H. Kantorowicz zur deutschen Außenamtskorrespondenz vor 14

Diskursant

Mitglied
Mitte 1923 wurde der hochangesehene und erwiesene Rechtsexperte Herrman Kantorowicz im Zusammenhang mit der Versailler Kriegsschuldanklage
zu einem Gutachten berufen, wo die tatsächliche Kriegsschuldlage
juristisch geklärt werden sollte.
So unternahm Kantorowicz die Durchsicht der verfügbaren Korrespondenzien aller wesentlichen Mitarbeiter und Angestellten der Außenamts in ca 20 Jahren vor 14. (müssen zig1000e Dokumente gewesen sein). Das überraschende Ergebnis,
ich zitiere:
". . .deren wohl wichtigstes Ergebnis ist, das in der ganzen Vorkriegszeit, alle Reichskanzler und deren Staatssekretäre überhaupt, fast das ganze Auswärtige Amt und alle Botschafter e i n s t i m m i g die Angriffsabsichten unserer Nachbarn mit schlagenden Argumenten und auf Grund von Tatsachen, nicht von Vorurteilen, v e r n e i n t e n. Kein einziger hat von ihnen der 'Einkreisung', sofern sie daran glaubten, einen anderen Sinn ,als den der Isolierung Deutschlands, keiner hat ihr einen aggressiven Sinn beigelegt."
Nun stellt sich die Frage, aufgrund welcher Informationen kam die 'Einkreisungs'legende zustande, und aufgrund welcher Daten begründete das Kriegskabinett seine Wehrvorlagen?
Wenn ich den Gegner in der grundsätzlichen Defensive weiß,
warum muß ich dann Präventiv- Angriffspläne schmieden?

D
 
Keine Antwort auf die Frage; nur noch etwas der Uni Kiel dazu:

Von 1923 bis 1929 arbeitete er im Auftrag des Untersuchungsausschusses des Reichstages an einem Gutachten über die Frage nach der Schuld am Ersten Weltkrieg. Dabei gelangte er zu dem politisch unerwünschten Ergebnis, dass in erster Linie die Mittelmächte die Kriegsschuld treffe. Die politischen Entscheidungsträger bestanden darauf, dass dieses Gutachten – entgegen dem ausdrücklichen Willen von Kantorowicz – nicht veröffentlicht werden durfte. Das Gutachten wurde erstmals 1967 publiziert. Auch für den heutigen Leser ist leicht nachvollziehbar, weshalb sein Inhalt in der Weimarer Zeit Anstoß erregen musste. Kantorowicz behandelt die Kriegsschuldfrage im Rahmen eines strafrechtlichen Gutachtens, prüft also bestimmte Tatbestände – wie die »Friedensgefährdung« und den »Friedensbruch« –, Handlungen, Rechtfertigungsgründe, das Verschulden und die Verwerflichkeit. Er gelangt zum Ergebnis, dass Deutschland, Österreich-Ungarn, England, Frankreich, Russland und Serbien sich einer fortgesetzten »Friedensgefährdung« schuldig gemacht hätten. In einem ausführlichen Kapitel billigt er allerdings Kaiser Wilhelm II. lediglich verminderte Zurechnungsfähigkeit zu. Des »Friedensbruches« hätten sich Deutschland, Österreich-Ungarn, Frankreich und Russland schuldig gemacht, wobei die beiden Mittelmächte als »hauptschuldig« zu erklären seien.11 Er vertritt im Übrigen die Ansicht, dass es 1914 weder eine »Einkreisung Deutschlands in kriegerischer Absicht« noch ein deutsches »Weltherrschaftsstreben« gegeben habe.
Uni Kiel  –  Hermann Kantorowicz
 
Mitte 1923 wurde der hochangesehene und erwiesene Rechtsexperte Herrman Kantorowicz im Zusammenhang mit der Versailler Kriegsschuldanklage
zu einem Gutachten berufen, wo die tatsächliche Kriegsschuldlage
juristisch geklärt werden sollte.
So unternahm Kantorowicz die Durchsicht der verfügbaren Korrespondenzien aller wesentlichen Mitarbeiter und Angestellten der Außenamts in ca 20 Jahren vor 14. (müssen zig1000e Dokumente gewesen sein). Das überraschende Ergebnis,
ich zitiere:

Nun stellt sich die Frage, aufgrund welcher Informationen kam die 'Einkreisungs'legende zustande, und aufgrund welcher Daten begründete das Kriegskabinett seine Wehrvorlagen?
Wenn ich den Gegner in der grundsätzlichen Defensive weiß,
warum muß ich dann Präventiv- Angriffspläne schmieden?

