German Drang nach Norden

beorna

Aktives Mitglied
Hallo, ich fand in einem anderen Geschichtsforum einen thread mit dem o.a. Titel. Ich kenne den thread-Starter schon länger und er fiel mir des öfteren durch deutschfeindliche und nationalistische threads auf, insbesondere zu deutsch-polnischen Beziehungen. Der Titel zielt daher auch in diese Richtung. Ich habe ihn dennoch mal übernommen.
Der Eingangstext zu diesem thread lautet:

"When exactly was much of what is now German province of Schleswig-Holstein Germanized ???

I discovered that even in late 19th century (after ca. 1870) much of Schleswig-Holstein was still Danish-speaking:

This map shows the situation in late 19th century (roughly after year ca. 1870):

In this map below, "French" includes also "Walloon", but only in one county (Kreis Malmedy):

http://s29.postimg.org/shpby0m2v/Min...th_century.png



Ich würde dies gerne nutzen, um die Situation in Schleswig-Holstein hier einmal ohne Nationalismen und Geister der Vergangenheit zu diskutieren.
Die beiliegende Karte ist leider ohne Angabe auf ihre Herkunft. Sie ist im wesentlichen nicht falsch, nur dass sie Nationalitätenbezeichnungen beinhalten, wo doch eigentlich nur Sprachverhältnisse wiedergegeben werden.

Dies zeigt sich in allen Bereichen der Karte. Da der Themenstarten polnischer Herkunft ist, hatten solche Karten stets Sprengstoff für Diskussionen, sobald man über den östlichen Bereich sprach. Dort wurden und werden noch heute von nationalistischen Polen (aber auch von deutschen Rechten), Sprachgrenzen mit Grenzen von Ethnien und Nationen gleichgesetzt. Dies ist für weite Bereiche in Ostpreußen und Schlesien, aber auch in anderen östlichen Teilen falsch.

Wie sich das in Schleswig-Holstein verhält würde ich nun gerne erörtern.

Zwischen 800 und 1100 hatten wir folgendes Bild
220px-SiedlungsgebieteSchleswig-HolsteinText.png


Leider fehlen mir adäquate Karten für die Zwischenzeit. Um 1840 sah das Bild folgendermaßen aus
220px-SprachlicheVerh%C3%A4ltnisseSchleswig.png


