Gab es in der Sowjetunion eine Agentur für Tourismlus?

Griffel

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Ich wollte man wissen, ob es in der UdSSR eine Agentur für Tourismus gab. Auch wenn, es im Zuge des Kalten Krieges, eine Menge Meinungsverschiedenheiten gab, so arbeitete man doch auch zusammen.

Es gab ja auch Handelsverträge. Die UdSSR war ja ein riesiges und vielfältiges Land. Somit hätte es sicherlich eine Menge Orte und Gebiete gegeben, die man touristisch hätte nutzen können. Im Bezug auf internationale Sportwettkämpfe gab es Tourismus ja in gewisser Weise. Oder liege ich hier falsch?
 
Meine Großeltern waren 1981 oder 1982 auf einer Ostsee-Kreuzfahrt mit Stopps in Riga, Tallin und St. Petersburg, das damals noch Leningrad hieß. Reisen in den Ostblock waren möglich, und es hat sich die Sowjetunion gab schon in den 1930er Jahren Tourismus-Fahrten in die Sowjetunion. Die Sehenswürdigkeiten von Moskau und Petersburg zogen auch in sowjetischen Zeiten Touristen aus aller Welt an, und die Sowjetunion öffnete sich durchaus für den Tourismus, einerseits, weil dadurch Devisen ins Land kamen, andererseits aber auch, weil man die Außenwirkung des Tourismus, als Werbung für das Land erkannte.

Wer es sich leisten konnte, als Tourist in die SU zu reisen, brauchte in der Regel nichts an Luxus zu entbehren, was man von berühmten Hotels in New York, London, Paris oder Berlin gewohnt war. Die Hotels in Moskau oder Leningrad boten den gleichen Luxus wie das Walldorff Astoria, das Ritz, das Adlon oder das Sacher-Hotel. Es gab Lebensmittel, Spirituosen und Delikatessen, die für normale Sowjetbürger völlig unerschwinglich und nicht verfügbar waren: Kaviar, Weine und Brandys von der Krim, aus Georgien und Armenien, dazu ausländische Spirituosen, Parfüms und Zigarren.

In ihren Spitzen-Hotels zeigte die SU westlichen Touristen durchaus ihre Schokoladenseite, und verglichen mit den Preisen im Walldorf Astoria, im Ritz oder Adlon war Moskau und Petersburg weitaus kostengünstiger.

Was Touristen gezeigt wurde, waren natürlich Potjomkinsche Dörfer, die nicht einmal annährend die Lebenswirklichkeit der durchschnittlichen Sowjetbürger abbildeten. Trotzdem war die Leistung der Sowjet-Gastronomie beachtlich, die westlichen Touristen fanden selten etwas an Unterbringung und Verpflegung zu bemängeln, und viele Reisende, die als Touristen Moskau und Leningrad besuchten, waren durchaus davon beeindruckt und schrieben euphorische Berichte nach ihrer Heimkehr.

In dem Roman des Emigranten Peter Krasnow "Der grenzenlose Hass" entspannen zwei Tschekisten in einem Moskauer Inter-Hotel, wo sie nichts entbehren müssen: Kaviar, erlesene Delikatessen, zubereitet von einem ehemaligen Küchenchef des Zaren, exzellente in- und ausländische Spirituosen und Weine, Luxus-Prostituierte und Kokain.

In dem gleichen Roman wird ein Lehrer verhaftet, weil er in der Eremitage Inter-Touristen angesprochen und bei einer Tourismus-Führung der Darstellung der Fremdenführerin widersprochen hat.

In der Komödie Ninotschka von Ernst Lubitsch von 1939 geht es um eine umgekehrte Situation. Eine sowjetische Delegation wird nach Paris geschickt, um dort Juwelen zu verkaufen für Devisen. Die sowjetischen Touristen beginnen wachsendes Gefallen am westlichen Lebensstil zu entwickeln und feiern wilde Partys.

Grundsätzlich gab es so etwas wie Tourismus auch in der SU und bereits im Zarenreich. Die Krim war so etwas wie eine russische Riviera. Es wurden dort schon im 19. Jahrhundert Hotels gebaut für Touristen. Auch der Ilmensee oder Ladogasee waren als Erholungsziele beliebt. In Staraja rusa wurden in den 1820e Jahren die Salzgewinnung eingestellt, und es wurde der Ort bekannt für seine Moorbäder. Schon in der Zarenzeit entwickelte sich Staraja rusa zu einem Heilbad, ähnlich wie Baden-Baden. Auch die Nomenklatura der Sowjetunion fühlte sich wohl dort und besaß dort Datschen.

In der Zarenzeit war Kur- oder Badeurlaub nur vermögenden Zeitgenossen vorbehalten. In den 1950er und 1960er Jahren begann der Massentourismus. Urlaubsreisen wurden erschwinglich, und in bescheidenem Umfang gab es Angebote dazu auch in sozialistischen Ländern. Bulgarien war ein beliebtes Reiseziel von DDR-Bürgern.

