Goten und Amaler, von einem Traditionskern?

tejason

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Dieser Thread ist aus einem anderen Thread so weit herausgewachsen, dass ich hier einen neuen Faden eröffne. Etwas Wiederholung lässt sich nicht vermeiden. Nur weil ich so viel vorlegen werde, sollte es aber niemanden abschrecken mitzumachen wie ich hoffe :winke:

@tejason
Warum sollte Heathers Ansatz zur "Fraktionierung" der Goten falsch sein? Wie anders sind die vielen unabhängig voneinander operierenden Einheiten an allen Ecken des Reiches zu erklären?
Ob Ermanarich wirklich "Amaler" war? Heute wird meist davon ausgegangen, dass erst mit Valamir die Amaler an die Macht kamen, nach 454. Jordanes (bzw. Cassiodor?) scheut sich ja auch nicht, als Echo einen Hunnenkönig Balamir zu erfinden, den er in Ermanarichs Nähe rückt.
Natürlich war die Loyalität der Germanen zu den Hunnen gekauft, genau davon ist ja oben die Rede. Der Preis war hervorragend!

Fraktionierung der Goten bereits vor Auftreten der Hunnen?

Heather steht mit solchen Aussagen zu den Goten im Widerspruch zu anderen Experten, darunter auch Herwig Wolfram, der von einer gewissen Geschlossenheit der östlichen Goten vor Auftauchen der Hunnen ausgeht. Wer außer Heather lässt denn die Amaler ebenfalls erst mit Valamir beginnen? Eher wird zwischen „älteren“ und „jüngeren“ Amalern unterschieden. Es spricht doch eigentlich kaum etwas gegen diese klassische Annahme, einer weiter verzweigten Amalersippe? Die offensichtlichen Auflösungserscheinungen und Sonderwege, diverser gotischer Gruppierungen (vor allem der Östlichen!) traten in diesem Ausmaß erst nach dem Auftauchen der Hunnen auf. Vorher sind derartig tiefgreifende Fraktionierungen eben nicht überliefert und es gibt keinen Grund sie anzunehmen. Einzig die Krimgoten sind offensichtlich ein etablierter Sonderfall. Doch wenn das Reich des Ermanarich auf persönlicher Gefolgschaft und Bindungen beruhte, warum hätte es ähnliches nicht auch unter früheren Anführern geben sollen, wie bei Jordanis überliefert?

Wohlgemerkt behaupte ich ebenfalls nicht, dass es (unmittelbar) vor Auftauchen der Hunnen ein geschlossenes Volk der Goten gegeben habe. Auch nicht dass alle „östlichen Goten/Greutungen“ immer nur unter amalischer Führung gestanden hätten. Zumindest zwischen Terwingen und Ostrogothen wird schon vorher sichtbar unterschieden. Die westlichen Goten lebten im Vorfeld des Imperiums und saßen auch in der ehemaligen römischen Provinz Dakien nördlich der Donau. Diese westlichen Goten an der Donau standen sicher unter Kleinkönigen, die jedoch in der Institution eines „Iudex“ (wie unter Athanarich) sehr wohl übergreifende Bindungen und Loyalitäten kannten. Herwig Wolfram und andere sehen im „Iudex“ eine Institution bei den Donaugoten jener Zeit, die nur in Bedrohungslagen aktiviert wurde. Die „Rebellion des Fritigern“ gegen Athanarich wird dadurch doch nur umso bemerkenswerter und kann im Kontext mit Christianisierungsversuchen bei den Goten, dem mehrjährigen Rachekrieg des Kaiser Valens gegen die Goten nach dem missglückten Usurpationsversuch eines Mitglieds der konstantinischen Dynastie (der comes Procopius um 365) und ähnlicher Ereignisse gesehen werden. Hier sind Parallelen zu den Alamannen mit ihren Kleinkönigen in dieser gotischen Gesellschaft unübersehbar, die jedoch ebenfalls bei Bedarf kooperierten, um sich unter gemeinsame Führung zu stellen pflegten, wie etwa bei der Schlacht von Straßburg im Jahre 357 geschehen (also nicht einmal ein Jahrzehnt vor dem missglückten Coup des Procopius).
Schlacht von Argentoratum ? Wikipedia

Kurz:
Es sind sehr wohl Untergruppierungen bei den westlichen Goten gut bekannt, sie kannten dabei verbindende Elemente. Kein Vergleich zu den von Heather zu Recht festgestellten gotischen Kleinfraktionen nach Auftauchen der Hunnen. Bei den östlichen Goten scheint der Zusammenhalt in jener „Vor“-Zeit noch größer gewesen zu sein, als im unmittelbaren Vorfeld des Reiches, wo das Imperium gewöhnlich die Entstehung schlagkräftiger Großgruppen seit Jahrhunderten verhindert hatte! Solche Großgruppen entstanden meist entweder weiter entfernt im Barbaricum (Ermanarich oder frühe Hunnen-Herrschaft) oder noch häufiger erst später auf dem Boden eines geschwächten römischen Reiches (Franken, Westgoten….).

Nachdem ich die Sichtweise auf die „näheren (Donau-) Goten“ dargestellt habe, nun zu den östlicheren, den „Steppen-Goten“. Das ganze Bestreben Heathers die Bedeutung der Amaler für die östlichen Goten (generell vor Theoderich dem Großen) zu relativieren wirkt doch arg gekünstelt. Die östlichen Goten (Ermanarich und davor) sollen gemäß Überlieferung schon länger unter Königen gelebt haben die mehr Macht ausübten. Unter seinem Reich dürfte wohl ein „Personenverbund“ zu sehen sein, wie es ganz ähnlich nun auch die Hunnen wieder aufbauten. Damit will ich die Hunnen nicht als „Wiederherrichtet des Ermanarich-Reiches“ unter ihrer Vorherrschaft abbiegen. Es war halt eine typische Herrschaftsform der Steppe, die keine „archaisierenden“ Anknüpfungspunkte brauchte.
 
Amaler als Traditionskern oder als Emporkömmlinge?

Amaler im Kontext der Überlieferung über die Goten

Gotische Führerfiguren wie Ermanarich, Theoderich Strabo u.ä. finden sich auch in römischen Quellen und werden dabei dem Geschlecht der Amaler zugeordnet. Wenn die Amaler so unbedeutend waren, wie Heather suggeriert: Warum finden sich dann (laut Wolfram, basierend auf Jordanis…) mindestens zwei Amalergruppen sogar bei den Westgoten vor der Zeit, als Theoderich die Ostgoten nach Italien führte?


