Hatte Hannibal eine Chance?

Laut Livius (22,49) entkamen knapp 19.000 Mann aus der Schlacht von Cannae in ihre Lager und in den Ort, von denen aber viele später doch noch gefangen wurden, sodass letztlich nur 4.200 entkamen (Livius 22,52). Zu diesen kamen aber noch 4.500 im Land Verstreute, die sich allmählich wieder sammelten.
Also pimaldaumen 10.000. Das würde ich als Untergrenze sehen. Alles andere widerspräche auch jeder Beurteilung, querbeet der Militärgeschichte für solche Einkesselungen, die nicht lückenlos überlegen/standhaft umfassen konnten.

Die (ohnehin widersprüchlichen) Zahlen der beiden antiken Autoren zu Cannae sind militärhistorisch umstritten. Das betrifft bereits die Anfangsstärken, und erst recht die Ergebnisse.

Die Opferzahlen dürften reichlich übertrieben sein, Autoren wie Cantalupi gehen von 15.-16.000 Toten auf römischer Seite aus. Das erscheint mit wesentlich realistischer als die abgeschriebenen Zahlen der Antike. Samuels ("The Reality of Cannae", Militärgeschichtliche Mitteilungen 1990) sieht das ähnlich.

Was hat Hannibal mit den Gefangenen gemacht? Nicht getötet? Mitgeschleppt hat er sie auch nicht.

Auch hier sollte man nicht an den (pro-römischen) antiken Autoren bzgl. Militärgeschichte kleben, siehe
Mosig/Belhassen, Revision and Recontruction of the Battles of Cannes (216 BCE) and Zama (202 BCE).
 
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Ich denke,dass Hannibal unter diesen Umständen keineswegs eine Chance hatte
die spärlichen Verstärkungen aus Karthago konnten nie die Verluste kompensieren, die er erlitt

Eine Belagerung Roms wäre dementsprechend wohl als suizidale Absicht zu sehen
Nie hätte er mit ca 34 000 Mann Rom einnehmen können, allein die logistischen Schwierigkeiten, die bereits erwähnt wurden, hätten es zu einem schier unmöglichen Unterfangen gemacht

M.E trägt der karthagische Senat, sprich Suffeten und die 30 höchsten Richter wenn ich mich nicht irre, die größte Schuld am Scheitern Hannibals
hätten sie Hannibal mehr unterstützt, finanziell und mit Truppen, wäre der Krieg mit großer Wahrscheinlichkeit anders ausgegangen
 
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@silesia
Nur 15 000 - 16 000 ?
Was geschah mit dem Rest der 86 000 Mann ?
Diese Zahlen erscheinen mir zu wenig

Ich las bereits von nahezu 70 000 Toten, was ich auch kaum für möglich halte
 
Die geographische Lage Sagunts begünstigte die Verteidung ganz erheblich!

Das mag sein, es gibt aber einen erheblichen Unterschied, und das ist die schiere Größe der Stadt; ich habs nicht nachgeprüft, aber meine Intuition sagt mir, dass Sagunt da mit Rom nicht mithalten konnte. ;)

Möglicherweise spielte eine gewisse Abneigung gegen Belagerungen mit, aber nötig und gewinnbar wäre sie allemal gewesen.

Diese Abneigung hatte mE ganz konkrete Gründe: Hannibals Überlegenheit beruhte fast ausschließlich auf der überlegenen Reiterei. Sowohl die schweren Reiter als auch die Numidier als leichte Plänkler waren den Römern und ihren Bundesgenossen bei allen Schlachten an Zahl und (als Söldner mit langer Erfahrung) an Erfahrung und Disziplin überlegen. Während die Infantrie die Legionen hinhielt, schloss ihn die Reiterei ein, so am Trasimenischen See und bei Cannae.

