Gegenaufklärer?

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Gast
Ich will, wenn schon, denn schon, für meine Präsentation über die Aufklärung auch die Gegenseite zu Wort kommen lassen. Das wären sie also, die "Gegenaufklärer". Leider ist Wikipedia dazu nur wenig ergibig:
Gegenaufklärung ? Wikipedia

Kennt ihr berühmte Figuren der Gegenaufklärung? E. Burke wurde mal genannt, ist aber als "Stammvater" der Konservativen dann nicht auch irgendwie "modern"?
 
Hallo, wenn du davon ausgehst, dass die "Aufklärung" in Theorie und Praxis dem Absolutismus gegenüber stand, so solltest du dich mit der philisofisch-theoretischen Legitimation eben des Absolutismus bzw. des aufgeklärten Absolutismus befassen.
Im Unterabschnitt "Philisophische Begründung des Absolutismus" des Wikipedia-Artikels zum Absolutismus wirst du bezüglich der Theoretiker als auch ansatzweise der inhaltlichen Zusammenhänge sicher fündig.
Von da ausgehend kannst du dann bei Bedarf selber weiter forschen.
Viel Erfolg.
 
Eine wichtige Frage, die mich auch Anfang des Jahres beschäftigt hatte und ich will meine Überlegungen dazu angesichts der Frage daher einmal zur Diskussion stellen; zuvor will ich bemerken, insofern man den geposteten Links folgt, die Gegenaufklärung historisch auf die Spätaufklärung folgt. Ich lese gerade in einem Review Essay (Hans Reiss, 1999) nach, daß z. B. Johann Gottlieb Fichte einst einen Artikel gegen die Unterdrückung der Gedankenfreiheit in Europa geschrieben hatte, eine Haltung die zum Ende des 19. Jhs. aufgegeben hatte. Da in der Ausgangsfrage ein gewisser Burke erwähnt wurde: Justus Möser wurde, wie ich demselben Review Essay entnehme, als ein deutscher Burke bezeichnet und gilt als bedeutender Kritiker der Aufklärung. Und da Metternich erwähnt wurde, sei auf seinen Berater hingewiesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Gentz;, der Burkes ins deutsche Übersetzt hatte (und wohl auch kommentiert oder mit einer Einleitung versehen hatte; und da Haller erwähnt wurde: Johann David Michaelis ? Wikipedia


Mein Verdacht, den ich gerne zur Diskussion stellen möchte, ist allerdings, daß die Gegenaufklärung ältere Ursprünge hat:

Ich muß zugeben, daß ich mich mit der Einführung des Begriffs [Gegenaufklärung; siehe http://www.geschichtsforum.de/622463-post16.html] sehr weit aus dem Fenster gelehnt habe. Es ist sozusagen eine grundlegende Zurücknahme der Aufklärung, die aber auch im Kantischen Aufklärungsprogress gewissermaßen durchscheint - ein reaktionärer Prozess, den man auch - Nietzsche paraphrasierend - als Umwertung aller aufklärerischen Werte ansprechen könnte (vgl. auch Stichwort "Dialektik der Aufklärung").
Wie dem auch sei, irgendwie erscheint es mir als ein immer wieder auftauchendes Phänomen kultureller Dekadenz, daß eine diffuse Angst vor dem Sittenverfall entsteht, hier: auch im Kreise der Berliner Mittwochgesellschaft:

James Klein (1989) zitiert z. B. einen Juristen, der es besser fand, die niederen Stände in "sinnvollen Irrtümern" verharren zu lassen, da deren Aufklärung als "isolierte Wahrheit" keine Effekt hätte; oder einen gewissen Svarez, der die Ansicht vertrat, daß die Moralität des gemeinen Volkes auf Überzeugungen gründe, die unsicher, zweifelhaft, oder komplett falsch wären, und Aufklärung deren Motiv zum ethischen guten Verhalten entziehen würde. ...

