Goldene Bulle - Weit mehr als ein Stück Pergament

ursi

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Aus Damals Online vom 19.12.05

Vor 650 Jahren bestimmte die Goldene Bulle Frankfurt zum Wahlort der Könige


Schon im 17. Jahrhundert erzählte man sich die Geschichte von einem Engländer, der eigens zur Besichtigung der Goldenen Bulle nach Frankfurt reiste. Wie enttäuscht aber war er, als er statt des erwarteten goldenen Stiers nur ein Pergamentheft mit goldenem Siegel zu sehen bekam! Doch das eher unscheinbare Büchlein war von grundlegender Bedeutung für Reich und Stadt. Denn auf seinen 44 Blättern war das 1356 erlassene Reichsgesetz über die Königswahl festgeschrieben. Es bestimmte Frankfurt endgültig zum Wahlort der deutschen Könige und sicherte damit den weiteren Aufstieg der Reichsstadt am Main. In Frankfurt, wo bereits seit 1147 die meisten deutschen Könige gewählt worden waren, fand seit 1562 auch deren Krönung statt.

Im nächsten Jahr feiert die Goldene Bulle Jubiläum. Es ist dann genau 650 Jahre her, dass Kaiser Karl IV. sie als eines der „Grundgesetze“ des Alten Reiches erschuf. Kurz nach seiner Krönung in Rom am 5. April 1355 hatte der neue Herrscher beschlossen, die Frage der deutschen Königswahl prinzipiell zu regeln. Denn seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert war es immer wieder zu Doppelwahlen oder der Wahl eines Gegenkönigs und in deren Folge zu politischen Auseinandersetzungen gekommen. Damit wollte Karl IV. ein für allemal aufräumen, und er verhandelte deswegen mit den Kurfürsten auf zwei Hoftagen, zuerst von Ende November 1355 bis zum 10. Januar 1356 in Nürnberg und erneut von Mitte November bis zum 25. Dezember 1356 in Metz. Die Ergebnisse beider Hoftage wurden in der Goldenen Bulle zusammengefasst.

Die Goldene Bulle regelte die Wahl des deutschen Königs durch die sieben Kurfürsten nach dem Mehrheitsprinzip. Zum Wahlort wurde Frankfurt, zur Krönungsstätte - noch - Aachen bestimmt, und seinen ersten Reichstag sollte der neue König in Nürnberg abhalten. Die Wichtigkeit des neuen Gesetzes wurde besonders feierlich besiegelt mit einer goldenen Bulle (von lat. „bulla“ = Metallsiegel), die an Stelle des sonst üblichen Wachssiegels verwendet wurde. Erst um 1400 dann ging die Siegelbezeichnung auf die gesamte Urkunde über.

Von der Goldenen Bulle erhielten zunächst nur fünf der sieben Kurfürsten eine Ausfertigung. Später ließen sich die beiden Reichsstädte Frankfurt und Nürnberg ihre eigenen, ebenfalls besiegelten und damit rechtlich vollgültigen Exemplare ausstellen. So bekam der Rat der Stadt Frankfurt von der kaiserlichen Kanzlei 1366 seine Ausfertigung. Bei jeder Wahl wurde dieses Frankfurter Exemplar immer wieder zu Rate gezogen, zumal es eigentlich keine Ausfertigung des Gesetzes für das Reich gab. Schließlich hielt man daher die Frankfurter Goldene Bulle gar für das „Reichsexemplar“, das Kaiser Karl IV. selbst der Wahlstadt anvertraut habe. Es galt als „das rechte Original“, wie der Hallenser Professor Nikolaus Hieronymus Gundling 1744 kritisierte, „aber darum darf man doch nicht dencken, als wenn dieses das eintzige wäre, wie sich die Franckfurter einbilden“.

Von den sieben Exemplaren der Goldenen Bulle ist allerdings das Frankfurter das einzige, das sich heute noch an seinem ursprünglichen Ort befindet. Schon seit dem 17. Jahrhundert zog es als außergewöhnliche Sehenswürdigkeit die Reisenden an. Damals wurde aber meist nur Potentaten das Original auf dem Römer vorgeführt. Als etwa Prinz Wilhelm, der spätere Landgraf Wilhelm VI. von Hessen-Kassel, bei einem Besuch in der Mainstadt 1649 den Wunsch äußerte, die Goldene Bulle besichtigen zu dürfen, fühlte sich der Rat dermaßen geschmeichelt, dass er dem Prinzen gleich ein Pferd samt Sattel und Zaumzeug dazu schenkte. Gut hundert Jahre später durfte der junge Goethe als Sohn eines Kaiserlichen Rats und Enkel des Reichs- und Stadtschultheißen ausnahmsweise „beim Vorzeigen der Goldnen Bulle an einige vornehme Fremden auf dem Rathause gegenwärtig sein“. Bald danach konnte das wertvolle Dokument im Römer von jedermann besichtigt werden – sofern man die stattliche Gebühr von einem Dukaten dafür zahlte.

Mit dem Ende des Alten Reichs 1806 verlor die Goldene Bulle ihre Rechtskraft. Obwohl sie dann nur noch „ein nichtsnützig Stück Pergament“ war, wie Börne abschätzig bemerkte, hat sie in den vergangenen 200 Jahren nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Dabei war sie gerade im 20. Jahrhundert besonderen Gefahren ausgesetzt. Glücklicherweise entging das Original dem Ansinnen der nationalsozialistischen Stadtregierung, Hitler anlässlich seines Besuchs in Frankfurt 1938 historische Dokumente zu schenken. Er erhielt „nur“ eine deutsche Übersetzung aus dem 15. Jahrhundert, die seitdem allerdings verschollen ist. Das Original blieb im Kaisersaal ausgestellt, bis es angesichts der drohenden „Luftgefahr“ 1942 in Sicherheit gebracht wurde.

Seit 1969 wird das Original der Frankfurter Goldenen Bulle sicher in der Privilegienkammer des Stadtarchivs, des heutigen Instituts für Stadtgeschichte, im Karmeliterkloster aufbewahrt. Eine dauerhafte Ausstellung des kostbaren Dokuments wäre aus konservatorischen Gründen heute nicht mehr zu verantworten. Im Kaisersaal ist daher nur eine Reproduktion zu sehen. Doch im Jubiläumsjahr 2006 wird sich die Goldene Bulle auch wieder im Original zeigen.

Zur 650-Jahr-Feier der Goldenen Bulle arbeiten das Institut für Stadtgeschichte, das Historische Museum, das Jüdische Museum und das Dommuseum an einem gemeinsamen Ausstellungsprojekt: „Die Kaisermacher – Frankfurt und die Goldene Bulle (1356-1806)“. Begleitend zur Ausstellung von Oktober 2006 bis Januar 2007 soll ein Aufsatzband erscheinen.

Quelle: Sabine Hock
 
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