Großer Aufmarsch Ost - praktikabel?

@Turgot: In der Julikrise, selbst als Deutschland Frankreich und Russland am 01.August bzw. 03.August den Krieg erklärt hat, war man sich in London nicht sicher, ob der Casus belli gegeben sei.

Ich denke mal, es stand schon in London ein fester Beschluss. Nur hielt man aus innenpolitischen Gründen noch eine Schamfrist von einigen Tagen ein.
 
Aber wenn Deutschland Großbritannien nicht den Gefallen getan hätte, die belgische Neutralität zu mißachten, wäre der Kriegseintritt Großbritanniens nicht sicher gewesen. In der Julikrise, selbst als Deutschland Frankreich und Russland am 01.August bzw. 03.August den Krieg erklärt hat, war man sich in London nicht sicher, ob der Casus belli gegeben sei.

Es gab klare britisch-franz. Absprachen.
Die Franzosen haben ihre flotte im Mittelmeer konzentriert, dadurch die Briten dort entlastet.
Die Briten übernahmen dafür den Schutz der franz. Seeverbindungen im Atlantik.

wie immer .... was wäre wenn.....

Wenn mein Onkel Brust hätte wär´s meine Tante....
 
Ich denke mal, es stand schon in London ein fester Beschluss. Nur hielt man aus innenpolitischen Gründen noch eine Schamfrist von einigen Tagen ein.

Im Kabinett gab es aber da ganz unterschiedliche Strömungen, wobei eine Mehrheit für den Frieden eintrat.

So kam beispielsweise das britische Kabinett Ende Juli 14 zu dem Schluß, "Die britische öffentliche Meinung wird es un jetzt nicht gestatten, Frankreich zu unterstützen..... wir können im Moment nicht sagen, was uns verpflichtet...." (K.Wilson, Britisch Cabinets Decision for War)

Chruchill hat sich vom Kabinett eine glatte Absage eingeholt, als er am 01.August 1914 die Flotte mobil machen lassen wollte. (1) Der Premierminister Asquith sagte zu Churchill:" Wir können nicht gegen unsere eigene Mehrheitsmeinung handeln." (2)

Noch am 02.August morgens wankte das Kabinett, ob es denn als Garantiemacht Belgiens handeln müsse, denn die anderen Mächte seien ebenfalls untätig.

"Alle Versuche des russischen und insbesondere des französischen Botschafters in London, eine verbindliche Zusage zum Kriegseintritt zu erhalten, musste Grey ausweichend beantworten, da die Kabinettsmehrheit für eine britische Nichteinmischung plädierte." (3) Der französische Botschafter in London meinte frustiert, " In Zukunft wird man das Wort Ehre aus dem englischen Wörterbuch streichen müssen." (4) Die Entente befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer ernsten Krise.

"In London verzweifelte an diesem 01.August der französische Botschafter Paul Cambon, weil die Briten sich weigerten, Position zu beziehen. Großbritannien hatte während der ganzen Krise darauf gesetzt, dass – wie so oft zuvor – direkte Gespräche zwischen den beteiligten Partnern die Schwierigkeiten lösen würden. Als eine durch Verträge nicht gebundene Macht hatte es seine Absichten vor allen anderen Mächten – auch vor Frankreich – verheimlicht." (5)


(1) Quelle Fromkin, Europas letzter Sommer, München 2005

(2) Haffner, Die sieben Todsünden des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, S.35, Hamburg 1981

(3) Neitzel, Kriegsausbruch, S.192, Zürich 2001

(4) Haffner, Die sieben Todsünden des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, S.35, Hamburg 1981

(5) Keegan, Der Erste Weltkrieg, S.108, Hamburg 2000
 
Die Zusammenarbeit Englands und Frankreichs bei den Flotten bedeutet doch nicht automatisch eine Beteiligung englischer Truppen am Kampf gegen Deutschland. Deswegen finde ich es ja immer noch so erstaunlich, dass der Generalstab keine Alternativen in die Schubladen gepackt hat.