Bei einer Belagerung wäre dieser Vorteil dahin; an reiner Zahl waren die Römer vermutlich zu jedem einzelnen Zeitpunkt auch in Italien überlegen (vielleicht abgesehen von der Zeit kurz nach Cannae, aber in dieser Zeit war auch Hannibal durch die Schlacht empfindlich geschwächt).

Die Verteidigungsmöglichkeiten Roms waren nicht auf dem neusten Stand, und die Zahl der Kriegstauglichen durch die Niederlagen vermindert; dennoch belagert man eine solch große Stadt mit einem erwiesenen, starken Widerstabdswillen, ohne weitere, bisher ungenutze Reserven zu mobilisieren; und diese hätten mE ausgereicht, einen Belagerungserfolg Hannibals mehr als unwahrscheinlich zu machen.

Da ich das gefühlt zum dritten mal schreibe, versuchen wir es doch mal von der anderen Richtung aus:

Karthagos Kriegsziel war die Beschränkung der Macht Roms, und Hannibal hofft offensichtlich, dies durch einen für Rom nachteiligen Friedensvertrag zu erreichen; soweit herrscht ja Einigkeit, gloob icke.

Roms Kriegsziele waren mE erstmal durchaus ähnlich gelagert: Man wollte Karthago als Konkurrent aus dem Weg haben. Wie die spätere Geschichte lehrt reichte das den Römern (zumindest später) nicht aus. Ceterum censeo Carthaginem esse delendam; wer kennt den Spruch nicht? Und der alte Cato hat ja auch bekommen, was er wollte...

Wieso haben die Römer nach der Schlacht von Zama nicht Karthago belagert? Sie haben sowohl später als auch in früheren Tagen (Sagunt!) nicht lange gefackelt, sondern die Fackeln anderweitig benutzt. Allein der materielle Gewinn durch die Eroberung einer so reichen Stadt hätte fast jede Anstrengung rechtfertigt. Und die Vorstellung, Kriege seien unter „zivilisierten“ Völkern mit Verträgen, und nicht mit Metzeleien zu beenden, war eher eine Sache der Griechen oder eben Karthager. (Dieses Thema hatten wir anderen Threads, besonders in Bezug auf das Zusammentreffen von Griechen und Römern; müsste ich noch raussuchen...).

Der Grund ist leichter ersichtlich: Karthago war eine Stadt, die befestigt war (in diesem Falle mWn hervorragend), und sie verfügte als reiche Handelsstadt, die ihre Kriege vornehmlich mit Söldnern ausfocht, vermutlich über größere Reserven an Kriegstauglichen. Die Verbündeten von Karthago im Umland waren zwar zum Teil zu den Römern übergelaufen, aber standen zum anderen Teil treu zu Karthago.

ME überwiegen hier die Gemeinsamkeiten die Unterschiede, und die schlichte Gemeinsamkeit ist, dass eine Stadt ab einer gewissen Größe in der Antike nur erobert werden konnte, wenn hervorragende Bedingungen vorlagen, oder die Bevölkerung keinen großen Widerstand leistete. Und ersteres war für Hannibal nicht gegeben, während zweiteres zweifellos vorlag.

EDIT & P.S.: Die Zahlen angaben, v.a. auf S. 3, hab ich zu spät gelesen... :rotwerd:

Hierbei sind v.a. die Verwundeten zu bedenken, die kurz- oder mittelfristig ausfielen, aber für eine mehr oder minder sofortige Belagerung nicht zur Verfügung standen.
 
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Bei der Frage Belagerung oder forcierte Abkehr der römischen Bundesgenossen dürfte auch die Heimatfront eine große Rolle gespielt haben. Denn Hannibal hätte ja viel mehr bewegen können, wenn er sich nicht nur auf die eigenen (quasi privaten) Kräfte hätte stützen können. Nur kam aus Karthago nicht viel. Wenn Hannibal aber meinte, durch seine Politik hätte er was kriegen können, dann halte ich das für für plausibel.
Bei einer Belagerung hätten sämtliche Verstärkungen oder auch Nachschub an den römischen Bundesgenossen vorbei befördert werden müssen. Dies hätte aber schon direkt nach dem Eintreffen der Nachricht von der Schlacht bei Cannae anlaufen müssen, sind es aber nicht.
Wie weit hat Hannibal solche (Nicht-)Entwicklungen aus Karthago zeitnah mitbekommen?