Auf den ersten Blick läßt sich fast tatsächlich auf einen deutschen Drang nach Norden schließen.
Die Eider bildete über Jahrhunderte hinweg die Grenzlinie zwischen Dänemark und dem Reich.
1326 ließen sich die Schauenburger mit dem schleswiger Herzogtum belehnen. Sie waren bereits seit dem 12. Jahrhundert mit Holstein belehnt worden, besaßen also nun dänische, wie auch Reichslehen. Holsteinische Adlige begannen nun verstärkt Besitz in Schleswig zu erwerben und begannen hier mit der Kolonisation. Mit dem Aufstieg der Hanse und ihrer Etablierung in den Städten Schleswigs und Holsteins verbreitete sich hier das Mittelniederdeutsche als Handels- und Umgangssprache, in Holstein kam dazu noch intensivere Kolonisation durch Siedler aus dem südelbischen Raum. Hier setzte sich bereits seit dem 14. Jahrhundert Mittelniederdeutsch als Umgangssprache durch.
Im Allgemeinen muß man sagen, daß die Sprache nirgendwo trennend war. Im Gegenteil, vielfach benutzte man in Schleswig das Sönderjysk als Umgangssprache, sowohl von Dänen als auch von Deutschen. Vor allem auf dem Lande und im schleswiger Geestbereich hielt sich dieser Dialekt lange. In der Neuzeit sprach man hingegen nur in wenigen Städten Hochdänisch und dann zumeist nur als Kirchenspache. In den meisten Städten hingegen benutzte man Nieder- oder auch Hochdeutsch, wobei Niederdeutsch idR Umgangssprache war. Die Grenze zwischen dänischen und deutschen Dialekten verschob sich dabei zunehmend nach Norden, so daß in Schwansen bereits im 17. Jahrhundert und auch in Angeln in der Mitte des 19. Jahrhunderts, das Sönderjysk zurückgedrängt wurde.
Einen bedeutsamen Schwung bekam das Deutsche mit der vom dänischen König eingeführten Schulpflicht für Schleswig-Holstein im Jahre 1814. Nun galt vermehrt, was überall im niederdeutschen Bereich so eintrat, Dialekt wurde nun soziale Identifikation. Wer Hochdeutsch sprach, war kein Bauer. In Schleswig hieß das "He is en Bur, he snackt Densch". Anders also als die Überschrift es suggerieren sollte, handelte es sich weitaus weniger um einen Germanisierungsprozeß, sondern um eine natürliche Genese.
Problematisch wurde die Situation mit dem Erwachen des Nationalismus in Dänemark und Deutschland. Bereits im Mai 1820 wurde Hochdänisch zur Amtssprache in Nordschleswig erklärt. Im Zuge der Revolution von 1848 sollte Schleswig nun fester Teil Dänemarks werden. Dies führte zu erheblichen Widerstand in Schleswig-Holstein und letztlich zum Krieg. Dabei war die Stimmung nicht ursprünglich ein Gegensatz von Dänisch-Deutsch, sondern Schleswig-Holsteinisch-Dänisch, wandelte sich dann aber rasch.
Nach 1848 setzte Dänemark dann auf einen Danisierungsprozeß und führte Sprachreskripte für Mittelschleswig ein. Mit der Novemberverfassung verstieß dann Dänemark gegen das Londoner Protokoll, was dann zum Deutsch-Dänischen Krieg führte. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Bismarck ernsthaft mit der dänischen Regierung über eine Lösung des nunmehr Nationalitätenkonflikts verhandelte. Letztlich überzogen die Dänen aber dann in den Verhandlungen mit Forderungen nach einer weit südlich laufenden Grenze und dadurch, daß sie keine Garantien für den Schutz der deutschen Minderheit abgeben wollten. Bismarck selbst sah sich ebenfalls Gegner eines Ausgleichs gegenüber, besonders im nationalliberalen Lager. So versandeten 1867/8 diese Verhandlungen, bis sie dann nach dem 1. Weltkrieg weitgehend endgültig geregelt wurden.

Es zeigt sich also, daß die Geschichte der Sprachverteilung in Schleswig-Holstein wenig mit Zwangspolitik zu tun hatte, schon gar nicht von deutscher Seite, sondern ein weitgehend friedlicher und sozialer Prozess war. Schleswiger verstanden sich dabei in erster Linie als Schleswiger, unabhängig von der Sprache die sie im Alltag gebrauchten.
 
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Wie germanisiert man Germanen? So mal am Rande, bis auf große Bevölkerungsteile Holsteins im Früh und Hochmittelalter zählen die Bewohner Jütlands allgemein zu "Germanen".
Von einer "Eindeutschung" kann man auch schlecht sprechen, hätte es doch eine deutsche Sprache geben müssen. Es gab aber nachweislich mehrere. Eine Ausweitung des HRR nach Norden ist so auch nicht zu sehen, das Danewerk war Grenze schon im FrühMi.
Nun ist zwar die Geschichte Schleswig-Holsteins ausnehmend interessant, es gab da auch immer mal wieder Nationalisten/Chauvinisten und es gab wohl auch unterschiedliche "Ethnien", die sich dem einen oder anderen König mehr verpflichtet fühlten, aber auch eben welche, die auf ihre "Eigenständikeit" pochten.
s.a.:Up ewig ungedeelt ? Wikipedia
 
Nordfriesisch ist ebenfalls eine anerkannte Minderheitssprache in Schleswig-Holstein. http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/ee/Bilingual_signs_German-Frisian%2C_police_station_Husum%2C_Germany_0892.JPG
Dass sich diese Sprache über Jahrhunderte unter dänsicher und deutscher Herrschaft halten konnte, spricht nicht gerade für eine intensive Germanisierung (i.S.v. "Eindeutschung") oder Dänisierung. Dänisch und (Nord)Friesisch werden aber in der Karte des englischsprachigen Threaderstellers zusammengefasst. Ostfriesisch taucht hingegen gar nicht auf.