Vom ersten Zug einer Gotengruppe unter amalischer Führung berichtet die Getica [Kapitel XXIII „Wallia“, Mertens S87]wie folgt:
Jordanis schrieb:
Gerade in diesen Zeiten [er schreibt vorher vom Tode Wallias] wanderte Beremund, der Sohn Thorismunds, von dem wir oben beim Verzeichnis der Amaler gesprochen,… von den Ostrogothen, die immer noch in Scythien unter der Unterdrückung der Hunnen seufzten, in das Reich der Wesegoten. Denn er war sich wohl der Trefflichkeit und des hohen Adels seines Geschlechts bewusst und glaubte, dass ihm deshalb leichter von seinen Verwandten die Führung übertragen werden würde, ihm, der als der Erbe vieler Könige bekannt war. Wer sollte auch bei einem Amaler Bedenken tragen, ihn zu wählen, wenn er ohne Thron war? Aber er wollte eben nicht einmal sehr mit dem prahlen, was er war, und jene hatten nach dem Tod Wallias den Theoderid [meist Theoderich I. genannt, jener Westgotenkönig, der in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern fallen sollte] zu seinem Nachfolger gemacht…
Im Folgenden unterwirft sich Beremund dem amtierenden König der Westgoten. Er war zu spät gekommen, sich als Nachfolge-Kandidat des Wallia rechtzeitig ins Spiel zu bringen. Hier ist auch jener Punkt wiederzufinden, der in der Vorgeschichte der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern eine Rolle spielt. Attila hatte allen Mächtigen der Region vor seinem Zug unterschiedliche Nachrichten über seine wahren Absichten gesandt. Die Westgoten hatte er etwa aufgefordert sich ihm gegen Westrom anzuschließen. Den Aetius ließ er dagegen wissen, er wolle seine geflohenen „Sklaven“ züchtigen: Darunter kann nur die Gruppe Ostgoten unter dem Amaler Beremund gemeint sein!

Der zweite Zuzug amalisch geführter (Ost-)Goten fand nach dem Tode Attilas statt, als Goten aus Pannonien nach dem Sieg über die Skiren auswanderten und nach Italien zogen. Anführer dieser Gruppe war einer der königlichen Brüder Valamir, Thiudimir (dies ist der Vater des Theoderich) und Vidimir (auch Widimir geschrieben), die nach Untergang der Hunnen die Ostgoten in Pannonien neu zu formieren suchten. Bis zu seinem Schlachtentod 465 gegen die Skiren Edekos (und dessen Sohnes Odoaker) hatte Valamir offensichtlich die Oberhoheit über diese Goten und seine Brüder. Diese Oberherrschaft übernahm nun Thiudimir, womit Vidimir kaum noch eine Chance auf eine wirklich selbstständige Herrschaft mehr sah. Nach 471, als Theoderich der Große sich seine ersten Sporen verdiente, verließ die Gruppe seines Onkels Vidimir Pannonien, wo er bald darauf in Italien verstarb. Sein gleichnamiger Sohn rückte an seine Stelle, dessen Prestige mit jenem des siegreichen Westgotenkönigs Eurich nicht mithalten konnte. Auch ohne dass exakte Quellen vorliegen kann erkannt werden, dass auch der ältere Vidimir sich wohl Hoffnungen gemachte hatte, zum König der Westgoten aufsteigen zu können. Es war eine sehr turbulente Zeit, die genauer zu skizzieren jeden Rahmen sprengen würde. Fakt ist, dass auch der Angriff der Skiren auf die Ostgoten im engen Zusammenhang mit der damaligen antigotischen Politik beider Reichsteile (Ost- & Westreich) der Römer stand. Der Westkaiser Anthemius, als ehemals oströmischer Heermeister initiierte im Westreich eine Koalition gegen die Westgoten des Königs Eurich, während im Ostreich eine ähnliche Koalition (darunter die Skiren) gegen die Ostgoten des Valamir losschlug. Beide Versuche schlugen katastrophal fehl und beschleunigten den Untergang Westroms enorm. Bis 474 setzten sich die Westgoten in Gallien und Spanien durch. Scheitern und Tod des Anthemius in Rom (472) war ein Fanal. Das Machtspiel des weströmischen „Kaisermachers“ Ricimers, bis mit Julius Nepos der letzte legitime Kaiser des Westens 474 die Macht übernehmen konnte, war eine sehr wirre Zeit. Wohl schon 473 (?) war der ältere Vidimir verstorben und der jüngere ließ sich durch Geschenke von „Kaiser Glycerius“ (einer Kreatur des Ricimer) nach Gallien zu den Westgoten umleiten. Seine Gruppe wurde ebenso Teil der Westgoten, wie die zuvor erwähnte amalische Gruppe.

Was wäre noch anzumerken betreffs der Amaler und der Westgoten? Auf König Eurich folgte dessen Sohn Alarich II., jung zur Macht gekommen. Als die Ostgoten unter Theoderich dem Großen gegen Odoaker in Italien zogen, sandte der Westgote diesen Goten einige Hilfstruppen und Alarich heiratete eine Tochter des Theoderich. Umgekehrt holte Theoderich, der ohne männlichen Nachwuchs geblieben war, einen westgotischen Amaler mit Namen Eutharich 515 als Ehemann für seine Tochter Amalasuntha/Amalasuintha nach Italien. Aus beiden Verbindungen gingen später „Kindkönige“ hervor: Amalarich bei den Westgoten und Athanarich bei den Ostgoten.

Alles in allem eine durchaus stattliche Zahl von amalischen Großen bei allen Gotenvölkern. Mit Theoderich dem Großen wetteiferte während dessen früher Zeit als oströmischer Foederat in Pannonien und Thrakien, mit wechselndem Erfolg ein weiterer Amaler: Theoderich Strabo um die Gunst Konstantinopels und der Goten generell. Der Kampf der beiden Theoderiche gegeneinander ließ zeitweilig Anhänger von der einen zur anderen Seite überwechseln, bis Strabo endlich bei einem Reitunfall tödlich verletzt den „Wettbewerb“ entschied und Theoderich dem Großen die Herrschaft zufiel! Aus Verständnisgründen habe ich konsequent bei dieser Persönlichkeit immer von Theoderich dem Großen geschrieben. Die Vorgänge an sich sind schon verwirrend genug.

