Heather auf Abwegen?

dekumatland

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Kennt jemand dieses Buch? Von Heather habe ich ein paar Sachen gelesen (allesamt lesenswert! Der ist ein Fachmann in Sachen Völkerwanderung/Frühmittelalter!) - diese Rezension einer quasi Hybrid-Publikation hat mich erstaunt.
 
Wir haben hier im Geschichtsforum die Regel, Tagespolitik und Weltanschauliches beiseite zu lassen. Allerdings führt das auch zu einem gewissen Dilemma, denn - auch wenn man sich fragen kann, ob man aus der Geschichte lernen kann bzw. immer wieder festgestellt wird, dass aus der Geschichte nicht gelernt wird - so ist doch der Ursprung von Geschichtsbetrachtung oft die Gegenwart. Im Schulbereich ist es sogar so, dass der Geschichtsunterricht (neben den Kompetenzen, die vermittelt werden, wie etwa Kritikfähigkeit etc.) seine Berechtigung daraus zieht, dass hier exemplarisch an historischen Sachverhalten Schüler Meinungsbildung betreiben können (Bildung von Sach- und Werturteil) und Geschichte durchaus exemplarisch herangezogen wird, um gegenwärtige Entwicklungen kritisch zu beleuchten. Aber Geschichte ist auch keine Glaskugel für die Zukunft, wie in dem vielzitierten Satz von Marx "Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce."
Ich denke schon, dass man gewisse Parallelen und Muster erkennen kann, wenn man sich Völker und Reiche ansieht. Vorsichtig sollte man nur dabei sein, allzu weitreichende Prognosen daraus zu ziehen.
 
Peter Heather ist allerdings schon länger auf Abwegen.
Hier der Abschnitt "Critisim" aus Wikipedia:

Peter Heather has been criticised by members of the Toronto School of History. Michael Kulikowski, who is sometimes associated with this group, has said Heather
promotes a "neo-Romantic vision of mass migrations of free Germanic peoples" and wishes "to revive a biological approach to ethnicity".
According to Kulikowski, Heather "comes perilously close to recreating the old, volkisch notion of an inherent "Germanic" belief in freedom."
On the other hand, Kulikowski has praised Heather for his works on Gothic history, calling him "the most subtle modern interpreter of Gothic history."

Guy Halsall has identified Peter Heather as the leader of a "counter-revisionist offensive against more subtle ways of thinking" about the Migration Period.
Halsall accuses this group, which is associated with the University of Oxford, of "bizarre reasoning" and of purveying a "deeply irresponsible history".
Halsall writes that Heather and the Oxford historians have been responsible for "an academic counter-revolution" of wide importance, and that they
deliberately provide "succour" to far-right extremists such as Anders Behring Breivik.
Similar criticism has been levelled by Andrew Gillett, another associate of the Toronto School, who laments Heather's "biological" approach and lists Heather's research as an "obstacle" to the advance of multicultural values
 
Peter Heather ist allerdings schon länger auf Abwegen.
Hier der Abschnitt "Critisim" aus Wikipedia:
Guy Halsall has identified Peter Heather as the leader of a "counter-revisionist offensive against more subtle ways of thinking" about the Migration Period.
Halsall accuses this group, which is associated with the University of Oxford, of "bizarre reasoning" and of purveying a "deeply irresponsible history".
Halsall writes that Heather and the Oxford historians have been responsible for "an academic counter-revolution" of wide importance, and that they
deliberately provide "succour" to far-right extremists such as Anders Behring Breivik.
Halsall ist da ja sehr umtriebig und kritisiert z.B. Dinge, dass eine bestimmte Art der Darstellung von Geschichte völkisch-nationalen in die Karten spielen würde. Aber es ist nicht die Schuld von Historikern, dass - sofern sie nicht selber z.B. aus einer völkischen Ecke heraus argumentieren - politische Extremisten jeglicher Couleur (Germanen sind halt immer eher für völkische Nationalisten anschlussfähig) Geschichte missbrauchen, um "das große Ganze" zu erklären.
Halsall hat beispielsweise kritisiert (da waren die Germanen aber eher negativ), dass die Völkerwanderung und der Zusammenbruch des römischen Reiches völkischen Nationalisten ein Argument an die Hand gäbe, gegen Migration zu wettern als Grund für staatlichen Zusammenbruch und tatsächlich ist das vor dem Brexit-Referendum von Brexiteers auch so verwendet worden. Nun sind aber die Zusammenhänge von Völkerwanderung und dem Zusammenbruch der Westhälfte des Imperium Romanum, wenn auch zu kurz gesprungen, nicht von der Hand zu weisen. Das Problem ist doch eher, dass die moderne Migration in einen Zusammenhang mit den Verschiebungen der Völkerwanderung parallelisiert wird, obwohl es sich soziologisch um verschiedene Dinge handelt. Da können aber die Historiker nichts für. Sie müssen sich vielleicht besser gegen eine solche narrative Übernahme wehren.
 