Interessant ist, dass so ausgesprochen spezielle Quellen wie das Gutachten von Kantorowitcz scheinbar "bekannt" sind, aber gleichzeitig dann völlig "naiv" Fragen formuliert werden, die in jeder besseren Übersichtsdarstellung zum WW1 relativ konsensual dargestellt werden. :confused:

Hillgruber ist schon älter, aber m.E. noch sehr interessant, berührt aber das Thema zentral, in der Darstellung
Deutschlands Rolle in der Vorgeschichte der beiden Weltkriege - Andreas Hillgruber - Google Books

und Strachan ist sicherlich einer der "relevantesten" Historiker zum Thema WW1
Der Erste Weltkrieg: Eine neue illustrierte Geschichte - Hew Strachan - Google Books

Man kann natürlich auch die "Schlafwandler" heranziehen, allerdings ist die grundsätzliche Darstellung der Position der DR ähnlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Keine Antwort auf die Frage; nur noch etwas der Uni Kiel dazu:


Uni Kiel *–* Hermann Kantorowicz



buschons zum Gruße
Der Kantorowicz hat doch so manches Detail herausgefunden, betrefflich der Verantwortung der Reichsführung, welche der Restwelt offenbar immer noch verborgen geblieben sind. Das obige Zitat weist doch eindeutig auf die defensive Grundhaltung der Nachbarstaaten, ja liefert gewissermaßen den 'Beweis'.
Eine Darstellung zum Thema in dieser Prägnanz habe ich nirgendwoanders gefunden. Bei keinem anderen Autoren.
Wer macht sich schon die Mühe solche Halden an Korrespondenzien zu durchforsten. (wenn K von "allen Reichskanzlern" schreibt, muss er mindestens 3e meinen, also mind 30 Jahre. . .) Außerdem konnte K damals noch zahlreiche Zeitzeugen befragen. Ein Wissensschatz sondergleichen.
Bei seinen Recherchen stieß K übrigens noch auf andere Beweise.
er fand heraus, dass aus wichtigen Dokumenten "Teile verfälscht und/oder nachträglich falsche eingefügt worden waren"
Im juristischen Gebrauch gilt der nachgewiesene Fälschungsversuch bereits als Schuldgeständnis. . .
Auch dieses Detail habe ich bei niemand anderem gefunden.
Und Kantorowicz hat noch mehr geliefert. . .


Hillgruber ist schon älter, aber m.E. noch sehr interessant, berührt aber das Thema zentral, in der Darstellung
Deutschlands Rolle in der Vorgeschichte der beiden Weltkriege - Andreas Hillgruber - Google Books

und Strachan ist sicherlich einer der "relevantesten" Historiker zum Thema WW1
Der Erste Weltkrieg: Eine neue illustrierte Geschichte - Hew Strachan - Google Books

danke für die Bücherempfehlungen

philohistorisch

D
 
Kantorowicz dachte nicht nur in juristischem sondern gleichermaßen in politischem Kontext in der ihm eigenen Brillianz. So zB dies hier:
(sinngemäß) Wäre ÖU die Zerschlagung Serbiens gestattet worden, war damit zu rechnen, dass Wien Serbien nicht einverleibt ,sondern an die Nachbarstaaten aufgeteilt hätte. Die kleinen Balkanstaaten wären so in eine Koalition mit Wien genötigt worden und bei einem kommenden Krieg gegen RL hätten sie ihren Raub verteidigen müssen. Der Balkan wäre für RL auf unabsehbare Zeit verloren gewesen.
Eine inakzeptable Machtverschiebung zu ungunsten des 2er-Verbands.
Die Moltkes und Hötzendorffs wussten schon was sie im Schilde führten. . .

