Großdeutsch auf Regierungsebene

Trojan

Mitglied
Die Überschrift lässt es ja bereits erahnen:

Ich habe mich oft mit der Frage der großdeutschen Lösung befasst und gerade auch in diesem Zusammenhang natürlich mit der Frage, ob diese evtl. viel Leid und Kriege im 20 Jhd. erspart hätte.
Gut, hätte, wäre könnte, egal...

Die Großdeutsche Lösung war ja meines Wissens nach bis 1848/1866 sehr präsent.

Meine Frage wäre, inwieweit es auch im Kaiserreich auf hoher politischer Ebene (außerhalb des Alldeutschen Verbandes) in dieser Richtung Pläne für eine Fall gab, in dem z.B. der KuK-Staat durch innere Unruhen zerbricht und wie man damit umgegangen wäre.
Es ist mir klar, dass man natürlich aus Rücksicht auf den eigenen Bündnispartner Ö-U solche Pläne bis 1918 nicht publik hat werden lassen, aber die Frage wäre einfach nur, ob im Nachhinein Pläne oder Planspiele für solch einen Ernstfall aufgetaucht sind?

Ich kann es mir zwar vorstellen, halte es aber für unwahrscheinlich, dass die Reichregierung zwischen 1871 und 1918 nicht Pläne entwickelt hat, welche sich mit der Stellung des Deutschen Reiches bei einem evtl. Zusammenbruch der KuK-Monarchie beschäftigten.
Gerade unter dem Gedanken, dass der Großdeutsche Gedanke damals auch außerhalb des alldeutschen Verbandes vll nicht aggressiv propagiert aber durchaus vorhanden war.


Würde mich über eure Antworten freuen


Viele Grüße
Trojan
 
Die Überschrift lässt es ja bereits erahnen:

Ich habe mich oft mit der Frage der großdeutschen Lösung befasst und gerade auch in diesem Zusammenhang natürlich mit der Frage, ob diese evtl. viel Leid und Kriege im 20 Jhd. erspart hätte.
Gut, hätte, wäre könnte, egal...

Die Großdeutsche Lösung war ja meines Wissens nach bis 1848/1866 sehr präsent.

Meine Frage wäre, inwieweit es auch im Kaiserreich auf hoher politischer Ebene (außerhalb des Alldeutschen Verbandes) in dieser Richtung Pläne für eine Fall gab, in dem z.B. der KuK-Staat durch innere Unruhen zerbricht und wie man damit umgegangen wäre.
Es ist mir klar, dass man natürlich aus Rücksicht auf den eigenen Bündnispartner Ö-U solche Pläne bis 1918 nicht publik hat werden lassen, aber die Frage wäre einfach nur, ob im Nachhinein Pläne oder Planspiele für solch einen Ernstfall aufgetaucht sind?

Ich kann es mir zwar vorstellen, halte es aber für unwahrscheinlich, dass die Reichregierung zwischen 1871 und 1918 nicht Pläne entwickelt hat, welche sich mit der Stellung des Deutschen Reiches bei einem evtl. Zusammenbruch der KuK-Monarchie beschäftigten.
Gerade unter dem Gedanken, dass der Großdeutsche Gedanke damals auch außerhalb des alldeutschen Verbandes vll nicht aggressiv propagiert aber durchaus vorhanden war.


Würde mich über eure Antworten freuen


Viele Grüße
Trojan

Warum hätte man, als Bündnispartner bei einem potentiellen Auseinanderbrechen der Donau-Monarchie das so ohne weiteres hinnehmen sollen?
Auflösungserscheinungen des Habsburgischen Länderkonglomerats gab es ja 1848 schonmal. Damals hat maßgeblich die russische Intervention dazu beigetragen, dass es möglich war die Aufständischen in Ungarn nieder zu werfen und das ganze Konstrukt noch einmal zusammen zu halten.
So lange man ein Interesse an Österreich-Ungarn als potentiellem außenpolitischen Partner hatte, wäre es in solchen Fällen logischer gewesen im Sinne Wiens gegen die separatistischen Tendenzen zu intervenieren, wie die Russen das vorexerziert hatten.

