Galanterie als Zeitströmung des 17. und frühen 18. Jahrhunderts

Demoiselle

Mitglied
Liebe Geschichtsfreunde!

Kürzlich fand ich im Netz zufällig eine ältere Seite, die ich eigentlich schon längst hätte kennen sollen: :autsch:

Der Galante Diskurs (Tagungsexposée)

1999 war nun genau jenes Jahr, als mein 'Project' begann, indem ich das Jahr 1699 setzte, welches nunmehr bis 1709 fortgelaufen ist.
Schon früh begann ich dem Ausdruck "barock" mit Mißtrauen zu begegnen. Das Wort ist ein recht discriminirendes Schimpfwort und war im 19.Jahrhundert - völlig unabhängig von irgendeiner Epoche - eindeutig abwertend. Der Brockhaus der 1860er bezeichnet den Ausdruck "barock" als Synonym zu "bizarr".

Das Lesen der Bücher alter Tanzmeister brachte mich dann auf das Wort "galant" und ich erkannte bald, daß dieses historisch authentische Schlagwort viel treffener ist, als "barock".

Nun hätte ich in der Themenüberschrift auf den Zusatz "in Deutschland" dazu setzten können (wäre etwas lang geworden). Auf jeden Fall ist die Galanterie, wie sie damals in Deutschland aufgefaßt wurde, etwas völlig Neues gewesen, das es in Frankreich so nicht gegeben hat. Die Teutschen haben das Phänomen der Galanten ideell ordentlich gesteigert - teils wohl auch übersteigert. Daraus geworden ist auf jeden Fall ein recht strenger Moralcodex: Man mußte in galante Kreisen schon sehr aufpassen, um nicht in ein Fettnäpfchen zu treten. Da die Galanterie damals mit dem Pietismus concurirte, von den Pietisten oftmals sogar verteufelt wurde, nahm auch das Galante offensichtlich ein wenig pietistische Züge an. Auf jeden Fall war galante Moral in der Regel christlich und argumentirte auch häufig aus der christlichen Moral heraus. - Insgesamt hat der Gedanke des Galanten die bürgerlichen und höfischen Kreise um 1700 umfassend geprägt und zwar in so ziemlich allen Lebensbereichen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Bezeichnung "galant" träfe meines Erachtens zwar begrenzt zu, aber ihn zu einem Epochenbegriff zu erheben, erschiene mir zu weitgreifend.

Die Bezeichnung "Barock" umfasst ja eine Kunstepoche, die das gesamte 17. und fast das ganze 18.Jh. in sich begreifen soll. Dabei endet sie freilich zu unterschiedlichen Zeiten in den verschiedenen Ländern und in manchen Ländern wie Frankreich und England ist der Barock überhaupt bis auf die Innenausstattung auch ein oft mit vielen Fragezeichen versehener Kunststil. Dabei wird ein großer Teil des 18.Jh. noch als Rokoko begriffen, was aber nur eine Teilepoche der gesamten Kunstepoche Barock ist. Man findet leicht anhand von Bauwerken, dass die Grenzen zwischen Barock und Rokoko fließend sind.


Nun sprichst Du von Tanzmeistern und dem Begriff "galant". Sicherlich ist die Bezeichnung Barockmusik zum Beispiel auch mit vielen Fragezeichen zu versehen. Am ehesten kann man wahrscheinlich sagen, dass die Barockmusik die Musik meint, welche in der Kunstepoche des Barock goutiert wurde.
Was soll uns nun aber "Galanterie" als Strömung sagen? Immerhin habe ich ein Buch vorliegen das "Geist und Galanterie" heißt ( Geist und Galanterie: Amazon.de: Bücher ), wobei in dem Falle das gesamte 18.Jh. gemeint ist und obendrein der Fokus auf Frankreich liegt.

Für mich fragt sich, was denn genau der Begriff "galant" alles umfassen soll und in wie weit er denn "barock" ersetzen kann, da eben das Barockzeitalter auf jeden Fall deutlich länger ist, als das, was Du unter dem der "Galanterie" auffässt.

Ich habe in das Exposé mal reingeschnuppert. Ein bisschen frage ich mich auch, wie es zu einem Sonderweg Deutschlands kommen konnte, wenn die "Strömung der Galanterie" denn als ein solcher zu sehen ist.

Ist "Galanterie" als ein literatur- oder gesellschaftshistorischer Begriff gedacht?

PS: Ist das mit dem Titel
"Galanterie als Zeitströmung des 17. und frühen 19. Jahrhunderts" ein Tippfehler oder willst Du das Empire (als Abschnitt des Klassizismus) mit einbeziehen?
PPS: Hat sich erledigt. ;-)
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich hatte die ganze Zeit versucht den Tippfehler rauszukriegen. Vielen Dank für die Änderung. Was den Begriff "Barock" angeht, weißt Du, daß ich ihn meide. Aber es geht mir hier nicht um Barock-bashing. Ich dachte einfach, daß der Begriff des galanten - im Sinne des 18. Jahrhunderts - hier noch fehlt. Das Exposé des galanten Discurses hat mich eigentlich bewogen, das hier rein zu stellen.

Warum es damals den deutschen Sonderweg des Galanten gab? Das ist doch eigentlich typisch deutsch, das eine ausländische Erscheinung übernommen und übersteigert wird. Nach dem 30jährigen Krieg war das Bedürfnis nach Moral ja auch ausgeprägt. Die Galanterie löst im 17. Jahrhundert allmählig den 'Grobianismus' ab und erreicht in den ersten Jahren des 18.Jahrhundert wohl einen Höhepunkt ("Die verliebte und galante Welt" von Menantes).

