Geozentrismus oder Heliozentrismus

Klaus P.

Aktives Mitglied
Hallo,

Die Diskussion über die Kugel-Form der Erde wird oft mit mit der Frage vermischt, ob die Welt geozentrisch ist. Seit der Antike (Ptolemäus) war das Wissen um die Kugelform bereits verbreitet.
Die Diskussion, die Leute wie Galilei, Kepler oder Bruno angestoßen hatten, ging nicht darum, ob die Erde eine Kugel ist, sondern ob sie sich um die Sonne bewegt(Heliozentrismus) und nicht das Zentrum des Universums (Geozentrismus) ist.

Nun meine Fragen:

1. Wann setzte sich das heliozentrische Weltbild in der katholischen Kirche definitiv durch und wodurch war dieses Umdenken hervorgerufen worden?

2. Wann wurden die oft als Ketzer verfolgten Vertreter des Heliozentrismus von Rom rehabilitiert? (Warum nicht früher?)

3. Gab es eine vergleichbare Diskussion im Protestantismus?

4. Wurde diese Frage im Islam (im Mittelalter/früher/später) diskutiert? Wenn nein, welche Weltsicht herrschte dort vor?

Vielen Dank in Voraus.

Klaus P.
 
Zuletzt bearbeitet:
Gute Fragen, auf die ich leider nicht mit ebensoguten Antworten dienen kann.

Was den Protestantismus betrifft, so war mir bisher immer dieses geläufig:
Martin Luther schien nicht viel von dem großen astronomischen Theoretiker Nikolaus Kopernikus gehalten zu haben, denn er nannte ihn einen "Narren, der gegen die Heilige Schrift auszog."
http://www.bodensee-sternwarte.de/Archiv/AlxB/themen/030507/kopernikus.htm

Nun ergoogle ich, daß ein Fachmann für Wissenschaftsgeschichte dagegenhält:

Kleinert, Andreas: "Eine handgreifliche Geschichtslüge" - Wie Martin Luther zum Gegner des copernicanischen Weltsystems gemacht wurde, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26, 2003, S. 101-111

http://www.physik.uni-halle.de/Fachgruppen/history/akpub.htm


Der Text der Rede, in der Papst Johannes Paul II. 1992 die Rehabilitation Galileis bekanntgab:

http://www.stjosef.at/index.htm?dokumente/papst_galilei.htm~mainFrame
 
hyokkose schrieb:
Was den Protestantismus betrifft, so war mir bisher immer dieses geläufig:

http://www.bodensee-sternwarte.de/Archiv/AlxB/themen/030507/kopernikus.htm

Nun ergoogle ich, daß ein Fachmann für Wissenschaftsgeschichte dagegenhält:

Kleinert, Andreas: "Eine handgreifliche Geschichtslüge" - Wie Martin Luther zum Gegner des copernicanischen Weltsystems gemacht wurde, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26, 2003, S. 101-111

http://www.physik.uni-halle.de/Fachgruppen/history/akpub.htm[/url]

Da hat mal jemand nachgeprüft, ob das von Luther stammt. Und sieh da:
Die zitierte Quelle, nach der Luther Copernicus als "Narr" bezeichnet haben soll, stammt aus Luthers "Tischreden", die Luther nicht selbst verfasste. Seine Studenten schrieben mit, was sie glaubten, mitschreiben zu müssen. Und sie formulierten es, wie sie es wollten. Luther hat diese Aufzeichnung nie zu Gesicht bekommen. Zudem geht der zitierte Auszug auf ein lateinisches Original zurück, in dem das Wort "Narr" fehlt.

Copernicus und Luther
http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Nikolaus_Kopernikus#Copernicus_und_Luther
 