Solwac
 
@silesia
Nur 15 000 - 16 000 ?
Was geschah mit dem Rest der 86 000 Mann ?
Diese Zahlen erscheinen mir zu wenig
Ich las bereits von nahezu 70 000 Toten, was ich auch kaum für möglich halte

Militärhistorische Analysen zu Cannae widersprechen den antiken Autoren bzgl.

a) der römischen Stärke
b) den Verlusten.

Bzgl. der Verluste sind die Zahlen oben (15.-16.000) die Untergrenze des Diskutierten, Daly (Cannae) geht zB von 25.-30.000 aus, der Hälfte des Truppenkörpers. Bzgl. der Gefangenen gehen die Meinungen ebenfalls auseinander, ebenso bei den vom Schlachtfeld Entkommenen (angeblich wurden daraus später 2 Legionen gebildet - was ist mit Auffüllungen anderer?).

Solche Zahlenangaben der Antike sind "notorious unreliable", zT sich selbst widersprechend. Das fängt dort an, wo man sich ein paar Gedanken über das Entstehen solcher Zahlen und die Inventarisierungen machen kann. "Verluste" und "Stärken" sind in 2000 Jahren Militärgeschichte "unsichere" Größen, Fälschungen und Fehler, und ausgerechnet bei den Römern soll das anders gewesen sein?:devil:
 
Ich vertrete immer noch (Hannibals Leistung - Geschichtsforum.de - Forum für Geschichte) die Meinung, dass Hannibal ursprünglich einen Doppelangriff plante, er selbst von Süden, Hasdrubal von Norden.
Und dass die Römer daher alles daran setzten, Hasdrubals Zug zu verhindern bzw. zu verzögern, wohl wissend, dass Hannibal alleine keine zu große Gefahr darstellte.

Anders ist kaum zu erklären, dass die Römer nach Cannae ihre Truppen nicht aus Spanien heimholten.
 
Laut Livius (22,49) entkamen knapp 19.000 Mann aus der Schlacht von Cannae in ihre Lager und in den Ort, von denen aber viele später doch noch gefangen wurden, sodass letztlich nur 4.200 entkamen (Livius 22,52). Zu diesen kamen aber noch 4.500 im Land Verstreute, die sich allmählich wieder sammelten. In Sizilien standen mindestens zwei Legionen (Livius 23,25). In Gallia Cisalpina standen zwei Legionen, die aber Ende 216 von den Galliern vernichtet wurden (Livius 23,24). Dazu kamen noch Truppen in Spanien und Sardinien.

Aber wie lang brauchten die versprengten Truppenteile um sich wieder zu sammeln und beim Heer einzufinden? Schließlich befanden sie sich auf der Flucht, mussten sich möglicherweise vor karthagischen und pro-karthagischen Soldaten verstecken. Viele desertierten bei der Gelegenheit wahrscheinlich auch.

Die Legionen in Sizilien mussten aber von der Schlacht einmal erfahren, ob der Kommandant ohne Befehl des Senates sich sofort nach Italien begeben hätte, ist auch nicht sicher. Zudem fielen in dieser Zeit viele süditalische Bundesgenossen von Rom ab, sich durch dieses Gebiet zu bewegen, hätte daher wahrscheinlich einen lokalen Widerstand herausgefordert. Zu den Truppen in Spanien schrieb ich bereits. Bei Sardinien weiß ich nicht, wie viele Soldaten dort stationiert waren. (Eine Legion?)

