Großer Aufmarsch Ost - praktikabel?

Wann, wie, wer, warum?
Hm, das wird in der Literatur zu WK 1 so dargestellt. Hierzu ein Zitat aus Sebastian Haffner: "Von Bismarck zu Hitler" S.104, das ich gerade da habe.

"Außerdem begannen in diesem Jahr 1911 erneut englisch französische Generalstabsbesprechungen, die zu konkreteren Ergebnissen führten, als die vorhergehenden von 1904/05. Es wurde in Aussicht genommen, daß in einem französisch-deutschen Kriege eine englische Expeditionsstreitmacht auf dem äußersten linken französischen Flügel auftreten würde."

Was da im Detail abgemacht wurde, kann ich leider auch nicht sagen und konnte da auch nix ergoogeln zu.
 
Es geht mir um die ... konkreten englischen Kriegsplanungen betr. Belgien

Ein Teil der hier geführten Diskussion überlappt sich wohl mit http://www.geschichtsforum.de/f62/belgische-neutralit-t-14755/, worin auch die Frage einer gemeinsamen britisch-belgischen Planung indirekt mitbehandelt wurde.

Im Weltkriegswerk des Reichsarchivs (Bd. 1 [1925], S. S. 96 ff.) wird eingeräumt, es sei "nicht nachgewiesen", "daß feste Abmachungen des belgischen Generalstabes mit dem englischen über ein kriegerisches Zusammenwirken bestanden haben" (S. 97). Sicher sei indessen, dass
- 1906 streng vertrauliche Besprechungen zwischen Ducarne (belg. Generalstabschef) und Barnardiston (brit. Militärattaché) stattgefunden hätten, wobei die beiderseitige Kooperation im Kriegsfall erörtert wurde
- 1912 in gleicher Konstallation zwischen Jungbluth und Bridges weiter verhandelt wurde,
d.h. es seien beiderseits "wichtige Grundlagen" geschaffen worden, "auf denen im Kriegsfall schnell Einigkeit über ein gemeinsames militärisches Handeln erzielt werden konnte" (S. 98).

Diese Darstellung wurde 1915 bereits von Schoenborn gegeben (Die Neutralität Belgiens, in: Deutschland und der Weltkrieg, hg. v. Hintze u.a., S. 565-590), der aus erbeuteten Unterlagen des britischen Generalstabs folgerte, dass sich Belgien den Briten "militärisch völlig, auf Gnade und Ungnade, ausgeliefert" hätte (S. 584). Im eingangs erwähnten Vorläufer-Thema wird hierzu auf eine amerikanische Arbeit von 1915 verwiesen (Alexander Fuehr. The Neutrality of Belgium. 1915. Contents & Preface).

Ist seitdem nichts Relevantes mehr zu dieser Detailfrage publiziert worden?
 
Ist seitdem nichts Relevantes mehr zu dieser Detailfrage publiziert worden?

Hallo jschmidt, es gibt noch:
Lademacher, Horst, Die belgische Neutralität als Problem des europäischen Rechts 1830-1914, 534 Seiten aus 1971.

Ein historischer Rundumschlag, bzgl. 1914 und kurz davor mit - soweit ich das in Erinnerung habe - keinen weitergehenden Erkenntnissen.
 
Hallo jschmidt, es gibt noch:
Lademacher, Horst, Die belgische Neutralität als Problem des europäischen Rechts 1830-1914, 534 Seiten aus 1971.
Ein historischer Rundumschlag, bzgl. 1914 und kurz davor mit - soweit ich das in Erinnerung habe - keinen weitergehenden Erkenntnissen.

Korrektur, damit das so nicht stehenbleibt:

die Gespräche und die Haltung der Entente werden bei Lademacher detailliert behandelt.
 
Zu den Kriegsplanungen der Französischen Armee:

Zuerst war eine defensive Variante vorgesehen, bis England, Russland und Italien (!) eingreifen würden.