Copernicus und Luther

Hallo,
das ist ja der Hammer! Luthers Enturage schrieb also was sie wolte, am Meister vorbei ins Notizbüchhlein, in Latein selbstverständlich. Verwirrt hat mich die Aussage, seine Jünger hätten sich da etwas zusammengefaselt, ohne dass es der Meister je gesehen hat? Also ist die Lektüre seiner Tischgespräche sowiso sinnlos. Aber aber! Die Antwot war so falsch, wies nur geht. Luther hat immer dem Volke aufs Maul geschaut, wie wir alle wissen. Und das sprachh lateinisch? Der Scheiber sollte sich mal die Tischreden anschauen – und er wird sehen, dass sie in deutsch geschrieben wurden. Luther wollte, dass die Sprache des Volkes, endlich auch für religiöse Aktivitäten verwendet wird. Deshalb hat er auch die Bibel ins deutsche üersetzt, zwar mit einigen Fehlern, doch damit hat er dem katholischen Klerus ganz schön in die Suppe gespuckt. Also lies mal Luthers Tischgespräche und behaupte nix, was du nicht genau weißt.
 
hyokkose
Nun ergoogle ich, daß ein Fachmann für Wissenschaftsgeschichte dagegenhält:
Kleinert, Andreas: "Eine handgreifliche Geschichtslüge" - Wie Martin Luther zum Gegner des copernicanischen Weltsystems gemacht wurde, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26, 2003, S. 101-111
Erst mal dagegenhalten. Kaumjemand wird sich die Mühe machen und mal Luthers Tischreden durchlesen. Dann könnte man schon mal nachprüfen, ob Luther wirklich den Kopernikus als einen Narren, "der mir die ganze Kunst der Astronomia umkehren" will. Nachlesen kann man die in Martin Luthers Tischredenm Bd. IV, No. 4630. Luther bezieht sich hier ganz auf Josua 10,16. Die Bibel hat man wohl zu Hand. Also, diesen biblischen Irrtum kann man also nachlesen.
 
Nun glaube ich allerdings nicht,daß man aus irgendwelchen launigen Tischgesprächen auf das Verhältnis einer ganzen Konfession zur Wissenschaft schließen kann. Luther war Theologe und kein Astronom, also vermutlich ein blutiger Laie auf dem Gebiet.In so fern kann man diese Äußerung,wenn sie denn gefallen sein sollte,auch nur so bewerten.
Innerhalb des Protestantismus gab es aber jede Menge gelehrter Humanisten ,die für die Ausrichtung der Konfession letztlich auch bestimmender waren als die Gallionsfigur Luther und von denen sich auch etliche u.a. mit Astronomie beschäftigten.Und die akzeptierten die kopernikanische Wende wohl relativ schnell.
 
Erasmus Reinhold

Beim Goggeln im Netz bin ich in diesem Zusammenhang auf Erasmus Reinhold (1511-1553)gestoßen. Er war in gewisser Weise ein Bindeglied zwischen Erasmus und Kepler.
Aus den Websiten entnehme ich, dass er als astronomisch Sachverständiger das kopernikanische System seinem engen Freunde Melanchthon zuliebe öffnetlich nicht vertrat, aber es weiter entwickelte. Auf seinen Preussischen oder Prutenischen Tafeln beruhten die Berechnungen für die Gregorianische Kalenderreform 1582. Erst Keplers "Rudolphinische Tafeln" verdrängten die Reinholds.

Damit scheint die Ablehnung Melanchthons deutlich.

Wikipedia:
Erasmus Reinhold - Wikipedia
Uni Halle-Wittenberg (an der er Professor war):
Uni Halle, FB Math./Inf., History
Reinhold-Schule in Saalfeld
Erasmus Reinhold - sein Schaffen und seine Werke

Desweiteren der 1. Kopernikaner: Georg Joachim Rheticus (1514-1574)- auch ein Astronom aus der Frühzeit der Refomration und Prof. an der Uni Wittenberg. Ein interessanter Artikel in der Wiener Zeitung (Link aus der Wikipedia heraus):
Lexikon
Wikipedia zum Einstieg:
Georg Joachim Rheticus - Wikipedia

In der Frühzeit des Protestantismus ist es in gewisser Weise verständlich, dass Kopernikus abgelehnt wurde, denn man wollte ja wieder zurück zur Schrift (sola scriptura).
 
1. Wann setzte sich das heliozentrische Weltbild in der katholischen Kirche definitiv durch und wodurch war dieses Umdenken hervorgerufen worden?
Klaus P.

Papst Benedikt XIV hob am 17. April 1757 den Bann gegen Werke auf, die ein heliozentrisches Weltbild vertraten.
Ausgelöst war diese Entscheidung durch die allgemeine Anerkennung, die die Werke Isaac Newtons in der wissenschaftlichen Welt gefunden hatten.