D
 
Ist ja alles ganz nett, auch die Lobhudelei und Kaffeesatzleserei zum Balkan, aber wie wäre es denn mal substantiell:

- mit etwas Quellenkritik* zu Kantorowicz?

- oder mit einer soliden Analyse seiner völkerrechtlichen Tatbestands-Vorstellungen (Völkergewohnheitsrecht, bilaterales Vertragsrecht, Kodifiziertes Völkerrecht)?,

- oder bezüglich seiner Subsumtionen?

- den Kontext zur Völkerrechtlichen Angriffskriegs- (bzw. "Aggression) Debatte der Nachkriegszeit und die Probleme in der Entwicklungsgeschichte des Briand-Kellog-Paktes?

* insbesondere hinsichtlich weiterer Autoren, und der Evidenz des Materials.
 
zum Gruße

Es war und ist nicht meine Absicht, Kantorowicz' juristische Analysen zur Kriegsschuld hier auszubreiten. (das gehörte ins Forum 'Weimarer Republik", wofür mir derzeit die bes Rechte fehlen...)
mangels Aufzeichnungen zitiere ich Gandolf, der sich zu Anfang des Strangs 'erhebliche Kriegsschuld' zu K äußerte. . . .
[FONT=trebuchet ms, tahoma, verdana, arial, helvetica]Kantorowicz kam im Mai 1927 zu folgendem Ergebnis: „Allen vier schuldigen Regierungen stehen in den wechselseitigen Provokationen der Vorkriegszeit mildernde Umstände zur Seite, keiner ein Rechtfertigungsgrund, da der Krieg von Deutschland als Präventivkrieg, von Österreich-Ungarn als Verzweiflungskrieg, von Frankreich und von Rußland als Machterhaltungskrieg beschlossen worden ist. Die vier Regierungen tragen also gemeinsam die Schuld am Friedensbruche. Jedoch sind unter den beteiligten Regierungen, die der Mittelmächte, unter ihnen die österreichisch-ungarische Regierung, unter den beteiligten Regierungsmitgliedern der Urheber des ganzen Unternehmens, der ungarische Graf Berchtold, als hauptschuldig zu erklären. (Hermann Kantorowicz, Kriegsschuldfrage 1914, hrsg. von Immanuel Geiss, 1967, S. 423). [/FONT]​
und
Hier müssen wir uns auf den Boden eines bereits werdenden Völkerrechts stellen, das im Bewusstsein der Völker schon mächtig lebt: im Sinne dieses Maßstabes sprechen wir von „Schuld“. Wenn wir einem Staate die „Schuld“ an einem Kriege geben, so meinen wir, dass er einen im Sinne des schon damals werdenden Völkerrechts nicht gerechtfertigten Krieg geführt hat. Ein solches Schuldurteil hat sich mit Recht oder Unrecht als eine ungeheure Tatsache erwiesen. Es hat Millionen von Männern gegen den für schuldig Erklärten auf das Schlachtfeld geführt; es hat den Frieden von Versailles zwar nicht geschaffen, aber in den Augen der Siegervölker gerechtfertigt erscheinen lassen. Es ist völlig aussichtslos, statt nur die bisherige Beantwortung der Schuldfrage zu widerlegen, diese Frage selbst aus der durch sie bewegten Welt schaffen zu wollen. Die Völker wissen wohl, dass mit dem Verdammungsurteil über die Kriegsschuldigen das stärkste sittliche Bollwerk gegen den nächsten Krieg dahinsinken würde. Noch verfehlter ist es, die geschichtlichen Vorgänge überhaupt dem moralischen Urteil entrücken zu wollen. Das setzt logisch voraus, dass der Politiker keinerlei Pflichten, also auch weder Ehre noch Gewissen hat, also überhaupt kein Mensch, sondern eine Bestie in Menschengestalt ist. Denn wo es Pflichten gibt, da gibt es auch je nachdem Verdienst und Schuld“ (Hermann Kantorowicz, Kriegsschuldfrage 1914, hrsg. von Immanuel Geiss, 1967, S 99-100 ff

Die Reputation Kantorowicz' steht außer Frage, wie aus dem von buschon verlinkten Artikel zu ersehen.