Vielleicht fühlt sich ja jemand bemüßigt triftige Argumente, besonders von Peter Heather gegen die Amaler aufzuführen? Dabei wäre es aber meiner Meinung nach nicht ausreichend, nur auf Lücken oder nur indirekte Anknüpfungspunkte zwichen den "älteren Amalern" (wie Herwig etwa Ermanarich nennt) und den "jüngeren Amalern" (also die auch von Heather akzeptierte Kontinuität zwischen Valamir und Theoderich d. Gr.) hinzuweisen.

Amaler ein Traditionskern der Ostgoten?

Heather misstraut einigen Zuordnungen gotischer Großer zum Geschlecht der Amaler. Viele Zuordnungen sind aber nicht aus Federn im Umfeld des italischen Ostgotenreichs, sondern von anderen Quellen. Die Bedeutung der Amaler negieren zu wollen und sie zu einer „Newcomer-Sippe“ zu stigmatisieren finde ich daher gewagt. Herwig Wolfram, der sich zusammen mit Walter Pohl und Anderen aus dem „Wiener Umfeld“ um die Gotenforschung verdient gemacht hat, stellt dagegen die Bedeutung der Amaler besonders heraus. Auch vor dem Hintergrund der These vom Traditionskern (Basierend auf Wenskus) und seiner entscheidenden Bedeutung für die „Völker der germanischen Völkerwanderungszeit“ sind traditionelle Königssippen immer als besonders wichtig herausgestellt worden. Warum sollte dann die Überlieferung über eine der Bedeutendsten dieser Sippen also nur gefälscht sein? Wird diese Überlieferung abgelehnt, ist dies auch ein besonders schwerer Schlag gegen die ganze moderne Lesart spätantiker Ethnogese! Wohl an keiner anderen Königssippe lässt sich die Theorie vom Traditionskern derart plausibel ablesen wie an jener der Amalern! Die „Fraktionierung“ der Goten seit Auftreten der Hunnen und eine bedeutende Rolle der großen gotischen Königsgeschlechter der Amaler und Balthen lassen sich letztlich sehr gut miteinander verbinden. Den Abschluss überlasse ich daher Wolfram, der meinen ganzen Sermon griffig auf einen Punkt bringt und sowohl „Fraktionierungen“ der Goten, wie auch die Bedeutung der Königssippe schön zusammenbringt.
Herwig Wolfram S 250 „Die Goten“ schrieb:
Das Ansehen der einstigen greutungisch-ostrogothischen Königssippe hatte – trotz Unterwerfung, Spaltung, offener Bruderkriege, ja jahrzehntelanger Interregna – so wenig gelitten, dass zumindest ein Zweig der Amaler imstande war, die Herrschaft über die nichtrömischen Goten… wieder zu erringen
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich würde mich deinen Ausführungen anschließen @tejason.
Eines möchte ich noch hinzufügen:

Es war in dieser Zeit ein völlig normales Phänomen, daß bei einem allgemeinen Wegzug eines Stammes zwar der Großteil wegzieht, ein kleinerer Teil (vor allem ältere oder schwächere Stammesmitglieder) blieb oft zurück. So war es natürlich auch bei den Goten. Hinzu kam noch die teilweise Christianisierung der beiden gotischen Hauptstämme, was bei der Zerschlagung dieser Stammesbündnisse durch die Hunnen leicht zu einer Aufsplitterung dieser Stämme führte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dieser Thread ist aus einem anderen Thread so weit herausgewachsen, dass ich hier einen neuen Faden eröffne. Etwas Wiederholung lässt sich nicht vermeiden. Nur weil ich so viel vorlegen werde, sollte es aber niemanden abschrecken mitzumachen wie ich hoffe
Das würde ich ja gerne machen, nur stimme ich Dir blöderweise zu, daher nur ein kleiner Einwand:

Gotische Führerfiguren wie Ermanarich, Theoderich Strabo u.ä. finden sich auch in römischen Quellen und werden dabei dem Geschlecht der Amaler zugeordnet.
Ermanarich wird mW nur von Ammianus Marcellinus und Iordanes erwähnt, wobei Ammianus nichts über Amaler schreibt. So wichtig waren für seine Belange dynastische Verhältnisse eben nicht.

Ob Theoderich Strabo Amaler war, ist zweifelhaft. Iordanes (Getica 52) verneint das ausdrücklich.
Marcellinus Comes sagt nichts über eine Verwandtschaft.
Die Behauptung, er sei Amaler gewesen, soll von Johannes von Antiochia stammen, der soll geschrieben haben, dass Theoderich der Große ein Cousin des Sohnes von Theoderich Strabo gewesen sei, aber da ich den Text nicht vorliegen habe, kann ich das nicht überprüfen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ermanarich wird mW nur von Ammianus Marcellinus und Iordanes erwähnt, wobei Ammianus nichts über Amaler schreibt. So wichtig waren für seine Belange dynastische Verhältnisse eben nicht.

Ob Theoderich Strabo Amaler war, ist zweifelhaft. Iordanes (Getica 52) verneint das ausdrücklich.
Marcellinus Comes sagt nichts über eine Verwandtschaft.
Die Behauptung, er sei Amaler gewesen, soll von Johannes von Antiochia stammen, der soll geschrieben haben, dass Theoderich der Große ein Cousin des Sohnes von Theoderich Strabo gewesen sei, aber da ich den Text nicht vorliegen habe, kann ich das nicht überprüfen.

Es schreibt also nur ein romanisierter, katholischer Gote und Zusammenfasser ansonsten verlorener Schriften des Cassiodorus und Ablabius von Ermanarich als einem Amaler.

Theoderich Strabo sei von Johannes von Antiochia mit den Amalern in Verbidung gebracht worden? Dieser Autor schrieb im 7. Jht. und hätte an sich keinen Grund eine politisch nicht länger aktuelle Sippe hoch zu halten.

Ich hätte besser noch einmal genauer bei Herwig nachlesen sollen, der den Amalern einigen Platz einräumt...
 
Wenn die Amaler so unbedeutend waren, wie Heather suggeriert: Warum finden sich dann (laut Wolfram, basierend auf Jordanis…) mindestens zwei Amalergruppen sogar bei den Westgoten vor der Zeit, als Theoderich die Ostgoten nach Italien führte?