Wenn der Begriff "Epoche" als Überbegriff mehrerer Zeitströmungen gesehen wird, meide ich ihn lieber. Ich spreche eh lieber von der galanten Generation. So fühle ich mich dem Alltag damals schonmal näher. Wenn die Nachwelt eine übergeordnete Epoche "Barock" geschaffen hat, ordnet sie die galante Zeitströmung um 1700 darunter mit ein. Warum sollte ich damit hadern, ich gehe ja eh nicht über die Jahre um 1730 hinaus.

Was Musik angeht, ist "Barockmusik" eigentlich nicht Fachsprache. Der treffende Begriff lautet Generalbaßmusik und der gilt heute wie damals. Der galante Stil, die galante Musik bezeichnet Tanzmusik und hier gehte es in erster Linie um das Menuet. Ich habe Louis Bonin noch einmal gelesen und diesmal fiel mir auf, daß er etwas sehr interessantes dazu sagt: Daß man in Frankreich viele verschiedene Tänze auf Bällen tanze, während in Deutschland fast nur Menuets getanzt wurden. In Frankreich soll man demnach auch professioneller getanzt haben, während es in Deutschland vornehmlich um Geselligkeit ging. Und diese Geselligkeit war für das galante Leben recht wesentlich. Wer nicht tanzen konnte, fiel da raus.

Ist "Galanterie" als ein literatur- oder gesellschaftshistorischer Begriff gedacht?
Übrig geblieben ist im 20. Jahrhundert der galante Literaturstil. Man spricht aber auch noch von Galanteriemusik (v.a. Telemann). Tatsächlich handelt es sich aber darüber hinaus um einen gesellschaftshistorischen Begriff. Dieser Begriff hat das Denken jener Zeit absolut geprägt (in den Schichten unterhalb des Bürgertums natürlich weniger). Will man die Klischees des 19/20. Jahrhunderts umschiffen, stößt man unweigerlich auf das Galante.

Ich kann aber über Frankreich nicht sprechen. Man muß französische Originalliteratur lesen, um das zu erfassen. Dazu reicht aber mein Französisch nicht aus. Außerdem hielt ich es schon vor Jahren für günstig, in der eigenen Heimatcultur zu verbleiben, weil ich als Deutsche da einfach viel tiefer rein komme.

Ganz klar: Der Begriff des Galanten wurde später nicht fallen gelassen. Auch das 19. und frühe 20. Jahrhundert verwendet ihn noch. Um 1700 ist der Begriff in Deutschland aber zeittypisch und zwar als neue Modeströmung (siehe Maschinenzeitalter: Maschinen haben wir noch, aber das dazugehörige Zeitalter ist vergangen, weil anderes fürs 21.Jahrhundert prägender ist). Man kann für den Modebegriff des Galanten durchaus auch von einem 'Zeit-Tick' sprechen. Viele Leute haben damals an nichts anderes gedacht und waren nur auf Äußerlichkeiten fixirt - höchst eitel bis selbstverliebt. Man hat den Begriff "galant" auch damals schon teils uminterpretirt, bis dahin gehend, daß "Galanterie" auch frech für eine 'unkeusche Beziehung' außerehelicher Art verwendet wurde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das kann schon deshalb nicht sein, weil "Barockmusik" schrecklich nichtssagend ist. Der Begriff bügelt in Bausch und Bogen über soviele verschiedene Stilarten, daß er m.E. nichts als eine Anpassung der Fachwelt an den Normalbürger ist. Es steht in den Büchern und auf CDs, weil der Durchschnittsmensch solche Schablonen braucht.

Eine präcise Aussage kann man so nicht machen. Eigentlich ist "Barock" Umgangssprache, die sich eingebürgert hat. Man kann nicht drauf verzichten, weil sonst kaum jemand wüßte, worum es eigentlich geht.

Um den Generalbaß zu verstehen, sollte man über Noten selbst hinaus gegangen sein. Nur dann weiß man, worin diese Technik besteht, was sie ausmacht, kennzeichnet und von anderen Musikarten unterscheidet. Deshalb findet der Durchschnittsliebhaber diesen treffenden Begriff eben nicht griffig.

Der Begriff "barock" ist absolut populärwissenschaftich!
 
Sorry, aber ich meinte durchaus, daß _Fachleute_, also Musiker und Musikwissenschaftler, heutzutage den Begriff "Barockmusik" benutzen. Nicht nur die naiven Normalbürger. Die subsumieren das nämlich gleich unter klassischer Musik, was nun wirklich nicht zutreffend ist.
Natürlich ist das Label Barock verallgemeinernd, aber das ist bei jedem Oberbegriff so.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wir leben im Capitalismus und die Musiker müssen von irgendwas leben. So müssen Sie sich eben anpassen. Gleiches gilt für einen Historiker, der populärwissenschaftliche Bücher verkaufen will.

Stell Dir vor, jemand verlegt eine CD mit der Aufschrift: "Musicalische Ton=Scheibe, nach dem (itzigen)* Galanten Stylo, zu jedermänniglich Divertissement."
Das würde ich persönlich immer so machen, aber welcher Verlag spielt da mit, bzw. welcher Händler nimmt die Scheibe ins Regal?

Und was spricht den Durchschnittsleser mehr an?
- Das Barock
- Die galante Strömung der Frühaufklärung

Hab da so meine Befürchtung, daß der zweite Titel hinten runter fiele ...

* Nachträglich eingeklammert, weil's da echt wieder mit mir durchgegangen ist: Ich schreibe für 2009! :)
 
Zuletzt bearbeitet:
Noch mal: Musikwissenschaftler in _wissenschaftlichen_ Veröffentlichungen und Musiker in ihrem alltäglichen Sprachgebrauch sagen "Barockmusik". Ich sprach nicht von CDs und populärwissenschaftlichen Werken.
Was hältst Du von der Wiki-Definition von Galanter Stil? Dort heißt es, daß es sich eher um eine "Schreibart als (um) eine Epochenbezeichnung" handelt.
 