Halsall ist da ja sehr umtriebig und kritisiert z.B. Dinge, dass eine bestimmte Art der Darstellung von Geschichte völkisch-nationalen in die Karten spielen würde. Aber es ist nicht die Schuld von Historikern, dass - sofern sie nicht selber z.B. aus einer völkischen Ecke heraus argumentieren - politische Extremisten jeglicher Couleur (Germanen sind halt immer eher für völkische Nationalisten anschlussfähig) Geschichte missbrauchen, um "das große Ganze" zu erklären.
Völlig richtig.

Dass die Völkerwanderungszeit - andernorts auch Invasions- & Barbarenepoche genannt - auch im Hinblick auf Migration seitens der Historiker betrachtet werden kann und wird, ist ja kein ganz so taufrisches Novum: wir finden diese Forschungsperspektive seit den 90er Jahren des 20.Jhs., z.B. bei Wolfram, Geary, Pohl, Demandt (letzterer geriet in verdächtigendes Gerede, Wolfram-Geary-Pohl ist das nach meiner Kenntnis nicht widerfahren).

Mich hat freilich erstaunt, dass Peter Heather durch seine Teilnahme an Stürzende Imperien: Rom, Amerika und die Zukunft des Westens den fachhistorischen Bereich zu verlassen scheint.
 
Nun sind aber die Zusammenhänge von Völkerwanderung und dem Zusammenbruch der Westhälfte des Imperium Romanum, wenn auch zu kurz gesprungen, nicht von der Hand zu weisen.

Schon hier könnte man vorsichtig widersprechen. Völkerwanderung? Wanderung , ok, ja.
Aber Völker?

Nationen und Ethnien nach unserem heutigen Verständnis eher nicht.
Warlords mit einem Sammelsurium an Kriegern, ständig neu entstehende Gruppierung, natürlich begleitet von Tross, "Followern" und Tingeltangel, aber Völker?

Alleine wie viele sogenannte "Goten"-Gruppierungen kennen wir? 10? 15? Mehr? Alles Völker?
Und wie unterschieden sie sich von Rugiern, Gepiden, Herulern, Wandalen, Skiren usw.?
Durch unterschiedliche Warlords, oder war da noch mehr?

Natürlich sind damals "Barbaren" im römischen Reich aufgetaucht, aber lange Zeit hat das Reich sie problemlos und mit Freuden integriert.
Das wird viel zu oft vergessen.

Probleme gab es, wenn die Warlords zu mächtig wurden, zu viele Krieger um sich sammelten.
Und wenn die römischen Herrscher eher Eigen- als Staatsinteressen folgten.

Aber das war eben kein Problem, was man unter "Migration" aufführen würde, das waren eher Probleme, die aus dem römischen System der Hilfstruppen, Föderaten, Klientel und "echten" Militärs erwuchs, zu weiten Teilen hausgemacht.
Die meisten der Anführer, die schließlich Rom besiegten, trugen irgendwann einen Titel wie "Magister militum".
Migranten waren das keineswegs mehr.

Sowohl von der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, als auch von modernen Historikern wie Heather werden da aber durchaus Parallelen gezogen, und die werden zu Recht kritisiert. Und da sind eben jene Historiker gerade nicht schuldlos.

Das Bild der Völkerschaften, die vor dem Krieg im Osten (Syrien? Oder doch Hunnen?) zu "uns" [sic!] fliehen und um Aufnahme bitten, und dadurch den Zusammenbruch des Abendlandes einleiteten hat sehr lange Zeit die Forschung dominiert und scheint wieder zu kommen.
 
Schon hier könnte man vorsichtig widersprechen. Völkerwanderung? Wanderung , ok, ja.
Aber Völker?

Nationen und Ethnien nach unserem heutigen Verständnis eher nicht.
Warlords mit einem Sammelsurium an Kriegern, ständig neu entstehende Gruppierung, natürlich begleitet von Tross, "Followern" und Tingeltangel, aber Völker?

Alleine wie viele sogenannte "Goten"-Gruppierungen kennen wir? 10? 15? Mehr? Alles Völker?
Und wie unterschieden sie sich von Rugiern, Gepiden, Herulern, Wandalen, Skiren usw.?
Durch unterschiedliche Warlords, oder war da noch mehr?
Ich dachte mehr an Masse, als an Ethnienbezeichnungen oder gar fest umrissene, unteilbare Gruppen im Sinne des Kossinnismus.
 
Ich dachte mehr an Masse, als an Ethnienbezeichnungen oder gar fest umrissene, unteilbare Gruppen im Sinne des Kossinnismus.

Auch das trifft es nicht.
Z.B. die sogenannten Ostgoten, die Italien beherrschten, dürften nur wenige Tausend gewesen sein.
Die sicherste Zahl, die wir haben, sind wohl die angeblich 80.000 Vandalen. Aber selbst die Zahl scheint doch sehr hoch gegriffen.
Dagegen waren Rom und Konstantinopel damals Millionenstädte.
 
