sehr häufig ein Akt des Willens - und manchmal nicht mehr als Wille alleine! Damit einen schönen Tag noch zusammen.

Die Aussage dazu: Wo kein Wille(Bewusstsein) ist, kann auch nichts werden...

Sehr richtig, das gilt auch für einzelne Identitäten.
Was wir heute als friesische und sorbische Minderheiten pflegen, sind ja nur die am Rande liegenden Sprachreste.

OT Einer meiner Vorfahren hat im Jahr 1842 seinen Nachnamen ändern lassen, der klang vorher slawischer, wahrscheinlich war er evangelischer Sorbe.
Deshalb frage ich mich aktuell, ob Preussen eigentlich ein slawischer Staat mit durch die Reformation geprägter deutscher Hochsprache gewesen ist. Dazu muß ich mir aber ggf. ein passenderes Thema suchen.
 
Deshalb frage ich mich aktuell, ob Preussen eigentlich ein slawischer Staat mit durch die Reformation geprägter deutscher Hochsprache gewesen ist. Dazu muß ich mir aber ggf. ein passenderes Thema suchen.

Die dünne slawische Bevölkerung östlich der Elbe-Saale-Linie wurde bereits vor vielen Jahrhunderten von deutschen Zuwanderern aufgesogen und assimiliert. Übrig blieben winzige sorbische Sprachinseln an der Elbe (Wendland), auf Rügen oder in Pommern, wo erst im 17./18. Jh. die letzten Menschen mkit slawischem Idiom ausstarben.

Deshalb allerdings von einem "slawischen Preußen" zu sprechen, ist absurd. Bekanntlich beruhen alle heutigen Bevölkerungsgruppen auf der Einschmelzung, Integration und Assimilierung unterschiedlichster sprachlicher und ethnischer Elemente und genauso könnte man von einem "keltischen Bayern", einer etruskischen Toskana oder einer byzantinisch-griechischen Türkei sprechen.
 
Gemeinsamkeiten und Abgrenzung

Wenn ich hier so lese drängt sich schon der Gedanke auf, dass Identitätsbildung noch am leichtesten fällt durch Abgrenzung… Zumindest wenn man sich die lieben regionalen Animositäten so ansieht, die in einigen Beiträgen doch irgendwie durchscheinen. Naja… :devil:

Identitätsbildung ist immer ein Prozess von „finden oder auch generieren“ von Gemeinsamkeiten - und im Umkehrschluss von Abgrenzung zu Anderem. Das sind zwei ganz wichtige Punkte im Rahmen von Identitätsbildung! Im derzeit immer wieder aufflammenden Thread darüber, wie „deutsch die Schweizer sind/waren“ ist dies auf Nationen übertragen.

http://www.geschichtsforum.de/f44/deutsche-identit-t-bei-den-schweizern-40984/

Dort werden „push & pull“-Faktoren teils schön deutlich. Ein Prozess, in dessen Verlauf sich die Schweizer aus dem Reichsverband herauslösten. Durch ihren anhaltenden Erfolg "emanzipierten" (?) sie sich wohl auch langfristig von einer, eventuell(?) vorher vorhandenen, „deutschen Identität“ ( die damals gewiss anders formuliert/definiert worden wäre als Heute, oder auch noch vor dem 2. WK) und wurden zu etwas Eigenem, das ganz wesentlich „Nichtdeutsche“ Elemente mit einschloss!

Die „kuk“-Monarchie mit dem Zentrum Wien trat 1914 in einen Krieg, den sie nicht überstehen sollte. Sie hatte ja ganz andere Wurzeln gehabt. Wenn ich im Vorpost von Prozessen im nördlichen Deutschland geschrieben hatte, so sei hier ein flüchtiger Blick auf diese KuK-Monarchie geworfen. Ihr Kristallisationspunkt war ohne Zweifel das „Haus Habsburg“. Die sogenannte Stammburg dieses Geschlechts (und damit der Beginn ihrer fassbaren Geschichte) liegt auf heute längst schweizerischem Boden. Bevor es soweit kam, griff die Macht der Habsburger längst in das heutige Österreich aus, das letztlich zum Kern ihres Reiches wurde. Deshalb wurde ihr Machtbereich gerne generell als „Österreich“ bezeichnet! Im Kampf mit dem Hause Habsburg errang die Schweiz ihre Eigenständigkeit. Sich von diesen (und dem wofür sie standen!) abzugrenzen und sich gegen diese Macht zu behaupten, wurde zur Gründung- wie auch zum Gründungsmythos der Schweiz. Also während die Habsburger andernorts zum Zentrum einer Identifikation wurden, wirkten sie in der späteren Schweiz genau umgekehrt durch Ablehnung!