@Brissotin: Die Themenüberschrift braucht doch unbedingt den Zusatz "... in Deutschland" (Galanterie als Zeitströmung des 17. und frühen 18. Jahrhunderts in Deutschland).
Du weißt, daß ich mich ziehmlich specialisirt habe. Und das betrifft eben die "französische galante Mode", wie sie damals bei uns aufgefaßt und weitergedacht wurde. Ich kann keine präcise Aussage über Frankreich machen, wo Galanterie teilweise etwas anderes bedeutet haben wird.
Die deutsche Galanterie entwickelte sich zwischen den Fronten von französischen Modeeinflüssen einerseits und dem erstarkenden Pietismus andererseits. Im Gegensatz zum Pietismus sind aber Toleranz und Aufgeschlossenheit sehr wesentliche Züge der deutschen Galanterie. Die dritte Front besteht übrigens in "altvätterlichen" Leuten, welche das althergebracht "Teutsche" beibehalten wollen und die fremdländischen Sitten verachten. Letztere werden von Galanten als "grobe Klötze" belächelt. Ich finde dieses Gegeneinander verschiedener Auffassungen recht interessant.
 
Noch mal: Musikwissenschaftler in _wissenschaftlichen_ Veröffentlichungen und Musiker in ihrem alltäglichen Sprachgebrauch sagen "Barockmusik". Ich sprach nicht von CDs und populärwissenschaftlichen Werken.
Was hältst Du von der Wiki-Definition von Galanter Stil? Dort heißt es, daß es sich eher um eine "Schreibart als (um) eine Epochenbezeichnung" handelt.
Ich beziehe mich auf Quellen und vergleiche diese hin und wieder (siehe Exposé). Ich bin keine Wissenschaftlerin, sonder factisch innerhalb des 21.Jahrh. 'Reenacterin'* (wie viele hier). Wissenschaftler sind übrigens Menschen und nicht alle sind ehrlich. Manche behaupte sogar irgendwelche Dinge, die vor Quellen keinen Bestand haben.
Aber Du bringst mich von meinem Thema ab. Es geht hier um Galanterie und hier ist galante Musik nur ein Ausschnitt. Dazu gehört auch galante Mode, galante Sitten, galantes Leben ect., ect. ... - Ich persönlich bin insofern von der Musik etwas abgerückt, daß galantes Tanzen mir mittlerweile weit mehr bedeutet, als das Tonale.
Du kannst Deine "wissenschaftlichen Quellen" gern hier darstellen. Ich persönlich greife hier im Forum lieber auf Citate von Mattheson oder Heinichen zurück. Ich möchte galante Musik direct aus dem galanten Leben gegriffen und nicht aus zweiter Hand. - Aber ich weiß, daß es Musikwissenschaftler gibt, die meinen Ansatz teilen!
Was ist Geschichte? Was Nachgeborene darüber sagen, oder was Originalquellen berichten? Was Wikipedia angeht, bin ich höchtst mißtrauisch. Es gibt einzelne Themenbereiche wo da Außergewöhnlliches geleistet wird - aber nicht zum Schlagwort "galanter Stil" - begeistert mich ganz und gar nicht.

* Benutze den Ausdruck nicht, weil ich eben alles möglichst in Originalsprache beschreiben möchte.
 
Hmm war es damals nicht Mode sich möglichst ausschweifend und indirekt auszudrücken?
Ich erinnere mich da an ein Beispiel eines Mannes, der von seinem Bruder etwas Geld leihen wollte und für einen einzelnen Satz gut eine halbe Seite vollgeschrieben hat.
Vielleicht find ich das ja wieder. War auf irgend einer Homepage über Mode der verschiedenen Epochen.
 
Demoiselle, mir ist klar, daß wir irgendwie auf verschiedenen Schiffen unterwegs sind. Ich hatte nur Deine Anmerkung geraderücken wollen, der Begriff der Barockmusik sei heute in der Fachsprache nicht üblich. Denn das stimmt nun einmal nicht.
Natürlich hieß das damals alles anders. Trotzdem sprechen wir hier im Forum - und auch in der Wissenschaft - von der Antike, dem Mittelalter, der Renaissance etc. Das sind nun einmal die Schubladen, in denen historisches Geschehen und Wissen verpackt wird, um die Übersicht zu erleichtern. Daß das ein Reenacter etwas anders sieht und einen anderen Sprachgebrauch hat, ist klar. Aber ich bin eben Historikerin.
 
Ich bin gewohnt, gewissermaßen/fictiv für den Leser von 1709 zu schreiben (siehe meine HP). Das wollte ich mir hier verkneifen. Nun stelle ich gerade bei diesem Lieblingsthema fest, daß es mir unendlich schwer fällt: Ich bin gewisserweise/fictiv in der galanten Generation socialisirt und komme da nicht raus (nur in diesem Bereich, viele im Bekanntenkreis ahnen das gar nicht!). Auf jeden Fall empfinde ich es so, daß die Nachwelt der galanten Generation etwas aufdrückt, was ich sogar persönlich als Kränkung empfinde. Aber alles was ich in moderner Sprache dagegen vorbringe, trifft eigentlich den Kern nicht: Das Denken ist anders und man benutzt andere sprachliche Bilder, ja viele Wortbedeutungen haben sich teils sogar ins Gegenteil verkehrt.
Es heißt ja immer so schön, jedes Zeitalter lege sich sein Geschichtsbild zurecht. Es kann ja auch nicht meine Aufgabe sein, ständig mit gesenkten Hörnern gegen dererlei Geschichtsbilder anzurennen. Von dieser - doch etwas deprimirenden - Betätigung muß ich endlich weg kommen.