Der Name des erst genannten Juristen lautet Ernst Ferndinand Klein; ich habe bei Wikipedia geschaut, aber dort findet man zu seiner merkwürdigen Auffassung eines "sinnvollen Irrtums", demnach eine isolierte Wahrheit wenig nutzen und Überzeugungskraft haätte, während Irrtümer hingegen dem öffentlichen Wohl manchmal dienlicher seien.
Der andere genannte ist Karl Gottlieb von Suarez, der auch der Lehrer von Friedrich Wilhelm III war, hatte mit der Revision des "Allgemeinen Preußischen Landrechts" zu tun. Aber auch hier lese ich im entsprechenden Wikipedia-Artikel nichts, was meinen Verdacht bestätigen könnte, daß er sich einer Art Gegenaufklärung zuordnen ließe, obwohl er beispielsweise die Idee hatte, daß die Aufklärung eines Zensors bedürfe.

Nichts desto weniger fällt es mir schwer meinen Verdacht aufzugeben. Schließlich gab es wohl einige Stimmen innerhalb der Berliner Mittwochsgesellschaft (auch Mendelssohn selbst), die für eine Begrenzung der Aufklärung eintraten. Auch sahen sich diese zwar wörtlich als "Freunde der Aufklärung", aber sie trafen sich in diesem Club wohl auch, um ihre Pflicht als gut gesinnte Patrioten zu erfüllen (so etwa Moehsen nach James Schmidt, der aus einer Arbeit von Ludwig Keller über Die BM zitiert und ins englische übersetzt).
Mein Argument läuft auf die Priorität des Patriotismus als nationalistische Tendenz gegenüber aufklärerischen Ziele hinaus, was ich als gegenaufklärerisch ansehe würde.
 
Aber auch hier lese ich im entsprechenden Wikipedia-Artikel nichts, was meinen Verdacht bestätigen könnte, daß er sich einer Art Gegenaufklärung zuordnen ließe, obwohl er beispielsweise die Idee hatte, daß die Aufklärung eines Zensors bedürfe.

Den hat es ja zu der Zeit gegeben, sogar im liberalen Preußen wurden einige Werke unterdrückt. So hatte La Mettrie angeblich trotz seiner eigentlich recht guten Stellung bei Hofe Ärger gehabt: Julien Offray de La Mettrie ? Wikipedia

Nichts desto weniger fällt es mir schwer meinen Verdacht aufzugeben. Schließlich gab es wohl einige Stimmen innerhalb der Berliner Mittwochsgesellschaft (auch Mendelssohn selbst), die für eine Begrenzung der Aufklärung eintraten. Auch sahen sich diese zwar wörtlich als "Freunde der Aufklärung", aber sie trafen sich in diesem Club wohl auch, um ihre Pflicht als gut gesinnte Patrioten zu erfüllen (so etwa Moehsen nach James Schmidt, der aus einer Arbeit von Ludwig Keller über Die BM zitiert und ins englische übersetzt).
Mein Argument läuft auf die Priorität des Patriotismus als nationalistische Tendenz gegenüber aufklärerischen Ziele hinaus, was ich als gegenaufklärerisch ansehe würde.

1. Muss ich hier Mendelssohn ein klein wenig Verteidigen. Sein Begriff von Aufklärung war nur anders und komplexer als der übliche z. B. von Kant: Ueber die Frage: was heißt aufklären? ? Wikisource
Dort unterscheidet er zwischen "Aufklärung" und "Kultur" und wägt anschließend zwischen diesen beiden Güter oder Qualitäten ab.
Dass er dabei zwischen Staatsbürgerlicher und Menschlicher Aufklärung unterscheidet mag befremdlich auf uns wirken. Man darf aber nicht unterschlagen, dass auch Rousseau in seinem Werk "Emil oder über die Erziehung" zwischen der Erziehung zum Staatsbürger und der zum Menschen unterscheidet. (Das deutet darauf hin, dass noch andere Aufklärer zwischen diesen beiden "Bereichen" unterschieden.) Nur wehrt er den Gedanken, Staatsbürger zu erziehen ab ("[...]da, wo es kein Vaterland mehr gibt, es auch keine Bürger mehr geben kann. Diese beiden Wörter »Vaterland« und »Bürger« müssen aus den modernen Sprachen gestrichen werden. Den Grund kenne ich sehr wohl, [...]." [1]), während Mendelssohn teilweise weiterdenkt und über Regeln nachdenkt, wie bei Widersprüchen zwischen Staatsbürgerlicher und Menschlicher Bestimmung zu verfahren ist.
Auch wenn wir "Heutigen" die Frage bestimmt anders erörtern würden und ich persönlich sie auch anders entscheiden würde (pro Aufklärung), so muss man doch zugeben, dass es doch unaufgeklärt wäre, die Frage eines möglichen Streifalls zwischen Aufklärung und anderen Interessen nicht mal in Erwägung zu ziehen.
2. Insbesondere wegen dem obigen Text, vielleicht liegt es an der späten Stunde, scheint mir die Hauptkonfliktlinie tatsächlich (wie von modernen Religionskritiern behauptet) im Widerstreit zwischen Aufklärung und Religion zu liegen.