Neu wäre mir ebenfalls eine italienischsprachige Minderheit in Südwestdeutschland oder Elsass wie sie die Karte suggeriert.
Außerdem, denke ich, sollte man bei gesprochener Sprache -besonders im Norden- zwischen Platt- bzw. Niederdeutsch und Hochdeutsch unterscheiden.
 
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Nordfriesisch ist ebenfalls eine anerkannte Minderheitssprache in Schleswig-Holstein. http://upload.wikimedia.org/wikiped...isian,_police_station_Husum,_Germany_0892.JPG
Dass sich diese Sprache über Jahrhunderte unter dänsicher und deutscher Herrschaft halten konnte, spricht nicht gerade für eine intensive Germanisierung (i.S.v. "Eindeutschung") oder Dänisierung. Dänisch und (Nord)Friesisch werden aber in der Karte des englischsprachigen Threaderstellers zusammengefasst. Ostfriesisch taucht hingegen gar nicht auf.
Die Friesen habe ich ein wenig unterschlagen. Sie bilden wie erwähnt die 3. große Gruppe in S-H. Auch bei ihnen gab es Gebietsverluste hinsichtlich des Sprachraumes. Ungefähr im 17. Jahrhundert ging man dort ebenfalls zum Niederdeutschen über. Möglicherweise hing das zusammen mit der Ansiedlung niederländischer Mennoniten im 16. Jahrhundert.
Hinsichtlich der Zusammenfassung von Dänen und Friesen erscheint mir die Absicht klar, man möchte möglichst hohe Zahlen von Nichtdeutschen suggerieren.

Neu wäre mir ebenfalls eine italienischsprachige Minderheit in Südwestdeutschland oder Elsass wie sie die Karte suggeriert.
Außerdem, denke ich, sollte man bei gesprochener Sprache -besonders im Norden- zwischen Platt- bzw. Niederdeutsch und Hochdeutsch unterscheiden.
Ja, daß mit dem Italienisch verwundert, ist aber so korrekt. Im Kreis Diedenhofen gaben 1900 20,8% der Bevölkerung an Französisch zu bevorzugen und 9,5% Italienisch. Dies bezieht sich allerdings auf zumeist italienische Gastarbeiter und deren Nachfahren, zumeist im Bergbau. Es ist also ähnlich den Werten von "Polen" im Ruhrgebiet. Ich hatte das angesprochen, im Osten wird zB nicht unterschieden zwischen Polen, Masuren, Kaschuben, Schlesiern. Die masuren haben 1920 eindringlich gezeigt, wie sehr Sprache und Nationalität zusammenhängen bzw. wie nicht.
 
Wie germanisiert man Germanen? So mal am Rande, bis auf große Bevölkerungsteile Holsteins im Früh und Hochmittelalter zählen die Bewohner Jütlands allgemein zu "Germanen".
Von einer "Eindeutschung" kann man auch schlecht sprechen, hätte es doch eine deutsche Sprache geben müssen. Es gab aber nachweislich mehrere. Eine Ausweitung des HRR nach Norden ist so auch nicht zu sehen, das Danewerk war Grenze schon im FrühMi.
Nun ist zwar die Geschichte Schleswig-Holsteins ausnehmend interessant, es gab da auch immer mal wieder Nationalisten/Chauvinisten und es gab wohl auch unterschiedliche "Ethnien", die sich dem einen oder anderen König mehr verpflichtet fühlten, aber auch eben welche, die auf ihre "Eigenständikeit" pochten.
s.a.:Up ewig ungedeelt ? Wikipedia
Das English hat halt die Schwäche nicht klar zwischen germans und Germanen zu unterscheiden. In obigem Fall ist Germanized als Eindeutschung zu verstehen (und vermutlich auch nicht als freiwilliger Prozeß).
 