Nach Joffres Ernennung wurde dann eine offensive Variante bevorzugt, die ebenfalls den Bruch der Neutralität Belgiens und Luxemburgs beinhaltete. Mit „Rücksichtnahme“ auf England (man befürchtete eine Nichtteilnahme Englands)und auch wegen des Widerstandes von Teilen des Kabinetts, wurde dieser Plan in Bezug auf Belgien fallengelassen bzw. insoweit geändert, daß man sich die Möglichkeit vorbehalten hat, nach einem Einmarsch Deutschlands ebenfalls nach Belgien einzumarschieren.
Die Hauptrichtung eines französischen Stoßes sollte in Lothringen erfolgen, um dann über Luxemburg Richtung Rhein vorzustoßen (obwohl Joffre von einem Scheitern überzeugt war). Gleichzeitig sollte ein Angriff im Elsaß erfolgen.
Die Teilnahme Englands und eine gleichzeitige russische Offensive im Osten (bei Italien wurde zumindest Neutralität vorausgesetzt) waren Teil des Plans.

Dies ist eine kurze, vereinfachte Zusammenfassung der militärischen Planungen aus:

Hans Ehlert/Michael Epkenhans/Gerhard P. Groß (Hg.): Der Schlieffenplan. Analysen und Dokumente. Paderborn: Schoeningh 2006, ISBN 3-506-75629-X

Zu England schreib ich auch noch was.

Gruß

Cisco
 
Ich hatte übersehen, daß hier noch etwas war...

... wäre es dann nicht logischer gewesen, die 8. Armee ebenfalls gegen Frankreich einzusetzen, wenn man davon ausging, dass noch genug Zeit vorhanden war, sie vor Ankunft der Russen wieder nach Ostpreußen zu verlegen?

Wenn wir mit Logik herangehen (wobei Krieg und Logik ehedem schon ein seltsames Gespann an sich ist), zeigt sich in Verbindung mit militärgeschichtlichen Aspekten, daß es in der modernen Kriegsführung gemeinhin vermieden wird, nahezu 100% seiner Truppen an einer Front zusammenzuziehen. Selbst 7 von 8 Hauptarmeen derart zu konzentrieren - wie im vorliegenden Fall im Westen -, ist bereits problematisch, solange (das ist der entscheidende Punkt) andere potentielle Gegner nicht besiegt worden sind.
Auch wenn also noch eine Armee im Osten stand, war dieser Landesteil faktisch dennoch militärisch zum großen Teil entblößt.
Zum Vergleich: selbst im Mittelalter, wo man diesbezüglich nun wirklich größtenteils auf nichts anderes als Entscheidungsschlachten ausgerichtet war, vermieden Heerführer nach Möglichkeit derartige Konstellationen, welche die Konzentration großer Verbände an einem Ort und damit die gleichzeitige Entblößung der anderen Landesteile bedeutete (das war schon einem Karl d. Gr. während der Sachsenkriege bewußt). Schlachten während der Orientkreuzzüge - wie jene von Hattin 1187 oder von La Forbie (Gaza) 1244 -, bei denen faktisch (bis auf die geringen Besatzungen in Städten und Burgen) alles aufgeboten wurde, was man an Kämpfern hatte, waren diesbezüglich eher untypisch.

Wofür waren die Divisionen im Osten gedacht, wenn nicht dafür die russischen Truppen anzugreifen und zurückzuschlagen?

Zur Problematik der militärischen Entblößung von Landesdteilen siehe oben...

Sie waren planmäßig defensiv aufgestellt - v.a. wenn wir berücksichtigen, daß die beiden russischen Armeen, welche schließlich einmarschierten, gerade einmal um die 10% der russischen Haupttruppen ausmachten und jede dabei einzeln betrachtet bereits an Mannstärke die im Osten stehende 8. deutsche Armee übertraf.