Es hätte aber einen Unterschied gemacht, ob die Römer gegen Hannibal in offener Feldschlacht antreten (davon hatten sie nach Cannae fürs Erste wirklich genug) oder ob sie ihn während einer Belagerung angreifen. Hannibals Armee wäre nicht stark genug gewesen, um (wie die Römer bei Alesia) einen Entsatzangriff abzuwehren, während er die Belagerung aufrecht erhielt. Er hätte sie abbrechen müssen und sich dem Entsatzheer stellen. Das hätte sich dann zurückziehen und Hannibal von der Stadt weglocken können, bis der die Verfolgung aufgegeben hätte und zur Stadt zurückgekehrt wäre. Das Spielchen hätte man eine Weile fortsetzen können.

Die Stärke von Hannibals Armee wird von den antiken Autoren auf 90.000 Infanteristen, 12.000 Reiter und 37 Elefanten beziffert (Pol. 3,35,1 und Liv. 21,23,2). Diese Anzahl ist natürlich eine Übertreibung aber Seibert (S.77) hält doch 70.000 insgesamt für realistisch und auch Hoffmann (Hoffmann, Hannibal. S. 49) gibt 60.000 Mann an. Nehmen wir Verluste durch den Alpenübergang und die Schlachten von ca. 40.000 Mann (maximal) an, rechnen aber den Zuzug in Italien durch abgefallene Bundesgenossen, usw. (vor allem die Kelten der Po-Ebene!), dann denke ich dass Hannibal nach der Schlacht von Cannae knapp 30.000-35.000 Mann übrig blieben. (sagen wir 30.000 wegen der Verletzten). Weiters beschreibt Livius, dass ein Großteil der Führungskräfte der römischen Armee bei Cannae gefallen waren (Liv. 22,49,15-19). Auch wenn Livius insgesamt gesehen übertreibt, dürfen wir annehmen, dass der verbliebene Konsul alle Mühe gehabt haben muss sein Heer zu kommandieren und zusammenzuhalten.

Zur Verteidigung Roms:
Über die Truppen in Rom weiß ich nichts genaueres. Wir dürften uns aber einig sein, dass sie dem Heer Hannibals sowohl zahlenmässig als auch qualitativ und ausrüstungstechnisch unterlegen waren.
Was die römischen Verteidigungsanlagen betrifft, habe ich ja bereits auf Seibert verwiesen. Auch Todd (Malcom Todd. The walls of Rome. Seite habe ich mir leider nicht aufgeschrieben) schreibt, dass die römische Mauer zu dieser Zeit keine Türme besessen hatte und auch keine sonstigen Verteidigungsanlagen neben dem Wall und den Graben.
 
Warum hat Hannibal Rom nicht angegriffen?

Nun, zunächst ist erst einmal festzuhalten, das Hannibal ohne jegliche Nachschubbasis operierte. Und das in einem Land, das von zahlreichen Stützpunkten und Wachorganisationen a´la Canusium übersät war. Die vergangenen Schlachten haben Hannibal gezeigt, dass das Juwel seiner Armee die numidische Reiterei war. Die römischen Infanteristen waren zumindest gleichwertig. Die Siege wurden aber durch die Kavallerie eingefahren.

Bei einer Belagerung war diese aber nicht wirklich nützlich.
Im Gegensatz zu Sagunt verfügte Hannibals Armee verfügte nach Cannae über kein brauchbares Belagerungsgerät. Verfügte Hannibal über Ingenieure, die solches in kurzer Zeit herstellen konnten? Auch muss bezweifelt werden, ob durch eine Belagerung Rom überhaupt ausgehungert werden konnte, denn Hannibal verfügte über keine Flotte um Ostia zu sperren bzw. überhaupt den Nachschub nach Rom zu vollständig und dauerhaft zu unterbinden. Hannibal sein Heer musste aber während einer langwierigen Belagerung ebenfalls versorgt werden. Hierzu musste ein guter Teil seiner knappen Truppen aufgewendet werden und ob die restlichen Truppen ausgereicht hätten einen geschlossenen Belagerungsring, der möglicherweise mehrere Monate anhalten muss, zu ziehen, darf bezweifelt werden.