Solwac
 
Die Zusammenarbeit Englands und Frankreichs bei den Flotten bedeutet doch nicht automatisch eine Beteiligung englischer Truppen am Kampf gegen Deutschland. Deswegen finde ich es ja immer noch so erstaunlich, dass der Generalstab keine Alternativen in die Schubladen gepackt hat.

Solwac

Ich schrieb es doch schon, die Russen marschierten weiter östlich auf, (machten nicht den Fehler wie die Polen 1939) waren für die damalige Vormarschgeschwindigkeit nicht rechtzeitig zu packen, und hatten die Tiefe des Raumes für sich.

Schlieffen, Moltke usw. gingen davon aus, dass die Mittelmächte einen längeren Krieg nicht durchstehen könnten. Wobei, länger hieß damals 12 Monate.
Dass zB rechtzeitig die großtechnische Ammoniak-Synthese gelingen würde, konnte man ja nicht voraussehen.

Siegen oder sterben hieß die Parole, und das sofort.
 
Die Zusammenarbeit Englands und Frankreichs bei den Flotten bedeutet doch nicht automatisch eine Beteiligung englischer Truppen am Kampf gegen Deutschland. Deswegen finde ich es ja immer noch so erstaunlich, dass der Generalstab keine Alternativen in die Schubladen gepackt hat.

Solwac

Und ich schrieb auch schon das Folgende:

Ich denke, dass der Russisch-japanische Krieg von 1904/05 eine Rolle gespielt haben dürfte. Russland wurde in der Folge durch innere Unruhen erschüttert. Die russische Armee war in einen geschwächten Zustand und es wurde davon ausgegangen, dass dieser einige Jahre andauern würde. Das hat sich dann beispielsweiseauch im Jahre 1908 bei der bosnischen Annektionskrise bestätigt. Russland konnte nicht so fest auftreten, wie es sicher gerne gewollt hätte, da die Armee nicht kriegsbereit war.

1905/06 entstand dann Schlieffen seine Denkschrift „Krieg gegen Frankreich“. Der Plan sah bekanntermaßen ja eigentlich einem Einfrontenkrieg vor, zunächst sollte mit der großen Masse des deutschen Feldheeres Frankreich besiegt werden und anschließend sollte dann gegen Russland marschiert werden.
 
Wenn ich Eure Beiträge richtig verstehe, dann rechtfertigt also die Entwicklung der Jahre nach 1905 (schwaches Russland, materielle Schwierigkeiten bei einem längeren Krieg) die Fixierung auf einen einzigen Plan, der noch dazu nicht einmal konsequent war?
Gerade in dem Jahr (1913), wo durch die Heeresvermehrung neue Möglichkeiten bestanden und durch die Balkankriege Änderungen erfolgten soll dann der Generalstab einer seiner wichtigsten Aufgabe, der Vorbereitung auch unwahrscheinlicher Alternativen, beraubt werden?

Solwac
 
Ein ganz wichtiges Problem des Schlieffenplans war doch, das dieser den Primat der Politik einfach vollkommen mißachtet hat.

Schlieffen ging zu seiner Zeit, wohl auch nicht ganz ohne Berechtigung, davon aus, das Russland, zu seiner Amtszeit, nicht in der Lage sein würde, Frankreich im Falle eines Krieges durch eine Offensive im Osten wirksam zu unterstützen bzw. entlasten.

Moltke ging aber fest davon aus, das er es mit Frankreich und Russland zu tun bekäme. Seiner Meinung nach machte es daher auch keinen großen Sinn, einen großen Aufmarschplan Ost vorzubereiten.(1)

Waldersee führt hierzu ergänzend aus, "An einer Stelle können wir nur stark und überlegen sein, das Wichtigste ist das Niederringen Frankreichs und seiner westlichen Verbündeten." (2)


(1) Moltkes Randbemerkung zu Schlieffens Denkschrift vom 28.12.1912 zitiert in Ritter, Schlieffenplan, S.185