Dazu ein paar Anmerkungen. Zum einen ist der Begriff "unbedeutend" ja nun etwas übertrieben. Theoderich d.G. ist die dominierende Figur der gotischen Geschichte, zumindest der Osthrogotischen. Sein Vater und seine Onkel führten seine Goten vor ihm. Bedarf es da noch eines uralten Geschlechtes, um Berühmtheit zu erlangen? Möglicherweise hat Theoderich d.G. dies so gesehen.
Zum zweiten, und das knüpft auch an den letzten Satz des vorigen Abschnittes an, war Cassiodor und damit der ihn zitierende Jordanes der Haus- und Hofschreiber Th. d.G..
Man sollte hierbei nicht ganz außer Acht lassen, dass es bei den Beschreibungen angeblicher Amaler um nichts weniger als die legitime Thronfolge beider gotischer Reiche ging. Th.d.G. beherrschte 15 Jahre das Visigotenreich, nominell als Vormund für deinen Enkel. Mit welchem Recht?
Passte es da nicht arg gut ins Zeug, dass es plötzlich auch unter den Visigoten schon immer ein bedeutendes Geschlecht der Amaler gegeben hatte? Ein Schelm, der Böses dabei denkt...
 
Weiterhin wird Ermanarich nicht als direkter Vorfahr im Stammbaum des Amalers Theoderich und seiner Tochter (und praktischer Nachfolgerin) erwähnt. Daraus abzuleitende Ansprüche wären also mehr als vage und besser in einem Verschwörungsthread aufgehoben.

Also laut dem wohl fiktiven Stammbaum der Amaler war Theoderich ein Ur-Ur-Enkel von Ermanarichs Bruder Walarawans.

@Hunnenkönig Balamir:
H. Wolfram definiert die Wurzel des Namens als iranisch. Aufgrund der langen gemeinsamen Zeit mit Sarmaten in Südrussland ist diese Schreibweise wohl germanisiert?

Hier finde ich Heathers Ansatz überzeugend, wenn er meint, dass Cassiodor hier die gesamte Chronologie durcheinander gewirbelt hat, nebst einigen Namen.
Und weil nichts passte, auch noch ein 40-jähriges Interregnum erfinden musste.

Heather macht die naheliegende Gleichsetzung Valamir=Balamir, und sieht den Text als Beschreibung der Ereignisse um Valamirs Kampf um die Führung der Goten.
V(B)alamir heiratet die Tochter des Winithar, den Jordanes als Nachfolger Ermanarichs ausmacht (laut Heather eine Verwechslung mit Ammianus' Withimer), den aber Heather als Anführer in Pannonien sieht. Ebenso wie Hunimund und Gesimund, wobei letzterer sich wohl Valamir unterwarf, Hunimunds Erben dagegen zu den Westgoten flohen. Und einen König Bigelis gab es auch noch...
 
Eine reichlich abenteuerliche Konstruktion! Abgesehen davon, dass sich Heather da ohne die geringsten Belege einfach etwas zusammenfantasiert, wie es ihm ins Bild passt, ist es chronologisch auch unmöglich und widerspricht auch den anderen Quellen als Iordanes: Wie soll Valamir die Tochter Vinithars geheiratet haben? Wenn Vinithar Vithimir ist (wovon wohl auszugehen ist), dann wird er auch bei Ammianus Marcellinus erwähnt und gehört in die Zeit 376/377. Die Tochter Vinithars müsste um einige Jahrzehnte älter gewesen sein als Valamir. Das wird ja zum Fall für Chronologiekritiker ...
 
Also laut dem wohl fiktiven Stammbaum der Amaler war Theoderich ein Ur-Ur-Enkel von Ermanarichs Bruder Walarawans.
...was also eine eigene Nebenlinie bedeutet! Den Stammbaum fiktiv zu nennen halte ich für gewagt, dann können wir gleich alle antiken Schriften ignorieren. Naheliegend aber, dass er hie und da aufgehübscht wurde.
 
Wenn Vinithar Vithimir ist (wovon wohl auszugehen ist), ...

Warum?


...was also eine eigene Nebenlinie bedeutet! Den Stammbaum fiktiv zu nennen halte ich für gewagt, dann können wir gleich alle antiken Schriften ignorieren. Naheliegend aber, dass er hie und da aufgehübscht wurde.

Bezeichnend ist z.B., wie diesmal Wolfram und Heather übereinstimmend feststellen, dass Ermanarich ausdrücklich nicht in der Auflistung der Vorfahren Amalsuintas genannt wird.

Der gesamte Stammbaum stammt von Cassiodor, und dieser verfolgte in aller erster Linie politische Absichten mit seiner Schrift.
 
Wegen der gleichlautenden Lebensgeschichte von Vinithar und Vithimir: Laut Ammianus Marcellinus folgte Vithimir dem Ermanarich und fiel wenig später. Laut Iordanes folgte Vinithar dem Ermanarich und fiel wenig später.
Die andere Möglichkeit wäre, dass sich der Stamm Ermanarichs nach dessen Tod gespalten hat, aber davon schreibt Ammianus nichts.

Bezeichnend ist z.B., wie diesmal Wolfram und Heather übereinstimmend feststellen, dass Ermanarich ausdrücklich nicht in der Auflistung der Vorfahren Amalsuintas genannt wird.
Und was sagt uns das? Eine direkte Abstammung vom großen Ermanarich wäre doch viel ruhmvoller! Also wenn schon fälschen, warum dann nicht gleich richtig?
 
Skizze über die Goten vor dem Hunneneinfall

Dazu habe ich eine Frage.