Da der Themenstarten polnischer Herkunft ist, hatten solche Karten stets Sprengstoff für Diskussionen, sobald man über den östlichen Bereich sprach. Dort wurden und werden noch heute von nationalistischen Polen (aber auch von deutschen Rechten), Sprachgrenzen mit Grenzen von Ethnien und Nationen gleichgesetzt.
Zwischen 800 und 1100 hatten wir folgendes Bild
220px-SiedlungsgebieteSchleswig-HolsteinText.png
amüsant (und zugleich irgendwie peinlich, weil decouvrierend) ist, dass seitens der "Slawophilen" die abodritische Ausdehnung Richtung Westen im Frühmittelalter nirgendwo mit Geheule bedacht wird ;):D ...freilich können die Nachfahren der Polanen die abodritischen Erfolge ja auch nicht so direkt für sich reklamieren/okkupieren --- wie dem auch sei: in schleswig-holsteinisches Gebiet sind dezentrale slawische Stämme gegen Ende der Völkerwanderungszeit eingewandert (teils friedlich, teils gewaltsam), wovon genügend Ortsnamen und archäologische Funde zeugen; zur "Ehrenrettung" seriöser polnischer Historiker und Archäologen sei erwähnt, dass das archäologische Museum in Warschau (im alten russ. Magazin) die Landnahme der slaw. Stämme im Frühmittelalter ordentlich und neutral dokumentiert hat und jedem Besucher dort offen steht.
 
amüsant (und zugleich irgendwie peinlich, weil decouvrierend) ist, dass seitens der "Slawophilen" die abodritische Ausdehnung Richtung Westen im Frühmittelalter nirgendwo mit Geheule bedacht wird ;):D ...freilich können die Nachfahren der Polanen die abodritischen Erfolge ja auch nicht so direkt für sich reklamieren/okkupieren --- wie dem auch sei: in schleswig-holsteinisches Gebiet sind dezentrale slawische Stämme gegen Ende der Völkerwanderungszeit eingewandert (teils friedlich, teils gewaltsam), wovon genügend Ortsnamen und archäologische Funde zeugen;

Weiß jemand inwiefern die "Einwanderung" der Abodriten in Holstein mit den Sachsenkriegen Karls des Großen zusammenhängt? Ich meine im Hinterkopf zu haben, dass die Abodriten gemeinsam mit den Franken gegen die Sachsen kämpften.

Der Limes Saxoniae ? Wikipedia als natürliches Hindernis und das Danewerk sind ein Hinweis auf die kriegerische Seite der Nachbarschaft in der Region im Frühmittelalter - die Gräber von Haithabu, die auf eine gemischte Bevölkerung des Handelsortes aus Dänen, Friesen, Sachsen und Slawen schließen lassen, können als Beispiel für die friedliche Seite dienen.

zur "Ehrenrettung" seriöser polnischer Historiker und Archäologen sei erwähnt, dass das archäologische Museum in Warschau (im alten russ. Magazin) die Landnahme der slaw. Stämme im Frühmittelalter ordentlich und neutral dokumentiert hat und jedem Besucher dort offen steht.

Ich denke, die bisherigen Forschungsergebnisse zur Germania Slavica sind hierzulande leider auch noch kein Allgemeinwissen.
 
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Das ganze Thema ist doch wieder, wie man eine Identität definiert. Geht man von einer sprachlichen Identität, einer ethnischen Regional- oder Nationalidentität aus?`


Wie will man überhaupt Ethnie definieren? Über die Sprache? Ist man Deutscher/Däne, weil man Deutsch bzw. Dänisch spricht? Oder will man sich an den Vorfahren orientieren, die schon Deutsche oder Dänen waren? Oder ist man zunächst einmal Schleswiger, der dann Sönderjysk als Umgangssprache spricht? Allerdings wird man durch den Schulbesuch schon gezwungen, entweder Deutsch bzw. Dänisch (sog. Reichsdänisch) zu lernen. Da gab es doch sicherlich schon Assimililationsprozesse in dem Zeitraum. Oder ist man Deutscher bzw. Däne, weil man sich so fühlt? Wovon ist dann dieses Fühlen abhängig?
 
Wie will man überhaupt Ethnie definieren? Über die Sprache? Ist man Deutscher/Däne, weil man Deutsch bzw. Dänisch spricht? Oder will man sich an den Vorfahren orientieren, die schon Deutsche oder Dänen waren?

Was ist, wenn man deutsch und dänisch spricht und die Vorfahren auch schon?

