Hass auf das Menschengeschlecht, strafbar im Römischen Reich?

M

Misanthrop

Gast
Wieso war im römischen Reich der Hass auf das Menschengeschlecht strafbar?

Wann wurde die Regel eingeführt? Welche Begründung gab es und welche Leute wurde de facto verurteilt?
 
Na, ich hoffe, dein selbstgewählter Nutzername ist weniger der Realität geschuldet, als der Fragestellung....

Ich nehme an, du beziehst dich auf die Tacitusstelle über die neronische Christenbestrafung nach dem Brand Roms?
 
Na, ich hoffe, dein selbstgewählter Nutzername ist weniger der Realität geschuldet, als der Fragestellung....

Die Hoffnung ist berechtigt.

Ich nehme an, du beziehst dich auf die Tacitusstelle über die neronische Christenbestrafung nach dem Brand Roms?

Ja!

War es in Rom strafbar? Auch in anderen Bereichen, so die Schilderung des Monotheismus allgemein, wird von Menschenhass gesprochen.
 
Für alle die mitdenken wollen, ohne Tacitus vorliegen zu haben oder schnell noch ein paar Semester Latein einzuschieben:

Annales - 15, 44 :: Latein 24.De :: Latein Übersetzung Cicero Caesar Ovid Bellum Gallicum Horaz Seneca Übersetzungen Vergil

Nero Christenverfolgung - Tacitus

Vorläufer dier Anklage gegen die Christen scheint der "Vorwurf der Misanthrophie", der dem Judentum gemacht wurde, zu sein.

Antike Judenfeindschaft ? Wikipedia

Da ich mich soeben das erste Mal mit der Frage bschäftige, kann ich über die Ursache dieses Vorurteils nur spekulieren. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit dem Rückzug der Christen aus dem öffentlichen Leben in Rom. Für wen etwa die Beteilgung an öffentlichen Festen als Sünde galt, der mag schnell dem Verdacht ausgesetzt sein, ein Misanthroph zu sein.

"Die Christen jedoch konnten sich konsequenterweise nicht am öffentlichen Leben in Rom beteilgen, da Öffentlichkeit von Akten religiösen Brauchtums durchsetzt war. [...] ,warum die Christen in nichtchristlichen Augen von Anfang an als Fanatiker und Misanthropen erschienen...

Mühlenberg: Epochen der Kirchengeschichte, UTB, S. 45
 
Bei den Christen bekam allerdings der "Hass auf das Menschengeschlecht" ein unmittelbares Gesicht. Die Christen aßen Menschenfleisch und tranken Menschenblut - so glaubte man. Immerhin hieß es ja in der Eucharistiefeier, bibeltexttreu "dies ist mein Fleisch, dies ist mein Blut". Solche angenommenen Ritualmorde, auch wenn sie gar nicht der Realität entsprachen, stellten natürlich eine ganz konkrete Gefahr für die Sicherheit dar und mussten verfolgt werden.
 
Die Christen jedoch konnten sich konsequenterweise nicht am öffentlichen Leben in Rom beteilgen, da Öffentlichkeit von Akten religiösen Brauchtums durchsetzt war. [...] ,warum die Christen in nichtchristlichen Augen von Anfang an als Fanatiker und Misanthropen erschienen...
Es ist nun allerdings die Frage - ich weiss, nicht ob Dein Autor sie beantwortet -, inwieweit "Hass auf das menschliche Geschlecht" als Tatbestand im römischen Strafrecht verankert war und ob es hierzu schon Präzedenzfälle gab, z.B. Juden betreffend.

Nichtteilnahme am öffentlichen Leben jedenfalls dürfte nicht ausgereicht haben. Es gibt mehr oder weniger plausible Versuche, denkbare Tatbestände zu beschreiben, z.B. Constantin der Grosse (275-337 ... - Google Books
 
Es ist nun allerdings die Frage - ich weiss, nicht ob Dein Autor sie beantwortet -, inwieweit "Hass auf das menschliche Geschlecht" als Tatbestand im römischen Strafrecht verankert war und ob es hierzu schon Präzedenzfälle gab, z.B. Juden betreffend.