Selbst für eine sichere Verteidigungslinie hätte es mindestens einer deutschen Armee mehr bedurft - daß Tannenberg gelang bzw. im wahrsten Sinne des Wortes glückte, lag wie bereits ausgeführt neben dem taktischen Geschick der Deutschen v.a. auch an den Fehlern der Russen.

Warum drängte man die Österreich zur Offensive, wenn die Russen doch eh zu spät kommen würden?

Wann startete Österreich-Ungarn denn seine Offensive gegen die russische Front? Richtig; am 26.08. 1914 zur Schlacht von Lemberg - ergo zeitgleich zur Schlacht bei Tannenberg -, als die Russen bereits sowohl in Ostpreußen als auch in Galizien eingerückt waren.
Vgl. dazu bspw. meine Ausführungen in http://www.geschichtsforum.de/209245-post22.html

Solltest Du Dich auf das offensive Vorgehen von Österreich-Ungarn gegen Serbien beziehen, so ging man von deutscher Seite ehedem davon aus, daß dies ein regionaler Konflikt sei, auf den Rußland nicht durch militärisches Eingreifen reagieren würde. Was zuegegebenermaßen eine Fehlannahme war, aber das ist eine andere Sache...

Das war aber meiner Meinung nach die alte Planung von 1905 die 1914 schon nicht mehr aktuell war.

Deine Meinung in allen Ehren, aber das ist falsch.
Die bis 1914 vorgenommenen Änderungen gegenüber dem Plan von 1905 bedeuteten v.a. eine Stärkung des linken Flügels im Westen gegenüber dem rechten Angriffsflügel.
Nicht mehr aktuell bzw. praktisch nicht mehr durchführbar machte ihn dann u.a. der Umstand, daß eben Rußland schneller mobil machte als angenommen. Erst ab diesem Zeitpunkt wurde den Deutschen bewußt, daß sie gewaltig unter Zeitdruck gerieten, wenngleich dennoch an der praktischen Umsetzung des Plans festgehalten wurde.
Anm.: Dazu genügt sogar Schlieffen-Plan ? Wikipedia - obwohl auch in diesem Artikel nicht an allen Stellen ganz sauber zwischen Plan und Umsetzung differenziert wird.
 
Zur Problematik der militärischen Entblößung ...
leuchtet mir alles sehr ein, aber ich stolpere über zwei Daten:

daß die beiden russischen Armeen, welche schließlich einmarschierten, gerade einmal um die 10% der russischen Haupttruppen ausmachten
Wenn ich die Zahlen der russischen Kriegsgliederung addiere (Weltkriegswerk, Bd. 2, S. 370 ff.), komme ich für den 26.08.14 bei der 1. und 2. Armee auf 20 Infanterie-Divisionen; alle übrigen Einheiten machen zusammen weniger als 60 Divisionen aus (plus 22 weit entfernte). Daraus ergibt sich ein Anteil von 20 %, der in der Aufmarschplanung vom 7.8.14 (S. 36) sogar noch größer war (gegen D: 34 Div., gegen ÖU: 46,5 Div.). Woher kommt die niedrige Angabe?

Den anderen Punkt habe ich schon woanders angesprochen. Er betrifft den älteren Beitrag
Dennoch griff v. Prittwitz mit der 8. Armee die 1. russische Armee an, was ihm bei Gumbinnen eine deutliche Niederlage einbrachte (19./20.08. 1914). Um nun nicht von der parallel vorrückenden 2. russischen Armee eingekesselt zu werden, erfolgte der Rückzug hinter die Weichsel.
Ob Gumbinnen "eine deutliche Niederlage" war, kann dahinstehen. Jedenfalls erfolgte kein Rückzug hinter die Weichsel, weil diese Absicht des Armee-OB nach seiner Abberufung nicht in die Tat umgesetzt wurde. Der Krieg in diesem Bereich wäre sonst anders verlaufen.
 