Oder ist man zunächst einmal Schleswiger, der dann Sönderjysk als Umgangssprache spricht? Allerdings wird man durch den Schulbesuch schon gezwungen, entweder Deutsch bzw. Dänisch (sog. Reichsdänisch) zu lernen. Da gab es doch sicherlich schon Assimililationsprozesse in dem Zeitraum. Oder ist man Deutscher bzw. Däne, weil man sich so fühlt? Wovon ist dann dieses Fühlen abhängig?

Kann man sich nicht auch als Deutscher und Däne oder Friese fühlen? Die Frage einer "eindeutigen ethnischen Zuordnung" (ich mag den Ausdruck nicht) hat sich doch nur in wenigen Situationen gestellt:
- beim Referendum 1920
- in der Nachkriegszeit, als Dänemark Lebensmittellieferungen an dänische Einrichtungen in Schleswig schickte (Der polemische Begriff der "Speckdänen" unterstellte einigen, ihr "Dänentum" wegen dieser Lieferungen entdeckt zu haben.)
- vielleicht noch bei Fußballspielen Dänemark-Deutschland ;-)

Eine Assimilation hat wohl mit den "wendischen" Einwohnern Holsteins stattgefunden (im SpätMA/FNZ?). Denn zwischen Lübeck und Eutin wird kein Abodritisch mehr gesprochen, und ich glaube, es gibt kaum Menschen dort, die sich abodritisch fühlen.
 
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Was ist, wenn man deutsch und dänisch spricht und die Vorfahren auch schon?

tja....dann ist man halt Deutsch-Däne oder Dänendeutsche....:confused:


Kann man sich nicht auch als Deutscher und Däne oder Friese fühlen? Die Frage einer "eindeutigen ethnischen Zuordnung" (ich mag den Ausdruck nicht) hat sich doch nur in wenigen Situationen gestellt:
- beim Referendum 1920
- in der Nachkriegszeit, als Dänemark Lebensmittellieferungen an dänische Einrichtungen in Schleswig schickte (Der polemische Begriff der "Speckdänen" unterstellte einigen ihr "Dänentum" wegen dieser Lieferungen entdeckt zu haben.)
- vielleicht noch bei Fußballspielen Dänemark-Deutschland ;-)

Und die, die sich nicht für Fußball interessieren?:confused:

In Schleswig haben wir doch zwei unterschiedliche Prozesse. Zum einen ist die Sprachgrenze in den Norden gewandert, während das Herzogtum Schleswig politisch zu Dänemark gehörte.

Eine Assimilation hat wohl mit den "wendischen" Einwohnern Holsteins stattgefunden (im SpätMA/FNZ?). Denn zwischen Lübeck und Eutin wird kein Abodritisch mehr gesprochen und ich glaube, es gibt kaum Menschen dort, die sich abodritisch fühlen.

Eine Assimilation findet und fand doch immer wieder und überall statt. Ethnogenese (also die Entstehung einer Nation) ist doch ein fortlaufender Prozeß.
 
In Schleswig haben wir doch zwei unterschiedliche Prozesse. Zum einen ist die Sprachgrenze in den Norden gewandert, während das Herzogtum Schleswig politisch zu Dänemark gehörte.

Ist es belegbar, dass die Sprachgrenze nach Norden wanderte bis 1864? Da Schleswig politisch zu Dänemark gehörte, war dänisch als Amtssprache wichtig. Daher dürfte es mehr Menschen gegeben haben, die Dänisch sprachen, ob als Muttersprachler oder nicht. Aber eine Amtssprache ist keine Umgangssprache.
OT: Auch Hamburg-Altona war bis 1864 dänisch, ohne dass es dort danach oder davor zu einer Verschiebung der Sprachgrenze kam.

Eine Assimilation findet und fand doch immer wieder und überall statt. Ethnogenese (also die Entstehung einer Nation) ist doch ein fortlaufender Prozeß.