Nichtteilnahme am öffentlichen Leben jedenfalls dürfte nicht ausgereicht haben.

Die Stelle in dem für das Thema schmalen Band von Mühlenberg ist recht knapp. Nachdem ich ein wenig gesucht habe, glaube ich, dass es sich weniger um einen Rechtstatbestand, sondern vielmehr um ein Vorurteil dem Judentum und Christentum gegenüber handelte, ich weiß es aber ehrlicherweise nicht.
Eigentlich habe ich den Begriff „odium human generis“ im Internet nur in Zusammenhang mit dem oben erwähnten Tacitus-Zitat gefunden. Neben dem von Dir verlinkten Autor auch

Theologische Realenzyklopädie ... - Google Bücher


Abgesehen von dem oben verlinkten Wikipedia-Eintrag, wo „odium human generis“ mit „Misanthropie“ gleichgesetzt wird.
Der fehlende Baustein auf dem Weg vom Fernbleiben der Kulthandlungen zum Vorwurf der Misanthropie oder „Hass auf das Menschengeschlecht“ könnte die Überzeugung der Römer sein, Unglücke, Gefahren für den Staat oder Seuchen seien auf die Vernachlässigung der Kultpflege zurückzuführen [1]. Wer sich diesem Dienst am Gemeinwohl widersetzt wird so zu einer Gefahr für die Gemeinschaft, zu einem Jonas wenn man so will. Der „Hass“ wäre dann das unterstellte Motiv für so ein unerklärliches und gefährliches Verhalten.

Wenn, wie Karl Christ schreibt [2], erst seit Nero das „’Christsein’ an sich“ mit der Todesstrafe zu „ahnden“ war, spricht das eigentlich für eine zu Neros Zeiten geschaffene Rechtsgrundlage, möglicherweise unter dem von Tacitus genannten Begriff. Andererseits habe ich einen Aufsatz gefunden, in dem Bettina Henningsen schreibt:

„So wurde unter dem Deckmantel der Straffälligkeit – hier Brandstiftung – ein Gesetz bewusst gegen Christen eingesetzt. Eine Spezialgesetzgebung gegen Christen gab es zu diesem Zeitpunkt nicht.“

Eine ihrer Literaturangabe könnte für eine Vertiefung interessant sein:

Antonie Wlosok: Die Rechtsgrundlagen der Christenverfolgungen der ersten zwei Jahrhunderte. In: Richard Klein (Hg.): Das frühe Christentum im Römischen Staat. Darmstadt 1971.


Als kleiner Querverweis noch ein Beitrag Scorpios zu dem Begriff:

http://www.geschichtsforum.de/588138-post210.html

[1] Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit, Beck, S. 591
[2] Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit, Beck, S. 592
 
Der fehlende Baustein auf dem Weg vom Fernbleiben der Kulthandlungen zum Vorwurf der Misanthropie oder „Hass auf das Menschengeschlecht“ könnte die Überzeugung der Römer sein, Unglücke, Gefahren für den Staat oder Seuchen seien auf die Vernachlässigung der Kultpflege zurückzuführen.
Ja, das ist eine Möglichkeit.

Ich habe nochmal in den langen Handbuchbeitrag von Paul Keresztes in ANR 23 geschaut [1], der sehr viel Literatur auflistet und offenbar ein starkes Mißtrauen gegen Tacitus' Version der Ereignisse hegt und sich darüber hinaus (S. 254-5) mit den Tücken der Übersetzung herumschlägt.


[1] Principat: (vorkonstantinisches ... - Google Books, insb. S. 253, 254
 
A.
Ich habe nochmal in den langen Handbuchbeitrag von Paul Keresztes in ANR 23 geschaut [1], der sehr viel Literatur auflistet und offenbar ein starkes Mißtrauen gegen Tacitus' Version der Ereignisse hegt und sich darüber hinaus (S. 254-5) mit den Tücken der Übersetzung herumschlägt.