Heather schreibt davon (2001), dass es - gestützt auf Ammianus - keine Reichseinheit gegeben habe, sondern mindestens zwei "political units", nämlich Tervingi und Greuthungi (S.16).
[*]...
Politische Verhältnisse bei den Terwingen
Herwig Wolfram lässt sich – entsprechend seinem Thema - recht ausführlich über die Goten aus. Aufgrund der Quellenlage vor allem über die Terwingen und westlichen Goten, die ich zum Teil zur besseren Unterscheidung als Donaugoten in jener Zeit bezeichnet habe, da ihr Gebiet unmittelbar an das Imperium grenzte. Diese terwingischen Gruppen dominierten ein relativ buntes Völkergemisch (siehe Vorposts von mir über ihren Iudex-Anführer Athanarich), das unter anderem aus Taifalen, Carpen (dakisches Volk) und auch sarmatischen Gruppen – NEBEN den Goten selbst bestand. Dort herrschten Kleinkönige vor und sie autorisierten bei Gefahr ein gemeinsames, (eben nicht monarchisches) Oberhaupt. Mindestens zwischen der Usurpation des Procopius gegen Kaiser Valens und eben seinem Versagen gegen die hunnische Bedrohung und anschließendem Übertritt der Goten im unmittelbaren Vorspiel zur Schlacht von Adrianopel, führte Athanarich dieses Amt. Er wehrte sich auch bei Verhandlungen mit dem Imperium dagegen, König genannt zu werden…

Über die östlichen Goten, also die Steppengoten/Ostrogothen/Greutungen (welche Bezeichnung auch immer im bestimmten Zusammenhang besser passen mag), ist die Überlieferungslage ausgesprochen dünn im Vorfeld des Hunneneinfalls. Wolfram geht davon aus, dass in diesem Raum die Könige mächtiger waren als an der Donau. Wie es auch die Überlieferung, etwa bei Jordanis betont. Aber auch in jenem Bereich lebten keinesfalls nur Goten! Es muss dort ein ähnliches Gemengelage diverser Völkerschaften („Patchwork“) gegeben haben, wie ich es über die Donau weiter Oben gezeichnet habe. Ganz sicher gehörten sarmatische Stämme zum dortigen „Substrat“ des „reinen Steppenmilieus“ als Nomaden. Dazu auch sesshaftere Völkerschaften, wobei es schwer fällt sie zu benennen! Nicht vergessen werden sollten die Heruler/Eruler, die vielleicht zur gleichen Zeit wie die Goten im Bereich des Schwarzen Meeres angekommen waren. Nun waren die Küstenbereiche dieses Meeres schon länger Teil römischen Interessengebietes, während ihnen das Hinterland reichlich gleichgültig blieb. Entsprechend spärlich sind Nachrichten über jenen Bereich. Im Steppenmilieu können Machtverhältnisse relativ schnell wechseln, besonders wenn sie wie üblich auf persönlichen Bindungen beruhen. Andererseits sind relativ weit reichende Allianz-Systeme, Bündnisse und Koalitionen in diesem Milieu ebenfalls gewiss nicht ungewöhnlich. Man registriert ja öfters mit ein wenig Staunen, wie schnell sich solche Machtblöcke formieren konnten! Man sehe sich nur an was Leute wie Tschingis Khan, Tamerlan etc. häufig „schnell“ auf die Beine stellen konnten. Ohne Zweifel aber haben in diesem Hinterland die Goten dominiert. Letztlich wird in der Regel angenommen, dass Ermanarich eben der König über die Greutungen war und mittels solcher „Systeme“ über eine Reihe von tributpflichtigen Stämmen & Völkerschaften gebieten konnte. Manche wollen sogar sein(en Machtbe)reich bis an die Ostsee sich erstrecken lassen. Auch wenn dies stimmen sollte, muss man sich darunter nicht unbedingt einen direkten Zugriff des Amalers vorstellen. Abgestufte Tributpflichten und unterschiedlich enge Bündnisse mögen ausgereicht haben. Anders haben auch Hunnen oder Awaren ihre Macht auch nicht begonnen…

Vom „Auftauchen“ der Goten
Das ist nun alles etwas schwammig wie ich gerne zugebe. Ohne nachzulesen möchte ich daher etwa die Vorgeschichte seit dem Auftauchen der Goten am Schwarzen Meer wiedergeben, wie ich sie verstanden habe – als sehr grobe Skizze:
Die Goten trafen im Bereich des Schwarzen Meeres ein, ohne dass sie die antiken Berichterstatter weiter groß differenzierten. Dabei koalierten sie auch mit lokalen Völkern, darunter auch thrakische Stämme und ihre Angriffe erreichten die Grenzen des Imperiums. Ab etwa 250 trafen gewaltige Angriffe das Reich und als Anführer wird der Gotenkönig Kniva/Cniva genannt. Anfangs verheerten die Goten vor allem den Donauraum. Eine starke römische Armee mit ihrem Kaiser Decius wurde besiegt und der Kaiser viel in der Schlacht. Eine gewaltige Demütigung! Zeitweilig erkauften sich die Römer Frieden gegen Jahrgelder. Sobald diese eingestellt wurden, griffen die Goten wieder an und ihre Stöße gingen nun tiefer in das Imperium hinein. Als die Römer darauf zu reagieren lernten, gelang den Goten ein Coup am Schwarzen Meer, bei dem mit Rom verbündeten Bosporanischen Reich („Zentrum“ auf der Krim). Die Goten (spätestens jetzt vergesellschaftet mit den Herulern, die nun östlich der Krim angetroffen wurden) bemächtigen sich einiger Schiffe bei diesem hellenistischen Reich und begannen Seeraids gegen die heute türkische Südküste des Meeres. Begleitet von Verheerungen und Wegführen von gefangenen Menschen ins Barbaricum. Kombinierte See- Landangriffe führten die Goten bis tief nach Griechenland hinein, sogar in die Ägäis und kleinasiatische Küstenstriche. Damit waren aber die Kräfte der Goten auch schon stärker verausgabt, vor allem zur See!
Letztlich schlug Kaiser Aurelian die Goten und drängte sie über die Donau zurück. Trotz seiner Siege gab er die exponierte Provinz Dakien nördlich des Flusses auf und schloss Verträge mit den Barbaren. Wichtig für unser Thema ist, dass im Anschluss an dieses Ereignis eine Spaltung der Goten in Teilstämme angenommen wird. Und hier findet sich eine verschiedene Sichtweise der Gotenexperten H. Wolfram und P. Heather sehr deutlich.
 
Von Heather und Wolfram - !!sehr frei!!