(2) Waldersee, Meine Erinnerungen zu Beginn des Krieges, September 1914, S.1 und S.3, BA-MA,W 10/51032 hier zitiert nach Ehlert, Epkenhans und Groß, Der Schlieffenplan, S.93
 
Wenn ich Eure Beiträge richtig verstehe, dann rechtfertigt also die Entwicklung der Jahre nach 1905 (schwaches Russland, materielle Schwierigkeiten bei einem längeren Krieg) die Fixierung auf einen einzigen Plan, der noch dazu nicht einmal konsequent war?
Gerade in dem Jahr (1913), wo durch die Heeresvermehrung neue Möglichkeiten bestanden und durch die Balkankriege Änderungen erfolgten soll dann der Generalstab einer seiner wichtigsten Aufgabe, der Vorbereitung auch unwahrscheinlicher Alternativen, beraubt werden?

Solwac


Die "Heeresvermehrung" haben die Franzosen sofort konterkariert, indem sie die Dienstzeit verlängerten.

Nochmals, die Deutschen hatten keinen modernen Festungsriegel wie die Franzosen.
Und man wusste einfach nicht wie stark MG-Bestückte Feldstellungen waren, sonst wäre vielleicht eine Alternative denkbar gewesen.

Und ebenfalls nochmals, ab der 2. Marokkokrise war man sich in Deutschland "sicher" dass die Briten unbedingt mit den Franzosen gehen würden.
 
Ab der 2. Marokkokrise war man sich sicher, dass die Briten "auf jeden Fall" mit Frankreich gehen würden.
Aber höchstens auf Seiten der Militärs, Bethmann hat ja gerade deswegen, die Krise auf dem Balkan angeheizt, weil er hoffte, bei der gegebenen Konstellation - Russland/Serbien vs Östereich - England aus dem Krieg heraushalten zu können.

Schlieffen, Moltke usw. gingen davon aus, dass die Mittelmächte einen längeren Krieg nicht durchstehen könnten. Wobei, länger hieß damals 12 Monate.
Dass zB rechtzeitig die großtechnische Ammoniak-Synthese gelingen würde, konnte man ja nicht voraussehen.
Das Haber-Bosch Verfahren wurde aber schon 1910 zum Patent angemeldet. Die großtechnische Anwendung war vor Kriegsbeginn nur nicht ökonomisch sinvoll. Hätte die Heeresleitung auf einen Defensivkrieg gesetzt, hätte sie das Verfahren entsprechend weiterentwickeln lassen können, um für einen langen Krieg gerüstet zu sein. Andere Rohstoffe hätte sie auf Vorrat lagern können. Immerhin konnte Deutschland vier Kriegsjahre ohne jede Vorbereitung überstehen.
 
...um für einen langen Krieg gerüstet zu sein. Andere Rohstoffe hätte sie auf Vorrat lagern können. Immerhin konnte Deutschland vier Kriegsjahre ohne jede Vorbereitung überstehen.

Die Wirtschaftsprobleme im Krieg (Lebensmittel und Industrie-Rohstoffe) wurden durchaus prognostiziert und in Denkschriften vermittelt.

Vgl. zB Anlagen 82 und 85 in Reichsarchiv, Der Weltkrieg 1914-18, Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft I, S. 344 sowie zugehöriger Anlageband.

Dazu die Wertung: "Im Jahre 1913 und 1914 ... konnte man indes nicht voraussehen, in wie ganz anderer Art als früher ein moderner Krieg das ganze Volk, die gesamte Wirtschaft und das Finanzkapital völlig in Anspruch nehmen würde."

Bemerkenswert ist, dass in einigen Denkschriften die Auswirkungen der umfassenden Seeblockade untersucht wurden. Man ging in den schlechten Szenarien nur noch von offenen schweizer und österreichischen Grenzen aus.

Zu bedenken ist weiter, dass die Lagersteuerung der Industrie eine entsprechende Kontrolle und Leitungskompetenz voraussetzt. Die war nicht gegeben, es gelang nicht einmal, die existierenden Lagerbestände zu schätzen. Lediglich die Schlüsselbereiche Kohle/Stahl sah man wohl - bei kürzerer Kriegsdauer (Engpaß Arbeitskräfte) - als unproblematisch an.
 