Den Link fand ich recht informativ. :winke:
Auch dort noch einmal der Hinweis auf das Fehlen einer Gesetzgebung speziell für die Verfolgung der Christen.



B. Ich habe noch einige Quellen zu dem Vorwurf der „Menschenfeindlichkeit“ den Juden gegenüber gefunden.

Pompeius Trogus 36,2,1ff:

Wenn ich das richtig verstanden habe, ist hier von einem „Brauch“ der Juden die Rede, sich nicht auf fremde Völker einzulassen, aus Furcht vor Seuchen ähnlich der, der sie zuvor in Ägypten entronnen seien.
Justin: Epitoma Historiarum Philippicarum, Liber 36


Diodor 34/5,1,1-5:

Die beiden Stellen bei Diodor habe ich leider weder vorliegen noch online gefunden. Diodor soll die Sitten der Juden an dieser Stelle [1, S.71] „menschenfeindlich nennen und den Juden „Hass gegen die Menschen „ unterstellen.


Hekataios bei Diodor 40,3:

Auch hier scheint es sich um dasselbe Argument zu handeln. Die Vertreibung aus Ägypten habe zu Fremdenfeindlichkeit der Juden geführt:
Moses „richtete Opfer ein, die sich von denen bei anderen Völkern unterschieden, und auch fremdartige Lebensformen, denn wegen ihrer eigenen Vertreibung führte er ein ziemlich menschenscheues und fremdenfeindliches Leben bei ihnen ein.“ [2]

Tacitus Hist. 5,4-5:

Tacitus beschreibt die Juden als stark in sich geschlossene Gruppe, die untereinander zu großem Mitgefühl fähig seien, anderen Menschen gegenüber aber nur Hass übrig hätten. Braun und Ziege [1] führen diese Stelle als Argument gegen die grammatikalisch mögliche alternative Übersetzung von „Hass auf das Menschengeschlecht“ als „Hass der Menschheit gegen die Christen“ an. (Siehe auch Paul Keresztes, ANR, Bd.23, S. 247ff., oben verlinkt.)
Auch Tacitus spricht davon, Moses habe neue Riten eingeführt, die dem Zweck dienten, sich von allen anderen Völkern, besonders den Ägyptern, abzusetzen. Die Juden seien „verdreht“ und in allem den anderen Völkern „entgegengesetzt“
Siehe auch [1] und [4].


C. Anmerkung:
Eine Kritik und Gegenrede zu Tacitus Judenexkurs findet sich in Tertullians Apologeticum.


[1] Christina von Braun,Eva-Maria Ziege: Das "bewegliche" Vorurteil: Aspekte des internationalen Antisemitismus, Königshausen & Neumann, 2004, S.68ff.

[2] nach Jürgen Malitz in:
Kontakte Konflikte Kooperationen. Der Umgang mit Fremden in der Geschichte.
Hrsg. von Waltraut Schreiber. (Eichstätter Kontaktstudium zum Geschichtsunterricht. Band 2.). Neuried: ars una, 2001. S. 47 -76

[3] Karl Christ: Geschichte der römischen Kaiserzeit, Beck, S. 580
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Stelle Tac. ann. 15,44 ist in sich ziemlich unklar. Einmal wegen textkritischer Probleme, zum anderen weil Tacitus sehr knapp formuliert, was manchmal auf Kosten der Verständlichkeit geht. Die Formulierung "igitur primum correpti, qui fatebantur [was, weiß man übrigens auch nicht so genau!], deinde indicio eorum multitudo ingens; haud proinde in crimine incendii, quam odio humani generis convicti sunt" muss auch nicht unbedingt den juristischen Tatbestand meinen, weil convicti sunt m.E. nur bedeutet, dass man ihnen zwar nicht die Brandstiftung, aber einen allgemeinen Menschenhass nachweisen konnte. Nach allem, was ich weiß, ist odium humani generis zwar sehr schlecht angesehen in der Antike, aber nicht trafbar.
 
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