@ Legat: Du hast nicht ganz unrecht. Das Wort "umständlich" war damals nicht negativ gemeint - im Gegenteil wurde zur Rechenschaft oft "umbstendlicher Bericht" eingefordert. Die schönsten Bandwurmsätze, über die ich mich immer wieder freute, kame von dem Wiener Correspondenten der Braunschweiger Ordinari Post=Zeitung: Da füllte der erste Satz zuweilen sogar eng bedruckt eine halbe Seite.
Was das indirecte Ausdrücken angeht, hat sich das bis heute in England gehalten - offensichtlich eine 'postgalante' Höflichkeitsform. Oft ist diese Zurückhaltung gut gemeint; doch es ist ja bekannt, daß sie zuweilen auch für hintersinnige Fallstricke mißbraucht wurde und wird. Heutiges Büromobbing functinirt ja auch bei uns so ähnlich, indem man versucht, indirect zu treffen.
Heute scheuen sich viele vor den alten, langatmigen Texten, mit vielen thematischen Abschweifungen. Deshalb steht vieles leider ungelesen in Archiven herum. Daß ich diese Bücher mit Begeisterung verschlinge, ist gewiß eher ungewöhnlich. Viel lieber berichtet man picante Details aus dem Leben von Königsmaitressen - weil das eben kurzweiliger ist. Aber ich sehe da ein riesiges culturhistorisches Loch: Die Decaden um 1700 werden meist übersprungen und kaum jemand hat eine genaue Vorstellung davon.

Ich sagte ja schon: Wer beispielsweise für die Musikscene dieser Zeit brennt und Informationen aus erster Hand sucht, liest am besten die Bücher der damaligen Fachleute. Und da sind Mattheson und Heinichen einfach ideal. Quantz ist schon etwas sehr jung, zum großen Teil aber noch aufschlußreich, weil er sich meist auf die Praxis seiner jungen Jahre bezieht und hierin recht conservativ eingestellt ist.
Ich möchte im Folgenden eigentlich am liebsten Originalcitate sprechen lassen. Bislang kaue ich Sachen wieder, die ich irgendwie in anderen Foren schon gesagt habe. Ich habe mir neulich aber ein paar Sachen angestrichen, die ich wirklich bemerkenswert finde ...
 
Ich greif jetzt einfach mal auf, was mir zu dem bisher Gesagten im Kopf herumspringt.

Ich hab jetzt 2 Jahre lang einen Musik-Kurs hinter mir, der die Hölle war. Aber ich stelle nun fest, dass es sich gelohnt hat, sich zu quälen.

Erst einmal eine Frage: Warum stört es dich, dass man die Musik von ca. 1600 bis ca. 1750 als "Barockmusik" bezeichnet?
(Es ist denkbar, dass ich es überlesen habe.)
Üblich ist es doch, dass man die Epoche in der Musikgeschichte in den Früh-,Hoch- und Spätbarock einteilt.

Die "Barockmusik" ist unter der Kategorie der "Alten Musik" zu finden. Von Klassischer Musik spricht man erst mit dem Beginn der Klassik, was Turandokht schon geschrieben hat.
Die "Barockmusik" ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass das Notenbild vom Generalbaß bestimmt war, welcher durch das Cembalo oder das Cello gespielt wurde, wobei die Akkorde aufgelöst wurden. (Also nicht der Dreiklang miteinmal; was durch entsprechende Bemerkungen, ich glaub in Form von Zahlen, der Komponist dem Instrumentalisten klargemacht hat.)
Außerdem war das Cembalo nur in dieser Epoche im Orchester vertreten und auffällig ist die Polyphonie von "barocken" Werken.

Der galante Stil entwickelte sich in der Zeit des "Spätbarocks".
Die wichtigsten Merkmale davon waren die dominierende Melodiestimme und die damit bevorzugte Homophonie, um die Affekte in extremen Maß ausleben lassen zu können. Recht bekannte Vertreter des galanten Stils waren der schon genannte Telemann und C.P.E. Bach.
Der Galante Stil war neben dem Empfindsamen Stil und dem Stil des Sturm und Drang (nicht Literatur!!) der Wegbereiter für die Klassik.
 
Zum Generalbaß-Stil

Um der speciellen Frage nach der Musik um 1700 einmal gerecht zu werden:


Der Überbegriff ist Generalbaßmusik [Generalbaß=Music]
(Kennzeichen ist eine Generalbaßbegleitung [Accompagnement] in Akkorden, die aber kunstmäßig gebrochen und ausgestaltet werden – also nicht in simplem 'schrumm-schrumm' bestehen).


Darunter unterscheidet man in:
(1) Bühnenmusik [Theatralische Music];
(Opern, auch Comödien wie die Molières ect. werden zumeist in großen Besetzungen dargeboten und die Musik daraus wird auch abseits von Bühnen ganz gern dargeboten).
(2) Kammermusik [Cammer=Music];
(Musik in kleiner Besetzung - entweder konzertant oder zum Tanzen gedacht und die, wie man heraushört, in kleinere Räume [Cammern] hinein paßt).


Nun muß man einerseits die Bühnenmusiken, andererseits die Kammermusiken wiederum aufteilen:


Am Beispiel der Oper ist zu beachten, daß hier damals vor allem nach Nationalstilen unterschieden wurde. Wichtig ist hier vor allem die Unterscheidung in die französische und italienische [Jtaliänische] Oper (auch wenn der englische Stil nicht unbekannt war und auch spanische Künstler einen gewissen Namen hatten).