Auch das trifft es nicht.
Z.B. die sogenannten Ostgoten, die Italien beherrschten, dürften nur wenige Tausend gewesen sein.
Die sicherste Zahl, die wir haben, sind wohl die angeblich 80.000 Vandalen. Aber selbst die Zahl scheint doch sehr hoch gegriffen.
Dagegen waren Rom und Konstantinopel damals Millionenstädte.
Irgendwie reden wir aneinander vorbei. Schätzungen der Ostgoten oder Westgoten gehen in die Zehntausende, vielleicht in die niedrigen Hunderttausende. Das ist natürlich gering gegenüber der jeweils mehrere Millionen zählenden Bevölkerung der Apenninenhalbinsel oder der PI. Aber darum geht es doch gar nicht.
 
Irgendwie reden wir aneinander vorbei. Schätzungen der Ostgoten oder Westgoten gehen in die Zehntausende, vielleicht in die niedrigen Hunderttausende. Das ist natürlich gering gegenüber der jeweils mehrere Millionen zählenden Bevölkerung der Apenninenhalbinsel oder der PI. Aber darum geht es doch gar nicht.
Du schrubst von "Masse"? Wenn es nicht um die Anzahl an Menschen, noch um die "Völker" geht, um was dann?

Nebenbei, die Zahlen die du nennst betreffen eher das spätere Westgotenreich. Etliche Generationen später.
 
@Stilicho deinem Beitrag #6 stimme ich Weitenteils zu, sonst hätte ich ihn nicht geliked.
Im spätantiken weströmischen Reich herrschte ein militärischer Fachkräftemangel, um es aktualisiert sprachlich zu inszenieren ;) Diesem Mangel pflegte man mit Anwerbung/Integration barbarischer Krieger bis hin zum anwerben kompletter großer "barbarischer Kriegergruppen/Kontingente" zu begegnen.
Dennoch gibt es einen großen Unterschied zwischen dem 3./4. Jh. und dem 5./6. Jh.: zuvor waren Truppen, auch wenn sie mit barbarischen Kriegern (als Legionäre) aufgestockt waren, sozusagen von der staatlichen Militärbehörde bezahlt, fouragiert, untergebracht (Kasernen, Kastelle etc) -- später, als komplette Barbarengruppen (exercitus) mit Königen (reges) in der Funktion als "römische Generäle" an der Spitze die ausgedünnten Legionen ersetzten, war deren Finanzierung problematisch geworden: Stichworte annona und hospitalitas. Da herrschten nun andere, aus römischer Perspektive schwerer kontrollierbare Zustände (und das umso mehr, wenn kaiserlich bestallte "Generäle" wie Theoderich u.a. dazu übergingen, ihr eigenes Süppchen zu kochen...)
 
Du schrubst von "Masse"? Wenn es nicht um die Anzahl an Menschen, noch um die "Völker" geht, um was dann?
So ganz verstehe ich dich nicht. Zuerst hängst du dich daran auf, dass ich den fachwissenschaftlich etablierten Begriff Völkerwanderung verwendet habe. Ist okay, bin ich fein mit. Etablierte Begriffe sollten immer mal wieder hinterfragt werden. Implizit hast hast mir aber gewissermaßen ein naives Bild wie im 19. Jhdt. vorgeworfen - und das obwohl wir uns seit Jahren kennen und du eigentlich wissen solltest, dass ich kein solch antiquiertes Bild pflege.
Ich habe daraufhin klargestellt, dass ich sicher nicht Völker im Sinne der Kulturkreislehre á la Kossinna vor Augen habe, es ginge mir mehr um Masse. Dann hängst du dich an Masse auf, die paar Germanen und Alanen seien doch nun wirklich in der Gesamtbevölkerung der betroffenen Proinzen/respektive Regionen mengenmäßig verschwunden. Nun ich habe nichts Gegenteiliges behauptet. Dennoch Personenverbandsgefüge von ein paar zehntausend bis hunderttausend sind eben nicht nichts und die treffen ja nicht auf die Millionenbevölkerung der Region/Provinz/Diözese, sondern auf die Villa rústica, das Dorf, die Kleinstadt.
 
Dann hängst du dich an Masse auf, die paar Germanen und Alanen seien doch nun wirklich in der Gesamtbevölkerung der betroffenen Proinzen/respektive Regionen mengenmäßig verschwunden. Nun ich habe nichts Gegenteiliges behauptet. Dennoch Personenverbandsgefüge von ein paar zehntausend bis hunderttausend sind eben nicht nichts und die treffen ja nicht auf die Millionenbevölkerung der Region/Provinz/Diözese, sondern auf die Villa rústica, das Dorf, die Kleinstadt.
Ich darf mich mit einem Hinweis einmischen:
Zwar fielen prinzipiell die barbarischen Gruppen im (west)römischen Reich demografisch nicht sonderlich auf, aber man darf nicht vergessen, dass diese Gruppen oftmals (Spätantike) innerhalb des Militärs eine Mehrheit darstellten. Die gewaltige demografische Mehrheit z.B. der hispanischen Provinzialen waren nicht unter Waffen und überwiegend auch nicht an Waffen geschult: da nimmt es nicht wunder, dass sie von "den paar" Westgoten beherrscht wurden.
(Berühmt ist doch, was Herwig Wolfram zu genau dieser Fragestellung in "das Reich und die Germanen" geschrieben hatte)
 
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