1820 beantragte Canon Settele, ein Astronomie-Professor in Rom, das Imprimatur für ein von ihm verfasstes Astronomie-Lehrbuch, das das kopernikanische Weltbild als gegeben voraussetzte. Von dem zunächst zuständigen [SIZE=-1]Maestro del Sacro Palazzo, dem Dominikaner Filippo Anfossi, wurde dies zunächst abgelehnt. Er verlangte, dass in dem Buch ausdrücklich gesagt werden müsse, dass es sich bei dem kopernikanischen Weltbild um eine bloße Hypothese handele.
Settele wandte sich nunmehr direkt an Pius VII. Dieser verwies die Angelegenheit an die Kongregation für die Glaubenslehre, die am 16. August 1820 das Imprimatur erteilte.
Am 11. September 1822 entschied die Kongregation dann, dass der Druck und die Publikation von Werken, die die Bewegung von Planeten und Sonne in Übereinstimmung mit der Auffassung der modernen Astronomen darstellten, generell erlaubt sei. Diese Entscheidung wurde durch Pius VII selbst ratifiziert. Es wurden jedoch nicht die bisher verbotenen Werke aus dem Index getilgt.
1835 erschien dann erstmals eine Ausgabe des Index, aus der die bisher verbotenen Werke, die sich am heliozentrischen Weltbild orientierten, getilgt waren.

Es war also ein längerer Prozess, wie in der katholischen Kirche üblich, der erst 1835 endgültig beendet war.

[/SIZE]
 
Widerstand gegen das kopernikanische weltbild gab es auch
auf protestantischer seite.

So wurden in Harvard und Yale noch im 18 Jhdt das ptolemäische
Weltbild gelehrt.
 
@ hyokkose

um meine Aussage zu ergänzen: Neben dem ptolemäischen Weltbild
wurde auch das Kopernikanische gelehrt ( beide galten als Hypothesen)
Quelle folgt
 
Hallo an alle,

ich halte vieles, was im Zusammenhang mit Kopernikus, Bruno und Galilei erzählt wird, für ein Märchen. Hier eine kurze Erläuterung:

1. Kopernikus selbst wurde nie von der Kirche verfolgt. Seine heliozentristische Hypothese (ich betone: Hypothese!) wurde zu seinen Lebenszeiten von Rom sogar unterstützt. Aber sie ist eine Hypothese geblieben, bis sie ein paar Jahrhunderte später bewiesen wurde. So lange gab es ein klares Problem: Die Hypothese von Ptolemäus wurde erst eine Generation vor Kopernikus in Westeuropa bekannt; sie war mathematisch einfacher, und damit ließen sich damals weniger Fehler bei astronomischen Berechnungen machen (Kopernikus hatte einige Ungenauigkeiten in seiner Therie). Also waren beide Hypothesen "gleichberechtigt" und durften von jedem mit gutem Recht angenommen oder abgelehnt werden. Martin Luther war ein klarer Gegner der kopernikanischen Idee. Der Grund dafür, daß das Buch von Kopernikus nicht mehr herausgegeben werden durfte, waren u.a. Herren wie Bruno.

2. Bruno war kein Wissenschaftler. Er hat nie etwas mit der Wissenschaft zu tun. Er war Publizist. Dazu noch ein okkulter Publizist. Seinen Werken nach war die Sonne ein Gott, und die kopernikanische Hypothese sollte ihm als Beweis für die zentrale Bedeutung der Sonne dienen. Aber nicht mal das war der Grund dafür, daß er verbrannt wurde, sondern die Verbreitung von okkulten und antichristlichen literarischen Werken.

3. Galilei wurde tatsächlich für die Propaganda der kopernikanischen Hypothese bestraft. Zumindest offiziell. Denn, wenn man bedenkt, daß die ursprüngliche Anklage lautete, er sei Atomist, könnte man annehmen, daß das in Wirklichkeit seine Rettung war. Für die Atomisten gab es damals nur eine Strafe: Den Scheiterhaufen. Für den Heliozentrismus... Nun, Galilei mußte bekanntlich ganze zwei Monate bei einem befreundeten Bischof wohnen und jeden Tag einige Psalmen lesen (in Wirklichkeit hat seine Schwester, die Nonne war, sie für ihn gelesen).