Vielleicht noch eine kleine, abwegige Idee. Diderot spricht in seinen Werk "Grundgesetz der Natur" von der "natürlichen Rechtschaffenheit" des Menschen, die ihn von Natur aus in Ziel annehmen lässt, "das gemeine Wohl" [2]. Dabei sind mir 2 Gedanken gekommen: Erstens wirkt diese Stelle im Vergleich zu Mendelssohns Text erstaunlich optimistisch. Könnte es sein, dass "gegenaufklärerische" Tendenzen in diesen Sinne nur ein negativeres Menschenbild hatten? Zweitens stellen sowohl Diderot als auch Rousseau in ihren Werken die Eigentumsordnung (mal mehr, mal weniger) in Frage. Das dürfte auch einigen Leuten nicht gefallen haben...

1: Hier mal eine Quelle: Rousseau, Jean-Jacques, Emil oder Ueber die Erziehung, Erster Band, Erstes Buch - Zeno.org
2: Grundgesetz der Natur - Denis Diderot - Google Books

P.S.: Mängel, insbesondere solche des Scharfsinns, bitte ich mit Blick auf die späte Stunde zu entschuldigen. Es ist ca. 2 Uhr Morgens, grade. :D
 
Den hat es ja zu der Zeit gegeben, sogar im liberalen Preußen wurden einige Werke unterdrückt. So hatte La Mettrie angeblich trotz seiner eigentlich recht guten Stellung bei Hofe Ärger gehabt

Aber er wurde toleriert! Das ist schon einmal etwas; ein komplizierter Zensurkonflikt ist mir auch von Immanuel Kant bekannt, aber erst nach Regierungswechsel in Preußen.

1. Muss ich hier Mendelssohn ein klein wenig Verteidigen. Sein Begriff von Aufklärung war nur anders und komplexer als der übliche z. B. von Kant: Ueber die Frage: was heißt aufklären? ? Wikisource
Dort unterscheidet er zwischen "Aufklärung" und "Kultur" und wägt anschließend zwischen diesen beiden Güter oder Qualitäten ab.
Dass er dabei zwischen Staatsbürgerlicher und Menschlicher Aufklärung unterscheidet mag befremdlich auf uns wirken. Man darf aber nicht unterschlagen, dass auch Rousseau in seinem Werk "Emil oder über die Erziehung" zwischen der Erziehung zum Staatsbürger und der zum Menschen unterscheidet. (Das deutet darauf hin, dass noch andere Aufklärer zwischen diesen beiden "Bereichen" unterschieden.) Nur wehrt er den Gedanken, Staatsbürger zu erziehen ab ("[...]da, wo es kein Vaterland mehr gibt, es auch keine Bürger mehr geben kann. Diese beiden Wörter »Vaterland« und »Bürger« müssen aus den modernen Sprachen gestrichen werden. Den Grund kenne ich sehr wohl, [...]." [1]), während Mendelssohn teilweise weiterdenkt und über Regeln nachdenkt, wie bei Widersprüchen zwischen Staatsbürgerlicher und Menschlicher Bestimmung zu verfahren ist.

