Hexenprozesse, Inquisition und die Verantwortung der Kirche

Herold schrieb:
Ein Wunschtraum? Nun, zum einen gibt es da so etwas wie eine Geschichtswissenschaft, die sich doch in der Tat schon seit längerem bemüht, gerade zum Thema Hexenverfolgung grundlegende Fakten zusammen zu stellen und der es auch möglich ist, einigermaßen das geistige Klima zu rekonstruieren, in dem Hexenverfolgung stattfand, und auch und gerade die intellektuelle Basis für dieses Phänomen zu beleuchten. Denn - und das ist gleichzeitig zum anderen - bringt es die Eigenschaft, "Gebildeter" zu sein, mit sich, sein Wissen nicht im Stillen für sich zu behalten, sondern sich in einen publizistischen bzw. literarischen Austausch mit seinesgleichen zu begeben, so dass gerade von dieser Seite reichhaltig Quellen vorhanden sind, die den intellektuellen Horizont dieser Schicht erhellen können.

Wikipedia hat unter dem Stichwort "Hexentheoretiker" eine lange Liste von Befürwortern (wie auch von Gegnern der Hexenverfolgung): Hexentheoretiker - und dabei ist diese Liste keineswegs vollzählig, beispielsweise sind weder Päpste (wie etwa Innozenz VIII.) noch Martin Luther oder Johannes Calvin genannt, die alle die Notwendigkeit einer Hexenverfolgung bekräftigen, womit auch die führenden Köpfe aller drei Konfessionen in den Kontext einbezogen werden. Wie von ihnen gibt es daneben auch von vielen anderen Denkern der Zeit Äußerungen zum Hexenwesen, ohne dass sie aber als explizite Gewährsmänner für diese Thematik genannt werden. Dies mag an dieser Stelle als Beleg dafür genügen, dass die europäische intellektuelle Elite sich durchaus intensiv mit dem Phänomen der Hexenverfolgung auseinandergesetzt hat - und zwar keineswegs allein mit seiner Ablehnung, sondern auch weithin mit seiner Bekräftigung! (Es sei für diese Thematik auch noch einmal auf den weiter oben bereits von Kassia geposteten vorzüglichen Link verwiesen: Katalog des DHM: Hexenwahn. Ängste der Neuzeit, hier findet sich in dem Aufsatz von Othon Scholer beispielsweise viel Material zum geistigen Horizont des Martin Anton del Rio, eines zentralen Denkers zum Thema Magie im 16./17. Jhd. Der von Timotheus gepostete Link ist dort übrigens auch als Aufsatz enthalten.)




Nur weil der Herr zu Randeck in Bayern die Hexenverfolgung ablehnt, ist das noch lange kein Beleg dafür, dass diese allgemein kritisch oder gar als Verbrechen gesehen wurde. Der Herr zu Merfeld in Westfalen beispielsweise war da ganz anderer Meinung (vgl. Gudrun Gersmann in der HZ, Beihefte 31). Mal ganz abgesehen davon, dass es etwas seltsam erscheint, dass der Herr zu Randeck eines seiner wichtigsten Rechte, die Blutgerichtsbarkeit, freiwillig an den Herzog abtreten will - vielleicht verbergen sich hier (wie oben von mir skizziert) auch noch andere Interessenslagen unter der Oberfläche, denen die Hexenverfolgung als Instrument zum Konfliktaustrag gelegen kommt?