Herwig Wolfram
Wolfram sieht nun eine unterschiedliche Entwicklung der beiden großen Gotenvölker. Er bemüht dabei u.a. die Bibelübersetzung des Wulfia um nachzuweisen, dass die Goten zuvor ein starkes, auch sakral besetztes Königtum kannten. Die westlichen „Donaugoten“ begannen nun – immer mit scheelem Blick auf römische Reaktionen – damit, das geräumte Dakien weitgehend zu besetzten. Ähnlich wie im ehemaligen Dekumatland [@Dekumatland ist völlig mein Vergleich!] geht Wolfram davon aus, das Rom sehr wohl Einfluss darauf nahm, wer sich nun so nahe an seinen Grenzen ansiedelte. Römischer Politik sei ein starkes Königtum in jenem Bereich nicht geheuer gewesen. Genau wie bei den Alamannen zeigen sich später die gotischen Strukturen der hier siedelnden Terwingen als uneinheitliche Gruppen unter „Reiks“ genannten (Klein)Königen. Hier wie dort kannte man nur bei Bedarf übergeordnete „Oberkönige“. Diese Sichtweise hat viel für sich, da bekanntlich auch die Franken oder andere Germanenstämme am Rhein eher Kleinkönige kannten, ein eher loses Zusammengehörigkeitsgefühl hatten und erst nachdem einer der Kleinkönige als großer Heerkönig und Eroberer nach Gallien ausgreifen konnte (Chlodwig!), wurden sie unter einer Führung vereint. Ähnlich auch bei den Terwingen, die den Kern der späteren Westgoten bildeten. Auch bei ihnen formte sich das übergeordnete Königtum (erst?) wieder auf römischem Reichsboden aus (Alarich I.). Was diesen Bereich betrifft sind Heathers Ansichten wohl nicht so weit davon entfernt…
Anders bei den reichsferneren, östlichen Goten! Bei ihnen nimmt Wolfram an, dass sich das starke, klassische Königtum dort hielt. So wie es Tacitus über die Gutonen an der Weichselmündung um die Zeitenwende schildert – sie werden gerne mit den Goten gleichgesetzt! Unter Anderem leitet er das aus dem Volksnamen der Ostrogothen/Greutungen ab, die auch mit „glänzenden Goten“, oder „königliche Goten“ bei ihm genannt werden. Um einen starken Traditionskern (eben die Amaler) formierte sich im Osten dieses Volk in einer ganz anderen Weise als bei den Terwingen. Dabei herrschten deren Könige wohl auch immer über fremdstämmige Völkerschaften. Ihre Lebensweise glich sich stärker jener der Steppenvölker an: Vor allem verreiterte ihre Kriegerschaft und hier lassen sich auch ihre effektivsten Truppen finden, während die Terwingen an der Donau als römische Foederaten eher gut gerüstete Fußkrieger zu stellen pflegten. Wichtig ist dabei, dass die „königlichen Goten“ aus dem direkten Blickfeld Roms verschwanden (was Augenfällig ist, verglichen mit den Terwingen!). Kurz: Wolfram sieht im Traditionskern um die amalische Königssippe den entscheidenden Kristallisationspunkt „steppengotischer Geschichte“. Eben ganz im Sinne der „Wiener Schule“.

„Über“ Peter Heather:
Peter Heathers Positionen kenne ich weniger gut. Er geht davon aus dass auch die östlichen Goten schon immer unter Kleinkönigen standen, die er miteinander im Wettstreit sieht. Dass sie dann als Newcomer unter kriegsstarken Völkerschaften nicht untergehen, erklärt er vereinfacht durch ein sehr starkes, gemeinsames Identitätsbewusstsein/Gemeinschaftsgefühl zwischen diesen gotischen Gruppen. Durch ihre gegenseitige Kooperation hätten sie sich in diesem, ihnen eigentlich fremden Umfeld durchgesetzt und Aspekte der Steppenkultur- und nicht zuletzt auch deren Kampfesweise übernommen, durch die sie ihre Dominanz erhalten hätten! Entsprechend wenig gibt Heather auf Traditionskerne. Die Amaler sieht er als eine Dynastie von Kleinkönigen unter vielen, die erst nach dem Tode Attilas empor gespült seien, vielleicht gar „Newcomer“ gewesen seien.

Nachgedacht?
Heather scheint eher jemand zu sein, bei dem große Entscheidungen/Wendepunkte die Resultate von eher kurzfristigen Handlungen sind.
Wolfram argumentiert eher langfristig. So macht er sich viele Gedanken über Königtum und seine Ursprünge: Heerkönigtum, Sakaralkönigtum etc. Er bemüht Ergebnisse der Sprachforschung und versucht so langfristige Entwicklungen nachzuvollziehen. Beherzt greift er einen Hinweis bei den Angelsachsen auf, die ihre Königsgeschlechter auf den Gott Wotan/Odin zurückführten und dabei irgendwo im Nebensatz fällt, dass dieser Gott früher unter dem Namen Gapt bekannt gewesen sei. Das Geschlecht der Amaler leite sich von den „asischen“ Göttern ab, wie dies ja auch bei Jordanis nachzulesen ist. Alles dichte Hinweise auf ein hohes Alter der Ableitung (die Goten waren in Italien schon seit Generationen Christen!) und damit auch auf ein hohes Alter des amalischen Geschlechts, dass vor Christen mit ihrem Heidengott-Vater wohl nur noch wenig prahlen konnten, als Teil ihrer identitätsstiftenden, gentilen Überlieferung aber weitertrugen.

