Grundgesetz unabänderbar?

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Gast

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Artikel 1-19 unseres Grundgesetzes gelten als unabänderbar. Rein fiktiv: Ist es theoretisch legal möglich, diese Artikel doch zu ändern, wenn z.B. eine Partei eine 2/3-Mehrheit bekommt?
Mal unterstellt, diese Partei hat in ihrem Wahlprogramm angegeben, dass sie die Verfassung abschaffen und eine Diktatur errichten will und trotzdem wird diese Partei mehrheitlich vom Volk gewählt; Könnte sie dann das komplette Grundgesetz über den Haufen werfen?
Artikel 20 GG besagt (sinngemäß), dass eine politische Vereinigung, die die Grundrechte stürzen will, verboten wird, bzw. das Volk auch aktiv dagegen vorgehen darf. Auf der anderen Seite besagt der letzte Artikel des GG, dass die Verfassung durch eine andere, vom Volk akzeptierte und gewählte Verfassung ersezt werden darf (und diese neue Verfassung muss dann ja keine Grundrechte mehr beinhalten - sie wäre als faktisch tot).
Kennt sich jemand damit aus? Irgendwelche Juristen hier mit Fachgebiet Verfassungsrecht?
 
Mercy schrieb:
Die braucht man nicht. Lies den Grundrechtskatalog, denke an Pisa und alle Fragen sind beantwortet.
Selbst über ein Thema nachzudenken - auch wenn man, so wie bei deiner Frage, nicht mit einem offiziellen Kompetenzstempel bestückt ist - ist sicherlich eine gute Idee. Haben die Macher des Grundgesetzes ja auch getan...

Den Rest - u.a. die sogenannte "Ewigkeitsklausel" - findet man z.B. hier erklärt.
 
Gast schrieb:
Auf der anderen Seite besagt der letzte Artikel des GG, dass die Verfassung durch eine andere, vom Volk akzeptierte und gewählte Verfassung ersezt werden darf (und diese neue Verfassung muss dann ja keine Grundrechte mehr beinhalten - sie wäre als faktisch tot).
Kennt sich jemand damit aus? Irgendwelche Juristen hier mit Fachgebiet Verfassungsrecht?
Übrigens: Das Grundgesetzt ist keine richtige Verfassung, wie man eben am Schluß des GG lesen kann.
Artikel 146
"Dieses GG, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."

So sind wir derzeit eigentlich ein Volk ohne Verfassung, lediglich mit einem Übergangs- oder eben Grundgesetz. Die Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands hat längst stattgefunden, nur die Verfassung lässt auf sich warten. Andererseits würde eine Änderung wohl nur bezüglich des Namens von statten gehen, so gut wie wir bisher mit dem Gesetz gefahren sind.
 
Nur zur Klarheit: Soweit ich mich erinnere, gilt die Unabänderlichkeit für Artikel 1 UND Artikel 20, nicht Artikel 1 BIS Artikel 20.
 
Papa Leo schrieb:
Nur zur Klarheit: Soweit ich mich erinnere, gilt die Unabänderlichkeit für Artikel 1 UND Artikel 20, nicht Artikel 1 BIS Artikel 20.

Ja, das stimmt. Geregelt ist das in Art. 79 III GG:

"Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig."
 
Robert Craven schrieb:
Übrigens: Das Grundgesetzt ist keine richtige Verfassung, wie man eben am Schluß des GG lesen kann.
Artikel 146
"Dieses GG, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist."

So sind wir derzeit eigentlich ein Volk ohne Verfassung, lediglich mit einem Übergangs- oder eben Grundgesetz. Die Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands hat längst stattgefunden, nur die Verfassung lässt auf sich warten. Andererseits würde eine Änderung wohl nur bezüglich des Namens von statten gehen, so gut wie wir bisher mit dem Gesetz gefahren sind.
Ich denke mal dieser Artikel bezieht sich auf die Tatsache, dass das GG nicht von der Deutschen Bevölkerung in einer Volksabstimmung legitimisiert wurde. Als das GG in Kraft trat hätte eine Volksabstimmung unter Ausschluß der deutschen Bevölkerung in der SBZ stattgefunden. Die Trennung Deutschlands in zwei Staaten war damals noch nicht beschlossen und somit wiedersprach ein Ausschluß der Deutschen in der SBZ von der Abstimmung sicherlich den Vorstellungen der Alliierten.

In wie weit nun dieser Artikel heute von Bedeutung ist vermag ich natürlich nicht sagen, dazu brauchen wir wohl einen Juristen.
 