Wichtig ist mir der eingangs zitierte Satz als Resultat von Ks Recherchen, der ganz schlicht und stichhaltig alle Behauptungen und Spekulationen widerlegt, die eine Kriegsbegünstigungs-verantwortung bei der Entente verorten wollen. Ein gutes Pfund fürs Arsenal der Antirevisionisten wie ichs Einer bin.

Die Tatsache, dass K eigens vom Untersuchungsausschuss berufen wurde, um Begründungen zufinden, welche deutsche Kriegsschuld in jurstischer Hinsicht mindern würde zugunsten deutscher Reparationsverpflichtungen, zeigt, dass K gewiss kein 'Linker' war, sondern ein erwiesener Patriot. K hatte sich Aug 14, 37jährig trotz schmächtiger Konstitution zum Kriegsdienst gemeldet und wurde in den inneren Sanitätsdienst abgeschoben.
Erst im Laufe seiner Untersuchungen gelangte er zur Erkenntnis, wo die Hauptverantwortung zu suchen war.

kurz noch einige von Ks Überlegungen womit er unverminderte deutsche Kriegsschuld hinterfragte:
"Die Schuld an einem großen Kriege ist nicht notwendig große Kriegsschuld." [...]
"Der Schaden des Weltkriegs war unermesslich, die Schuld an ihm war es nicht."
"Unter den Motiven die zu ihm drängten, war kein unehrenhaftes, waren namentlich nicht Eitelkeit und Ländergier, wie beim [Raub]Krieg Italiens 1911 gegen die Türkei oder Rumäniens 1913 gegen Bulgarien. [. . .]
"Die abscheulichen Deutungen der deutschen und ÖU-Beweggründe, wie sie in dem Bericht des Schuldausschusses der Entente und ihrem Ultimatum vorliegen, sind haltlos." [. . .]
"Die gegnerischen Deutungen sind nichts als die Wirkung des Eindrucks, den unsere Politik vor, während und nach dem Kriegsausbruch machen musste, [und] zugleich verräterische Widerspiegelung der abscheulichen Pläne und Gesinnungen der feindlichen Staatsmänner gegen uns. [. . .] Nicht Machtgier und Raubgelüst, nicht Kriegsdrang oder Eroberungsbedürfnis, nicht Ehrgeiz oder Herrschsucht haben den Weltbrand entzündet:
entzündet haben ihn F u r c h t und V e r z w e i f l u n g . "
. . .
ja sogar zur Ergründung französischen Kriegsinteresses fand er eine originelle Argumentation:
Kantorowicz' Plädoyer für deutsche Schuldmilderung greift auf eine selbst gewählte Differenzierung von Kriegstypen zurück: Machtkrieg, Erlösungskrieg, Befreiungskrieg.
1914 Präventivkrieg als Vorkehrung gegen Kriegsverdacht und zu gewärtigende bzw
zu befürchtende Nachteile. Also mildernde Umstände aus Furcht vor Niedergang.
Immerhin, war Kantorowicz sehr bemüht, alle Schuldleichterung für Deutschland
einzufangen und seinen Mandanten mit den gebotenen Künsten des Meisteranwalts
zu schützen. So bringt er eine höchst originelle Begründung frankreichischen Kriegsinteresses hervor: FR hatte unter großen parlamentarischen Schmerzen
die 3jährige Dienstzeit implementiert. Hatte damit jedoch gerade einmal mit
der deutschen Heeresstärke gleichgezogen. Das Reich nämlich verfügte ja über
einen riesigen Bevölkerungs- und Geburtenvorsprung. In Zukunft also in ca drei
Jahren würde diese populative Überproduktion die Erhöhung der Dienstzeit um
ein weiteres Jahr erzwungen haben. Eine bei der freisinnigen französischen
Bevölkerung undurchführbare Maßnahme in Friedenszeiten. So befand
sich FR auf bestem Wege seines Status als Weltmacht verlustig zugehen.
Undenkbar für die Franzosenseele! Also wäre die französische Führung
gezwungen, innerhalb der oa 3Jahresfrist den Krieg um seine Machterhaltung
zu entfesseln. Das Jahr 17 wird von den meisten Experten avisiert als das
wahrscheinlichste Jahr der Entscheidung. Insofern hätte Moltke also dieser
Kriegswahrscheinlichkeit nur präventiv vorgegriffen.