Dazu die Wertung: "Im Jahre 1913 und 1914 ... konnte man indes nicht voraussehen, in wie ganz anderer Art als früher ein moderner Krieg das ganze Volk, die gesamte Wirtschaft und das Finanzkapital völlig in Anspruch nehmen würde."
Aber es war nicht notwendig die gesamte Wirtschaft unter Kriegs- und Blockadebedingungen am Laufen zu halten, sondern lediglich die kriegswichtigen Teilbereiche (Nahrung, Transport und Rüstung), indem man nötige Rohstoffe und Personal bereitstellte, durch Lagerhaltung und Freistellung vom Militär.

Zu bedenken ist weiter, dass die Lagersteuerung der Industrie eine entsprechende Kontrolle und Leitungskompetenz voraussetzt. Die war nicht gegeben, es gelang nicht einmal, die existierenden Lagerbestände zu schätzen. Lediglich die Schlüsselbereiche Kohle/Stahl sah man wohl - bei kürzerer Kriegsdauer (Engpaß Arbeitskräfte) - als unproblematisch an.
Im Grunde setzt sie das nicht voraus. Um den Rohstoffbedarf sichern zu können, muss man nur den Bedarf kennen, sonst nichts. Produktion und Bestand im Inland kann man vom Bedarf abziehen, wenn sie bekannt sind, aber man muß nicht.
Das Problem lässt sich außerdem umgehen, indem man nicht Rohstoffe sondern Fertigprodukte einlagert. Anstatt Munition für 6 Monate vorrätig zu halten und für die weitere Zeit zu hoffen, dass man den Bedarf "irgendwie" trotz Blockade nachproduzieren kann, kann man genausogut Munition für 3 Jahre vorrätig halten und hat dadurch die brit. Blockade wirkungslos gemacht. Gleiches gilt für Getreide, wo die importierten Düngemittel dann quasi schon enthalten sind.
Im Prinzip war der Heeresleitung ja bewußt, dass die deutsche Flotte, den Rohstoffimport wahrscheinlich nicht würde sichern können, also hätte sie vorbeugen müssen.
 
Aber es war nicht notwendig die gesamte Wirtschaft unter Kriegs- und Blockadebedingungen am Laufen zu halten, sondern lediglich die kriegswichtigen Teilbereiche (Nahrung, Transport und Rüstung), indem man nötige Rohstoffe und Personal bereitstellte, durch Lagerhaltung und Freistellung vom Militär.

Im Grunde setzt sie das nicht voraus. Um den Rohstoffbedarf sichern zu können, muss man nur den Bedarf kennen, sonst nichts. Produktion und Bestand im Inland kann man vom Bedarf abziehen, wenn sie bekannt sind, aber man muß nicht.
Das Problem lässt sich außerdem umgehen, indem man nicht Rohstoffe sondern Fertigprodukte einlagert. Anstatt Munition für 6 Monate vorrätig zu halten und für die weitere Zeit zu hoffen, dass man den Bedarf "irgendwie" trotz Blockade nachproduzieren kann, kann man genausogut Munition für 3 Jahre vorrätig halten und hat dadurch die brit. Blockade wirkungslos gemacht. Gleiches gilt für Getreide, wo die importierten Düngemittel dann quasi schon enthalten sind.

Sicher erscheint das vom grünen Tisch alles regelbar. So ein wenig hat mich der Ansatz an die Autarkiepolitik erinnert (mal ganz abgesehen von deren "Erfolg"), eben mit dem Unterschied, hier eine "gleichgeschaltete" Wirtschaft vorzufinden und Steuerung per Diktat erledigen zu können. Das war vor 1914 eben nicht gegeben.