Da gebe ich dir recht, eine Art sprachliche Assimilation findet statt. Hochdeutsch verdrängt mehr und mehr Friesisch, Sønderjysk, Platt- und Niederdeutsch, wahrscheinlich weil Hochdeutsch nicht nur Amts- und Schulsprache sondern auch in den Medien omnipräsent ist. (Es würde mich interessieren, ob Sønderjysk in Nordschleswig vom (Hoch-)Dänischen verdrängt wird.)
Ethnogenese und Entstehung einer Nation klingen so statisch für mich. Länder, Menschen, Nationen definieren sich in unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich. (Ich hoffe auf friedliche Selbstdefinitionen)
-Panta rhei-:boot:

Und die, die sich nicht für Fußball interessieren?:confused:
Die haben es am besten: Dann muss man keine schwierige Entscheidung treffen.;)
 
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Eine Assimilation findet und fand doch immer wieder und überall statt. Ethnogenese (also die Entstehung einer Nation) ist doch ein fortlaufender Prozeß.

Wobei ich denke, dass "Nation" das falsche und irreführende Wort ist.
Der Begriff der Nation ist für mich immer noch eine relativ junge Erfindung und für die Lebensrealität vieler überhaupt nicht zutreffend.
 
Vielleicht ganz interessant ist auch ein Vergleich mit dem Niederländischen, daß auf der o.a. im Bereich Bentheim, Kleve verzeichnet ist. Hier wird etwas "Fremdes" suggeriert, was gar nicht so vorhanden ist. Seit ca. dem beginnenden 14. Jahrhundert verbreitete sich Mittelniederdeutsch als führende Sprache in weiten teilen Norddeutschlands und auch Skandinaviens, als Folge der Expansion der Hanse. man findet niederdeutsche Urkunden somit von London bis Nowgorod. Im nordwestlichen Teil des HRR konnte es sich nicht durchsetzen und es wurde dort auf das Mittelniederländisch zurückgegriffen, das bis an die Grenze des Bistums Paderborn ausstrahlte. vermutlich hängt das u.a. auch mit der Ausdehnung des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises zusammen. Allerdings blieb als Umgangssprache vielfach das Niederdeutsche bzw. niedersächsisch/Nedersaksisch erhalten.
Zur Hanse:
800px-Hansesprache-mit_Legende.jpg

Sprache ist also auch hier nicht mit Ethnien oder Nationen in Einklang zu bringen, sondern basiert auf politischen Konstellationen, Moden, religiösen Bewegungen wie zB der devotio moderna etc.

Wie wenig Dialekte mit territorialen Grenzen übereinstimmen, zeigt auch ein Blick in den Südwesten. Von daher muß man vielleicht etwas polemisch fragen, warum die o.a. Karte nicht auch eine Schweizer Minderheit in SW-Deutschland attestiert.
800px-Alemannic-Dialects-Map-German.png
 
Sprache ist also auch hier nicht mit Ethnien oder Nationen in Einklang zu bringen, sondern basiert auf politischen Konstellationen, Moden, religiösen Bewegungen wie zB der devotio moderna etc.

Sehr richtig, und es wäre schön, wenn wir endlich einmal von dieser Kästchensortiererei wegkämen, die sich seit Jahrzehnten durch die Geschichtsforschung zieht, aber niemals wirklich Realität war.
Besonders schlimm wird dies bei den "Stämmen" der Völkerwanderungszeit betrieben, zieht sich aber eben - wie in diesem Thread - bis in die Gegenwart hin.
 
Für das Verhältnis zwischen Dänen und Deutsche spricht, dass sie nicht selten untereinander heirateten. Meine Familie ist dafür ein Beispiel. Meine Großmutter väterlicher Seite war Dänin. Sie traf auf meinen Großvater, der in einer Blaskapelle spielte, die oft zu Familienfesten geladen wurde und… Sie gingen später, in den 20ern, nach Mecklenburg, der Arbeit wegen.

Auch die familiären Verflechtungen des deutschen und dänischen Adels sind sehr stark.
Die Brockdorffs oder Rantzaus. Das reicht bis nach Mecklenburg. Die Moltkes. Adam Wilhelm Graf Moltke war der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident Dänemarks. Er starb 1864, in dem Jahr, in welchem sein Verwandter in Berlin am grünen Tisch den Kriegsplan gegen Dänemark ausarbeitete. Karl Graf von Moltke war Präsident der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Kanzlei und vertrat dort bis 1854 dänische Interessen.
 