Hannibals Stärke war der Bewegungskrieg!

Sein Konzept sah wohl vor, das er Rom von seinen Kraftquellen abschneiden wollte und das südliche Italien unter seiner Kontrolle bringen wollte. So sollte Rom friedensbereit gemacht werden. Ist eigentlich auch nicht unlogisch, denn so wäre Rom Vorherrschaft über das westliche Mittelmeer ernsthaft bedroht gewesen und der Nachschub von Karthago hätte besser organisiert werden können.

Nur hatte Hannibal die Mentalität der römischen Oberschicht dabei nicht in Rechnung gestellt gehabt. Für Rom kam ein Kompromissfrieden überhaupt gar nicht in Frage. Entweder wurde der Frieden diktiert, oder man war willens unterzugehen.

Die Chancen standen nach dem Abfall von Capua und dem Bündnis mit Philipp von Makedonnien ja gar nicht so schlecht. Hannibal hatte keine Glaskugel, um vorauszusehen, das sich die Dinge so negativ für ihn entwickeln würden.
 
M.E trägt der karthagische Senat, sprich Suffeten und die 30 höchsten Richter wenn ich mich nicht irre, die größte Schuld am Scheitern Hannibals
hätten sie Hannibal mehr unterstützt, finanziell und mit Truppen, wäre der Krieg mit großer Wahrscheinlichkeit anders ausgegangen
Was hätten Hannibal mehr Truppen viel bringen sollen? In offenen Feldschlachten war er ohnehin siegreich geblieben, mehr Truppen hätten bloß die Versorgungslage erschwert. Auch bei einer Belagerung von Rom hätten mehr Truppen in erster Linie die Versorgung erschwert, die ohnehin hochproblematisch gewesen wäre.

Aber wie lang brauchten die versprengten Truppenteile um sich wieder zu sammeln und beim Heer einzufinden? Schließlich befanden sie sich auf der Flucht, mussten sich möglicherweise vor karthagischen und pro-karthagischen Soldaten verstecken. Viele desertierten bei der Gelegenheit wahrscheinlich auch.

Die Legionen in Sizilien mussten aber von der Schlacht einmal erfahren, ob der Kommandant ohne Befehl des Senates sich sofort nach Italien begeben hätte, ist auch nicht sicher. Zudem fielen in dieser Zeit viele süditalische Bundesgenossen von Rom ab, sich durch dieses Gebiet zu bewegen, hätte daher wahrscheinlich einen lokalen Widerstand herausgefordert. Zu den Truppen in Spanien schrieb ich bereits. Bei Sardinien weiß ich nicht, wie viele Soldaten dort stationiert waren. (Eine Legion?)
Silesia hat bereits darauf hingewiesen, dass Hannibal aber nicht wissen konnte, wann von woher neue römische Truppen eintreffen würden. Er konnte also nicht davon ausgehen, dass Rom fallen würde, ehe ein Entsatzheer eintrifft. Schlimmstenfalls hätte es ihm passieren können, dass seine durch die lange Belagerung demoralisierte und mit argen Versorgungsschwierigkeiten (und vielleicht sogar Seuchen) kämpfende Armee vor Rom von einem Entsatzheer angegriffen wird.
Es stellt sich auch die Frage nach seinem Personal, ob also seine Söldner, vor allem die Gallier Norditaliens, überhaupt gewillt gewesen wären, monate- oder gar jahrelang eine Stadt zu belagern und dafür Engpässe in der Lebensmittelversorgung in Kauf zu nehmen.
Wenn man das Verhalten eines Feldherrn beurteilen will, muss man immer von einer Ex-ante-Perspektive ausgehen: Was konnte er wissen, womit konnte er rechnen? Ex post klüger sein ist leicht.
 