Cammer=Music wird ebenfalls vor allem in französischen und italienischen Stil unterschieden. Des concertanten Sonatenstiles bedienen sich sowohl Franzosen, als auch Italiener, dennoch gibt es hier stilistisch-klangliche Unterschiede. Dabei liegt in Frankreich der Schwerpunct mehr auf der galanten, tanzbezogenen Musik, während italienische Musik experimenteller und freier, ja teils improvisatorisch (correct : extemporirend) agirt.
Die Galanteriemusik Deutschlands bezieht sich auf modisch-französische Tanzmusik, wie sie bis heute in Suiten überliefert ist. Diese Musik ist hübsch, doch eher nicht virtuos und es geht hier vor allem um die Interpretation von Menuets (um beispielsweise eine Gigue tanzen zu können, bedurfte es schon einer recht hohen Condition und Kunstfertigkeit, die sich nur wenige Privatleute aneigneten), die auf Hochzeiten, Bällen und Assemblées (entsprechen in etwa modernen Parties) intonirt wurden. Dazu engagirete man damals (wie heute) Tantz=Capellen. Die mußten freilich auch schwierige Sachen spielen können, denn einige galante Damen und Herren hatten einiges mehr drauf als Menuets und gaben gern einmal ein Solo. Auch tanzten Gesellschaften gelegentlich auch gern einmal eine Bourrée oder einen Rigaudon zusammen. Daher liegt man nicht verkehrt, wenn man Galanteriemusik grob mit tanzbare Gebrauchsmusik umschreibt.


Demnach ist der „galante Musikstil“ eben kein hochkünstlerisches Beinausreißen gewesen. Wer das accompagniren gründlich gelernt hatte, spielte jede Menuet (in der Tat damals weibl.) aus dem Stand herunter – entweder nach Accordsymbolen/Ziffern oder nach Gehör. Dieses Handwerkszeug mußte man als Musiker einfach drauf haben und konnte dann durchaus davon leben.
Nun wird’s aber noch vertrackter, indem sich (wie das Leben so spielt) viele der genannten Stile untereinander auch vermischen. Man braucht also eine ziemliche Erfahrung, um die entsprechenden Einflüsse heraus zu hören. So ertönen innerhalb Opern beispielsweise auch gern einmal Menuets, die anschließend dann oft sehr nachgefragt wurden (die Leute kauften Noten fürs heimische Clavier - Clavichord oder Cembalo). Und schließlich gibt es noch den Begriff der „galanten Oper“.


Das meinte ich vormals mit „fachlich“. Wenn man die Musikscene um 1700 beschreiben will, kann man mit dem B-Wort kaum etwas ausrichten, sondern braucht schon specielleres Vocabular. Die heutigen Interpreten alter Musik sind recht fanatisch und wühlen auch ständig in Originalzeugnissen herum. Anschließend steht man vor dem Problem: „Wie erkläre ich's jetzt Herrn und Frau Müller, ohne daß die gleich eine jahrelange Zeitreise absolviren müssen?“


Dazu braucht man als erstes die B-Wortschublade, damit Meiers alles einigermaßen einordnen und verorten können. Und das muß dann auch irgendwo auf die CD gedruckt werden. Solange die nicht etwa lautet: „Barock zum Baden“, ist es eventuell noch zu ertragen.


--------------------------------------


P.S.: Kirchen=Music habe ich außen vor gelassen, wäre aber eine weitere Art von Generalbaßmusik. So umfassend wie hier habe ich die Materie noch nie abgehandelt. Der Kirchen-Stil untergliederte sich aber auch noch etliche Mal und es würde doch etwas sehr fett geraten.
Cantaten können sowohl galant, als auch kirchlich sein – je nachdem, ob etwa im Cafehaus (in Cammer-Besetzung begleitet), oder in der Kirche (gern in größerer Besetzung) gegeben, richtet sich deren textliche Thematik.
 
Original-Citate aus der galanten Welt des frühen 18. Jahrhunderts:

... so hat derjenige nicht nöthig/ nach öffterer Gewohnheit sich ein oder mehr Jahre mit Erlernung vieler Suiten und Pæludien auffhalten zu lassen/ welcher nur allein den General Bass, nicht aber à part die Galanterie auff den Clavier zu erlernen suchet. Denn diese kan er auch allenfalls mit bessern Nutz nachholen/ oder vielmehr beyher führen: so viel Galanterie aber und Application der Finger/ als man in jenen/ nemlich den General-Basse, nöthig hat/ solches giebet sich bey Erlernung dessen von sich selbst.


§. 2.
Also kan nun derjenige bey guter Anführung schon mit Nutzen den General-Bass zu spielen anfangen/ welcher nur auff dem Clavier die Claves und Semitonia, den Unterscheid der gestrichenen oder ungestrichenen Octaven, ingleichen was Secunda, Tertia, Quarta, Quinta, Sexta, Septima, Octava und Nona sey/ vollkommen inne hat; nechst diesen mag er kaum eine oder etliche wenige Menuetten* in die Faust gebracht haben/ welches eine Arbeit von 1/ höchst 2. Monathen seyn kan.
Johann David Hein(i)chen, „Neu erfundene und Gründliche Anweisung ... des General-Basses“ (1711)
-----------------------
* Vergl. hierzu auch die überwiegende Dominanz der Menuet (s.u.)!


Die heutige galante Welt hat ihre Vollkommenheit bey nahe erreichet/ indem man alle Künste und Geschicklichkeiten dergestalt floriren siehet/ daß man öffters urtheilet/ es schiene unmöglich/ daß der menschliche Verstand einen höhern Grad erreichen könnte.
Louis Bonin, „Die neueste Art zur Galanten und Theatralischen Tantz=Kunst“ (1712)


Denn was die Tugend kan vor Wunder=Wercke weisen/
Wie sich Geschicklichkeit mit Pracht und Klugheit küßt/
Muß auch die Warheit selbst bey Euch vollkommen heissen/
Und spricht/ daß diese Stadt galant und treflich ist.
Menantes unter der Überschrift „An das galante und annehmliche Hammonische* Frauenzimmer.“ Zu finden in seiner „Die verliebte und Galante Welt“ in der Auflage von 1707; die 2te Auflage erfolgte 1700.
--------------------
* Steht da so


