Geldwert um 1918

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wippsteert

Gast
Im Rahmen meiner Doktorarbeit bin ich auf ein für mich sehr interessantes Testament eines Berliner Geschäftsmannes gestoßen. Es ist im Juli 1918 verfasst worden. Der Bruder des Geschäftsmannes wird zum Alleinerben erklärt, der jedoch u. a. zwei der Nichten jeweils 30.000 Mark auszuzahlen hätte.
Kann mir jemand bei der Einordnung der Beträge helfen? War der Geschäftsmann somit wohlhabend/ reich, oder waren diese Geldbeträge im Schatten des Ersten Weltkrieges eher klein?
 
Vielen Dank!

Leider muss ich gestehen, dass ich die Angaben auf der Seite der Privatschule Eberhard schlicht nicht verstehe... Hab ich da in der Schule irgendwo geschlafen? ;-)
Die Wikipedia- Seite hilft. Da der Testamentsverfasser Mitte 1918 die bereits beginnende Inflation ja vermutlich noch nicht mitberechnet haben wird, scheint sein Vermögen ja recht stattlich gewesen zu sein.

Nochmals Danke schön...
 
Die Arbeitseinkommen in Bergbau, Industrie und Handel lagen 1913 so um 1200 - 1700 Mark jährlich. [Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts.]

Mit der Kriegsinflation verdoppelten sich die Löhne (Übersichten zB StatJBdR 1920, S. 104), so dass die Summe ca. 10 Jahreslöhnen entspricht, also ein kleines Vermögen. Zum Vergleich: 1kg Fleisch, sofern man es überhaupt bekam, lag Ende 1918 bei 3 bis 4 Mark.
 
Leider muss ich gestehen, dass ich die Angaben auf der Seite der Privatschule Eberhard schlicht nicht verstehe... Hab ich da in der Schule irgendwo geschlafen? ;-)
Silesia hat zwar den Staffelstab bereits übernommen, nichts desto trotz möchte ich die Erklärung noch kurz nachliefern. Die Zahlenreihe der Schule zeigt den Preisindex für Lebenshaltung der privaten Haushalte. Der Preisindex misst dabei die Preisveränderung eines vorher festgelegten Warenkorbs (hier Lebenshaltung, also Lebensmittel, Miete, Kleidung etc. - bis 1913 nur Lebensmittel siehe die Erläuterungen auf der Seite). Die Spalte 2005=100 bezeichnet das Basisjahr 2005, in der Spalte ist also aufgezeigt, wieviel Prozent man in welchem Jahr für den Warenkorb gezahlt hätte, der 2005 100% betrug. Einfach formuliert: angenommen der Warenkorb kostet 2005 100,- €, so hätte man für die gleichen Waren im Jahr 1881 8,60 € bezahlt (aber Achtung, das sind keine Währungs- sondern Prozentwerte, das €-Beispiel dient nur der Veranschaulichung). Die Spalte 1881=100 zeigt im Endeffekt das gleiche, nur mit einem anderen Basisjahr, nämlich 1881. Es gibt also grundsätzlich zwei Möglichkeiten: du kannst dir die allgemeine Entwicklung des Verbraucherpreisindex ab 1881 ansschauen - dann ist die Spalte 1881=100 interessant, oder du ziehst den Vergleich zu heute (bei den aktuellsten Indizes haben wir aber mittlerweile das Basisjahr 2010), dann ist die Spalte 2005=100 für dich interessant.
 
Danke, jetzt habe sogar ich kleiner Zahlenlegastheniker es begriffen!
Das bedeutet dann, das der Testamentserfaser nicht nur wohlhabend, sondern eher schwerreich gewesen sein muss, denn er vererbt ja ZWEI Nichten den Betrag von 30000 Mark. Außerdem noch einem Bruder eine Leibrente von 5000 Mark vierteljährlich, einer Schwester 5000 Mark jährlich und noch einiges weitere. Zudem bleibt ja der eine Bruder der eigentliche Haupterbe, der die Beträge nur auszahlen soll... Das ist für mich sehr spannend, da es einen sehr guten Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie gibt. Super!