Im Gegensatz zu Sagunt verfügte Hannibals Armee verfügte nach Cannae über kein brauchbares Belagerungsgerät. Verfügte Hannibal über Ingenieure, die solches in kurzer Zeit herstellen konnten?

Über Ingenieure wüßte ich nichts, zumindest wird soweit ich weiß nichts erwähnt. Man könnte es aber zumindest annehmen, dass er auch solche Leute mitgenommen hatte. Er konnte ja nicht damit rechnen, keine einzige Stadt in Italien zu belagern.

Auch muss bezweifelt werden, ob durch eine Belagerung Rom überhaupt ausgehungert werden konnte, denn Hannibal verfügte über keine Flotte um Ostia zu sperren bzw. überhaupt den Nachschub nach Rom zu vollständig und dauerhaft zu unterbinden.

Seibert (ich weiß, ich erwähne ihn ziemlich häufig:D) meint, in dieser Hinsicht hätte man Ketten/Seile oder anderes benutzen können um den Tiber zu sperren.

Silesia hat bereits darauf hingewiesen, dass Hannibal aber nicht wissen konnte, wann von woher neue römische Truppen eintreffen würden. Er konnte also nicht davon ausgehen, dass Rom fallen würde, ehe ein Entsatzheer eintrifft. Schlimmstenfalls hätte es ihm passieren können, dass seine durch die lange Belagerung demoralisierte und mit argen Versorgungsschwierigkeiten (und vielleicht sogar Seuchen) kämpfende Armee vor Rom von einem Entsatzheer angegriffen wird.
Es stellt sich auch die Frage nach seinem Personal, ob also seine Söldner, vor allem die Gallier Norditaliens, überhaupt gewillt gewesen wären, monate- oder gar jahrelang eine Stadt zu belagern und dafür Engpässe in der Lebensmittelversorgung in Kauf zu nehmen.
Wenn man das Verhalten eines Feldherrn beurteilen will, muss man immer von einer Ex-ante-Perspektive ausgehen: Was konnte er wissen, womit konnte er rechnen? Ex post klüger sein ist leicht.

Hannibal hat zumindest gewusst, dass das Heer bei Cannae die Hauptstreitmacht der Römer gewesen war. Mit der Vernichtung dieser Armee war ein Großteil der römischen Armee untergegangen. Das das ein Schlag für die Römer war, der nicht einfach so zu kompensieren war, sollte ihm klar gewesen sein.

Ich denke es kommt hauptsächlich darauf an, wie lange die Belagerung gedauert hätte. Du gehst von ein paar Monaten aus, die die Belagerung gedauert hätte. Aber hätte die Belagerung wirklich so lange gedauert? Ich habe ja bereits weiter oben von den schwachen Verteidigungsanlagen und -truppen geschrieben. Müsste man die Belagerungszeit hier nicht kürzer ansetzen?

Was die Versorgungsschwierigkeiten betrifft, muss ich euch recht geben. Das dürfte das Hauptproblem gewesen sein. Eine längere Belagerung ohne Unterstützung aus dem Umfeld war für eine solche Armee nicht möglich gewesen.
 
Über Ingenieure wüßte ich nichts, zumindest wird soweit ich weiß nichts erwähnt. Man könnte es aber zumindest annehmen, dass er auch solche Leute mitgenommen hatte. Er konnte ja nicht damit rechnen, keine einzige Stadt in Italien zu belagern.

Die angelsächsische Literatur (zB die neuere Arbeit von Gabriel, s.o.) geht davon aus, dass "engineers" dabei waren. Das know how wäre demnach nicht das Problem gewesen.

Gabriel hält übrigens die Belagerung selbst dann für sinnvoll, wenn sie später hätte abgebrochen werden müssen. Er spekuliert, dass die Belagerung zum verstärkten Abfall der Verbündeten geführt hätte.
 