Dann mal eine ganz blöde frage.
Wenn Artikel 1 und 20 laut Artikel 79 III nicht abänderbar sind so läßt sich doch aber der Artikel 79 III abändern wodurch der weg zu Artikel 20 und 1frei wäre, oder sehe ich das Falsch?
 
Hau-Schild schrieb:
Dann mal eine ganz blöde frage.
Wenn Artikel 1 und 20 laut Artikel 79 III nicht abänderbar sind so läßt sich doch aber der Artikel 79 III abändern wodurch der weg zu Artikel 20 und 1frei wäre, oder sehe ich das Falsch?

Hab jetzt gerade kurz einen Juristen angerufen. Er meint, dass das möglich wäre.
 
M.A. Hau-Schild schrieb:
Dann mal eine ganz blöde frage.
Wenn Artikel 1 und 20 laut Artikel 79 III nicht abänderbar sind so läßt sich doch aber der Artikel 79 III abändern wodurch der weg zu Artikel 20 und 1frei wäre, oder sehe ich das Falsch?
zu Artikel 20 würde ich sagen ja, aber das basiert nur auf meiner Meinung und meinem Textverständnis.
Bei mir in dem Buch wo ich so "Grundwissensfragen" nachschlage, steht z.B. zu den Artikeln 1-17 des GG: Die Grund- und Menschenrechte stehen an zentraler Stelle der Verfassung und sind "vorstaatlich" und damit unaufhebbar.

Dies würde wohl dann nur eine Änderung des Artikel 20 zulassen, welcher ja wohl die "Staatsform" festlegt.
 
M.A. Hau-Schild schrieb:
Was macht dann dieser Artikel für einen Sinn ? :kratz:


Das hab ich mich auch gefragt. Aber ich denke (persönliche Meinung!!!), diese Klausel ist in erster Linie dazu da, um die besondere Wichtigkeit dieser Bestimmungen hervorzuheben.
 
M.A. Hau-Schild schrieb:
Dann mal eine ganz blöde frage.
Wenn Artikel 1 und 20 laut Artikel 79 III nicht abänderbar sind so läßt sich doch aber der Artikel 79 III abändern wodurch der weg zu Artikel 20 und 1frei wäre, oder sehe ich das Falsch?


Ein ganz klares jein. Wäre eine spannende Frage, denn (Zitat aus der Wikipedia):
"Ob Artikel 79 Absatz 3 ebenfalls den Schutz der Unabänderlichkeit genießt wird verbreitet angenommen, obwohl es nicht direkt aus dem Wortlaut zu entnehmen ist. Andernfalls würde aber die Schutzwirkung faktisch sinnlos werden, was nicht dem Zweck der Norm und der Zielsetzung des verfassungsgebenden Gesetzgebers entsprechen würde."
 
Papa_Leo schrieb:
Ein ganz klares jein. Wäre eine spannende Frage, denn (Zitat aus der Wikipedia):
"Ob Artikel 79 Absatz 3 ebenfalls den Schutz der Unabänderlichkeit genießt wird verbreitet angenommen, obwohl es nicht direkt aus dem Wortlaut zu entnehmen ist. Andernfalls würde aber die Schutzwirkung faktisch sinnlos werden, was nicht dem Zweck der Norm und der Zielsetzung des verfassungsgebenden Gesetzgebers entsprechen würde."
Ich denke eine Änderung der Artikel 1 und 20 des GG ist in keinem Fall zulässig. Laut Artikel 79 (1) Darf das GG nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des GG ausdrücklich ändert oder ergänzt. Würde man diese Möglichkeit auf 79 (3) anwenden, z.B. so: "Eine Änderung dieses GG, durch welche [...] die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist ZULÄSSIG" so hätte man zwar den Wortlaut klar geändert, nur wäre das entstandene Gesetz für die Katz und damit unzulässig. Die Aussage wäre: "Ab jetzt gelten auch für die Artikel 1 und 20 die selben Bedingungen wie für alle anderen Artikel". Ich interpretiere Artikel 79 (1) so, dass kein Gesetz ohne Sinn erlassen werden darf, oder ein einfaches Aufheben eines Artikels, ohne irgend einen Ersatz unzulässig ist. Somit auch die Aufhebung von 79 (3).

