Gründe für den Tod von Kriegsgefangenen

Carolus

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Während des Krieges sind Millionen von Soldaten in Kriegsgefangenschaft geraten. Alleine zwischen 1941 und 1945 sind von 6 Mio. Sowjet-Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft 3,3 Mio. umgekommen. Diese starben in und auf dem Weg in Kriegsgefangenlager, in deutschen KZ durch Unterernährung oder wurden ermordet und starben unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen als Zwangsarbeiter.

Wie ist das bei den Soldaten zu bewerten, die im Laufe der ersten Wochen und Monate des Überfalls auf die Sowjetunion (Operation Barbarossa) in Gefangenschaft geraten sind? War die Wehrmacht nicht auf die derartigen Massen von Gefangenen vorbereitet oder wurde der Tod der Gefangenen im Rahmen der NS-Ideologie als slawische Untermenschen billigend im Kauf genommen?

Im Rahmen der Nürnberger Prozesse gegen das Oberkommando der Wehrmacht scheinen die Bedingungen in den Kriegsgefangenlager nur Nebenrolle gepielt zu haben (zumindest scheint es laut dem Wiki-Artikel so zu sein: Prozess Oberkommando der Wehrmacht ? Wikipedia).
 
Wie ist das bei den Soldaten zu bewerten, die im Laufe der ersten Wochen und Monate des Überfalls auf die Sowjetunion (Operation Barbarossa) in Gefangenschaft geraten sind? War die Wehrmacht nicht auf die derartigen Massen von Gefangenen vorbereitet oder wurde der Tod der Gefangenen im Rahmen der NS-Ideologie als slawische Untermenschen billigend im Kauf genommen?

Gerlach argumentiert, dass vor allem drei Elemente es rechtfertigen, von einer Vernichtungspolitik gegenüber den sowjetischen Kriegsgefangenen zu sprechen.
- die Massenerschießungen
- die frühe Hungerpolitik
- die Verschärfung der Versorgungsproblematik im Herbst 41

Dabei ergibt sich, so Gerlach, keine grundsätzliche Unterschiede in der Sichtweise zwischen OKW, OKH und politischer Führung

Die Ursachen bzw. notwendigen Voraussetzungen für diese Entwicklung sind dabei:
- Antikommunismus als Feindbild
- Rassismus gegenüber den Slawen ("gut", dass vorher der "Phänotyp" deutlich bestimmt worden ist), als sozialdarwinistisches Weltbild
- die hohe Zahl der Gefangenen als logistisches Problem, das man aber im Vorfeld bereits kannte
- mangelhafte logistische Möglichkeit zur Versorgung

Interessant ist, dass die durchschnittliche Todesrate polnischer Kriegsgefangener niedriger lag, was auch auf die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Kriegsführung und die ideologische Verschärfung des Vernichtungskriegs verweisen würde.

Und noch deutlich besser schneiden die Kriegsgefangenen im Westen ab, wie die Franzosen oder die Engländer, die deutlich niedrigerer Todesraten hatten.

Verbrechen der Wehrmacht: Bilanz einer Debatte - Google Books
 
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Gerlach argumentiert, dass vor allem drei Elemente es rechtfertigen, von einer Vernichtungspolitik gegenüber den sowjetischen Kriegsgefangenen zu sprechen.
- die Massenerschießungen
- die frühe Hungerpolitik
- die Verschärfung der Versorgungsproblematik im Herbst 41

Dabei ergibt sich, so Gerlach, keine grundsätzliche Unterschiede in der Sichtweise zwischen OKW, OKH und politischer Führung

Die Ursachen für diese Entwicklung sind dabei:
- Antikommunismus
- Rassismus gegenüber den Slawen (gut dass vorher der "Phänotyp" deutlich bestimmt worden ist)
- die hohe Zahl der Gefangenen
- mangelhafte logistische Möglichkeit zur Versorgung

Interessant ist, dass die durchschnittliche Todesrate polnischer Kriegsgefangener niedriger lag, was auch auf die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Kriegsführung und die ideologische Verschärfung des Vernichtungskriegs verweisen würde.

Und noch deutlich besser schneiden die Kriegsgefangenen im Westen ab, wie die Franzosen oder die Engländer, die deutlich niedrigerer Todesraten hatten.

Verbrechen der Wehrmacht: Bilanz einer Debatte - Google Books

Ich bin in dem Aufsatz von Gabler auf S. 41 (siehe Google-Books-Link aus dem vorherigen Beitrag) auf eine für mich überraschende Aussage gestoßen:

Die erwarteten Gefangenenzahlen wurden 1941 weder regional noch insgesamt erreicht[...]