Darüber hinaus, die Reichsleitung war von je her vor allen Dingen von preußischen Politikern, bzw. von letztlich in preußischen Diensten stehenden Politikern geprägt.
Die hatten durchaus ein Interesse daran, Preußens Sonderstellung innerhalb des Reiches zu erhalten, was extrem schwer gefallen wäre hätte man da die habsburgischen Erblande, und gegebenenfalls Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien noch mit in dieses Reich aufgenommen.
Eine Aufnahme dieser Territorien hätte das süddeutsche Gewicht innerhalb des Reiches massiv gestärkt und die in der Bismarckverfassung verankerte Vorherrschaft Preußens in Deutschland, wäre nicht in diesem Maße zu halten gewesen.
Innerhalb des Bundesrates wäre Preußen bei Aufnahme weiterer größerer, eigenständiger Territorien im Süden, seine exklusive Sperrminorität los geworden und das wäre eine ganz gravierende Machtverschiebung innerhalb Deutschlands gewesen, die Preußen und der preußischen Monarchie niemals hätte schmecken können.

Darüber hinaus, hätte dieses Deutsche Reich, sofern man das historische Tirol, Istrien und Krain aus dem österreichischen Territorialbestand mit aufgenommen hätte, sich die notorischen Probleme Österreichs mit Italien selbst aufgeladen.

Von dem her, meine ich, gab es ganz gute Gründe, im Besonderen aus der preußischen Perspektive, auch ein nachträglich zustandekommendes Großdeutschland nicht zu wünschen.
 
Als Ergänzung dazu ist m.E. der Hinweis bzw. eine These auf das dynastische Selbstverständnis von Kaiser Wilhelm I. nicht ganz unwichtig. Er hatte eine klare Vorstellung von der Legalität und der Legitimität der Außenpolitik.

Ohne eine eindeutige dynastische Legitimierung hätte er sich kaum in die "inneren Angelegenheiten" von Ö-U eingemischt oder eine territoriale Veränderung vorgenommen, die den dynastischen Ansprüchen der Habsburger entgegen standen.

Es ist eine Sache, wenn FdG aus dynastischen Interessen Krieg gegen Ö-U geführt hatte, um aus seiner Sicht das Überleben des Königreichs Preußen sicher zu stellen, aber einen Eingriff in die staatliche Integrität hätte Kaiser Wilhelm keinem seiner Minister und auch nicht seinem Kanzler gestattet.
 
Habe noch mal entsprechende Ansichten zusammengetragen. Zwei erscheinen da zielführend bzw. für mich zugänglich.

In der Sichtweise von Kaiser Wilhelm I kann man noch das Nachwirken einer "dynastical legitimated monarchical sovereignity" zu einer "popularly legitimated national sovereignity". (vgl. Bukovansky, Introduction) erkennen. Dabei ist das neunzehnte Jahrhundert die Pahse des Übergangs und prägt das Verständnis der Monarchien im klassischen Sinne noch etwas länger. Da die Autokraten direkter und persönlicher die entsprechenden außenpolitischen Entscheidungen treffen konnten.

Reus-Smit geht systematisch der Frage nach, welches Selbstverständnis die Lenker der Staaten aufwiesen.

Nach dem Westphälischen Frieden (1648) "a decidedly premodern set of Christian dynastic intersubjective values defined legitimate statehood and rightful stateaction. Under this constitutional structure, the moral purpose of the stae was linked to the preservation of a divinely ordained, rigidly hierarchical social order, and procedural justice was understood in strictly authoritative term. These values informed teh basic institutional practices of the period, generating the fundamental institutions of "old diplomacy" and naturalist interantional laws."

Dabei wurde diese Sicht über den Westphälischen Frieden, den Frieden von Utrecht (1713-15) und die diplomatischen Verhandlungen im Rahmen des Wiener Kongresses (1814-15) gelegt.

Diese Sicht wirkte sich u.a. auf die Haltung des Königs von Preußen - König Friedrich Wilhelm IV. - der sich weigerte, die Legitimation des Frankfurter Parlaments anzuerkennen und schlug die Kaiserwürde aus.

Deutlich wurde der Zusammenbruch der "alten Diplomatie" im Vorfeld des WW1, indem die Spielregeln der traditionellen Diplomatie nicht mehr der Kompkexität der Entscheidungsfindung und der damit zusammenhängenden Eigendynamik gerecht werden konnten.

Bukovansky, Mlada (2010): Legitimacy and Power Politics. The American and French Revolutions in International Political Culture. Princeton: Princeton University Press.
Reus-Smit, Christian (2009): The Moral Purpose of the State. Culture, Social Identity, and Institutional Rationality in International Relations. Princeton, New Jersey: Princeton University Press.
 
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