Für das Verhältnis zwischen Dänen und Deutsche spricht, dass sie nicht selten untereinander heirateten. Meine Familie ist dafür ein Beispiel. Meine Großmutter väterlicher Seite war Dänin. Sie traf auf meinen Großvater, der in einer Blaskapelle spielte, die oft zu Familienfesten geladen wurde und… Sie gingen später, in den 20ern, nach Mecklenburg, der Arbeit wegen.

Auch die familiären Verflechtungen des deutschen und dänischen Adels sind sehr stark.
Die Brockdorffs oder Rantzaus. Das reicht bis nach Mecklenburg. Die Moltkes. Adam Wilhelm Graf Moltke war der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident Dänemarks. Er starb 1864, in dem Jahr, in welchem sein Verwandter in Berlin am grünen Tisch den Kriegsplan gegen Dänemark ausarbeitete. Karl Graf von Moltke war Präsident der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Kanzlei und vertrat dort bis 1854 dänische Interessen.


Provokativ gefragt:
Wie unterschied sich denn vor ca. 1871 ein "deutscher" Schleswiger von einem "dänischen" Schleswiger? Oder ein "deutscher" Friese von einem "niederländischen" Friesen?
 
Allgemein mal...
Englisch "nation", französisch "Nation", deutsch "Nation" , deutsch "Volk" sind keine ganz deckungsgleichen Begriffe. Und daran krankt jede Diskussion darüber.
Im Deutschen sogar von Anfang an, was "das deutsche Volk" und die "deutsche Nation" angeht.
Diese Diskussion hatten wir hier schon öfter, aber mangels klarer Definition der Begriffe wird sie nie enden.
 
Wissen wir eigentlich, wann welche Sprache in Schleswig gesprochen wurde?

Zum einen hat man wohl offizielle Dokumente in der Hansesprache (Niederdeutsch), aber wie haben sich die Leute unterhalten?

(eine ähnliche Fragestellung zum Polnischen/Deutschen Sprachgebiet in Schlesien im 19. Jhdt. hatten wir erst kürzlich im Forum):rofl:
 
Wissen wir eigentlich, wann welche Sprache in Schleswig gesprochen wurde?

Zum einen hat man wohl offizielle Dokumente in der Hansesprache (Niederdeutsch), aber wie haben sich die Leute unterhalten?

(eine ähnliche Fragestellung zum Polnischen/Deutschen Sprachgebiet in Schlesien im 19. Jhdt. hatten wir erst kürzlich im Forum):rofl:
Das hing wohl davon ab, wer sich wo und mit wem unterhielt. Trafen sich ein Friese, ein Däne und ein Deutscher wird man sich eher auf Sönderjysk oder Niederdeutsch unterhalten haben, ein Niederdeutscher und ein Hochdeutscher vielleicht eher auf Hochdeutsch als auf Niederdeutsch etc. In Flensburg und Schleswig unterhielt man sich eher Nieder- und Hochdeutsch, auf der Geest eher Sönderjysk usw.
 
Provokativ gefragt:
Wie unterschied sich denn vor ca. 1871 ein "deutscher" Schleswiger von einem "dänischen" Schleswiger? Oder ein "deutscher" Friese von einem "niederländischen" Friesen?
Du willst mir provakatieren? :)

Ich sag' mal so: Dänemark wurde immer als die Obrigkeit empfunden. Ich will nicht sagen, egal von wem, aber es war bei Deutschen, Friesen und Dänen ähnlich. Ansonsten war man Deutscher, Däne oder Friese ohne größeres Geschrei.
Es gibt hier eine Sagengestalt aus dem 18. Jahrhundert, Klaas Andrees. So eine Art Rebell. Er lehnte sich stets gegen die Obrigkeit, deutsche Gutsherren und dänisches Militär, auf. Dabei unterschied er nicht, ober der Rittmeister (er war bei den dänischen Dragonern), der ihn gerade zusammenstauchte, jetzt deutscher oder dänischer Herkunft war. Er wischte ihm eins aus.

Wie entspannt man heute selbst mit problematischer Geschichte zwischen Deutschen und Dänen umgeht, zeigt dieser Artikel: Düppel 1864: 219 künstlerische Beiträge Der Deutsch-Dänische Krieg war für Dänemark eine Zäsur, wirkt bis heute.
 
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