Betrachtet man die Ereignisgeschichte der östliche Goten nach dem Hunneneinfall, will mir ein besonders „Zusammengehörigkeitsgefühl“ unter ihnen nicht recht einleuchten. Unbestreitbar gab es NUN eine recht weite „Fraktionierung“ gotischer Gruppen (die ich vor Auftreten der Hunnen ja ablehne!), die alle sehr unterschiedliche Wege gingen! Was findet sich nicht alles unter ihnen?
Sie hatten keine Probleme damit zu den Westgoten zu gehen, auch nach dem Tode des Attila einem Attilasohn bis zu dessen Tode treu zu bleiben, sich untereinander zu bekämpfen, gemeinsam mit Hunnensplittern neue Völkerschaften zu formieren, zu den „Römern zu gehen“ und sich in Kleinasien ansiedeln zu lassen. Sich mit Alanen zu vergesellschaften und damit bei den Römern die Machtbasis eines halbgotischen Alanen als östlicher Heermeister (Aspar) zu bilden….
Wolfram findet bei all diesen Fraktionierungen so gut wie immer Splitter des amalischen Königsgeschlechts als Traditionskern. „Steppengoten“ schließen sich den Westgoten an, weil ihre amalischen Anführer auf deren Thron spekulieren. Alatheus führte eine greutungische Splittergruppe, deren Amalerfährer gefallen war und dessen Kleinkind/Sohn wohl während des Marsches aus der Geschichte schied. Aspar war irgendwie in die amalische Königssippe eingeheiratet/versippt. Theoderich Strabo als Gegner des Theoderich d.Gr. waren (lt. Johannes von Antiochien) beides Amaler. Ermanarich war Amaler – aber nicht aus der gleichen Linie wie Theoderich d.Gr.! Fast alle diese vielen östlichen Gotengruppen trugen irgendeinen Splitter des königlichen Traditionskerns in sich. Da Gefolgschaftstreue immer ein persönliches Verhältnis bedeutet, ist dies durchaus als möglicher Bindungsgrund anzusehen.
Man sieht also dass Peter Heather in mehrerer Hinsicht einen anderen Ansatz verfolgt als in Wien. Traditionskerne treten zurück. Die Römische Welt wurde vernichtet.
Bei Herwig Wolfram oder Walter Pohl sind die Traditionskerne für die Geschichte der „Barbarenvölker“ unerlässlich. Sie betonen auch mehr die Kontinuitäten, die „Transformation des römischen Imperiums“ (Übergänge, weniger Brüche!) – also einen Übergang von Antike zum Mittelalter, der zwar durchaus blutig war, aber eben nicht nur aus Vernichtung und Kampf bestanden habe. P.Heather unterlässt es bei der Auseinandersetzung mit diesem Ansatz nicht zu betonen, dass ja wohl gerade die Österreicher sehr anfällig für „Transformationstheorien“ sein müssten, bei ihrer Geschichte der letzten gut 100 Jahre! Aus Deutschland durch Bismarck hinausgeworfen, nach 1918 ihres „Traditionskerns“ verlustig gegangen, durch die Alliierten zum Alpenstaat degradiert und gegen ihren Willen vom Beitritt zu Deutschland abgehalten, von Hitler vereinnahmt, im Kalten Krieg wieder souverän geworden…
Wie gesagt: Alles meine Formulierungen! Alles nur gröbst Skizziert! …und zu heiß getippt…
 
Dazu ein paar Anmerkungen. Zum einen ist der Begriff "unbedeutend" ja nun etwas übertrieben. Theoderich d.G. ist die dominierende Figur der gotischen Geschichte, zumindest der Osthrogotischen. Sein Vater und seine Onkel führten seine Goten vor ihm. Bedarf es da noch eines uralten Geschlechtes, um Berühmtheit zu erlangen? Möglicherweise hat Theoderich d.G. dies so gesehen...

Also verglichen mit der Rolle, welche die meisten anderen Forscher den Amalern in der Geschichte der Ostgoten und ihrer Vorgänger einräumen, ist die Rolle des "Emporkömmlings" aus einem ganzen, kaum überschaubaren Rudel an Kleinkönigen bei den östlichen Goten, welche sie bei Heather einnehmen, mit "eher unbedeutend" doch sehr gut charakterisiert.
Berühmtheit brauchte Theoderich nicht, als Cassiodor für ihn eine Gotengeschichte verfasste. Sein eigener Ruhm war stark genug, bestimmt auch um als Newcomer eine neue Dynastie begründen zu können! Sein Ahnenstolz - oder angeblicher Ahnenstolz? - muss andere Gründe gehabt haben.
 
Also verglichen mit der Rolle, welche die meisten anderen Forscher den Amalern in der Geschichte der Ostgoten und ihrer Vorgänger einräumen, ist die Rolle des "Emporkömmlings" aus einem ganzen, kaum überschaubaren Rudel an Kleinkönigen bei den östlichen Goten, welche sie bei Heather einnehmen, mit "eher unbedeutend" doch sehr gut charakterisiert.

angesichts der diskutierten Annahme, diverse gotische Anführer in der Zeit der Wirren des großen Hunnensturms seien unbedeutend gewesen, frage ich mich wirklich, was der oströmische Kaiserhof daran attraktiv fand, den Filius eines unbedeutenden Barbaren als Geisel prominent zu verhätscheln? Die Geisel war ja niemand geringeres als der spätere Gotenkönig "Theoderich der Große"...

ebenfalls übertrieben muss der gelegentliche Beiname verschiedener römischer Kaiser wirken, welche sich u.a. auch als Goticus (Gotenbesieger) feierten, wenn denn die Goten angeblich so sehr überschätzt werden...

Ich nehme eher an, dass die leider nur lückenhaft überlieferte Genealogie der Amalersippe nicht nur weit verzweigt war, sondern durchaus auch innerhalb der gotischen Bevölkerung sehr mächtig, und dass Ansippung wie auch Gefolgschaft zu dieser Sippe entsprechend prestigeträchtig waren. Dass sich Teile so einer großen Sippe auch herzerfrischend zoffen können, wissen wir aus der turbulenten Familiengeschichte der Merowinger; gleichsam ein innergentiler Streit dürfte auch die Konkurrenz von Theoderich Strabo und Theoderich gewesen sein.

Überraschender als die schwer beweisbare Annahme von Heather finde ich, dass das Prestige der amalischen Goten die "Schmach" der Hunnenherrschaft überstehen konnte.
 
Berühmtheit brauchte Theoderich nicht, als Cassiodor für ihn eine Gotengeschichte verfasste. Sein eigener Ruhm war stark genug, bestimmt auch um als Newcomer eine neue Dynastie begründen zu können! Sein Ahnenstolz - oder angeblicher Ahnenstolz? - muss andere Gründe gehabt haben.

Da muss ich widersprechen. Er bemühte sich außerordentlich um die Anerkennung Konstantinopels, und ebenso um seine Legitimität als Herrscher der Westgoten.
Es war von entscheidender Bedeutung für Theoderich, eben keiner der dutzendweise auf dem Balkan marodierenden Gotenkönige zu sein, sondern sich und sein Geschlecht besonders hervorzuheben.
 
Heather scheint eher jemand zu sein, bei dem große Entscheidungen/Wendepunkte die Resultate von eher kurzfristigen Handlungen sind.
Wolfram argumentiert eher langfristig.

Auch da ein Widerspruch. Heather versucht plausible Parallelen gerade zur modernen Migrationsforschung zu ziehen, in seinem Werk "Invasion der Barbaren" geht er intensiv auf die gesellschaftlichen Veränderungen, auf die Ursachen und Motivationen der germanischen und slawischen Migrationen ein, vergleicht die Charaktere der Migrationen in unterschiedlichen Gebieten des römischen Reiches. Er versucht sowohl die politischen, als auch die ökonomischen Aspekte zu erklären.
Es ist allerdings richtig, und in meinen Augen sehr plausibel, dass er den ökonomischen und politischen Ursachen, also gewissermaßen der "Realpolitik", deutlich den Vorrang vor etwa sakralen Aspekten gibt.