Gruß
Andreas
 
1. Kopernikus selbst wurde nie von der Kirche verfolgt. Seine heliozentristische Hypothese (ich betone: Hypothese!) wurde zu seinen Lebenszeiten von Rom sogar unterstützt.

So weit ich weiß, wurde das Hauptwerk des Kopernikus mit den "revolutionären" Thesen erst nach seinem Tod veröffentlicht. Falls das stimmt, ist offenkundig, dass seine heliozentrische Hypothese "zu Lebzeiten" von Rom weder verfolgt noch unterstützt worden sein kann.

2. Bruno war kein Wissenschaftler. Er hat nie etwas mit der Wissenschaft zu tun. Er war Publizist. Dazu noch ein okkulter Publizist. Seinen Werken nach war die Sonne ein Gott, und die kopernikanische Hypothese sollte ihm als Beweis für die zentrale Bedeutung der Sonne dienen. Aber nicht mal das war der Grund dafür, daß er verbrannt wurde, sondern die Verbreitung von okkulten und antichristlichen literarischen Werken.

In Giordano Bruno, einem der bedeutendsten Philosophen der frühen Neuzeit (mit Wirkung bis ins 20. Jahrhundert), lediglich einen "okkulten Publizisten" zu sehen, ist sehr einseitig und kurzsichtig. Und mag uns heute auch manches in seinen "literarischen Werken" als unwissenschaftlicher Okkultismus erscheinen, so gilt dasselbe auch für Schriften von "echten" Männern der Wissenschaft jener Zeit wie Kopernikus oder Kepler. Von den literarischen Werken des Christentums und der Kirche ganz zu schweigen.

Wenn es dann auch noch heißt, "nicht mal" der okkulte Heliozentrismus sei Grund für die Hinrichtung Brunos gewesen, dann relativierst und rechtfertigst du implizit das kirchliche Vorgehen. Denn das bedeutet doch wohl, es war quasi reine Gnade Roms, den Abtrünnigen "nicht mal" für diese Frechheit auf den Scheiterhaufen zu werfen, sondern ihm das noch durchgehen zu lassen. Erst die Verbreitung okkulter antichristlicher Schriften (die im Widerspruch zu den von der Kirche verbreiteten okkulten christlichen Schriften standen, möchten böse Zungen vielleicht hinzufügen) hat also das Fass zum Überlaufen gebracht - und da wäre die Verbrennung dann gerechtfertigt gewesen? Ich glaube nicht, dass du Partei für die Inquisition ergreifen willst, wie du es hier im Bestreben, Geschichtsklischees zu korrigieren, beinahe tust.

3. Galilei wurde tatsächlich für die Propaganda der kopernikanischen Hypothese bestraft. Zumindest offiziell. Denn, wenn man bedenkt, daß die ursprüngliche Anklage lautete, er sei Atomist, könnte man annehmen, daß das in Wirklichkeit seine Rettung war. Für die Atomisten gab es damals nur eine Strafe: Den Scheiterhaufen. Für den Heliozentrismus... Nun, Galilei mußte bekanntlich ganze zwei Monate bei einem befreundeten Bischof wohnen und jeden Tag einige Psalmen lesen (in Wirklichkeit hat seine Schwester, die Nonne war, sie für ihn gelesen).

Auch hier wieder: Das "Märchen" von Galilei im Kerker ist sicher falsch, aber wenn seine Verurteilung ohne weiteren Kommentar als "Rettung" bezeichnet wird, weckt das unweigerlich den Eindruck einer Parteinahme für die Inquisition. Galilei hätte als Atomist hingerichtet werden können - also reine Gnade, dass er nur Hausarrest und Lehrverbot erhielt? So viel Ehrenrettung hat die römisch-katholische Kirche des 17. Jahrhunderts bei unvoreingenommener Betrachtung nicht verdient.
 