Ich hätte eigentlich erwartet, dass die Zahl der Gefangenen in der ersten Phase unerwartet hoch gewesen wäre, aber anscheinend sind dann sogar noch mehr Gefangene erwartet worden. Das relativiert meine ursprüngliche Annahme, dass die Wehrmacht mit der hohen Anzahl von Sowjetsoldaten überfordert gewesen sei.

Lassen die Quellen Aussagen zu, wieviele Gefangene wann gemacht worden sind, und wieviele davon starben durch Unterernährung, Hinrichtungen?
 
Sorry, bei Krivosheev sind für die einzelnen Kämpfe keine "MIA", keine "POW" etc. ausgewiesen. Für das 3. Quartal / 41 gibt er den Wert mit 1.699.099 an und für das 4. Quartal mit 636.383 (S.96 mit allem Vorbehalt für die Zahlen!)

Soviet Casualties and Combat Losses in the Twentieth Century - G. F. Krivosheev - Google Books

Insgesamt war die Diskussion über die Behandlung der Kriegsgefangenen und der russischen Zivilbevölkerung im NS-System auch widersprüchlich.

So verweist beispielsweise Mazower darauf, dass Rosenberg vor den katastrophalen psychologischen Auswirkungen des Todes von Millionen von sowjetischen Kriegsgefangenen gewarnt hat. Er befürchtete - zu Recht - eine Steigerung des Widerstandswillens der Soldaten der Roten Armee und der Erschwerung der Verwaltung der besetzten Gebiete. Auch mit der Konsequenz der zunehmenden Bedeutung von Partisanenverbänden, gestärkt durch Rotarmisten aus Verbänden, die zerschlagen worden sind.

Und hielt in diesem Zusamenhang Himmler eine "rassische und politische Naivität" vor (S. 157). Eine erstaunlich "pragmatische" Beurteilung des NS-Chef-Ideologen und Vordenker der NS-Rasse-Ideologie.

Hitlers Imperium: Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus - Mark Mazower - Google Books
 
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Die Angabe bei Gerlach über die Schätzungen vor Kriegsbeginn kann ich nicht nachvollziehen. Auf welche Quelle soll sich das stützen?

Ein Hinweis auf eine weitere Studie, die sich abschnittsweise mehr aus der Froschperspektive (der Verbandsebene und Lokalitäten) dem Ereignis nähert: Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg, Front und militärisches Hinterland 1941/42.

Er schichtet die Ursachen für dieses millionenfache Sterben nach dem Weg der Kriegsgefangenen ab, und untersucht das beispielhaft:

1. der erste Faktor sind die Gefangenennahmen: hier ist eine Brutalisierung im Verlauf 1941 festzustellen: auf deutscher Seite gab es Fälle, in denen keine Gefangenen "gemacht" wurden, aber auch auf russischer Seite sank (durch Propaganda, Nachrichten drangen kaum durch) die Bereitschaft, in Gefangenschaft zu gehen (der Wjasma-Kessel ist dafür ein Beispiel).

2. die Behandlung der Gefangenen im Frontraum: hier stiegen die Probleme der deutschen Seite insbesondere durch die ab Oktober zusammenbrechende Logistik. Selbst in Einzelbeispielen, bei denen mit Kriegsgefangenen besser umgegangen werden sollte, war das tatsächlich nicht möglich.

3. die deutschen logistischen Probleme führten weiter bei der Rückverbringung in die Stalags zu steigenden Opferzahlen. Nahrungsmittel, Winterkleidung, Unterkünfte, medizinische Versorgung waren nicht vorhanden. Die provisorischen Lager - zwischenzeitlich war auch die Hitler die Abschiebung nach Westen sogar untersagt worden - wiesen katastrophale Zustände auf. Das Problem wurde durch die Konzentrierung weiter verschärft - von den Sammelstellen wie Minsk gibt es erschütternde Berichte. Von diesen logistischen Schwierigkeiten war bereits die Wehrmacht selbst betroffen, umso mehr die Kriegsgefangenen, die in der Versorgung als Letzte standen.

Das Ganze eskalierte vor dem Hintergrund der Frontlage, der Logistik und den Witterungsbedingungen im Winter 1941/42. Selbst Anfang 42, als möglichst viel Gefangene zur Zwangsarbeit ins Reichsgebiet geholt werden sollten, besserten sich die Verhältnisse erst mit dem Frühjahr.

Das ist insgesamt ein Verschulden der Wehrmacht. Vorbereitungen waren nicht getroffen, Ressourcen nicht vorhanden. Dieses massenhafte Sterben im Rückraum war unter diesen katastrophalen Bedingungen "programmiert", von höheren Stellen sicher mindestens billigend in Kauf genommen worden. Die Gefangenenschicksale wurden hier Teilaspekt des Vernichtungskrieges.