philohistorisch

D
 
jenseits des Risikoflottengedankens

zum Gruße

Hierzu aus einem Brief Tirpitz' vom 28.II.07 an Bülow um ihn gegen
den englischen Vorschlag, das Seebeuterecht abzuschaffen, scharf zu machen :
Die Drohung eines ganz rücksichtslosen Krieges degen den englischen Handel
wird fast das einzige Mittel bilden, die City zum Frieden geneigter zu machen.
Denn bis wir so stark sind, daß wir zu einer Invasion Englands übergehen können,
bis dahin werden noch mehrere Jahrzehnte vergehen.


GP. XVIII 2, 8003. (aus H Kantorowicz: Gutachten zur Kriegsschuldfrage 1927)

so ca 1920 sollte es soweit sein. . . aus der damaligen Pespektive Tirpitz'

Kantorowicz weiter:
"Damit ist dasjenige Ziel enthüllt, das, wie man in England, für die Flottenkreise, aber auch nur für sie, der Zweck des Flottenbaus war, während sich aus den Akten nachweisen lässt, das a l l e angegebenen Gründe, namentlich der Risikogedanke, bloßer Vorwand waren. ..."

(GzK S. 134)

D
 
Interessant ist, dass so ausgesprochen spezielle Quellen wie das Gutachten von Kantorowitcz scheinbar "bekannt" sind, aber gleichzeitig dann völlig "naiv" Fragen formuliert werden, die in jeder besseren Übersichtsdarstellung zum WW1 relativ konsensual dargestellt werden. :confused:

Hillgruber ist schon älter, aber m.E. noch sehr interessant, berührt aber das Thema zentral, in der Darstellung
Deutschlands Rolle in der Vorgeschichte der beiden Weltkriege - Andreas Hillgruber - Google Books

und Strachan ist sicherlich einer der "relevantesten" Historiker zum Thema WW1
Der Erste Weltkrieg: Eine neue illustrierte Geschichte - Hew Strachan - Google Books

Man kann natürlich auch die "Schlafwandler" heranziehen, allerdings ist die grundsätzliche Darstellung der Position der DR ähnlich.


Zu Hew Strachan:

Der Herr schreibt mir persönlich doch zu sehr aus britischer Sicht und widmet der Julikrise relativ wenig Raum; nur 18 Seiten. Auf diesen 18 Seiten wird aus seiner Sicht doch mehr oder weniger deutlich die große Schuld des Deutschen Reiches herausgearbeitet. Die Schuld der anderen Mächte und deren aggressives Handeln wird entweder gar nicht oder viel zu kurz und unvollständig dargestellt. Auch viel zu wenige Worte zu den Ursachen des großen, grausamen Flächenbrandes.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu Hew Strachan:

Der Herr schreibt mir persönlich doch zu sehr aus britischer Sicht und widmet der Julikrise relativ wenig Raum; nur 18 Seiten. Auf diesen 18 Seiten wird aus seiner Sicht doch mehr oder weniger deutlich die große Schuld des Deutschen Reiches herausgearbeitet. Die Schuld der anderen Mächte und deren aggressives Handeln wird entweder gar nicht oder viel zu kurz und unvollständig dargestellt. Auch viel zu wenige Worte zu den Ursachen des großen, grausamen Flächenbrandes.

Hew Strachan - Wikipedia, the free encyclopedia

Dieses generelle Urteil zu Strachan kann ich so nicht nachvollziehen. In seiner grundlegenden Darstellung zum WW1 geht er sehr differenziert auf die unterschiedlichen Akteure ein. Und das Werk gehört m.E. zu den "Referenzwerken" zu dem Thema.