Aussage des Tanzmeisters Louis Bonin über die überwiegende Dominanz der Menuet beim galanten Tanzen:
Hingegen in Teutschland/ ist das Contrarium,* wie ich dann mit meinen Augen an dem Kayserlichen Hofe in Wien gesehen/ daß man bey Balls, nichts als die Menuet, Paspied und Englische Tänze. Bey dem Beylager des Cron Printzen zu Preussen/ gienge es eben so zu/ wie auch an andern Höfen/ welches die tägliche Erfahrung bezeuget/ wo auch schon was darüber/ ist es doch was extraordinaires.
Louis Bonin, „Die neueste Art zur Galanten und Theatralischen Tantz=Kunst“ (1712)
-----------------------
* Im Gegensatz zu Frankreich
 
Galanterie um 1700 - Germanistisches Seminar Bonn:

Hier ein paar Citate, welche belegen, daß das Vorhandensein einer umfassenden Galanteriebewegung tatsächlich auch von der heutigen Fachwelt erörtert wird. Es geht hier nicht allein um den galanten Roman (im Zusammenhang auch mit dem galanten Brief): Stephan Kraft spricht darüber hinaus von einer „Bewegung“, sogar von „der galanten Zeit“:
Deutliche Tendenzen zu einer solchen systematischen Aufweichung der Grenze zwischen Literatur und Leben gab es, wie nicht nur die Geschichten um die Geschwister Königsmarck zeigen, jedoch auch schon in der galanten Zeit um 1700. Das Besondere an dieser Zeit ist, dass in ihr eine solche Vermischung keinesfalls immer als eine pathologische Erscheinung aufgefasst wurde, wie es im späteren Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts dann die Regel werden sollte.
Um 1700 wird durch die Galanteriebewegung und die damit verbundene Ausbreitung der Privatklugheitslehren, die das Prinzip der politischen Klugheit zu popularisieren suchen, ein neues Emergenzniveau in der Frage nach dem Ich erreicht.
Stephan Kraft: Literarisiertes Leben und gelebte Literatur - Interferenzen von Autobiographie, Briefkultur und galantem Roman um 1700, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2 [20.12.2002], URL: ZEITENBLICKE - Online-Journal für die Geschichtswissenschaften
(Stephan Kraft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Germanistisches Seminar, Bonn).
Die genannte „galante Bewegung“ war nichts anderes als jene galante Modeströmung, von der bei diesem Thema die Rede ist. Und die Menschen, die danach lebten, consumirten/tanzten exact die Menuets, von denen in meinen vormaligen Original-Citaten die Rede war. Diese Leute trugen galante Mode, unterhielten galante Discurse* in galanten Gesellschaften und lasen eben auch galante Literatur (nicht nur Romane, auch Bildungsliteratur). Und bitte nicht 50 Jahre oder mehr weiter springen: Es geht hier tatsächlich um das ausgehende 17. und frühe 18.Jahrhundert. Und behalten wir bitte auch Der Galante Diskurs (Tagungsexposée) im Auge. Das war damals ein umfassendes Zeitphänomen. Die Öffentlich hat sich für diese Decaden bislang so gut wie gar nicht interessirt - außer ein bißchen Sonnenkönig und starkem August**. Deshalb muß ich hier schon einiges Aufbieten, um glaubwürdig zu erscheinen.
------------------------------------
* Im Zusammenhang zu betrachten mit der von Kraft genannten „politischen Klugheit“.
** Bezeichnend auch, wie wenig man sich für Fridrich I. von Preußen interessirt.
 
Ergänzungen:


Mir fällt nun auf, daß in Herrn Krafts Text etwas steht, was ich immer gern ausgelassen habe: Eben das schwärmerische Moment, vor allem das Spiel mit dem Verliebtsein (ob echt oder inscenirt) – man darf vielleicht auch von 'versponnen' reden. Denn die Tanzmeister, die ich so gern citirte, verfaßten ihre Bücher bereits in reiferem Alter und vertraten somit eine abgeklärtere Galanterie – jenseits von jugendlichem Schwärmertum. An dieser Stelle wird dieses Schwärmerische recht deutlich und man merkt auch den spielerischen Character; ja es klingt doch alles recht nach Rollenspiel:
... im Rahmen der Galanteriebewegung ist die Grenze zwischen wahr und falsch, zwischen echt und unecht eine ziemlich durchlässige - eine bewusste Selbstinszenierung, die zur Verstellung tendiert, wird nicht unbedingt als anrüchig empfunden [21], zumal von Teilnehmern am galanten Diskurs geradezu erwartet wird, den Inszenierungscharakter des vom Gegenüber Dargebotenen immer mitzubedenken.
Stephan Kraft: Literarisiertes Leben und gelebte Literatur - Interferenzen von Autobiographie, Briefkultur und galantem Roman um 1700, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2 [20.12.2002], ZEITENBLICKE - Online-Journal für die Geschichtswissenschaften


Meletaon, ein Tanzschüler Bonins, schreibt 1713 ein Buch über den pädagogischen Nutzen des Tanzens. Damals war er 25 und es ist ja bekannt, daß man mit unter 30 noch Träume hat! Ich fand ihn als Verfasser hoch sympathisch und recht vernünftig, einige seiner Passagen irritirten mich jedoch. Das sind eben Reste von jugendlicher Schwärmerei, die in diesem Alter normal und gesund sind – auch gar nicht verkehrt! In diesem Alter orientirt der Mensch sich schließlich auf dem Heiratsmarkt und warum sollte dies nicht auch ein wenig spielerisch geschehen?


In seiner „Verliebten und Galanten Welt“ schildert Menantes eindringlich, wie sein Romanheld Heraldo immer wieder bei dem Versuch scheitert, die ideale Liebe zu finden. Ohne Schwärmerei könnte kein Mensch einen solchen Weg ertragen. Ich muß im übrigen sagen, daß mich die große Klugheit und das Einfühlungsvermögen, in der die Romanfiguren im großen und ganzen miteinander umgehen, begeistert hat. Diese Leute waren Schwärmerisch und doch sehr vernünftig. Wenn ich hier also künftig Bonin und seinen Tanzmeister-Concurenten Taubert citire, darf ich den jüngeren Meletaon nicht übergehen ...