Gibt es solche Indices o. ä. vielleicht auch für den US-$? Da würde mich besonders das Jahr 1955 interessieren. In dem verfasste nämlich der damalige Haupterbe und mittlerweile in die USA emigrierte jüdische Bruder sein eigenes Testament, in dem er allerdings lediglich (?) jeweils Beträge von 200- 500$ vermacht.
 
Gibt es solche Indices o. ä. vielleicht auch für den US-$? Da würde mich besonders das Jahr 1955 interessieren. In dem verfasste nämlich der damalige Haupterbe und mittlerweile in die USA emigrierte jüdische Bruder sein eigenes Testament, in dem er allerdings lediglich (?) jeweils Beträge von 200- 500$ vermacht.

Der DM/Dollar-Wechselkurs lag damals stabil knapp über 4 DM/1 $.

Der Betrag von 500$ entsprach also ca. 2100 DM, etwa 30 - 50% eines durchschnittlichen Jahreseinkommens in der Industrie und Handwerk (je nach Branche).

Das hätte immerhin als 1/3-Anzahlung auf einen Ford Taunus 17M gereicht.:winke:
DER SPIEGEL*-1/1955 - AUTOPREISE

Der Wert der älteren Erbschaft war da - relativ betrachtet - um ein Vielfaches höher.
 
Danke, jetzt habe sogar ich kleiner Zahlenlegastheniker es begriffen!
Das bedeutet dann, das der Testamentserfaser nicht nur wohlhabend, sondern eher schwerreich gewesen sein muss, denn er vererbt ja ZWEI Nichten den Betrag von 30000 Mark. Außerdem noch einem Bruder eine Leibrente von 5000 Mark vierteljährlich, einer Schwester 5000 Mark jährlich und noch einiges weitere. Zudem bleibt ja der eine Bruder der eigentliche Haupterbe, der die Beträge nur auszahlen soll... Das ist für mich sehr spannend, da es einen sehr guten Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie gibt. Super!

Gibt es solche Indices o. ä. vielleicht auch für den US-$? Da würde mich besonders das Jahr 1955 interessieren. In dem verfasste nämlich der damalige Haupterbe und mittlerweile in die USA emigrierte jüdische Bruder sein eigenes Testament, in dem er allerdings lediglich (?) jeweils Beträge von 200- 500$ vermacht.


Es gibt solche Indices für den Dollar bezogen auf 1955 mit Sicherheit.
Aus der Hand und zur Orientierung:
Für rund 4 Mark bekam man einen Dollar, verdient wurde der Dollar etwa wie die Mark, wenn ein deutscher Angestellter 500 Mark verdiente, bekam sein US-Kollege 500 Dollar, die Lebenshaltungskosten in den USA waren aber deutlich niedriger als in Deutschland.

Ergo: Das Riesen-Vermögen des Erblassers 1918 ist inzwischen verschwunden. Das kann mit der Arisierung zusammenhängen, kann aber auch schon zwischen 1918 und 1923 passiert sein.


Edit: Silesia war schneller.
Vielleicht nochmals zur Verdeutlichung: Die relativ hohe Erbschaft in Mark hängt ledglich mit der "Schieflage" Kaufkraft Dollar/Mark zusammen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Vermögen von 1918 war definitiv vorher verloren. Der jüdische Testamentsverfasser von 1955 war nämlich 1937 in Berlin wegen "Devisenvergehen" zu 194.500 RM Strafe verurteilt worden...
Was mir bislang noch gar nicht so klar gewesen war und was mir der Verbraucherpreisindex nun erst bewußt macht ist, wie ungeheuer hoch diese Strafe war! Wenn ich es richtig interpretiere, sind das nach heutigen Maßstäben 1,8 Mio. (nur grob zu vergleichen, ich weiß). Ist das realistisch???
 
Das Vermögen von 1918 war definitiv vorher verloren. Der jüdische Testamentsverfasser von 1955 war nämlich 1937 in Berlin wegen "Devisenvergehen" zu 194.500 RM Strafe verurteilt worden...
Was mir bislang noch gar nicht so klar gewesen war und was mir der Verbraucherpreisindex nun erst bewußt macht ist, wie ungeheuer hoch diese Strafe war! Wenn ich es richtig interpretiere, sind das nach heutigen Maßstäben 1,8 Mio. (nur grob zu vergleichen, ich weiß). Ist das realistisch???