Für Staaten wie Jugoslawien und Bulfarien wurden Einnahmen aus dem Tourismus zunehmend wichtiger. Jugoslawien wurde auch bei Westeuropäern sehr beliebt. In den 1970er Jahren war Jugoslawien ein bevorzugtes Urlaubsziel deutscher Touristen, und Jugoslawien wurde nehmen Spanien, Italien und Österreich zum beliebtesten Urlaubsziel der Deutschen. Jugoslawien rangierte in der Beliebtheit deutscher Touristen weit vor den Nachbarstaaten Frankreich und Dänemark.
 
In den Hotels in Usbekistan und Kasachstan waren m.E. zu 60% russische Touristen, und auch etliche Bürger der DDR, die aber selbst in Moskau sich recht vorsichtig gegenüber der eigenen Reisegruppe verhielten.
Die Reiseführer waren linientreu insofern als die gewünschten Dinge gesagt wurden. Und trotzdem bereit hinter die Fassade schauen zu lassen, aber auch etwas vom Lebensalltag zu zeigen. Vor allem auch kommentarlos und deutlich auf die zunehmende Bedeutung des Islams hinzuweisen.
Die russischen Touristen und Touristinnen waren jedenfalls recht offen und auch einzeln unterwegs.
1986 war aber eine Zeit der Öffnung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und trotzdem bereit hinter die Fassade schauen zu lassen, aber auch etwas vom Lebensalltag zu zeigen. Vor allem auch kommentarlos und deutlich auf die zunehmende Bedeutung des Islams hinzuweisen.
Die russischen Touristen und Touristinnen waren jedenfalls recht offen und auch einzeln unterwegs.

Die klassische Prämisse der Entspannungspolitik basierte auf der Vorstellung, dass durch Kennenlernen und dem Verstehen der anderen Kultur, eigene Vorurteile abgebaut werden und damit Mißtrauen reduziert und Vertrauen aufgebaut wird.

Diese Prämisse galt nach dem WW2 auch in einem hohen Maße gegenüber den früheren Gegnern im Westen und ganz besonders hat sich die USA und die BRD darum bemüht, die Jugend zu gewinnen für das Verständnis der anderen Kultur. Nebenbei eine Erklärung für den Einfluss der "Atlantiker", die von Gräfin Dönhoff bis zu den heutigen Protagonisten reicht.

Auf diese Prämisse baute in hohem Maße auch Brandt seine Entspannungspolitik und förderte den Abbau von Feindbildern. Diese Veränderung auf der höchsten politischen Ebene setzte sich auf den niedrigeren Ebenen fort und führten im Bereich der Parteieliten und der Intellektuellen zu einer eigenständigen Reflektion der Zustände in der UdSSR. Es ist ein relativ langsamer Prozess, um eine kollektive Veränderung in der Bewertung von Ländern im Freund-Feind-Schema zu erzielen. Und erfolgt eher in der Abfolge von Generationen, also im ca. 30 Jahren Intervall.

Diesen Prozess beschreibt English ausführlich für die UdSSR und ist ein zentraler theoretischer Beitrag für das Verständnis der politischen Kultur der UdSSR in den 80er Jahren, auf deren Existenz Gorbatschow seine Reformpolitik formulierte. Und die dazu führte, dass die Bereitschaft zu Reformen eine zentrale Größe im Denken der politischen Eliten einnahm und Gorbatschow - zunächst - von einem relativ breiten Konsens getragen wurde.

Diese Öffnung der sowjetischen Gesellschaft war ein schrittweiser Prozess, in dessen Verlauf auch dem Tourismus eine Bedeutung zukam. Den Beginn beschreibt Zubok unter anderem am Beispiel von Garthoff:

"After Stalin's death, the Soviet Union slowly began to open up to the outside world. In 1955, Soviet authorities authorized foreign tourism, banned under Stalin. They also eased a nearly total ban on foreign travel for Soviet citizens. In 1957, 2,700 Americans visited the Soviet Union, and over 700,000 Soviet citizens traveled abroad. But only 789 of these visited the United States.43

The closed nature of Soviet society and the state control of the flow of information generated enormous curiosity in Soviet society about the outside world and especially about America and Americans. The few American tourists and educational and cultural exchange visitors became the objects of immense curiosity. During the summer of 1957, a young Yale graduate (and future CIA analyst and diplomatic historian), Raymond Garthoff, traveled around the Soviet Union and met with hundreds of students. .....

Many Soviet citizens, avid readers, found their windows to the West in translated lated literature. After Stalin's death, a great number of works of American writers in translation, among them Ernest Hemingway, John Steinbeck, and J. D. Salinger, ger, were published in hundreds of thousands of copies; they were available in thousands of public libraries around the Soviet Union. American films became another window into the New World for the curious public."
(Zubock. S. 172)

Vor diesem Hintergrund kann man den persönlichen Austausch und das Kennenlernen der Kultur anderer Nationen als Basis für die Völkerverständigung gar nicht hoch genug einschätzen. Und bedeutet die Durchlässigkeit und die Kommunikation zwischen Staaten auch in Zeiten eines neuen Kalten Krieges zu stärken.