Wenn ich die Zahlen der russischen Kriegsgliederung addiere (Weltkriegswerk, Bd. 2, S. 370 ff.), komme ich für den 26.08.14 bei der 1. und 2. Armee auf 20 Infanterie-Divisionen; alle übrigen Einheiten machen zusammen weniger als 60 Divisionen aus (plus 22 weit entfernte). Daraus ergibt sich ein Anteil von 20 %, der in der Aufmarschplanung vom 7.8.14 (S. 36) sogar noch größer war (gegen D: 34 Div., gegen ÖU: 46,5 Div.). Woher kommt die niedrige Angabe?

Aus einer Freudschen Fehlleistung, wenn man etwas anderes tippt, als man schreiben wollte, weil man "nebenbei" im Kopf noch hin und her gerechnet hat :rotwerd:
Es sollte heißen, daß jede einzelne der beiden russischen Armee zahlenmäßig stärker war als die deutsche 8. Armee und zudem nur etwa 10% (vielleicht auch ein wenig mehr) der russischen Hauptmacht darstellte.
Ich bitte darum, mir diese verquere Formulierung nachzusehen - und Danke für den wichtigen Hinweis...

Anm.: An der grundsätzlichen Konstellation ändert dieser Verschreiber jedoch nichts.

Ob Gumbinnen "eine deutliche Niederlage" war, kann dahinstehen. Jedenfalls erfolgte kein Rückzug hinter die Weichsel, weil diese Absicht des Armee-OB nach seiner Abberufung nicht in die Tat umgesetzt wurde...

Sagen wir es so: der Rückzug hinter die Weichsel wurde befohlen und z.T. umgesetzt, wobei er jedoch nicht bis hinter die Weichsel ging.
 
leuchtet mir alles sehr ein, aber ich stolpere über zwei Daten:

Wenn ich die Zahlen der russischen Kriegsgliederung addiere (Weltkriegswerk, Bd. 2, S. 370 ff.), komme ich für den 26.08.14 bei der 1. und 2. Armee auf 20 Infanterie-Divisionen; alle übrigen Einheiten machen zusammen weniger als 60 Divisionen aus (plus 22 weit entfernte). Daraus ergibt sich ein Anteil von 20 %, der in der Aufmarschplanung vom 7.8.14 (S. 36) sogar noch größer war (gegen D: 34 Div., gegen ÖU: 46,5 Div.). Woher kommt die niedrige Angabe?

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Da habe ich aber mal gelesen, dass die russ. Armee 1914 um 75 Divisionen stärker war, als von den Mittelmächten vorher angenommen.

„Dieser Schurke [Redl] hat jeden österreichischen Spion denunziert, denn der Fall des russischen Obersten [Laikow] wiederholte sich mehrmals. Redl lieferte unsere Geheimnisse den Russen aus und verhinderte, dass wir die russischen Geheimnisse durch Spione erfuhren. So blieb den Österreichern und Deutschen im Jahre 1914 die Existenz von 75 Divisionen, die mehr als die gesamte österreichisch-ungarische Armee ausmachten, unbekannt…“

aus Wiki
 
Da habe ich aber mal gelesen, dass die russ. Armee 1914 um 75 Divisionen stärker war, als von den Mittelmächten vorher angenommen.

Klingt interessant, rechnet sich aber irgendwie nicht.:grübel:

Das Weltkriegswerk des Reichsarchivs konnte 1925 die "richtigen" russischen Zahlen verwerten. Die Truppen im Kaukasus, in Sibirien und im Fernen Osten hinzugezählt, waren es insgesamt 114,5 Infanterie- und 37,5 Kavallerie-Divisionen, die 1914 mobilgemacht wurden (Bd. 2, S. 32). Nimmt man das WP-Zitat ernst, dann heißt das: Wien hat nur mit 75 Divisionen gerechnet. Ist das plausibel?