Der Ansatz eines heiligen Sakralkönigtums kann nicht erklären, warum gerade dieses in der Folge völlig verschwindet und sich die Goten in dutzende von Kleingruppen auflösen, denn das würde bedeuten, dass ihre Träger gerade diese ihre Religion komplett über Bord geworfen hätten.
Dazu passt auch nicht, dass bei den späteren (oder einzigen?) Amalern - also Valamir, Theoderich & Co - es keine Anzeichen für ein Sakralkönigtum gibt.

Es ist allenthalben zu beobachten, dass sich kleinere Gruppen angesichts militärischer Bedrohungen zusammenschließen, nur die Goten dividieren sich völlig auseinander - das ist nicht sehr wahrscheinlich, auch vor dem Hintergrund, dass zu Zeiten, die besser belegt sind, wie etwa während der Schlacht in Adrianopel, die gotischen "Völker" wieder zusammenfinden.
 
Als Analogie zu Chlodwig und den Merowingern hat Heathers These eine gewisse Plausibilität.

Es wäre also kein Einzelfall, wenn Personen und Familien, die in politischen und kriegerischen Wirren zur Herrschaft gelangt sind, zur Legitimierung lange Traditionen und Herkunft von mythischen Geschlechtern angedichtet worden wäre.

Ob das bei Theoderich und den Amalern auch der Fall ist, muss ausdiskutiert werden.
 
Gotische Führerfiguren wie Ermanarich, Theoderich Strabo u.ä. finden sich auch in römischen Quellen und werden dabei dem Geschlecht der Amaler zugeordnet.
...
Umgekehrt holte Theoderich, der ohne männlichen Nachwuchs geblieben war, einen westgotischen Amaler mit Namen Eutharich 515 als Ehemann für seine Tochter Amalasuntha/Amalasuintha nach Italien.

Ermanarich wird mW nur von Ammianus Marcellinus und Iordanes erwähnt, wobei Ammianus nichts über Amaler schreibt.
...
Ob Theoderich Strabo Amaler war, ist zweifelhaft. Iordanes (Getica 52) verneint das ausdrücklich.
Ermanarich wird von Reinhold Pallmann und Wolfram der zehnten Generation der Amaler zugeordnet. In der Reihe der Vorfahren Amalaswinthas wird er allerdings von Cassiodor nicht aufgeführt (Var. XI, 1, 19).

Amal, der dem Geschlecht seinen Namen gegeben haben soll, wird der vierten Generation zugerechnet. „amal“ soll lt. Karl Müllenhoff „fleißig, unermüdlich“ bedeuten. Der Urahn Gaut dürfte mystischen Charakter gehabt haben.

Ob nun Theoderich Strabo ein echter Amaler war oder nicht, lässt sich wohl nicht 100%ig feststellen. Tatsache ist, dass Theoderich d. Gr. ihn nicht als zu seiner Sippe zugehörig betrachtete; der Grund dürfte eindeutig sein. Bernhard Tönnies formuliert das sehr schön als „abgelehnte Amaler“. Ebenfalls ausgegliedert wurde Sidimund (in byzantinischen Diensten), der doch 479 n. Chr. Theoderich geholfen hatte. Erwähnt wird Sidimund nur bei Malchos, nicht bei Jordanes. Vermutlich sollte nichts an die Krise erinnern, in der Theoderich d. Gr. damals steckte.

Neben den abgelehnten Amalern gibt es die „angesippten“. Der Westgote Eutharich, verheiratet mit der Tochter Theoderichs, Amalaswintha, wird gern als solcher bezeichnet. Nach Karl-August Eckhardt ist dieser jedoch ein echter Amaler, was Norbert Wagner zu der These veranlasst hat, dass man aus Rücksicht auf die Römer und die Kirche verschleiern wollte, dass es sich bei Amalaswintha und Eutharich um Cousine und Cousin zweiten Grades gehandelt hat und somit eine Ehe im Gegensatz zum germanischen Recht verboten gewesen wäre.
 
Da muss ich widersprechen. Er bemühte sich außerordentlich um die Anerkennung Konstantinopels, und ebenso um seine Legitimität als Herrscher der Westgoten.
Um die Anerkennung Konstantinopels musste er sich nicht groß bemühen, für die Oströmer war er willkommenes Mittel zum Zweck. Sie versuchten, ihn als Bedrohung zu neutralisieren und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Seine Abstammung war den Oströmern vermutlich herzlich egal, was zählte, war, dass er ein Machtfaktor war, den sie entweder selbst nutzen oder gegen sich haben konnten.
Eine Legitimität als Herrscher der Westgoten brauchte er nicht, da er nicht ihr König war. Um als Regent für Amalarich fungieren zu können, reichten die Verwandtschaft und seine tatsächliche Macht.

Der Ansatz eines heiligen Sakralkönigtums kann nicht erklären, warum gerade dieses in der Folge völlig verschwindet und sich die Goten in dutzende von Kleingruppen auflösen, denn das würde bedeuten, dass ihre Träger gerade diese ihre Religion komplett über Bord geworfen hätten.
Dazu passt auch nicht, dass bei den späteren (oder einzigen?) Amalern - also Valamir, Theoderich & Co - es keine Anzeichen für ein Sakralkönigtum gibt.
Der Institution des Sakralkönigtums stehe ich skeptisch gegenüber. Das scheint mir mehr eine Konstruktion neuzeitlicher Historiker zu sein, die ein bisschen viel heruminterpretiert haben.
Dass sich die Goten in "Dutzende" von Kleingruppen aufgelöst haben, ist außerdem nur Deine bzw. Heathers Theorie.

Es ist allenthalben zu beobachten, dass sich kleinere Gruppen angesichts militärischer Bedrohungen zusammenschließen, nur die Goten dividieren sich völlig auseinander - das ist nicht sehr wahrscheinlich, auch vor dem Hintergrund, dass zu Zeiten, die besser belegt sind, wie etwa während der Schlacht in Adrianopel, die gotischen "Völker" wieder zusammenfinden.
Dass sich die Goten "völlig auseinanderdividiert" haben, ist ja auch nur - siehe oben. Deine eigene Überlegung spricht dagegen, dass sich ein Haufen gotischer Kleingruppen in der Ukraine herumgetrieben habe statt eines großen Greutungenreiches.
 
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