Und es erscheint mir persönlich unverständlich mit der Kenntnis dieser historischen Erfahrung, wenn man "hämisch" den Abbau von vielfältigen Kontakten zwischen dem Westen und Russland kommentiert.


English, Robert D. (2000): Russia and the idea of the West. Gorbachev, intellectuals, and the end of the cold war. New York: Columbia University Press.
Zubok, Vladislav. M. (2009): A failed empire. The Soviet Union in the Cold War from Stalin to Gorbachev. Chapel Hill: University of North Carolina Press (The New Cold War history).
 
Meine Erfahrung als Tourist in der Sowjetunion war 1985. Wenn ich mich richtig erinnere, musste man eine Reise bei Intourist gebucht haben um überhaupt einreisen zu dürfen. Das war quasi das Visum. Ein anderes brauchte man nicht. Die Einreisekarte von Intourist liegt noch in meiner Kuriositäten-Sammlung.

Wir nächtigten in etwas weniger luxuriösen Hotels, als von @Scorpio beschrieben, aber trotzdem gut. Sowohl in Leningrad, wie auch in Moskau gab es je einen Tag, an dem nichts auf dem Reiseprogramm war und wir uns frei in der Stadt bewegen durften. Wenn an den anderen Tagen ein Intourist-Reiseleiter dabei war, unterband der jedoch jegliche Kontaktversuche mit der lokalen Bevölkerung. (Dabei sprach ich mit dem jungen Leningrader nur über Fußball). In einer Kirche wurde ich von einem Besucher aus der DDR angesprochen. Das wurde dann aber von seinem Reiseleiter beendet. (Es war alles so aufregend und ist schon lange her, meine Erinnerungen könnten mir deshalb einen Streich spielen).
Gastronomisch konnte ich mich nicht beklagen. Es gab zur Vorspeise immer Russischen Salat und man konnte schon zum Frühstück Borschtsch essen. Was will man mehr?
In Leningrad waren sehr viele Finnen im Hotel, die übers Wochenende zwecks Wodka-Konsums einen kleinen Ausflug dorthin machten.
Es war Winter und sehr kalt, trotzdem oder gerade deswegen (zugefrorene Newa und zugefrorene Ostsee) habe ich die Reise in guter Erinnerung. Etwas getrübt vom Zollbeamten, der versuchte meinem Vater bei der Ausreise seinen Ehering vom Finger zu nehmen, weil er ihn bei der Einreise nicht deklariert hatte. Es gelang ihm nicht.
 
Reise in die UdSSR...

Ich bin mit meiner Familie (Frau und 2 Kinder 11 und 12 Jahre) zu Sojuszeiten nur 1mal mit dem PKW Trabi vom Nordosten Rumänien kommend durch die damalige Sowjetrepublik USSR oder UkrSSR Richtung Polen gefahren.

Das war 1980. An so manches kann ich mich aber noch gut erinnern.

Es ging durch Tschernowitz und Ternopil. In Lwiw haben wir übernachtet.

Von Rumänien kommend (Grenzort Siret) ging es erstmal zum Grenzposten bei Terebletsche (Dorf mit ca. 2.800 Einwohnern).
1 Pkw aus Polen stand vor mir. Meine Abfertigung dauerte fast 2 Stunden.
Ich musste alles im Zoll-Raum auspacken, auch die Reisetaschen – und Kofferinhalte.

Die Straßen waren i.O., allerdings Ortsdurchfahrten waren etwas holprig.

Unterwegs wurde ich ein paarmal angehalten. Ich nehme mal an es waren Ukrainer. Die wollten mir aber nur etwas abkaufen. Aber das war mir zu suspekt.

Das Nachtanken in Ternopil vergesse ich nie. :D

Die Menge Benzin die man beim Tankwart, er saß in einem Häuschen und kam auch nicht raus, bezahlt hatte, stellt er in seinem Häuschen ein und wenn er das Gefühl hatte ich halte die Zapfpistole in den Tank, floss das Benzin.

Tanken ging allerdings nicht mit Bargeld, man brauchte Tank- Bons. Ich hatte keine. Mir half da ein DDR – Bürger der mit seinem PKW dort auch gerade tanken wollte.

Am späten Nachmittag kamen wir dann in Lwiw an.

Die Hotelsuche war abenteuerlich. Als ich endlich ein Hotel hatte sagte man mir, Übernachtung geht nur mit Schein von einem bewachten Parkplatz. Einen solchen Parkplatz fand ich dann.
War nicht gerade einfach. Die Platzwartdame offerierte mir nämlich, einem Parkplatz bekommen Sie nur mit Hotelzimmernachweis.

Die Dame an der Rezeption sagte mir dann bei der Buchung „freundlich lächelnd“, diese Übernachtung bekommen Sie aber nur weil Sie mit 2 Kleinkinder unterwegs sind.
 
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