The First World War: Volume I: To Arms - Hew Strachan - Google Books

Seine Darstellung in der "kurzen" und von Dir direkt kritisierten Darstellung zum WW1 verkürzt bestimmte Aspekte. Richtig. Aber nicht wesentlich anders oder kürzer wie beispielsweise Berghan, W. Mommsen oder andere deutsche Historiker.

Sarajewo, 28. Juni 1914: der Untergang des alten Europa - Volker Rolf Berghahn - Google Books

Der Erste Weltkrieg: Anfang vom Ende des bürgerlichen Zeitalters - Wolfgang J. Mommsen - Google Books

Am deutlichsten setzt sich dabei noch beispielsweise Nipperdey von dieser Sicht ab und bewegt sich dabei eher in der Kontinuität der angloamerikanischen Sicht aus den 20er und 30er Jahren, dass er nicht "verursacht" wurde, sondern durch die Verwicklung "tragischer" Umstände ausgebrochen ist.

http://books.google.de/books?id=Z31...EkQ6AEwAjgK#v=onepage&q=strachan, hew&f=false
 
Zuletzt bearbeitet:
@thane

Ich generalisiere nicht Strachan grundsätzlich, sondern sein Werk zum ersten Weltkrieg.:winke:

thanepower schrieb:
eine Darstellung in der "kurzen" und von Dir direkt kritisierten Darstellung zum WW1 verkürzt bestimmte Aspekte. Richtig. Aber nicht wesentlich anders oder kürzer wie beispielsweise Berghan, W. Mommsen oder andere deutsche Historiker.

In der kurzen gerafften Darstellung der Julikrise geht es primär um das Deutsche Reich. Die anderen wichtigen Player werden nur gestreift, so das ein bestimmter Eindruck bleibt, nämlich der von der Schuld des Deutschen Reiches. Zur diesen Thematik gibt es fundiertere Werke als Strachan oder Berghan. Ich erwähne hier nur Hoffman, Meyer-Arndt und natürlich Clark. Und demnächst auf deutsch erhältlich McMeekin.

Noch ein paar Anmerkungen zum Buch:

Strachan führt beispielsweise in seinem Werk aus, das die Hungersnot im Deutschen Reich wegen der sehr effektiven Seeblockade Großbritanniens hausgemacht sei.
Das die Menschen nicht unbedingt sehr rational reagieren, wenn die Nahrungsmittel knapp werden, ist verständlich. Das aber als ein spezifisch deutsches Gesellschaftsproblem darzustellen, halte ich für doch für etwas gewagt. Immerhin sind über 700.000 Menschen in Folge der Seeblockade in Deutschland verhungert. Die Blockade wurde ja noch weit bis in das Jahr 1919 aufrecht erhalten, um Deutschland für die Annahme der Friedensbedingugen gefügig zu halten.

Auch hierzu kein Kommentar von Strachan.

Die Versenkung der Lusitana wird einseitig dargestellt. Die Lusitana hatte mehre Millionen Schuss Munition und Schrapnellgeschosse an Bord. Dies durfte aber ein Passagierdampfer nicht laden. Dieser Verstoß wird von Strachan nicht sauber herausgearbeitet. Auch die traurige Rolle von Chruchill nicht.

Auch haben die Engländer ihre Handelscchiffe falsch beflaggt, vorzugsweise mit der US-Flagge um dann aufgetaucht deutsche Uboote anzugreifen. Strachan hierzu: Fehlanzeige.

So schreibt Strachan, als alliierte Truppen in Elsass und Lothringen einmarschieren, das dort die Begeisterung am größten war und dort hatte man nicht nur 4 sondern 40 Jahre auf sie hatte warten müssen!! Puuh. Liest sich so eine um Objektivität bemühte Geschichtsschreibung?

Das ganze britische Agieren in Zusammenhang mit der Seeblockade wird von Strachan so unvollständig vorgestellt, das Großbritanniens Handeln in keinen negativen Licht erscheint.

