Herold schrieb:Ein Wunschtraum? Nun, zum einen gibt es da so etwas wie eine Geschichtswissenschaft, die sich doch in der Tat schon seit längerem bemüht, gerade zum Thema Hexenverfolgung grundlegende Fakten zusammen zu stellen und der es auch möglich ist, einigermaßen das geistige Klima zu rekonstruieren, in dem Hexenverfolgung stattfand, und auch und gerade die intellektuelle Basis für dieses Phänomen zu beleuchten. Denn - und das ist gleichzeitig zum anderen - bringt es die Eigenschaft, "Gebildeter" zu sein, mit sich, sein Wissen nicht im Stillen für sich zu behalten, sondern sich in einen publizistischen bzw. literarischen Austausch mit seinesgleichen zu begeben, so dass gerade von dieser Seite reichhaltig Quellen vorhanden sind, die den intellektuellen Horizont dieser Schicht erhellen können.
Wikipedia hat unter dem Stichwort "Hexentheoretiker" eine lange Liste von Befürwortern (wie auch von Gegnern der Hexenverfolgung): Hexentheoretiker - und dabei ist diese Liste keineswegs vollzählig, beispielsweise sind weder Päpste (wie etwa Innozenz VIII.) noch Martin Luther oder Johannes Calvin genannt, die alle die Notwendigkeit einer Hexenverfolgung bekräftigen, womit auch die führenden Köpfe aller drei Konfessionen in den Kontext einbezogen werden. Wie von ihnen gibt es daneben auch von vielen anderen Denkern der Zeit Äußerungen zum Hexenwesen, ohne dass sie aber als explizite Gewährsmänner für diese Thematik genannt werden. Dies mag an dieser Stelle als Beleg dafür genügen, dass die europäische intellektuelle Elite sich durchaus intensiv mit dem Phänomen der Hexenverfolgung auseinandergesetzt hat - und zwar keineswegs allein mit seiner Ablehnung, sondern auch weithin mit seiner Bekräftigung! (Es sei für diese Thematik auch noch einmal auf den weiter oben bereits von Kassia geposteten vorzüglichen Link verwiesen: Katalog des DHM: Hexenwahn. Ängste der Neuzeit, hier findet sich in dem Aufsatz von Othon Scholer beispielsweise viel Material zum geistigen Horizont des Martin Anton del Rio, eines zentralen Denkers zum Thema Magie im 16./17. Jhd. Der von Timotheus gepostete Link ist dort übrigens auch als Aufsatz enthalten.)
Nur weil der Herr zu Randeck in Bayern die Hexenverfolgung ablehnt, ist das noch lange kein Beleg dafür, dass diese allgemein kritisch oder gar als Verbrechen gesehen wurde. Der Herr zu Merfeld in Westfalen beispielsweise war da ganz anderer Meinung (vgl. Gudrun Gersmann in der HZ, Beihefte 31). Mal ganz abgesehen davon, dass es etwas seltsam erscheint, dass der Herr zu Randeck eines seiner wichtigsten Rechte, die Blutgerichtsbarkeit, freiwillig an den Herzog abtreten will - vielleicht verbergen sich hier (wie oben von mir skizziert) auch noch andere Interessenslagen unter der Oberfläche, denen die Hexenverfolgung als Instrument zum Konfliktaustrag gelegen kommt?
Und natürlich haben auch Richter und Gelehrte Kritik an den Prozessen geübt, was aber keineswegs gleichbedeutend ist mit einer Ablehnung des Hexenglaubens oder der Wahrnehmung einer Hexenverfolgung als generellem Verbrechen. Die berühmte Cautio Criminalis von Friedrich Spee etwa stellt die Existenz von Hexen überhaupt nicht in Frage, vielmehr kritisiert er die Prozesspraxis, die einen Beweis der Unschuld praktisch unmöglich macht. Auch Hermann Löher als Gegner der Hexenprozesse greift in seiner "wehmütigen Klage" die Hexenrichter an, die Prozesse mit Lügen und erfolterten Geständnissen betreiben würden. Ein vollkommener Zweifel an einem Weltbild mit magischen Komponenten schient beiden dabei aber nur schwerlich möglich. Und (um es noch einmal zu betonen): Die Leistungen solcher Gegner der Hexenverfolgung ist unzweifelhaft sehr hoch einzustufen, aber mit ihren Gedanken begannen sie erst ein verbreitetes Weltbild zu ändern, sie sind erste Vertreter einer Sichtweise auf das Hexenphänomen, der (glücklicherweise) die Zukunft gehören sollte, aber sie sind nicht unbedingt Exponenten einer damals verbreiteten Mehrheitsmeinung.
Ich meinte nicht die Geschichtswissenschaft, ich bezog mich allgemein auf die Menschen der damaligen Zeit. Und deren Denken wird immer ein Geheimnis bleiben. Publikationen, Quellen, nichts sagen diese über das Denken der Menschen aus. Papier ist geduldig und aus Angst, Karrieredenken, Anbiederung u. vielen ähnlichen Gründen haben Menschen schon sehr viel geschrieben und Standpunkte vertreten, nichts aber sagt das über ihr geheimes Denken. Gerade die Geschichte zeigt oft, wie schnell solche Publikationen verleugnet werden von den Autoren selbst, wie schnell sich Meinungen und Demonstrationen ändern. Wie schnell aus einem Saulus ein Paulus wird, wenn für ihn selbst Risiken bestehen. Es ist Papier und wir nehmen es so zur Kenntnis, nichts aber wissen wir über das wirkliche Denken der Menschen vergangener Epochen. Die Geschichtswissenschaft hat zwar Daten und Quellen aber in den meisten Fällen bleibt es Theorie, denn selbst Quellen haben sich schon oft als Fälschungen herausgestellt. Das ist jetzt allgemein auf die Geschichtswissenschaft bezogen, nicht direkt auf Hexenprozesse oder Inquisition.
Die Geschichtswissenschaft ist nicht mit der Mathematik zu vergleichen. Es bleiben zu viele Unbekannte, zu viel Theorie und Vermutungen und auch neuzeitliches Denken haben Einfluß.
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