Das ist wohl schon realistisch.
Ich kenne aber den Fall eines "arischen" Rechtsanwalt, dem sie in jenem Jahr für ein "paar Mark" Devisenvergehen den Kopf abhackten.
Das ist nochmals ein anderes Kapitel.
 
Das ist wohl schon realistisch.
Ich kenne aber den Fall eines "arischen" Rechtsanwalt, dem sie in jenem Jahr für ein "paar Mark" Devisenvergehen den Kopf abhackten.
Das ist nochmals ein anderes Kapitel.

Richtig, wir kommen wohl von der ursprünglichen Fragestellung ein wenig ab...
Aber trotzdem: Hättest Du diesen Fall ein wenig genauer für mich? Evt. einen Namen, Daten etc.? Was Du schreibst, unterstützt meine Gedanken, dass dieser Jude außer einer astronomischen Geldstrafe noch recht gut weggekommen ist. Devisenvergehen waren ja tatsächlich ein streng bestrafter Tatbestand, auch für "Arier". Zudem wurde dieser Mann 1940 gegen eine Zahlung von knapp 6000RM aus der Haft entlassen und erhielt die Gelegenheit, in die USA auszuwandern- durchaus keine Selbstverständlichkeit.

Dazu nun eine noch wieder ganz andere Frage: Haltet ihr es für möglich, dass Staatsanwälte 1940 bestechlich waren? Oder waren sie so idealogietreu, dass es kaum möglich war, Juden freizukaufen? Gibt es dazu Quellen?
 
Richtig, wir kommen wohl von der ursprünglichen Fragestellung ein wenig ab...
Aber trotzdem: Hättest Du diesen Fall ein wenig genauer für mich? Evt. einen Namen, Daten etc.? Was Du schreibst, unterstützt meine Gedanken, dass dieser Jude außer einer astronomischen Geldstrafe noch recht gut weggekommen ist. Devisenvergehen waren ja tatsächlich ein streng bestrafter Tatbestand, auch für "Arier". Zudem wurde dieser Mann 1940 gegen eine Zahlung von knapp 6000RM aus der Haft entlassen und erhielt die Gelegenheit, in die USA auszuwandern- durchaus keine Selbstverständlichkeit.

Dazu nun eine noch wieder ganz andere Frage: Haltet ihr es für möglich, dass Staatsanwälte 1940 bestechlich waren? Oder waren sie so ideologietreu, dass es kaum möglich war, Juden freizukaufen? Gibt es dazu Quellen?

Ich habe mir erlaubt, diese für dieses Thema eine neue Fragestellung zu eröffnen, weil ich fürchte, dass ich mich hier zu weit vom ursprünglichen Thema entfernt habe. Ich hoffe, das ist in Ordnung!
 
Richtig, wir kommen wohl von der ursprünglichen Fragestellung ein wenig ab...
Aber trotzdem: Hättest Du diesen Fall ein wenig genauer für mich? Evt. einen Namen, Daten etc.? Quellen?


Leider nein.
Ich habe vor Jahrzehnten mal die Witwe darauf angesprochen, die hat sich aber alles in der Hinsicht verbeten.
Hat mir damals richtig "heimgeleuchtet".
 
Im Rahmen meiner Doktorarbeit bin ich auf ein für mich sehr interessantes Testament eines Berliner Geschäftsmannes gestoßen. Es ist im Juli 1918 verfasst worden. Der Bruder des Geschäftsmannes wird zum Alleinerben erklärt, der jedoch u. a. zwei der Nichten jeweils 30.000 Mark auszuzahlen hätte.
Kann mir jemand bei der Einordnung der Beträge helfen? War der Geschäftsmann somit wohlhabend/ reich, oder waren diese Geldbeträge im Schatten des Ersten Weltkrieges eher klein?
Nun ja, es geht schließlich um einen Berliner Geschäftsmann, nicht einen Krämer.

Und zu den auffälligen 30.000 pro Nichte ist anzumerken, dass eine Mitgift in dieser Höhe in Geschäftshäusern bzw. entsprechenden durchaus Kreisen üblich war. Eine entsprechende "Mitgift" oder "Rente" war Voraussetzung um als gute Partie zu gelten. Der Geschäftsmann versorgte damit im Todesfall also seine eigenen Töchter, oder eben die Töchter eines finanzschwachen Verwandten.
 
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