G. Bruno

Wenn jemand die Lehren des G. Bruno auf „er hätte die Sonne für Gott gehalten“ verkürzt, dann hat er entweder keine Ahnung von dem, was Bruno gedacht und geschrieben hat, oder er stellt diese Behauptung aus reiner Bosheit „in den Raum“. In seinem „Aschermittwochsmahl“ diskutierte er das Weltbild des Kopernikus und entfaltete seine Kosmologie. Dazu empfehle ich „Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen“ zu lesen, vielleicht auch „Über das Unendliche, das Universum und die Welten“ und „Die heroischen Leidenschaften“.
<?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:eek:ffice:eek:ffice" /><o:p></o:p>
Dass Bruno kein katholisch denkender Christ war, ist nicht zu bestreiten.
<o:p></o:p>
Von den Lichtgestalten, die der Dominikanerorden hervorgebracht hat, ist G. Bruno die hellste. Er war weder Mathematiker noch Astronom, er war ein Mensch mit genialer Vorstellungskraft, las „Über die Umdrehung der Weltkörper“ und machte die dort beschriebenen Erkenntnisse zu seinem Weltbild. Bruno erkannte, dass sich die Sonne um die eigene Achse dreht, dass die Fixsterne von Planeten umgebene Sonnen sind: Die Welt sei nicht unsere Erde, sondern der Weltraum in seiner Unendlichkeit. Der Glaube, es gäbe kein anderes Denkvermögen, als das, was wir mit den Sinnen wahrnehmen können, sei falsch.
<o:p></o:p>
Für den Katholizismus, dem die Gläubigen davonliefen, war Bruno ein unerträgliches Ärgernis. Bevor er am 17. Februar 1600 in Rom auf dem Campo di Fiori verbrannt wurde, sagte er zu seinen Richtern: „Mit größerer Furcht verkündet ihr das Urteil, als ich es hinnehme.“ Was ihm in den acht Jahren seiner Gefangenschaft in Venedig und Rom angetan wurde, darüber erfahren wir nichts.

Epicharm
 
1. Kopernikus selbst wurde nie von der Kirche verfolgt. Seine heliozentristische Hypothese (ich betone: Hypothese!) wurde zu seinen Lebenszeiten von Rom sogar unterstützt. Aber sie ist eine Hypothese geblieben, bis sie ein paar Jahrhunderte später bewiesen wurde.
Moin allerseits:
Bezugnehmend aufs fett gedruckte: Ich dachte eigentlich, dass schon Galilei die heliozentrische Hypothese bewiesen hatte, indem er erstmals die Venusphasen durch die Teleskope beobachten konnte und dieses nur durch eine heliozentrische Theorie erklärbar wurde. Näheres weiß ich aber nicht, denn dann müsste ich erst nachschlagen. Wollte es nur mal aus dem Kopf einwerfen, dass es wohl nicht "Jahrhunderte" dauerte.


4. Wurde diese Frage im Islam (im Mittelalter/früher/später) diskutiert? Wenn nein, welche Weltsicht herrschte dort vor?

Zu Kopernikus (natürlich findet man davon nichts in der Wiki, nicht mal in der Diskussion, wo es typischerweise in 99% der Beiträge um die Nationalität, statt um sein Wirken geht :autsch:):

In den letzten 50 Jahren sind in Forschungsprojekten zahlreiche Manuskripte untersucht worden, die belegen, dass die mathematischen Berechnungen, die Kopernikus u.a. zu seinem heliozentrischen Weltbild führten, arabischen Ursprungs sind. Er hat teilweise sogar die Fehler, die dort gemacht wurden, wortgetreu übernommen, z.B. bei der Berechnung des Planeten Merkurs durch Ibn asch-Schatir († 1375). Diese arabischen astronomischen Berechnungen wurden schon z.B. zwei bis dreihundert Jahre vor Kopernikus betrieben, und vom ihm teilweise auch in seinem Werk "De Revolutionibus" zitiert (selbst die Buchstaben Zuordnungen in seinen Skizzen entsprachen den arabischen Pendants), allerdings ohne die ursprünglichen arabischen Quellen zu nennen, z.B.:
  • Thābit Ibn Qurra Ibn Marwan al-Sābī al-Harrānī (836 - 901)
  • Al-Battānī Abū ‘Abdullāh Muhammad Ibn Dschābir Ibn Sinān al-Harrānī as-Sābī (ca. 853 - 929)
  • Al-Zarqālī Abū Ishāq Ibrāhīm Ibn Yahyā al-Naqqāsch (1028–1087)
  • Mu'ayyad al-Din al-'Urdi († 1266)
  • Nasir al-Din at-Tusi († 1274)
  • Ibn asch-Schatir († 1375)
Abgesehen nun von Kopernikus: Obige Namen sind nur einige wenige der mind. 534 arabischen Astronomen, deren Namen uns die Geschichte aus der islamischen wissenschaftlichen Blütezeit aufbewahrte! Da gibt es also noch ein weites Feld für Dissertationen...