Die "Barockmusik" ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass das Notenbild vom Generalbaß bestimmt war, welcher durch das Cembalo oder das Cello gespielt wurde, wobei die Akkorde aufgelöst wurden. (Also nicht der Dreiklang miteinmal; was durch entsprechende Bemerkungen, ich glaub in Form von Zahlen, der Komponist dem Instrumentalisten klargemacht hat.)
Außerdem war das Cembalo nur in dieser Epoche im Orchester vertreten und auffällig ist die Polyphonie von "barocken" Werken.
(geschichtsfan07 – 1.Mai, 13:32)

Der Generalbaß des 17. und frühen 18.Jahrhunderts ist vielfältiger besetzt, als in späteren Decaden. Sehr häufig war die Laute mit dabei. Außerdem war die Orgel damals ein nicht rein sacrales Instrument und konnte durchaus anstelle des Cembalo stehen (Händels spätere Orgelconcerte waren ja auch weltlich und wurden im Park gegeben). Bei großen Opern wurde oft mehr als ein Kielflügel (große Cembali) eingesetzt, sowie zusätzlich mehrere Lauten und auch die Baßlinie war mehrfach besetzt. Im Baß konnte aber auch ein Fagott allein stehen, oder etwa der damals aufkommende Vorläufer der Clarinette (damals auch Chalumeau genannt). Was ich erst vor kurzem im DLF erfahren habe: In Deutschland wurde sogar das Hackbrett eingesetzt. Der damals berühmt Pantaleon (hervorragender Musiker und Tänzer) soll diese Instument damals verbessert haben und was ich im Radio da intoniren gehört habe, hat mich umgehauen! Am Wiener Hof soll diese Variation des Hackbretts unheimlich eingeschlagen haben und es wurde daraufhin ständig dort in der Generalbaßmusik eingesetzt. - Was die Accordbegleitung beim Generalbaß angeht, würde ich nicht von Auflösen sprechen, sondern lieber von Brechen. Man löst auf von einem Accord zum nächsten, etwa von Dur nach Moll. Das kann man als Effect freilich hie und da einbringen, daß man etwa mal eine Mollparalle durchscheinen läßt – viele Accorder sind ja auch Zwitterhaft und können so oder so interpretirt werden. Aber es geht doch mehr um Accordbrechungen, daß ich etwa nicht F-Dur-Dreiklänge durchklopfe, sondern hier einen Dreiklang anschlage, dort etwa nur ein Terzintervall daraus, dann vielleicht einen Einzelton ect. ... - was man im Jazz übrigens nicht anders macht (nur daß die Harmonik freier ist).
Eine Menuet wird größtenteils Homophon gesetzt, wobei hier und dort einmal polyphone Stilmittel hervorblicken. Das macht ihre ganze Ästhetik aus, daß hier irgendwie alles maßvoll im Lot ist – ohne vordergründige Technikspielereien, womit der Interpret sich beweisen könnte.
Es geht hier um jene Musikscene, in die Händel, Telemann und Bach im Alter um die 20 hineinwuchsen und da denke ich für Deutschland etwa an Componisten wie Fux, Erlemann, Muffat, oder den Hamburger Opern-Componisten Keiser. All diese Leute blickten übrigens ehrfürchtig auf den großen verblichenen Franzosen Lully und beriefen sich gern auf ihn. Aber diese deutschen Componisten schufen durchaus auch einen eigenen galanten Stil (siehe die Suiten, auch Ouvertures genannt).


Bin jetzt mal tiefer in die musicalische Seite gegangen, um zu zeigen, daß man einfach mehr herausholen kann, als wenn man in Bausch und Bogen von Hoch- oder Spätbarock spricht. Wenn man mit seinem Geigenkasten fast schon in den Regenpfützen von Anno 1700 steht, beinahe schon was riecht, braucht man diese Grobschablonen nicht. So richtig spannend wird es doch erst, wenn man feiner justirt. Warum sollte ich hier Schulbuchmief ablassen, wo es doch mehr gibt?
 
Der Generalbaß des 17. und frühen 18.Jahrhunderts ist vielfältiger besetzt, als in späteren Decaden. Sehr häufig war die Laute mit dabei. Außerdem die Orgel, bei großen Opern ein Kielflügel sowie zusätzlich mehrere Lauten, auch ein Fagott allein. In Deutschland wurde sogar das Hackbrett eingesetzt.

An der Vielfältigkeit will ich um Gottes Willen nicht zweifeln.
Doch du zeigst selbst auf, dass die genannten Instrumente immermal aber nicht oft den Baß übernahmen (siehe: "bei großen Opern", "auch", "sogar")
Die Laute war durchaus ein häufig genutztes Instrument, jedoch würde ich sie vor allem der Epoche des Frühbarocks und zum Teil der des Hochbarocks zuschreiben.

Was die Accordbegleitung beim Generalbaß angeht, würde ich nicht von Auflösen sprechen, sondern lieber von Brechen.

Dem stimm ich zu, es lag mir im letzten Beitrag lediglich am Herzen zu nennen, dass der Accord nicht oft "in geballter Form" gespielt wurde.

Eine Menuet wird größtenteils Homophon gesetzt, wobei hier und dort einmal polyphone Stilmittel hervorblicken.