Meine Vermutung geht eher dahin, dass man nicht geglaubt hat, dass die Russen so schnell mobilisieren könnten - das wurde hier schon gesagt - und dass das vorhandene Menschenreservoir zu einem so hohen Maße ausgeschöpft werden könnte. Freilich hatte Rußland im Frühjahr/Sommer 1914 alles getan, um seine Kampfbereitschaft auch zahlenmäßig zu untermauern. Bei Hermann Stegemanns (Geschichte des Krieges, Bd. 1 [1917], S. 377) ist zum Beispiel ein Zeitungsartikel des Kriegsministers Suchomlinow vom Juni erwähnt, worin dieser ausführt, dass Rußland sein jährliches Rekrutenkontingent von 450.000 auf 580.000 Mann aufgestockt habe; da vier Jahrgänge unter Waffen ständen, habe man 2.300.000 Mann unmittelbar unter Waffen. Stegemann schließt daraus, dass die Stärke des russischen Feldheeres einschließlich der Reserven erster Linie auf mehr als 5.000.000 geschätzt werden könne - leicht nachvollziehbare Zahlen.

Was Redl betrifft, so veranschlagen neuere Publikationen dessen Bedeutung bzw. den Schaden, den er angerichtet hat, deutlich niedriger an als vordem (siehe etwa - via Googlebooks - Günter Kronenbitter: Krieg im Frieden, 2003). Aber vielleicht hat jemand andere Informationen?
 
Zuletzt bearbeitet:
Jsschmidt schrieb:
Meine Vermutung geht eher dahin, dass man nicht geglaubt hat, dass die Russen so schnell mobilisieren könnten - das wurde hier schon gesagt - und dass das vorhandene Menschenreservoir zu einem so hohen Maße ausgeschöpft werden könnte

Sehe ich auch so.
Die Heeresreform aus dem Jahre 1910 hat hier wohl so einiges bewirkt, so das russische Mobilmachung wesentlich schneller über die Bühne ging , als man auf deutscher Seite angenommen hatte. Aber die russischemn Armeen hatten ein nicht ganz so unwesentliches Problem, nämlich den zu hohen Anteil der Kavallerie.
 
Aber die russischemn Armeen hatten ein nicht ganz so unwesentliches Problem, nämlich den zu hohen Anteil der Kavallerie.

Wobei man hierbei hinzufügen muß, daß die Kavallerie an der Ostfront aufgrund der im Vergleich zum Westen geeigneteren Geländebedingungen u. dgl. sowie v.a. der nicht so stark ausgebauten Infrastruktur noch ihre Vorteile - hier insbesondere die Beweglichkeit - zumindest einigermaßen einbringen konnte.
Anm.: Auch Österreich-Ungarn hatte dort noch einen vergleichsweise hohen Anteil an Kavallerie, während die Deutschen im Gegensatz zu den anderen Fronten im Osten auch noch ihre Kavallerie nach wie vor zum Einsatz brachten.

Richtig ist jedoch, daß die Kavallerie auf russischer Seite taktisch überschätzt wurde, da viele Generäle sie noch immer als die klassische Offensivwaffe früherer Zeiten ansahen.

Andere Probleme waren bei den Russen dabei aber mindestens genauso wesentlich...
1. Ausrüstungsstand und Logistik: es wurde bspw. anfangs zu wenig Geschützmunition veranschlagt, außerdem hatte man - wieder exemplarisch herausgegriffen - wohl auch nicht immer genügend Gewehre, um alle Soldaten adäquat auszurüsten. Desweiteren war dabei auch die Versorgung mit Lebensmitteln, also die notwendige Verpflegung, nicht immer gewährleistet - wie überhaupt auf russischer Seite mitunter gewaltige Nachschubprobleme herrschten.
2. Armeeführung bzw. Offizierskorps: die Besetzung der wichtigen Posten erfolgte zum einen nach Stand und Einfluß am Zarenhof, zum anderen nach dem Senioritätsprinzip (Rangfolge aufgrund des Alters). Dies hatte in der russischen Generalität zur Folge, daß dort oftmals diejenigen Generäle - wie bspw. Brussilov - vergleichsweise wenig Einfluß nehmen konnten, welche die veränderten Gegebenheiten einer effizienteren und v.a. erfolgreichen Kriegsführung erkannt hatten und auch bereit waren, diese Erkenntnisse umzusetzen. Dazu kam - auch hier mag wieder auf Brussilov und seine 1916 geführte Offensive referenziert werden - Rivalität in der Generalität bis hin zur Mißgunst des Erfolges - der Zar mußte bspw. den anderen Generälen im August 1916 persönlich befehlen, Brussilov zu unterstützen.
3. Technische Mängel, die v.a. bei Tannenberg zum Tragen kamen: zwar ausgestattet, aber ungeübt mit der neuen Funktechnik wurde Verschlüsselung als unwichtig erachtet.
 