sheik schrieb:
Ich denke mal dieser Artikel bezieht sich auf die Tatsache, dass das GG nicht von der Deutschen Bevölkerung in einer Volksabstimmung legitimisiert wurde. [...] In wie weit nun dieser Artikel heute von Bedeutung ist vermag ich natürlich nicht sagen, dazu brauchen wir wohl einen Juristen.
Der Artikel bezieht sich wirklich darauf das, wie schon gesagt, unser GG keine Verfassung im eigentlichen Sinne ist. Natürlich hängt das mit dem Inkrafttreten ohne vorherige Volksabstimmung ab. Dieses Faktum trifft auch heute noch zu. Das GG heist noch immer GG und eine Volksabstimmung hat es bisher nicht gegeben. Wir können mehr als dankbar dafür sein, das dieses eher von außen und als Provisorium erarbeitete Gesetzeswerk so hervorragende Inhalte aufweist. In diesem Sinne, ein HOCH auf unser Grundgesetz!!!!!!! :hoch:
 
Mal abgesehen davon:
Einer befreundeten Jura-Studentin wurde in ihrem Verfassungsrechtsseminar vor Jahren eine HAusarbeit zu folgender Frage gegeben:
"Willi Wusel gewinnt mit seiner Partei die 2/3 - Mehrheit im Bundestag. Als erstes läßt er folgendes Gesetz beschließen: 'Die Regierung kann Gesetze erlassen.'
(So ähnlich jedenfalls)
Ich war erstaunt zu hören, daß das wohl tatsächlich verfassungsrechtlich möglich ist. Ein Ermächtigungsgesetz II scheint also auch nicht ausgeschlossen.
 
butterkeks schrieb:
Mal abgesehen davon:
Einer befreundeten Jura-Studentin wurde in ihrem Verfassungsrechtsseminar vor Jahren eine HAusarbeit zu folgender Frage gegeben:
"Willi Wusel gewinnt mit seiner Partei die 2/3 - Mehrheit im Bundestag. Als erstes läßt er folgendes Gesetz beschließen: 'Die Regierung kann Gesetze erlassen.'
(So ähnlich jedenfalls)
Ich war erstaunt zu hören, daß das wohl tatsächlich verfassungsrechtlich möglich ist. Ein Ermächtigungsgesetz II scheint also auch nicht ausgeschlossen.

Doch, ist es: http://www.uni-wuerzburg.de/dreier/material/k107_fall02.pdf
 
Mal abgesehen von juristischen Fragen, ist es trotzdem unwahrscheinlich, wenn eine 70 % Mehrheit der Bürger für eine Abschaffung der demokratischen Ordnung ist, dass das Grundgesetz noch zu halten ist.
Eine solche Mehrheit existiert dann ja nicht nur im Bundestag und in der Bundesregierung, sondern auch (im Einzelfall vielleicht in abgeschwächter Form) in allen anderen Bundes-und Landesinstitutionen.
Der Link von Papa Leo zeigt doch auch, dass die Klagebefugnis gegen das "Ermächtigungsgesetz" nur eine Landesregierung und ein Drittel der Bundestagsabgeordneten hätte. Ein Drittel der Abgeordneten kommt bei einer 70 % Mehrheit schon nicht mehr zusammen und ob noch eine oppostionelle Landesregierung existiert (existieren kann, in dieser Situation) ist auch mehr als fraglich.

Fazit: Wenn mehr als Zweidrittel der Wähler gegen das Grundgesetz ist und sie dies auch in den Wahlen zu Ausdruck bringen, ist das GG nicht zu halten - eine Demokratie lebt und stirbt mit der demokratischen Gesinnung ihrer Bürger.
 
Diese Hausarbeitsfragen scheinen Standart zu sein.
Schöne Sache, daß papa leo so schnell die richtige Stelle parat hat. Wieder was gelernt. Und meine Freundin hat damals entweder die Arbeit versägt, mein Gedächnis trübt mich oder es gibt, wie so häufig im Recht, mehr als eine richtige Antwort.

Aber wie sagt man: Es geht nicht darum Recht zu sprechen, sondern darum ein Urteil zu fällen.
 
Oh je, das ist eine schwere Frage. Aber §20 Art. 4 sagt ja bereits aus, dass die derzeitige Grundordnung alle Bürger verteidigen können. Somit wäre zum Beispiel eine Mehrheit im Bundestag, die das Grundgesetz massiv verändern will, dazu verdammt, von einer demokratischen Minderheit bekämpft zu werden.
Auf gut bananenrepublikanisch: Staatsstreich durch das Militär, um das Grundgesetz zu verteidigen. Oder von welchen Bürgern auch immer. Aber auf jeden Fall gewaltsam und laut Grundgesetz legal. Somit geniesst unser Grundgesetz Bestandsschutz in alle Ewigkeit. Oder Bürgerkrieg bis in alle Ewigkeit.
 
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