Germanisches Recht...

Marbod

Mitglied
Da wir ja im "Teutoburger Wald" gerade über das Recht eines Germanen zur Hinrichtung einer untreuen Frau debattieren, würde ich vorschlagen diesen Thread nicht mit einem weiteren Thema zu strapazieren und hier damit weitermachen.

Grundsätzlich stellt sich mir die Frage, ob wir noch allumfassend mit dieser Bestimmtheit sagen können, das war bei den Germanen so. Gab es wirklich ein einheitliches germanisches Recht? Können wir wirklich den Ausführungen des Tacitus unreflektiert Glauben schenken? Wie groß war der Einfluß der Volksversammlung/Thing? Hatte sie wirklich solch ein großes demokratisches Element wie immer behauptet? Ich denke die Frage aus dem "Teutoburger Wald" bildet einen guten Anfang.
 
Sind die dörflichen Thieversammelungen und ihre Beschlüsse mit dem Thing vergleichbar? Denn die Thieversammlungen gab es zum Teil nachweislich bis ins 18. Jh.
 
Paul schrieb:

Ich kann es mir nicht vorstellen, das der Ehemann wegen Untreue ein Todesurteil vollstrecken durfte. Der Übergang des Vormundes vom Vater auf den Mann war sicher nicht für Extremfälle gedacht. Ich bin überzeugt, das der Tötende Mann ganz sicher mit seinem Tod durch Vater(Mutter) u. Brüder(u. Schwestern) der umgebrachten Frau hätte rechnen müssen.
Einen solchen sicheren Quell für Blutrache muß das germanische Recht vorbeugend berücksichtigt haben. Es ist deshalb nicht glaubhaft, das die Tötung wegen Untreue möglich war.
Der Thing/Die Volksversammlung hat in vielen Tötungsfällen eine Verbannung verhängt. Bei Nichtbefolgen der Auflagen "Bußgeld u. Verbannung" hat die Sippe des Opfers freie Hand für die Todesstrafe gehabt.

Die Blutrache ist im Gegensatz zur Todesstrafe bei Untreue von germanischen Stämmen über die Jahrhunderte bezeugt. Der Einwurf von Paul ist also absolut berechtigt. Der hohe Stellenwert der Treue geht außerdem auf das Germanenbild des Tacitus zurück und bedarf zumindest einer kritischen Befragung. Mich würde vor allem interessieren woher du, lieber Paul, die Annahme hast, dass das Thing in vielen Tötungsfällen eine Verbannung verhängt hat.
 
askan schrieb:
Sind die dörflichen Thieversammelungen und ihre Beschlüsse mit dem Thing vergleichbar? Denn die Thieversammlungen gab es zum Teil nachweislich bis ins 18. Jh.

Hallo Askan, was bitte sind Thieversammlungen? Den Begriff hab ich noch nie gehört.
Meinst du damit, die Dorfversammlung an der "alten Dorfeiche"?
 
Ein Thie was sowas wie eine Gemeinderatsversammlung mit ziviler Gerichtsbarkeit. Ich meiner Gegend wurde es häufig an sogenannten "Thiesteinen" abgehalten. Das waren meist einsamstehende Findlinge, aber auch an der Dorflinde oder an der alten Eiche wurde es abgehalten.
 
Hallo Marbod,
ich habe über mehrere Beispiele gelesen. So sollen einige Siedler, die nach Island gingen aus Norwegen verbannt worden sein, neben den vielen Siedlern, die das Königtum ablehnten. Erik der Rote soll wegen eines Totschlags wiederum aus Island verbannt worden sein und wendete sich deswegen nach Grönland.
Zugegeben, sind dies Beispiele aus Nordgermanien.
 
Ja, das kann man wohl mit einem Thing gleichsetzen. Solche Dorfgerichtsbarkeit entstammt meines Wissens ja aus dem germanischen Rechtsbrauch. Muß mal nachschauen.
 
Paul schrieb:
Hallo Marbod,
ich habe über mehrere Beispiele gelesen. So sollen einige Siedler, die nach Island gingen aus Norwegen verbannt worden sein, neben den vielen Siedlern, die das Königtum ablehnten. Erik der Rote soll wegen eines Totschlags wiederum aus Island verbannt worden sein und wendete sich deswegen nach Grönland.
Zugegeben, sind dies Beispiele aus Nordgermanien.


