Glen W. Bowersock: Die Wiege des Islam

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Glen W. Bowersock, Professor em. für Alte Geschichte in Harvard und Princeton und Verfasser vielbeachteter Bücher und Artikel über griechische, römische und vorderasiatische Geschichte, legt in diesem Buch die politischen und ideologischen Entwicklungen im arabischen Raum in den 300 Jahren bis zu Mohammeds Tod 632 dar.

Die arabische Halbinsel war damals ein Schmelztiegel der verschiedenen Lebensweisen und Religionen. Jüdische Gemeinden, christliche Einflüsse aus Byzanz und Äthiopien, der altarabische Götterhimmel der Kaaba in Mekka und der Zoroastrismus der persischen Priester begleiteten den Aufstieg und Niedergang der verschiedenen Stammesverbände und Staaten. Arabische Stämme konvertierten zum Judentum und errichteten einen Staat, der sich Israel nannte. Nach Massakern an Christen fühlte sich Äthiopien, unterstützt von Byzanz, zum Eingreifen verpflichtet und eroberte einen christlichen Staat im heutigen Jemen. Die prächtige Kirche in Sanaa machte als Pilgerstätte der Kaaba Konkurrenz, was wiederum den Persern erlaubte, als Schutzmacht der Juden und Polytheisten ihren Einfluss zu festigen. Selten in der Geschichte ist es auf engem Raum zu einem solchen Gegen- und Miteinander verschiedener Religionen gekommen wie in der arabischen Welt dieser Jahrhunderte. Schließlich lieferten monotheistische Propheten wie Mohammed, aber auch Aswad al ‛ansī und Musailima, die ebenfalls einen eigenen Koran geschaffen hatten, den arabischen Stämmen die nötige ideelle Einheit für ihren geradezu explosionsartige Aufstieg. In nur 20 Jahren nach Mohammeds Tod war Palästina, Syrien, Persien, Ägypten in arabischer Hand, das morsche Sassanidenreich war zusammengebrochen und das ebenso wacklige Byzanz hatte sich nach Kleinasien zurückziehen müssen.

Selbstverständlich ist der Aufstieg des Kalifats nicht nur ideell und politisch erklärbar, sondern ebenso und noch mehr durch wirtschaftliche Veränderungen, Bevölkerungsentwicklung und eine neue Kriegs- und Kampftechnik. Diese Bereiche übergeht Bowersock vollständig, es war wohl auch nicht das Ziel dieses kaum 150 Seiten starken Bändchens. Er liefert eine prägnante und detailreiche Übersicht über politische und religiöse Entwicklungen vom 5. bis zum 7. Jh., keine Gesamtgeschichte der arabischen Halbinsel in diesem Zeitraum.

Glen W. Bowersock: Die Wiege des Islam. Mohammed, der Koran und die antiken Kulturen, C.H.Beck, München 2019
 
In Ergänzung zu der sicherlich seriösen Darstellung von Bowersock der Hinweis auf zwei weitere Standardwerke zu dem Thema. Aus einer ansonsten umfangreichen Literatur zur Entstehungsgeschichte des Islam.

Esposito, John L. (Hg.) (1999): The Oxford history of Islam. New York, N.Y.: Oxford University Press.
Hodgson, Marshall G. S. (2009): The Venture of Islam, Volume 1. The Classical Age of Islam. Chicago: The University of Chicago Press.
Hodgson, Marshall G. S. (1977): Venture of islam, volume 2, the. The expansion of islam in the middle periods: University of Chicago Press.
Hodgson, Marshall G. S. (2009): The Venture of Islam, Volume 3. The Gunpower Empires and Modern Times. Chicago: The University of Chicago Press.
Hodgson, Marshall G. S. (1993): Rethinking world history. Essays on Europe Islam and world history. Cambridge: Cambridge Univ. Pr

Als Randbemerkung den Hinweis, dass Bowersock sich u.a. auch mit den "transcendalen" Vorstellungen der Achsen Religionen auseinandergesetzt hat.

Bowersock, Glen W. (1986): Architects of competing transcendental visions in late Antiquity. In: S. N. Eisenstadt (Hg.): The origins and diversity of axial age civilizations. Albany: State University of New York Press, S. 280–287.
 
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