Timotheus schrieb:
1. Ausrüstungsstand und Logistik: es wurde bspw. anfangs zu wenig Geschützmunition veranschlagt, außerdem hatte man - wieder exemplarisch herausgegriffen - wohl auch nicht immer genügend Gewehre, um alle Soldaten adäquat auszurüsten. Desweiteren war dabei auch die Versorgung mit Lebensmitteln, also die notwendige Verpflegung, nicht immer gewährleistet - wie überhaupt auf russischer Seite mitunter gewaltige Nachschubprobleme herrschten.

So war beispielsweise für jede schnellfeuernde Kanone nur 1.000 Geschosse vorhanden. Auf deutsche Seite waren es 3.000. Die Anzahl der Gewehre betrug 4,2 Millionen. Das reichte für die Mobilmachung und dann wurde es eng.(1) Für eine funktionierende Logistik bedurfte es eines ausgebauten Netzes an Straßen und Schienen. Wie sah es da auf russischer Seite eigentlich genau aus?


Timotheus schrieb:
3. Technische Mängel, die v.a. bei Tannenberg zum Tragen kamen: zwar ausgestattet, aber ungeübt mit der neuen Funktechnik wurde Verschlüsselung als unwichtig erachtet.

Die 2.russische Armee verfügte nur über poplige 25 Telephone.(2) Beide russische Armee hatten erschwerend den Code der jeweils anderen Armee verloren und so hat die 8.deutsche Armee gleich mitgelesen. Aber auch die 8.Armee hat unverschlüsselte Funksprüche abgesetzt, bloß ohne die Folgen, die es bei den Russsen hatte.

Timotheus schrieb:
2. Armeeführung bzw. Offizierskorps: die Besetzung der wichtigen Posten erfolgte zum einen nach Stand und Einfluß am Zarenhof, zum anderen nach dem Senioritätsprinzip (Rangfolge aufgrund des Alters). Dies hatte in der russischen Generalität zur Folge, daß dort oftmals diejenigen Generäle - wie bspw. Brussilov - vergleichsweise wenig Einfluß nehmen konnten, welche die veränderten Gegebenheiten einer effizienteren und v.a. erfolgreichen Kriegsführung erkannt hatten und auch bereit waren, diese Erkenntnisse umzusetzen. Dazu kam - auch hier mag wieder auf Brussilov und seine 1916 geführte Offensive referenziert werden - Rivalität in der Generalität bis hin zur Mißgunst des Erfolges - der Zar mußte bspw. den anderen Generälen im August 1916 persönlich befehlen, Brussilov zu unterstützen.

So isses. Oberbefehlshaber war der Onkel vom Zaren, Großbfürst Nikolai Nikolajewitsch. Stabschef wurde Januschkewitsch.


(1) Stevenson, Der Erste Weltkrieg, S.87, Düsseldorf 2006
(2) Stevenson, Der Erste Weltkrieg, S.91, Düsseldorf 2006
 
Die 2.russische Armee verfügte nur über poplige 25 Telephone.(2) Beide russische Armee hatten erschwerend den Code der jeweils anderen Armee verloren und so hat die 8.deutsche Armee gleich mitgelesen. Aber auch die 8.Armee hat unverschlüsselte Funksprüche abgesetzt, bloß ohne die Folgen, die es bei den Russsen hatte.