Und in Sachen Greueltaten werden die der Deutschen, beispielsweise die in Belgien erwähnt. Die britischen, Stichwort Q-Ships, nicht.
 
zum Gruße

Hierzu aus einem Brief Tirpitz' vom 28.II.07 an Bülow um ihn gegen
den englischen Vorschlag, das Seebeuterecht abzuschaffen, scharf zu machen :


zitat schrieb:
Die Drohung eines ganz rücksichtslosen Krieges degen den englischen Handel
wird fast das einzige Mittel bilden, die City zum Frieden geneigter zu machen.
Denn bis wir so stark sind, daß wir zu einer Invasion Englands übergehen können,
bis dahin werden noch mehrere Jahrzehnte vergehen.


GP. XVIII 2, 8003. (aus H Kantorowicz: Gutachten zur Kriegsschuldfrage 1927)


so ca 1920 sollte es soweit sein. . . aus der damaligen Pespektive Tirpitz'

Kantorowicz weiter:
"Damit ist dasjenige Ziel enthüllt, das, wie man in England, für die Flottenkreise, aber auch nur für sie, der Zweck des Flottenbaus war, während sich aus den Akten nachweisen lässt, das a l l e angegebenen Gründe, namentlich der Risikogedanke, bloßer Vorwand waren. ..."

(GzK S. 134)

D


Diese Behauptungen passen weder zur strategischen und taktischen Ausrichtung der Flottenplanung seit 1898 und der Planungen im Zusammenhang mit dem Übergang zum Großkampfschiffbau 1906/07.
Alle Schiffe sind von der Konstruktion her so ausgerichtet, das eine Entscheidungsschlacht in der Nordsee, nahe der der deutschen Bucht, den Schwerpunkt darstellt. Das entspricht dann auch der technischen Konstruktion von geringen Reichweiten der Schiffe (betrifft auch die Seeausdauer Kleiner Kreuzer und Torpedoboote), die für einen weltweiten Seekrieg, oder zumindest einer Seeblockade in Form von Handelskrieg um die britischen Inseln nicht geeignet waren. Da Tirpitz der Chef das Reichmarineamtes und der Konstruktionsabteilung darstellte, würde diese Meinung komplett jeder Arbeit entgegenstehen.


In dem Zusammenhang eines Handelskrieges könnte demnach nur der Ubootbau aufschlussreicher sein. Aber Tirpitz steht auch diesem, also dem Ubootbau, sehr zurückhaltend entsgegen.
Erst auf den starken Druck der öffentlichen Meinung und nach der russischen Bestellung von Ubooten legte Tirpitz ein. Dennoch sah er den Ubootbau als Gefährdung seiner Flottenbaupolitik!
Im Flottenetat 1907 bis 1910 wurden somit nur vier Uboote eingeplant.
Erst ab 1912 wurde eine Konzeption für einen Aufbau der Ubootwaffe unterbreitet. Auch eine Forderung des Vizeadmiral Frhr. v. Schleinitz in der Augustausgabe 1908 der „Deutschen Revue“, die Ubootwaffe offensiv in einen möglichen Krieg gegen England einzusetzen, bleibt noch unberücksichtigt.
 
Im folgenden Link habe ich die Darstellungen nochmals zum Seebeuterecht nachgelesen und auch hier die für meine Auffassung wirren Zusammenhange nachgelesen:

Zwischen Kriegserwartung und Verrechtlichung: Die internationalen Debatten ... - Alexander Rindfleisch - Google Books

Es beginnt ca. bei Seite 102 - 106 ...

Die Quellen, die hier Teilweise genannt werden, wie den Hobson Maritimer Imperialismus, habe ich auch gelesen, aber solch eine Verdeckte Aktion hinter der deutschen Flottenrüstung habe ich nun doch nicht vermutet.
Ist das jetzt eine neue historische Sicht?

Das würde ja bedeutet, daß die Flottenpoltik, mit den vielen Milliarden Reichsmark, nur als Vorsatz betrieben wurde, um einen Handelskrieg gegen England zu führen?

Und dabei war doch Tirpitz der Mann überhaupt, der gegen jede Art von Kreuzerkrieg stand, ja der sich sogar mit den Abteilungen und der Front darüber gestritten hat, eine Typenverschmelzung des Linienschiffes und des Großen Kreuzers abzuwenden, nicht nur aus kostenpolitischen Aspekten.