Wahrscheinlich nicht beachtet bzw. keine Kenntnis hatte Kopernikus oder andere westl. Gelehrte von al-Biruni (973-1048), der die Kopernikanische heliozentrische Wende im astronomischen Denken schon 500 Jahre vor Kopernikus erkannte, ohne sie aber mit letzter Gewissheit mathematisch oder optisch beweisen zu können, und damit in der Tradition von Aristarch von Samos oder dem Chaldäer Seleukos von Babylon stand. Er konnte allerdings zeigen, dass die Erde sich um die eigene Achse dreht. Al-Biruni wiederum fußte mit seiner heliozentrischen Erkenntnis im Wesentlichen auf Abū Ma'schar al-Falakī Dscha'far Ibn Muhammad al-Balkhī (787 - 886), der

"...it has now been "quite convincingly shown" that even Copernicus's heliocentric system which placed the sun and not the earth at the centre of our universe, was in truth inspired by an Arabic text brought to Italy by Greek scholars who fled Constantinople when it fell to the Turks in 1453. ... It has now been acknowledged that in his 'Revolutions' Copernicus reproduced the Tusi couple. Tusi's original experiment as reported in his Arabic manuscript was vital in enabling Copernicus to arrive at his heliocentric view of our solar system. Copernicus remained silent about his Arabic sources and it probably did not occur to his contemporaries to track the source of his inspiration to its Islamic origins. ..."

aus:
Tracing the impact of Latin translations of Arabic texts on European society

Wie kam Kopernikus an arabisches Wissen?
Man muss wissen, dass es etliche zeitgenössische Gelehrte Kopernikus' gab, die in den Nahen Osten reisten, um arabisch zu lernen (oder es auch direkt im Okzident z.B. in Venedig oder Rom lernten.) Während ihrer Reisen brachten sie tausende wissenschaftliche Manuskripte mit in die westlichen Bibliotheken, z.B. aus Konstantinopel, Damaskus, usw. die man heute noch in Rom, Paris, Venedig, etc. studieren kann. Unter den Manuskripten befanden sich auch griechisch-byzantinische Manuskripte, die öfters Übersetzungen aus dem Arabischen waren. In seiner Ausbildungszeit in Italien kam er nun in Kontakt zu dieser polyphonen Gelehrtenzunft. Es war also damals nicht zwingend erforderlich, dass alle Manuskripte in Lateinisch übersetzt werden mussten, um deren Inhalt zu kennen, da es westl. Gelehrte gab, die die wissenschaftliche lingua franca Arabisch beherrschten. Bezeichnend ist, dass es zu der Zeit üblich war, nicht nur die antiken Originale vom Arabischen oder Griechischen ins Lateinische zu übertragen, sondern mehr Wert darauf gelegt wurde, die arabisch kommentierten, die überarbeiteten, die von Orientalen weiter entwickelten Werke der Antike, oder gänzlich eigene Forschungen zu übersetzen.

weitere Lesetipps zur Vertiefung des islamischen Einflusses auf Kopernikus, aber auch auf Galilei und Kepler:
Copernicus and Arabic Astronomy: A Review of Recent Research
Z.B.:
George Saliba: Islamic Science and the Making of the European Renaissance. 2007. ISBN-10: 0-262-19557-7

weitere Online-Infos zu Kopernikus und der arab. Einfluss auf die Astronomie:
Transmission of Muslim Astronomy to Europe
science1.html
Conclusions:
science1.html

Kurzinfos zu islamischen Wissenschaftlern und deren lateinisierte Namen:
MuslimHeritage.com - Topics
(Falls jemand die hier verwendeten arabischen Namen nicht kennen sollte, sondern nur die lateinische Form)


