Glanz und Melancholie der Macht

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Velázquez ist einer der einflussreichsten Maler der Neuzeit. In der National Gallery in London ist sein Werk umfassend zu bewundern. Von Gerhard Mack

Wie es sich für künftige Monarchen gehört, legt der Knabe den ausgestreckten Arm auf eine Stuhllehne. Die Pose ist königlich, alles andere ist es nicht. Das kostbare Gewand mit Silberbordüren überdeckt der Maler Velázquez mit einer Schürze. Amulette sollen gegen Krankheit schützen. Hocker und Stuhl zeigen, wie klein der Zweijährige ist. Sein weicher Blick, der weisse Teint von Gesicht und Händen deuten eine Zartheit an, die kein feldherrnmässiges Zupacken erlaubt. Felipe Prospero ist auf dem Porträt von 1659 ein liebes Kind, das der kleine Hund im Sessel noch anrührender macht und das seinen königlichen Eltern eher Anlass zu Sorge als zu Stolz gibt.

Wie gross ist doch der Unterschied zu dem anderen Prinzenbildnis, das derselbe Velázquez 1631/32 gemalt hat: Da steht ein anderer Zweijähriger mit Halsharnisch, rosa Schärpe und Prunkgewand als Thronfolger des mächtigsten Reiches in Europa vor uns. Mit dem Porträt von Baltasar Carlos prophezeit der Maler den spanischen Habsburgern eine gloriose Zukunft. Als der Kronprinz aber 1646 ums Leben kam, stürzte der Hof in Madrid in eine dynastische Krise, die dadurch verschärft wurde, dass der König bereits Witwer war. Philipp IV. heiratete 1649 seine vierzehnjährige Nichte Maria Anna von Österreich, die eigentlich seinem Sohn versprochen war. Erst ihr Kind Felipe Prospero weckte wieder Hoffnung auf eine geregelte Thronfolge. In seinem Porträt zeigt Velázquez mit der fragilen Erscheinung des Prinzen auch die prekäre Situation der Monarchie.


Die Differenz zwischen persönlicher Lebenssituation und offizieller Rolle macht viel von der Faszination aus, die wir vor Velázquez' Porträts empfinden. Philipp IV. von Spanien malt er vom Silberornat bis zum Jagdkleid in Herrscherposen, aber die überlangen Wangenknochen, die fahle Hautfarbe, die überhohe Stirn und die Habsburgerlippe machen ihn auf vielen Porträts fast zum entscheidungsschwachen Mann aus der Nachbarschaft. Das zwischen Unglück und Stolz dreinschauende Gesicht der Prinzessin Margarita lässt Velázquez schmal über einem pompösen Reifrock emporragen.

Wie subtil der Hofmaler psychische Regungen andeutet und auf Lebens- und Zeitgeschichte transparent macht, zeigt die erste grosse Retrospektive, die dem «Maler der Maler», wie Edouard Manet ihn genannt hat, in Grossbritannien gewidmet ist. Mit 46 Gemälden ist nahezu die Hälfte des überlieferten Werks versammelt. Zentrale Bilder wie die Selbstdarstellung des Malers mit Prinzessin und Hoffräulein, «Las Meninas», und das Papstporträt von Innozenz X., das Francis Bacon aufgegriffen hat, konnten zwar nicht an die Them- se reisen, gleichwohl ist in den vier chronologisch gehängten Räumen ein Überblick gelungen, der die Faszination des Werks gültig vermittelt.


Dabei hilft dem 1599 in Sevilla geborenen Meisterporträtisten eine Gelassenheit, die jedem Ding und Menschen seine Würde belässt. Sein Äsop ist ein alter Mann, der seine Unansehnlichkeit mit Lebensweisheit aufwiegt. Kriegsgott Mars ist alt und müde. Francisco Lezcano weist alle Anzeichen physischer und geistiger Behinderung auf, aber Velázquez porträtiert ihn nicht als hässlichen Zwerg, der eine Kontrastfolie für die Schönheiten des Hofes abgibt, sondern setzt ihn fast monumental und mit leichter Untersicht ins Bild.


Die vorurteilslose Wahrnehmung des Alltags, die Aufmerksamkeit für seine Randfiguren und Nebensächlichkeiten prägen bereits die frühen Szenen, die sogenannten Bodegones, die Diego Rodriguez de Silva y Velázquez noch als Lehrling seines Meisters und späteren Schwiegervaters Francisco Pacheco in seiner Heimatstadt malte und die beim adligen Publikum besonders Anklang fanden. Auf den vom Helldunkel Caravaggios und der Detailliebe der Niederländer beeinflussten Szenen leuchten Töpfe, Speisen und Getränke in jeweils eigenem Licht. Eine alte Frau, die Eier brät, und ein Knabe, der Melone und Karaffe bringt, wirken durch die Küchenutensilien voneinander getrennt. Der bärtige Wasserverkäufer von Sevilla mit seinen knochigen Händen, die einem Knaben ein Trinkglas reichen, erhält eine fast biblische Würde. Auf häuslichen Szenen ist die Arbeit in der Küche Sujets aus der Heilsgeschichte gegenübergesetzt; Genre und religiöse Darstellung treten unvermittelt nebeneinander.

Der Maler zeigt die Breite seiner Aufgaben und ein Dasein ganz diesseits der religiösen Erfahrung. Dieser lebensweltliche Blick ermöglicht Velázquez zu malen, wie wir sehen. An einer Stelle tritt das Silbermuster des Kleides der Prinzessin Maria Teresa deutlich hervor, an der anderen ist es nicht vorhanden. Andeutungen müssen genügen, der Betrachter wird sie schon selbst zum ganzen Bildnis fügen. Die Kleider gewinnen erst aus einer bestimmten Entfernung eine dem jeweiligen Textil gemässe Weichheit, Taktilität und Rundung. Der Maler hält uns damit auf Distanz zu den Porträtierten. Die Volumina der Körper lösen sich an den Rändern beinahe auf. Das lässt den Körper der berühmten Venus, die uns den Rücken zudreht, fast atmen. Und ihr Gesicht im Spiegel verschwimmen. Wir sehen in einem Augenblick scharf, im nächsten schweifen Pupille und Gehirn weiter. Mit Sicherheit wissen können wir nichts. Leben ist ein flüchtiges Gut. Velázquez setzt seine Pinselstriche locker und leicht, als wäre Malerei eine freie geistige Tätigkeit, ein souveränes Vergnügen. Das fasziniert die Kunst bis heute.

Quelle: NZZ am Sonntag vom 12. November 2006
 

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