Ergänzend hierzu sei auch der überraschend geringe Bestand an Feldtelegraphenkabel in den russischen Armeen genannt. Ich erinnere mich gelesen zu haben, dass im gleichen Zeitaum andernorts, durch vergleichbare Kräfte der Mittelmächte, große Strecken an Feldtelegraphenkabel verlegt wurden.

Zum Thema der Ignoranz in den Kreisen der russischen Militärführung, erinnere ich mich an eine Konversation, welche ich mit einem amerikanischen Luftfahrtenthusiasten führte.

Mr Blume, der bis vor ca. einem Jahr auch ein recht interessantes Forum zur Weltkrieg I Luftfahrt, mit Schwerpunkt Russland, betrieb, erzählte mir folgendes.

In den russichen Adelskreisen sei, mit Aufkommen der Fliegerei, ein regelrechter Hype ausgebrochen. Eine nicht unerhebliche Anzahl an Adeligen habe private Flugzeuge besessen und diese bei Kriegsausbruch, sowie sich selbst als Flugzeugführer, dem Oberkommando zur Verfügung angeboten. Unter diesen adeligen Enthusiasten soll, laut Mr. Blume, sogar eine Dame gewesen sein.

Angeblich wurde dieses Angebot durch das Oberkommando aber abgelehnt. Sei es aus Skepsis an "dem neumodischen Spielzeug" gewesen, oder aber aus der Auffassung heraus, dass die Kriegsbeteiligung von Enthusiasten nicht akzeptabel sei.

Leider kann ich dieses Gespräch nicht mit Quellen untermauern, daher sei es nur am Rande erwähnt. Mr Blume's Webseite existiert noch, das Forum ist jedoch seit fast einem Jahr geschlossen. Seitdem habe ich auch keinen Kontakt mehr zu ihm.
 
Hm, alle Informationen hier im Strang sind sehr interessant, liefern mir aber leider immer noch keine Antwort auf die Frage nach der Schublade mit den Alternativen zum Schlieffenplan. Was hat sich zwischen 1905 und 1913 geändert, dass der Generalstab keine Pläne mehr für einen Angriff im Osten bei gleichzeitiger Defensive gegen Frankreich für nötig hielt?

Es wurde doch durchaus einiger Aufwand betrieben, Informationen aus Russland zu bekommen. Wären dann nicht auch ständig aktualisierte Sandkastenspiele nötig? Ich möchte daher noch mal auf meine Fragen im ersten Beitrag des Stranges zurückkommen.
Selbst wenn ein Angriff im Osten keine schnelle militärische Entscheidung gebracht hätte, wäre nicht diplomatisch eine ausreichend vorteilhafte Situation entstanden? Zusammen mit Österreich wäre gegen die Russen Druck gemacht worden (das Österreich sich so schwer gegen die Serben tut hätte sich wohl keiner vorstellen können), England wäre nicht automatisch gegen Deutschland marschiert und Frankreich hätte das Problem eines Aufmarschs im Gegensatz zur belgischen Neutralität gehabt...

Solwac
 
Ich denke, dass der Russisch-japanische Krieg von 1904/05 eine Rolle gespielt haben dürfte. Russland wurde in der Folge durch innere Unruhen erschüttert. Die russische Armee war in einen geschwächten Zustand und es wurde davon ausgegangen, dass dieser einige Jahre andauern würde. Das hat sich dann beispielsweiseauch im Jahre 1908 bei der bosnischen Annektionskrise bestätigt. Russland konnte nicht so fest auftreten, wie es sicher gerne gewollt hätte, da die Armee nicht kriegsbereit war.