Zur Reservehaltung zwei Anmerkungen:

Wenn ich einen Vortrag zur globalen Getreideproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg richtig in Erinnerung habe, reichten Jahresproduktionen zB an Getreide bis heute aufgrund des Weltbedarfs kaum 6-8 Wochen über die jeweiligen Erntezeiten hinweg. Die Einschätzung der Wirtschaftsstäbe vor 1914 nennen Zahlen (Quelle s.o.) von 6,5 Millionen Tonnen Zufuhrbedarf p.a. Ich sehe nicht, dass vor 1914 die Produktionsverhältnisse und der Bedarf grundlegend anders gelegen haben, von technischen Voraussetzungen der Deponierung mal ganz abgesehen. Wenn Du das dagegen als realisierbar ansiehst, wäre ich mal auf Hinweise dafür gespannt.

Bei Rohstoffen, Munition und Gerät wäre es durchaus vorstellbar, strategische Kriegsreserven zu deponieren. Hier scheitert das am Problem der Industrie-Steuerung, die solche Überlegungen voraussetzen (Kapazitäten, Verbrauch und Bestände).

Staatlich geführte, industrielle Steuerung der kriegswirtschaftlichen Rüstung mit Rohstoffreserven und strategischen Nahrungsmittelreserven würde ich daher vom Stand 1914 aus als science fiction ansehen.
 
Anstatt Munition für 6 Monate vorrätig zu halten und für die weitere Zeit zu hoffen, dass man den Bedarf "irgendwie" trotz Blockade nachproduzieren kann, kann man genausogut Munition für 3 Jahre vorrätig halten und hat dadurch die brit. Blockade wirkungslos gemacht. Gleiches gilt für Getreide, wo die importierten Düngemittel dann quasi schon enthalten sind.
Im Prinzip war der Heeresleitung ja bewußt, dass die deutsche Flotte, den Rohstoffimport wahrscheinlich nicht würde sichern können, also hätte sie vorbeugen müssen.


Diese Punkte waren den Entscheidern insbesondere Moltke allesamt sehr bewusst.

Daher auch das ganze Hasardspiel mit Schlieffenplan usw.
Die haben doch, ich weiß nicht ob Dir Skat geläufig ist, einen Grand Hand ohne Vieren gespielt. Wenn die Karten "geschickt" verteilt, und die anderen Beiden blöd sind, kann das sogar klappen.

Als die dt. Armeen sich an der Marne zurückziehen mussten, war der Krieg verloren. Insbesondere nach dem Verständnis des dt. Generalstabs.
 
Diese Punkte waren den Entscheidern insbesondere Moltke allesamt sehr bewusst.

Als die dt. Armeen sich an der Marne zurückziehen mussten, war der Krieg verloren. Insbesondere nach dem Verständnis des dt. Generalstabs.

Diese Meinung teile ich. Mit dem Bewegungskrieg im Westen war nach der Marneschlacht und dem anschließenden „Wettlauf zum Meer“ nun für die nächsten Jahre Feierabend und das Konzept des Schlieffenplan war grandios gescheitert.

Somit war auch klar dass die große Masse des deutschen Feldheeres im Westen gebunden bleiben würde. Es konnten nicht wie vorgesehen, die große Masse des Feldheeres nach Osten verlegt werden, um dort sich den Russen zu stellen.
 
Diese Punkte waren den Entscheidern insbesondere Moltke allesamt sehr bewusst. Daher auch das ganze Hasardspiel mit Schlieffenplan usw.
Diese Meinung teile ich.

Da sind wir zu dritt.
Man rechnete mit wenigen Monaten, die durchzuhalten waren, in Erwartung der englischen Blockade und mit durchlässigen (weil neutralen) italienischen Grenzen, mindestens seit dem Dezember-Memo zur militärischen Lage des Deutschen Reichs zum Jahresende.

Die Bemühungen richteten sich (nur) darauf, die kritische Eisenbahn-Transportlage aufgrund des absehbaren militärischen Beschlags zu organisieren. Die öster.-ung. Nahrungsmittelimporte wurden dabei fest einkalkuliert, es würde allerdings an rollendem Material fehlen. Nicht einmal für diesen - ja nur zeitlich begrenzten - Engpaß wurden Lagerbestände in Erwägung gezogen.
 