Verteige den Mendelssohn ruhig...; nur ob sein Aufklärungsbegriff ein komplexere sein sollte als derjenige Kants will mir nicht einleuchten. Was das betrifft, stehen sie sich eher sehr nahe, würde ich sagen. (Differenzen hatte beide eher im Bereich der theoretischen Philosophie, wobei ich nur weiß, daß Mendelssohn Kant darin nicht zu folgen vermochte wie viele andere auch).

Auch wenn wir "Heutigen" die Frage bestimmt anders erörtern würden und ich persönlich sie auch anders entscheiden würde (pro Aufklärung), so muss man doch zugeben, dass es doch unaufgeklärt wäre, die Frage eines möglichen Streifalls zwischen Aufklärung und anderen Interessen nicht mal in Erwägung zu ziehen.

Das setzt bereits die Scheidung von Erkenntnis & Interesse voraus, um es mit Anspielung auf Habermas zu formulieren; was ich weiter oben an Bemerkungen von Migliedern der Berliner Mittwochsgesellschaft zitierte, deutet eher darauf hin, daß eben keine Trennung erfolgt; genauer fomuliert, daß gewisse Ideale der Aufklärung zurückgestellt werden zugunsten eines Ziele, dabei aber so getan wird, als wäre das im Sinne der Aufklärung.


2. Insbesondere wegen dem obigen Text [...] scheint mir die Hauptkonfliktlinie tatsächlich (wie von modernen Religionskritiern behauptet) im Widerstreit zwischen Aufklärung und Religion zu liegen.

Zu einem ähnlichen Schluß bin ich auch gekommen, nachdem ich das Bedürfnis hatte, zu verstehen, warum Kant schreiben konnte: "Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu machen". (http://www.geschichtsforum.de/623544-post18.html) Es ist das eine, darüber nachzudenken, welchen Ausgangspunkt die Aufklärung nimmt.
Die andere Frage wäre, wie sie ihr Ende findet, und da wird ja deine Frage nach den Vertretern der Gegenaufklärung relevant, wobei meine These dahin geht, daß es bereits in der Spätaufklrüng Tendenzen geben muß, die sich in der folge durchsetzen konnte. Ich sehe den Ursprung dieser Tendenz einerseits in einer Verbindung zweier Elemente: auf philosophischer die Überbetonung des Kollektivs gegenüber dem Individuum, wofür es freilich gute Gründe gibt; hierzu gesellte sich auf praktischer (politischer) Ebene ein verstärkter Patriotismus, der sich sicherlich historisch begründen läßt. Andererseits gesellte sich auch bald die Gefühlromantik als Gegenpol zur Vernunftphilosophie bei, aber ich habe einen Link bei Google-Books leider noch nicht wieder gefunden, so daß ich jeglicher Argumente ermangele. Wenn ich bald Zeit habe, würde ich ggf. dazu noch etwas recherchieren.

Vielleicht noch eine kleine, abwegige Idee. Diderot spricht in seinen Werk "Grundgesetz der Natur" von der "natürlichen Rechtschaffenheit" des Menschen, die ihn von Natur aus in Ziel annehmen lässt, "das gemeine Wohl" [2]. Dabei sind mir 2 Gedanken gekommen: Erstens wirkt diese Stelle im Vergleich zu Mendelssohns Text erstaunlich optimistisch. Könnte es sein, dass "gegenaufklärerische" Tendenzen in diesen Sinne nur ein negativeres Menschenbild hatten? Zweitens stellen sowohl Diderot als auch Rousseau in ihren Werken die Eigentumsordnung (mal mehr, mal weniger) in Frage. Das dürfte auch einigen Leuten nicht gefallen haben...

Zu zweiterer Überlegung fällt mir leider gar nichts ein; aber was Diderots Optimismus betrifft, ohne das jetzt ausführlicher zu recherchieren: Zustimmen würde ich auch hier, wobei sich das positivere Menschbild ggf. als Erbe des Humanismus erweisen könnte.
 
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