Zur Identitätsfindung gehören bekanntlich meist weitere Faktoren. Zu nennen sind nicht nur „ethnische Abstammung“(Familie), „lokale Traditionen der engeren Heimat“ (also Heimatbewusstsein!), Sprache/Schrift, Kultur oder Religion, sondern noch einiges mehr. Letztlich ist es dann der persönliche Wille jeder Person, die sich mit diesen Fragen beschäftigt. Soweit sie sich vielleicht nicht allein vom lokalen „Mainstram“ tragen lässt, mit was er sich identifiziert – auch in nationaler Hinsicht!! Sonst hätten aus den Hugenotten in Hessen ebenso wie aus vielen „Polen“, die während der Industrialisierung ins Ruhrgebiet eingewanderten, niemals Deutsche werden können. Manche Erklärung warum sich gewisse „Sonderbewusstsein / Identität“ entwickelt haben, mögen nichts als Mythen sein, aber vielleicht sind sie auch gerade deshalb so Wirkmächtig?! Ob das nun der Mythos von „Armin dem Cherusker“ als erstem Deutschen ist, „Wilhelm Tell“für die Schweiz , eines „Karl dem Großen als Stammvater eines geeinten Europas“, oder auch der „American Dream“ für die USA sind. Sehr nüchtern betrachtet sind all das eher Mythen und Ideen als „harte Faktoren“. Und sie wirken doch, auch heute noch! Der "American Dream" ist vielleicht das beste Beispiel für Nationalitätsbildung der Moderne, gespeist von Willen und gemeinsamen Grundsätzen. Das ist etwas ganz Anderes als die "Nationalitätsfindung", wie sie etwa fürDeutschland oder in Italien manchmal beschrieben wird.


Ein wirklich sehr schöner Blog, der sich auch mit dem Thema von natioalen Identitäten befasst ist jener von SaintSimone

Hochdeutsch, Bier und fesche Jungs: Grenzregionen und Nationen Teil 2 - Geschichtsforum.de - Forum für Geschichte

 
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Gerade der Weg der USA zur eigenständigen Nation ist doch besonders bezeichnend für die Rolle des Willens bei der "Selbstfindung".

Dort gab es auf den ersten Blick nichts Gemeinsames für die Bildung einer Nation im Sinne von Abstammung und in gewisser Weise auch für die Sprache. Ein Rahmen fand sich allenfalls Anfangs in der britischen Krone. Durch diese setzten sich die englische Sprache und grundlegendes Rechtssystem im künftigen "Melting Pod" durch. Sie schuf in gewissem Sinne einen Rahmen damit. In Abgrenzung von der Krone, kombiniert mit dem Mythos der Feiheit (der so nicht für die Ureinwohner gelten sollte!!) entwickelte sich eine tragfähige, nationale Konstruktion. Dahinter tritt der Aspekt einer gemeinsamen (Neuen-) "Heimat" etwas zurück. Die "beginnenden Amerikaner" sahen sich zuerst nämlich eher als Bürger ihres späteren Bundesstaates, dem ihr Heimatgefühl stärker galt als der "USA".
In gewisser Weise hat sich die USA ohne eine wirkliche, einende historische Wurzel selbst "erfunden". Der Gründungsakt wurde gleichzeitig Gründungsmythos.

Dergleichen findet sich auch zu anderen Zeiten... Ich erinnere hier an die oft diskutierte Rolle eines Königs, etwa während der Völkerwanderungszeit
 
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