Das Menuet ist freilich ein Kennzeichen für die "Barockmusik". Doch wir beide legen hohen Wert darauf aufzuzeigen, dass die "Barockmusik" im Ganzen eine vielfältige Thematik ist.
Deshalb kannst du nun nicht behaupten, dass die "Barockmusik" vom "galanten, homophonen Stil" gekennzeichnet ist, weil man vorzugsweise Menuette nach diesem Stil komponiert hat.
Im Groben und Ganzen war die "Barockmusik" polyphon und das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Warum sollte ich hier Schulbuchmief ablassen, wo es doch mehr gibt?

Das ist schon richtig, aber man sollte bedenken, dass man auch Zuhörer braucht.
 
Doch du zeigst selbst auf, dass die genannten Instrumente immermal aber nicht oft den Baß übernahmen (siehe: "bei großen Opern", "auch", "sogar")
Moment: Die „genannten Instrumente“ haben durchaus auch gleichzeitig accompagnirt! Ein Kielflügel hat beileibe nicht die Durchschlagskraft eines Hammerflügels und so hat man sie in großen Besetzungen mehrfach besetzen müssen. Die Baßlinie wird ja eh oft mehrfach besetzt: Gamben, Celli, Fagotte ect. ...
Die Laute war durchaus ein häufig genutztes Instrument, jedoch würde ich sie vor allem der Epoche des Frühbarocks und zum Teil der des Hochbarocks zuschreiben.
Daselbst geruhe alle Tage der Musicæ der Jahre um 1700 zu lauschen. Sagen wir mal so: Ich habe da einen Knall und in meinem CD-Regal findest Du kaum was anderes. Und ich schwöre bei allen Musen, daß aus meinen Boxen nicht allein Lauten schrummeln, sondern daneben hin und wann auch allerlei Schlaginstrumente, wie Tamburine, Castagnetten ... - Also, ich höre kaum so Händel- und Bachzeugs vom nordwestsüdteutschen Rundfunk-Orchestre, sondern die von so netten 'Verrückten', die auf historischen Instrumenten spielen. Natürlich lese ich (neben den Original-Büchern der alten Music-Maitres) auch in den hochklugen Anmerkungen der Musiker herum, wie sie handelüblichen CDs beigefügt werden.
Es ist ja gut, daß Du Dich der ganzen Vielfältigkeit der sogenannten barockischen Musik hinweg gibst. Aber Du kannst Dir vielleicht vorstellen, daß ich (eben durch meine einseitige Focusirung) eine genauere Vorstellung von der Musik um 1700 mit mir herum schleppe. Oder sagen wir : ein schärferes Bild.
Das Menuet ist freilich ein Kennzeichen für die "Barockmusik". Doch wir beide legen hohen Wert darauf aufzuzeigen, dass die "Barockmusik" im Ganzen eine vielfältige Thematik ist.
Deshalb kannst du nun nicht behaupten, dass die "Barockmusik" vom "galanten, homophonen Stil" gekennzeichnet ist, weil man vorzugsweise Menuette nach diesem Stil komponiert hat.
Es ist völlig legitim, daß Du dir aus diesem Thema die musicalischen Rosinen heraus pickst und daß Du den Ausdruck „Barockmusik“ dabei gebrauchst. Aber bitte nötige mich nicht, meinen roten Faden zu vernachlässigen: Das Thema an sich handelt von der Galanterie höchst daselbst und Musik ist nur ein Teil davon. Daß ich hier besonders stark Galanteriemusik betone, kommt eben daher, daß es hier um Galanterie geht: Weil Galanteriemusik eben zum galanten Wesen dazu gehört. Italienische Musik wurde auch um 1700 herum consumirt und dies wohl zuweilen auch von galanten Leuten, in galanten Gesellschaften. Im großen und ganzen aber waren die Musikfreunde in eine Lully- und eine Corelli-Partey zerstritten. Und zur galanten Bewegung gehörte absolut die galante, Frantzösische Music. Die Menuet ist wahnsinnig wichtig um 1700 – wer die nicht tanzen kann, kriegt schwer einen anspruchsvollen Job da, weil er einfach nicht gesellschaftsfähig ist. Es geht in diesem Thema schließlich auch um galante Socialgeschichte (wahnsinnig aufregend!).
Im Groben und Ganzen war die "Barockmusik" polyphon und das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Polyphon war die Musik in Spätmittelalter und Renaissance. Der Generalbaßstil führte dann die Homophonie ein. Damit wurde die europäische Musik homophoner als zuvor. Während in der Renaissance Polyphonie als absolut galt, setzt der Generalbaßstil beide Stilmittel ein. Polyphonie ist hier eines der Stilmittel. Das macht Generalbaßmusik so „vielfältig“ wie Du ja treffend sagst. Man könnte freilich argumentiren, die Romantik sei allemal noch homophoner. Aber das wäre historisch doch reichlich anachronistisch gedacht.
Das ist schon richtig, aber man sollte bedenken, dass man auch Zuhörer braucht.
Ich bin so frei, hier im Forum meinen 'Hobbies' zu frönen, zumal ich keine bezahlte Tippse bin. Aber das Wort „Hobby“ mag ich eigentlich nicht – für mich ist insbesondere das Tanzen und chorégraphiren von Menuetten, Gavotten, Sarabanden ect. eine Passion. Darüber hinaus interessirt mich die galante Philosophie brennend! Natürlich ist das ein seltenes Thema. Aber soll ich hier deshalb olle Schul-Kamellen lutschen, die mich langweilen?


... daß wie die Menschen im 21 Seculo doch ohngern unsre Bücheren lesen, weillen unsre Sprach ihnen was unbequem, darauß man abnehmen kan, wie diese Leüthe gar nichtes vor uns interessirten, allein dennoch ferner Lügen uber unß außstreüen. Auch ist die Jahr-Rechnung, so man allda in denen Historien-Büchern gemachet, eine Sünde, wo man unß gar barockicht heisset. Jch haße diese künfftige Welt, sie thun nur Böses und wöllen unß schaden.
Sagt meine 'Freundin', im Anno 1709 :winke:
 
Zurück
Oben