Zum muslimischen Weltbild:

Im Morgenland war letztlich (wie im Abendland) das Ptolemäische Weltbild vorherrschend, welches seinerseits auf den Beobachtungen von Hipparch von Anatolien beruhte. Z.B. beim bedeutenden und (auch auf das Abendland) einflussreichem Al-Hassan Ibn al-Haytham Abū ‘Alī (965 - 1039/40).
Daran hat sich auch nichts geändert, wenn z.B. al-Biruni die heliozentrische Hypothese formulierte.
Im 12. Jahrhundert kamen dann langsam Zweifel und Kritik am Grundlegenden des Ptolemäischen Weltbildes auf, vereinzelt im Osten der islamischen Welt, vermehrt in Spanien und Marokko.Beeinflusst u.a. durch Aristoteles strebten
Dschābir Ibn Aflah al-Ishbīlī Abū Muhammad(1100 - ca. 1150),
Ibn Bādschdscha Abū Bakr Muhammad Ibn Yahyā Ibn al-Sā'ig (
† 1138) und seine Nachfolger
Abū Bakr
Muhammad Ibn Tufayl al-Qaysī
(ca. 1100-1185),
Ibn Ruschd
Abū al-Walīd Muhammad Ibn Ahmad (1126 - 1198),
Al-Bitrūdschī Nūr al-Dīn Ibn Ishāq († 1204), usw.
"natürlichere" Erklärungen entgegen des Ptolemäischen Weltbildes zu finden, dieses in Frage zu stellen und eigene Modelle dagegen zu stellen, ohne, dass sich aber ein Modell in der Wissenschaft durchsetzte.


zu der islamischen Astronomie schaut euch hier mal um:

MuslimHeritage.com - Topics
http://www.islamicamagazine.com/issue18/science.pdf


Ansonsten wurde einiges auch schon hier erwähnt:
http://www.geschichtsforum.de/f36/wir-den-arabern-verdanken-521-post274987/#post274987
Wenn auch nicht so detailliert, Kopernikus betreffend.


Cheers und LG lynxxx

PS: Ich habe mal die ganzen arabischen Namen ausgeschrieben, um eventuellen Verwechslungen vorzubeugen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo an alle,

So weit ich weiß, wurde das Hauptwerk des Kopernikus mit den "revolutionären" Thesen erst nach seinem Tod veröffentlicht. Falls das stimmt, ist offenkundig, dass seine heliozentrische Hypothese "zu Lebzeiten" von Rom weder verfolgt noch unterstützt worden sein kann.
Ünterstützung bedeutet nicht gleich Veröffentlichung. Mancher Kardinal wurde allein dafür belohnt, daß er dem Papst die kopernikanische Theorie vorgestellt hat.

Wenn es dann auch noch heißt, "nicht mal" der okkulte Heliozentrismus sei Grund für die Hinrichtung Brunos gewesen, dann relativierst und rechtfertigst du implizit das kirchliche Vorgehen.
Ich rechtfertige überhaupt nichts. Ich stelle nur einfache Tatsachen fest: Bruno war kein Wissenschaftler, sondern Okkultist, und wurde nicht wegen der Wissenschaft verbrannt, sondern wegen des Okkultismus. Wenn wir darüber diskutieren würden, ob es richtig oder falsch war, Okkultisten zu verbrennen, würde ich sofort sagen, daß es falsch war, und daß es ein Schandfleck der römisch-katholischen Kirche ist. Aber wir diskutieren ja nicht darüber.

So viel Ehrenrettung hat die römisch-katholische Kirche des 17. Jahrhunderts bei unvoreingenommener Betrachtung nicht verdient.
Damit wird ihre Ehre nicht gerettet, denn Gallilei wurde aus rein politischen Gründen verschont. Nicht, weil die Inquisition gerade an seiner wissenschaftlichen Arbeit interessiert war. Nochmal: Es ist keine Rechtfertigung der Inquisition. Gallilei durfte tatsächlich nicht die kopernikanische Theorie verbreiten und vertreten. Er wurde tatsächlich dafür bestraft. Aber in seinem konkreten Fall war das ein Glück, denn er wurde ursprünglich des Atomismus beschuldigt.

Gruß
Andreas
 
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