... oder sie hätte das Gegenteil bewirkt. Viele Verbündete fielen erst ab, wenn Hannibal in ihrer Gegend aufkreuzte und somit einerseits die karthagerfreundliche Partei gestärkt wurde, andererseits die Abgefallenen auf karthagischen Schutz hoffen konnten. Wenn er Rom belagert hätte, statt durch Süditalien zu ziehen, hätten die Römer den Süden vielleicht besser im Griff behalten.
 
... oder sie hätte das Gegenteil bewirkt. Viele Verbündete fielen erst ab, wenn Hannibal in ihrer Gegend aufkreuzte und somit einerseits die karthagerfreundliche Partei gestärkt wurde, andererseits die Abgefallenen auf karthagischen Schutz hoffen konnten. Wenn er Rom belagert hätte, statt durch Süditalien zu ziehen, hätten die Römer den Süden vielleicht besser im Griff behalten.

Sicher, aber auch in Norditalien hatte Hannibal noch Verbündete, wo er nicht unbedingt durch das Land ziehen musste. DIe Bundesgenossen weiter südlich waren zwar weniger angetan von Hannibal, aber nachdem Städte in Apulien, das samnitische Hirpinien und sogar Capua übergelaufen waren, hätte beides (Hannibals Sieg und der Abfall weiter Gebiet in Süditalien von Rom) doch eher daraufhin gedeutet, dass die socii weniger Vertrauen in Rom setzten. Daher wäre m.E. ein Marsch auf Rom, den wohl neben den Römern auch so mancher Bundesgenosse erwartet hatte, in der Wirkung für Hannibal eher positiv denn negativ. Zumal ihm auf seinem Weg nach Rom wohl weitere Überläufer begegnet wären.
 
Herakleios schrieb:
Seibert (ich weiß, ich erwähne ihn ziemlich häufig:D) meint, in dieser Hinsicht hätte man Ketten/Seile oder anderes benutzen können um den Tiber zu sperren.

Die Frage die sich hier stellt, ist: War das Material für so eine Kette und darüber hinaus ein Fachmann verfügbar, der so eine Kette hätte anfertigen können?

Und die sich daran anschließende Frage: Wie lange hätte so eine Kette denn die Römer tatsächlich aufgehalten? Wohl nicht mehr als ein paar Tage.

Hannibals grundsätzlich Idee war aus seiner Perspektive zum damaligen Zeitpunkt keine falsche, sondern eine durchaus nachvollziehbare. Es ging ihm ja auch gar nicht darum, Rom zu vernichten, sondern lediglich den Großmachtstatus von Karthago zu sichern und dafür war eine Beschneidung von Roms Macht erforderlich.
 
Die Frage die sich hier stellt, ist: War das Material für so eine Kette und darüber hinaus ein Fachmann verfügbar, der so eine Kette hätte anfertigen können?

Und die sich daran anschließende Frage: Wie lange hätte so eine Kette denn die Römer tatsächlich aufgehalten? Wohl nicht mehr als ein paar Tage.

Hmm, da muss ich dir recht geben, dass habe ich nicht bedacht. Könnte eine Konstruktion aus Holzpfählen und Seile hier funktionieren? Wenn man Pfähle in bestimmten Abständen in den Fluss setzt und Seile dazwischen windet. Könnte das funktionieren, oder denke ich hier zu konstruiert?

Ein weiterer Einfall: Mit zusammen gebundenen Bäumen könnte man doch auch einen Flus sperren, oder?
 
Zuletzt bearbeitet:
Du machst Dir Gedanken zur Sperrung des Tibers, und wir wissen nicht einmal, wie lückenhaft oder vollständig der übrige "Einschließungsring" ausgesehen hätte, was nach Cannae überhaupt und sofort zur Verfügung stand (Stichwort: Verwundete, etc.)
 