Wenn ich einen Vortrag zur globalen Getreideproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg richtig in Erinnerung habe, reichten Jahresproduktionen zB an Getreide bis heute aufgrund des Weltbedarfs kaum 6-8 Wochen über die jeweiligen Erntezeiten hinweg. Die Einschätzung der Wirtschaftsstäbe vor 1914 nennen Zahlen (Quelle s.o.) von 6,5 Millionen Tonnen Zufuhrbedarf p.a. Ich sehe nicht, dass vor 1914 die Produktionsverhältnisse und der Bedarf grundlegend anders gelegen haben, von technischen Voraussetzungen der Deponierung mal ganz abgesehen. Wenn Du das dagegen als realisierbar ansiehst, wäre ich mal auf Hinweise dafür gespannt.
Da die Weltbevölkerung etwa 80 mal größer ist als die Bevölkerung Deutschlands, reicht ein Weltbedarf für 8 Wochen für Deutschland ca. 640 Wochen oder 13 Jahre. Aufgabe wäre also gewesen 8% des Welt-Getreideüberschusses aufzukaufen und nach Deutschland zu verfrachten. Oder, wenn man die Anschaffung auf mehrere Jahre streckt, entsprechend weniger. Wenn man davon ausging, den Fehlbedarf in Kriegszeiten per Handelsschiffahrt decken zu können, dürften die notwendigen Transportkapazitäten vorhanden gewesen sein.
Was die Deponierung angeht, waren meines Wissens bereits die alten Ägypther in der Lage große Getreidemengen bis zu vier Jahre auf Vorrat zu lagern.
Wenn die Weltreserven heute nur 6-8 Wochen groß sind, liegt das nicht am technischen Unvermögen, sondern am politischen Willen. Politisches Ziel ist es keine Überschüsse zu produzieren, sowas kippt man ins Meer.

Bei Rohstoffen, Munition und Gerät wäre es durchaus vorstellbar, strategische Kriegsreserven zu deponieren. Hier scheitert das am Problem der Industrie-Steuerung, die solche Überlegungen voraussetzen (Kapazitäten, Verbrauch und Bestände).
In "Weltkrieg und Revolution" steht dazu:
"Eine von ihnen [Walter Rathenau und Wichard von Moellendorff] angeregte Umfrage bei 900 großen Industriebetrieben ergab im August 1914, dass die vorhandenen Rohstoffvorräte meist nur noch ein halbges Jahr ausreichten.[...]Rathenau gelang es trotz mannigfaltiger Schwierigkeiten, die freien Kräfte der Wirtschaft im Sinne einer effizienten Rohstoffgewinnung und -verteilung zu organisieren."


Seltsam, Rathenau war durchaus in der Lage die existierenden Lagerbestände zu schätzen, wozu die Heeresleitung angeblich nicht in der Lage war. Ich habe bei der Heeres- und Marineleitung das Gefühl, das Sachen, die sie nicht machen wollten, immer technisch unmöglich waren. Frankreich in 6 Wochen niederwerfen, oder England per U-Boot-Flotte in 6 Monaten besiegen, war aber möglich, denn das hätten sie gerne gemacht.

Man rechnete mit wenigen Monaten, die durchzuhalten waren, in Erwartung der englischen Blockade und mit durchlässigen (weil neutralen) italienischen Grenzen, mindestens seit dem Dezember-Memo zur militärischen Lage des Deutschen Reichs zum Jahresende.
Wegen des Schlieffenplans, aber es geht ja um den "Aufmarsch Ost". Trotzdem scheinen 6 Monate reichlich knapp gerechnet um Rußland niederzuwerfen. Von August gerechnet dann offenbar im Winterfeldzug bis Februar 1915.