1905/06 entstand dann Schlieffen seine Denkschrift „Krieg gegen Frankreich“. Der Plan sah bekanntermaßen ja eigentlich einem Einfrontenkrieg vor, zunächst sollte mit der großen Masse des deutschen Feldheeres Frankreich besiegt werden und anschließend sollte dann gegen Russland marschiert werden.
 
Hm, alle Informationen hier im Strang sind sehr interessant, liefern mir aber leider immer noch keine Antwort auf die Frage nach der Schublade mit den Alternativen zum Schlieffenplan. Was hat sich zwischen 1905 und 1913 geändert, dass der Generalstab keine Pläne mehr für einen Angriff im Osten bei gleichzeitiger Defensive gegen Frankreich für nötig hielt?

Es wurde doch durchaus einiger Aufwand betrieben, Informationen aus Russland zu bekommen. Wären dann nicht auch ständig aktualisierte Sandkastenspiele nötig? Ich möchte daher noch mal auf meine Fragen im ersten Beitrag des Stranges zurückkommen.
Selbst wenn ein Angriff im Osten keine schnelle militärische Entscheidung gebracht hätte, wäre nicht diplomatisch eine ausreichend vorteilhafte Situation entstanden? Zusammen mit Österreich wäre gegen die Russen Druck gemacht worden (das Österreich sich so schwer gegen die Serben tut hätte sich wohl keiner vorstellen können), England wäre nicht automatisch gegen Deutschland marschiert und Frankreich hätte das Problem eines Aufmarschs im Gegensatz zur belgischen Neutralität gehabt...

Solwac


Tja,
wenn man gewusst hätte, wie stark MG-bestückte Feldstellungen sind, hätte man es bestimmt so gemacht.

Die Franzosen hatten eine moderne Festungslinie die nach damaligem Kenntnisstand nicht zu knacken war, was sich in Verdun ja auch bestätigte.
Die Deutschen nicht.

Dann war bekannt, dass die Russen ostwärts Ostpreußen-Galizien aufmarschieren würden, sie also zuerstmal gar nicht "zu packen" waren.

Und dann natürlich der Zeitfaktor, dass die Mittelmächte keinen längeren Krieg mangels Ressourcen führen konnten, war bekannt.
Dementsprechend musste die "schnelle" Entscheidung gesucht werden, und die Chance sah man im Westen.
 
Wenn denn England aus dem Krieg gehalten werden könnten, reichen dann die Ressourcen nicht länger? Lang genug um einen politischen Frieden mit den Russen zu schließen und die Franzosen so zu bremsen, wie es ja auch Schlieffen im Elsass geplant hatte?

Solwac
 
Wenn denn England aus dem Krieg gehalten werden könnten, reichen dann die Ressourcen nicht länger? Lang genug um einen politischen Frieden mit den Russen zu schließen und die Franzosen so zu bremsen, wie es ja auch Schlieffen im Elsass geplant hatte?

Solwac

Ab der 2. Marokkokrise war man sich sicher, dass die Briten "auf jeden Fall" mit Frankreich gehen würden.
Es wurde ja nicht nur der Bruch der belgischen Neutralität genannt, auch ein Angriff auf die atlantischen Seeverbindungen Frankreichs hat Grey als "Cassus Belli" aufgeführt.
 
Ab der 2. Marokkokrise war man sich sicher, dass die Briten "auf jeden Fall" mit Frankreich gehen würden.
Es wurde ja nicht nur der Bruch der belgischen Neutralität genannt, auch ein Angriff auf die atlantischen Seeverbindungen Frankreichs hat Grey als "Cassus Belli" aufgeführt.

Aber wenn Deutschland Großbritannien nicht den Gefallen getan hätte, die belgische Neutralität zu mißachten, wäre der Kriegseintritt Großbritanniens nicht sicher gewesen. In der Julikrise, selbst als Deutschland Frankreich und Russland am 01.August bzw. 03.August den Krieg erklärt hat, war man sich in London nicht sicher, ob der Casus belli gegeben sei.
 
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