Über die Zahlen gibt es in der Forschung mit den Projekten in der VfZ seit 2008 einiges Neues. Unverändert versucht man ungefähr, dass Ausmaß des Sterbens zu erfassen.
 
Das ist insgesamt ein Verschulden der Wehrmacht. Vorbereitungen waren nicht getroffen, Ressourcen nicht vorhanden. Dieses massenhafte Sterben im Rückraum war unter diesen katastrophalen Bedingungen "programmiert", von höheren Stellen sicher mindestens billigend in Kauf genommen worden. Die Gefangenenschicksale wurden hier Teilaspekt des Vernichtungskrieges.

Offensichtlich war es das größte Verbrechen der Wehrmacht.
Schließlich fiel der Umgang mit den Kriegsgefangenen in deren direkten Verantwortungsbereich.
Man könnte anführen, daß wie so vieles bei "Barbarossa" auch die Behandlung der Kriegsgefangenen lediglich eine Art "Improvisation" war. Aber dies kann sicherlich keinerlei Rechtfertigung darstellen.
Die höheren Stellen im OKW und OKH haben dieses Massensterben sicherlich billigend in Kauf genommen.
Das wirklich große Sterben begann wohl ab Herbst 1941. Hier kamen durch diverse Kesselschlachten (Kiew, Wjasma, Brjansk) allein noch ca. 1,5 Millionen Gefangene hinzu. Danach kam das Steckenbleiben der deutschen Offensive, der harte Wintereinbruch, sowie eine schwierige Versorgungslage des deutschen Heeres.
Und spätestens hier wurde auch der Dilettantismus der logistischen Planung des Feldzuges offenkundig. Und was die Kriegsgefangenen anging: Da wurden die Rationen einfach gekürzt.
(vergl. Hartmann: Unternehmen Barbarossa: C.H. Beck 2011)

Interessant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß gerade die Aufbringung von Nahrungsmitteln aus den besetzten Ostgebieten eine wirtschaftlich wichtige Zielsetzung war. Das ging hin bis zu konkreten Planungen.
Stichwort: Hungerstrategie
Eine drastische Senkung des Verbrauchs an Vorräten im Lande für ein Höchstmaß an Lebensmittel für Reichszwecke.
 
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Nochmals einige vieleicht auch ungeordnete Überlegeungen zum Thema:

Viele sowjetische Kriegsgefangene sind offensichtlich aufgrund fehlender Nahrungsmittel, bzw. Hunger verstorben.
Das zusätzliche Aufbringen von Nahrungsmitteln aus den besetzten Ostgebieten war nun von Anfang an ein wichtiges Kriegsziel. Reichsernährungsministerium und OKW hatten sich auf eine Hungerstrategie gegenüber der sowjetischen Bevölkerung verständigt. Nicht nur sollte die Versorgung des Reichsgebietes, sondern auch die Versogung des Ostheeres durch die Eroberungen verbessert werden. Das dies den Hungertod auch von Millionen von Sowjetbürgern bedeuten würde, wurde billigend in Kauf genommen.
Belastungen für die deutsche Bevölkung sollten vermieden werden und die eroberten Gebiete rücksichtslos ausgebeutet werden. Staatssekretär Backe erstellte eineen Vierjahresplan und errechnete ein Defizit von 1,65 Millionen Tonnen Getreide und außerdem die Aufbringung von 1,5 Millionen Tonnen Ölsaat.

Zum Massensterben von sowjetischen Kriegsgefangenen ist es dann nicht mehr sehr weit:
Die festgelegten Rationen mußten zur Unterernährung führen.
Die Mehrheit der drei Millionen Kriegsgefangenen hatte keine Chance zum Überleben.
Diese starre Haltung wurde durchbrochen, als es am Einsatz sowjetischer Kriegsgefangener hinsichtlich der deutschen Kriegswirtschaft fehlte. Voraussetzung für die Arbeitskraft war eine angemessene Ernährung. Allerdings betraf dies nur einen geringen Teil der Kriegsgefangenen. Das Massensterben ging weiter.

Insgesamt ist dies ein weiteres Indiz für den von Nazideutschland proklamierten Vernichtungskrieg. Für eine derart hohe Anzahl von Kriegsgefangenen gab es weder Verwendung, noch einen wirklichen Plan, wie man mit diesen umgehen sollte. Der Tod ansich, bzw. der Hungertod war wohl von vorneherein eingeplant.
(vergl. Das deutsche Reich und der 2. Weltkrieg: Band 4: Der Angriff auf die Sowjetunion: Die Ernährungsfrage zwischen Hungerstrategie und Pragmatismus)
 
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