Ich denke die Karthager werden als Seevolk einen Weg gefunden haben den Tiber zu sperren. Viel wichtiger als die technische Durchführung einer Belagerung finde ich aber die Frage inwieweit die Stadt schon von überseeischen Getreidelieferungen abhängig war. In der Kaiserzeit war sie das unbestritten, aber 200 v.Chr?.
Gibt es Schätzungen über die Bevölkerungszahl der Stadt Rom für den genannten Zeitraum ? Mehr als maximal 200.000 werden es wohl kaum gewesen sein. Bei einer drohenden Belagerung wären wahrscheinlich auch entbehrliche Bevölkerungsteile evakuiert worden. Ein gewisser Teil befand sich kriegsbedingt auch schon ausserhalb der Stadt.

Ein weiterer Aspekt ist, daß antike Belagerungen sehr langwierig und nicht immer von Erfolg gekrönt waren. So hatte Hannibal acht Monate gebraucht um Saguntum zu erobern.
Die Römer brauchten später zwei Jahre für die Einnahme von Syrakus und drei Jahre für Karthago. (waren allerdings alles Seestädte)
Möglicherweise zu lange für seine beutegierigen gallischen Verbündeten.
In so langer Zeit hätten die Römer Zeit genug gehabt Entsatzheere aufzustellen und wieder in die Offensive zu gehen.
Darüberhinaus hätte Hannibal seine Beweglichkeit als vielleicht grössten Trumpf geopfert. Was nützt numidische Kavallerie vor den Mauern Roms ? (Wie Turgot schon erwähnte!)

Gruss
jchatt
 
Zuletzt bearbeitet:
Du machst Dir Gedanken zur Sperrung des Tibers, und wir wissen nicht einmal, wie lückenhaft oder vollständig der übrige "Einschließungsring" ausgesehen hätte, was nach Cannae überhaupt und sofort zur Verfügung stand (Stichwort: Verwundete, etc.)

Seibert macht sich da ziemlich lächerlich, wenn er einen Schlachtplan vorschlägt. Eines der Hauptprobleme beim Thema Hannibal ist doch, dass der Sieg von Cannae bis in die Neuzeit eine unglaubliche Faszination auf Militärs ausübte. Die meisten die sich damit beschäftigen sind daher Militäthistoriker, oft pensionierte Offiziere, mit oder ohne zusätzliche historische Ausbildung.
Auch wenn Seibert nicht zu dieser Gruppe zählt, lässt er sich offensichtlich anstecken. Da werden Strategien und Schlachttaktiken zusammenfabuliert, als wären die Autoren dabei gewesen.
Die reale Quellenlage sieht doch ganz anders aus. Von karthagischer Seite haben wir so gut wie nichts, von römischer stark eingefärbte, teils umstrittene Überlieferungen. Wir wissen wenig bis nicht über die Situation der karthagischen Armee nach Cannae, wir wissen nicht über Absichten oder Pläne Hannibals, wir wissen nichts über seine Kontakte nach Karthago und/oder Spanien in dieser Zeit. Wir wissen nichts über eventuelle Konflikte mit seinen Verbündeten.
Von daher ist es reine Spekulation, ob und wie Hannibal hätte siegen können. Wir wissen es einfach nicht, und die vorhanden Quellen reichen hier nicht ausreichend weiter.
 
Von daher ist es reine Spekulation, ob und wie Hannibal hätte siegen können. Wir wissen es einfach nicht, und die vorhanden Quellen reichen hier nicht ausreichend weiter.

Da bin ich ganz bei Dir.

Allerdings fällt die Beurteilung der Militärhistoriker anders aus: hier ist es genau umgekehrt, die neueren Arbeiten setzen extrem kritisch an, und plausibilisieren lediglich - professionell begründet - die lückenhaften Quellenlage.

Es ist die veraltete militärhistorische Literatur, zu der Du die Kritik zu Recht äußerst, die zB Seibert offenbar "inspiriert" hat.

Beispiele zu den neueren Arbeiten habe ich oben zitiert.
 
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