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Als die dt. Armeen sich an der Marne zurückziehen mussten, war der Krieg verloren. Insbesondere nach dem Verständnis des dt. Generalstabs.
Warum hat er dann nicht kapituliert? Wozu 4 Jahre Krieg, 20 Mio Tote, der ganze Aufwand, wenn der Krieg verloren war?
Ein Skat-Spieler spielt niemals Hasard. Wenn er keine gute Siegchance kalkuliert, dann passt er. Moltke hat den Schlieffenplan auch nicht in dem Sinne umgesetzt. Man zieht doch nicht 2 Armeekorps ab, wenn man damit seine einzige Siegchance gefährdet. Beim Grand spielt man Ässer oder hält die Fresse.
 
Warum hat er dann nicht kapituliert? Wozu 4 Jahre Krieg, 20 Mio Tote, der ganze Aufwand, wenn der Krieg verloren war?
Ein Skat-Spieler spielt niemals Hasard. Wenn er keine gute Siegchance kalkuliert, dann passt er. Moltke hat den Schlieffenplan auch nicht in dem Sinne umgesetzt. Man zieht doch nicht 2 Armeekorps ab, wenn man damit seine einzige Siegchance gefährdet. Beim Grand spielt man Ässer oder hält die Fresse.

Wenn der eine Plan nicht funktioniert kommt man mit anderen. Ist ja klar.
Man hat ja inzwischen die Russen aufs Haupt gehauen.

Aber von der Papierform war es absolut klar. Wenn der Krieg nicht in wenigen Monaten gewonnen werden kann, gibt es keine Chance.
Dass die Entente am Ende die halbe (2/3) Welt aufbieten mussten, um das vorhersehbare Ergebnis zu erreichen, ist eine andere Geschichte.

Die einzige Legitimation für den Schlieffenplan und die Verletzung der belgischen Neutralität ist jedenfalls diese immense Unterlegenheit an eigentlich allem Nötigen für einen Krieg.
 
Ich möchte mal ein kurzes Zwischenfazit ziehen:

  • Politisch (Belgien -> England) wäre der Ostaufmarsch deutlich besser gewesen. Auch hätte eine Reaktion Deutschlands gegen Russland besser zu den Aktionen Österreichs gepasst.
  • Militärisch wäre der Krieg zwar von vornherein länger angelegt gewesen, aber die Stärke des Heeres wäre ausreichend gewesen. Die Vorzüge des Eisenbahnnetzes wären so vielleicht noch besser zur Geltung gekommen.
  • Die Versorgungs- und Nachschubsituation wäre zumindest nicht schlechter gewesen. Ohne die sofortige Kriegserklärung Englands wäre der Überseehandel nicht sofort eingebrochen und hätte Lebensmittel und wichtige wehrtechnische Rohstoffe reingelassen. Eine deutlich verbesserte Vorratshaltung wäre wohl nur schwer realisierbar gewesen. Die Kosten sind das eine und das Beispiel Getreide zeigt, dass geraume Zeit nötig gewesen wäre.

Nachteilig wäre die mangelnde Einbindung der Flotte gewesen. Die Befürworter der Flottenpolitik hatten großen Einfluss, ein Krieg gegen Russland bot kaum "Ruhm" und Frankreich war nur schwer erreichbar (die Engländer hätten wohl kaum die Deutsche Flotte im Kanal geduldet).

Neben fehlenden militärischen Plänen fehlt aber doch auch ein politischer Plan. Was also hätten die Truppen erreichen sollen? Wie hätte ein geschwächtes/geschlagenes Russland aussehen sollen? Alle Änderungen hätten ja in einem Friedensvertrag auch mit Frankreich abgesegnet werden müssen. Eine einseitige Lösung zugunsten der Mittelmächte hätte also kaum akzeptiert werden können, umgekehrt zeigen die Entwicklungen 1918 die Träumereien mancher Deutscher.
Zudem wurden die Auswirkungen des Nationalismus in Osteuropa wohl von fast allen falsch eingeschätzt. Neben dem Westen Russlands wäre auch Österreich selbst bei einem Sieg davon beeinträchtigt worden.

Solwac
 
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