Was sagen unsere Fachmänner zu dem geschrieben zu diesem Buch?
 
Ich möchte mal die Dienstschrift IX, die als Basis des tirpitzschen Flottenbaus als Vergleich zu der in Beitrag #8 genannten These gegenüberstellen.

[...]Die betrachtete Auffassungsweise der jeune école leitet zu einem ganz bestimmten
Teil der Flottenoffensive, dem Kreuzerkrieg auf hoher See, über, bei welchem nur
das feindliche Handelsfahrzeug Objekt ist. Daß der ausschließliche Kreuzerkrieg
unter Umständen richtig ist, bleibt gewiß zutreffend. Aber auch dieser Kreuzerkrieg
würde an den Stellen unter den ungünstigsten Umständen geführt werden, wo
feindliche Geschwader die See beherrschen, wie die früheren Seekriege bewiesen
haben. es bilden dann die Geschwader die festen Stützpunkte, an welche sich der
Gegenkreuzerkrieg und der eigene Handel lehnt. Da aber der ausschließliche
Kreuzerkrieg von vornherein auf die stärksten Mittel, die der Seekrieg biete,
verzichtet, so kann er nur für besondere Fälle in Frage kommen und darf daher nicht
das planmäßige Hautpziel der Entwicklung einer großen Seemacht sein. Er ist
vielmehr das letzte oder einzige Mittel des Besiegten oder des von vornherein zur
See Machtlosen. Bildet der Kreuzerkrieg aber nur einen Teil des Seekrieges, so läßt
jede gewonnene Schlacht, abgesehen von ihren unmittelbaren Folgen, auch die
Chancen des Kreuzerkrieges steigen auf der einen oder auf der anderen Seite.
Wie in dem einzelnen Falle die Seekriegführung auch geplant werden mag,
strategisch offensiv oder defensiv, unter Beschränkung auf den Geschwaderkrieg
oder unter Hinzufügung des Kreuzerkrieges, das Ringen um die Seeherrschaft bildet
die entscheidende Phase, und ihre hauptsächliche Lösung wird bewirkt durch die
Schlacht gerade so wie zu allen Zeiten.

Quelle: Dienstschrift Nr.: IX vom 16. Juni 1894
 
Im folgenden Link habe ich die Darstellungen nochmals zum Seebeuterecht nachgelesen und auch hier die für meine Auffassung wirren Zusammenhange nachgelesen:

Zwischen Kriegserwartung und Verrechtlichung: Die internationalen Debatten ... - Alexander Rindfleisch - Google Books

Es beginnt ca. bei Seite 102 - 106 ...

Die Quellen, die hier Teilweise genannt werden, wie den Hobson Maritimer Imperialismus, habe ich auch gelesen, aber solch eine Verdeckte Aktion hinter der deutschen Flottenrüstung habe ich nun doch nicht vermutet.
Ist das jetzt eine neue historische Sicht?

Das würde ja bedeutet, daß die Flottenpoltik, mit den vielen Milliarden Reichsmark, nur als Vorsatz betrieben wurde, um einen Handelskrieg gegen England zu führen?

Und dabei war doch Tirpitz der Mann überhaupt, der gegen jede Art von Kreuzerkrieg stand, ja der sich sogar mit den Abteilungen und der Front darüber gestritten hat, eine Typenverschmelzung des Linienschiffes und des Großen Kreuzers abzuwenden, nicht nur aus kostenpolitischen Aspekten.

Was sagen unsere Fachmänner zu dem geschrieben zu diesem Buch?


Ich kenne das Buch nicht. Nur, Tirpitz hatte die Flotte doch eindeutig, die Zusammensetzung der Flotte ist doch eigentlich der beste Beleg hierfür, für die große Schlacht in der Deutschen Bucht bauen lassen. Erschöpfend zu diesen Thema ist Berghahn sein Werk " Der Tirpitzplan oder Epkenhans "Die wilhelminsche Flottenrüstung".
 
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