Hallo Paul,

da haben wir wieder das alte Problem. Island ist ein gesonderter Fall und vor allem der isländische Thing scheint sich stark von anderen Thingen zu unterscheiden. Das starke demokratische Element, das dem isländischen Thing nachgesagt wird, hat wohl seinen Ursprung in der besonderen Zusammensetzung der ersten isländischen Siedler. Diese waren als freie Männer dorthin gekommen, es gab keine Adelssippen, die über sie Herrschaft ausüben konnten und so konstituierte sich der Thing so, dass wir ihn als demokratisch erachten können. Rückschlüsse auf andere Thinge kann man da schwer ziehen, da man z.B. aus Norwegen und Schweden Regionen kennt, die keinen Thing hatten sondern der Gerichtsbarkeit ihres Jarl unterstanden. Weiterhin sind diese Beispiele nicht nur aus Nordgermanien, sondern auch aus einer späteren Zeit. Schon zu den germanischen Stämmen der Völkerwanderung ist es ein zu großer Zeitsprung, als das man guten Gewissens noch Thesen daraufbasierend entwickeln sollte. Was nicht heißen will, dass es bei den Germanen keine Verbannung gab. Auch nicht, dass man diese vielleicht auch in einem Thing aussprach. Man kann sie lediglich nicht durch Quellen belegen.
 
Wie weit das bei den Dithmarschern zurückgeht kann ich dir nicht sagen. Belegbar ist es aber sicher nicht früher als das erste Thing auf Island, also 9. Jahrhundert.
 
Bei Wikipedia gibt es einen Artikel zum Thema Thing. Da werden schon mal die Sachsen und die Franken genannt! Allerdings gibt es leider keine Literatur- oder Quellenangabe.
 
Interessant, in dem Link wird erzählt, das die Grafen dabei sein mussten. Bei dem mir bekannten Thie, musste der ortsansässige Baron anwesend sein.
 
askan schrieb:
Sind die dörflichen Thieversammelungen und ihre Beschlüsse mit dem Thing vergleichbar? Denn die Thieversammlungen gab es zum Teil nachweislich bis ins 18. Jh.
Also Thieversammlungen gab es überhaupt nicht. Die Bezeichnung ist schlicht ein Rechtschreibfehler. Thing und die damit verbundenen Versammlungen gab es sicher bis ins 18. Jh, allerdings mit anderen rechtlichen Befugnissen als 1000 Jahre früher.
 
An diesen Personen hing die Gerichtsbarkeit. Das ist germanisches Recht. Es widerspricht allerdings der "alten Vorstellung", dass ein Thing gemeinsam beschließt.
 
Zitat:" Also Thieversammlungen gab es überhaupt nicht. Die Bezeichnung ist schlicht ein Rechtschreibfehler."

Also, dann müssten wirklich eine Menge Strassenschilder umgeschrieben werden. Denn Strassennamen wie:" am Thie, beim Thie oder schlicht Thiestrasse" sind nicht selten.
 
askan schrieb:
Also, dann müssten wirklich eine Menge Strassenschilder umgeschrieben werden. Denn Strassennamen wie:" am Thie, beim Thie oder schlicht Thiestrasse" sind nicht selten.
Und was haben die mit Versammlungen zu tun? Schon mal an Flurnamen gedacht?
 
Weil in diesen Strassen und Plätzen oft noch der Thiestein zu besichtigen ist. In einem Ort in meiner Nachbarschaft, ist sogar eine Tafel neben dem Thiestein angebracht, auf der erklärt wird das hier bis vor 200 Jahren Gericht gehalten wurde. Die Strasse heisst zufälliger weise auch schlicht und einfach: Thiestrasse.
 
askan schrieb:
Weil in diesen Strassen und Plätzen oft noch der Thiestein zu besichtigen ist. In einem Ort in meiner Nachbarschaft, ist sogar eine Tafel neben dem Thiestein angebracht, auf der erklärt wird das hier bis vor 200 Jahren Gericht gehalten wurde. Die Strasse heisst zufälliger weise auch schlicht und einfach: Thiestrasse.
Tröste dich, Schilda ist überall, auch in Sibbesse.
 
Kann ja gut sein, dass im Zuge einer Lautverschiebung das g verschluckt wurde und demgemäß wiedergegeben wurde.
Mal hyokkose Fragen :)
 
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