Und natürlich haben auch Richter und Gelehrte Kritik an den Prozessen geübt, was aber keineswegs gleichbedeutend ist mit einer Ablehnung des Hexenglaubens oder der Wahrnehmung einer Hexenverfolgung als generellem Verbrechen. Die berühmte Cautio Criminalis von Friedrich Spee etwa stellt die Existenz von Hexen überhaupt nicht in Frage, vielmehr kritisiert er die Prozesspraxis, die einen Beweis der Unschuld praktisch unmöglich macht. Auch Hermann Löher als Gegner der Hexenprozesse greift in seiner "wehmütigen Klage" die Hexenrichter an, die Prozesse mit Lügen und erfolterten Geständnissen betreiben würden. Ein vollkommener Zweifel an einem Weltbild mit magischen Komponenten schient beiden dabei aber nur schwerlich möglich. Und (um es noch einmal zu betonen): Die Leistungen solcher Gegner der Hexenverfolgung ist unzweifelhaft sehr hoch einzustufen, aber mit ihren Gedanken begannen sie erst ein verbreitetes Weltbild zu ändern, sie sind erste Vertreter einer Sichtweise auf das Hexenphänomen, der (glücklicherweise) die Zukunft gehören sollte, aber sie sind nicht unbedingt Exponenten einer damals verbreiteten Mehrheitsmeinung.

Ich meinte nicht die Geschichtswissenschaft, ich bezog mich allgemein auf die Menschen der damaligen Zeit. Und deren Denken wird immer ein Geheimnis bleiben. Publikationen, Quellen, nichts sagen diese über das Denken der Menschen aus. Papier ist geduldig und aus Angst, Karrieredenken, Anbiederung u. vielen ähnlichen Gründen haben Menschen schon sehr viel geschrieben und Standpunkte vertreten, nichts aber sagt das über ihr geheimes Denken. Gerade die Geschichte zeigt oft, wie schnell solche Publikationen verleugnet werden von den Autoren selbst, wie schnell sich Meinungen und Demonstrationen ändern. Wie schnell aus einem Saulus ein Paulus wird, wenn für ihn selbst Risiken bestehen. Es ist Papier und wir nehmen es so zur Kenntnis, nichts aber wissen wir über das wirkliche Denken der Menschen vergangener Epochen. Die Geschichtswissenschaft hat zwar Daten und Quellen aber in den meisten Fällen bleibt es Theorie, denn selbst Quellen haben sich schon oft als Fälschungen herausgestellt. Das ist jetzt allgemein auf die Geschichtswissenschaft bezogen, nicht direkt auf Hexenprozesse oder Inquisition.
Die Geschichtswissenschaft ist nicht mit der Mathematik zu vergleichen. Es bleiben zu viele Unbekannte, zu viel Theorie und Vermutungen und auch neuzeitliches Denken haben Einfluß.
 
Zuletzt bearbeitet:
Samson schrieb:
Zitat Spee:

"... es ist mir schon früher oft der Gedanke gekommen, daß jene erwähnten Inquisatoren diese ganze Unzahlö von Hexen erst mit ihrem unbesonnenen, doch sollte ich sagen, wirklich sehr ausgeklügelten und weislich verteilten Foltern nach Deutschland hereingebracht haben. ..."

Aus diesem Zitat entnehme ich, daß Spee an die Hexen als Schöpfung der Inquisition glaubte.

Wenn ich die Formulierung genau lese, kann ich lediglich entnehmen, daß er die Unzahl der Hexen den Inquisitoren anlastet.
 
Irene schrieb:
Ich meinte nicht die Geschichtswissenschaft, ich bezog mich allgemein auf die Menschen der damaligen Zeit. Und deren Denken wird immer ein Geheimnis bleiben. Publikationen, Quellen, nichts sagen diese über das Denken der Menschen aus. Papier ist geduldig und aus Angst, Karrieredenken, Anbiederung u. vielen ähnlichen Gründen haben Menschen schon sehr viel geschrieben und Standpunkte vertreten, nichts aber sagt das über ihr geheimes Denken.

Das gilt auch für die Menschen der heutigen Zeit. Du wirst z. B. niemals etwas über das geheime Denken der Mitglieder dieses Geschichtsforums erfahren, denn Bits und Bytes sind mindestens genauso geduldig wie Papier.
 
hyokkose schrieb:
Das gilt auch für die Menschen der heutigen Zeit. Du wirst z. B. niemals etwas über das geheime Denken der Mitglieder dieses Geschichtsforums erfahren, denn Bits und Bytes sind mindestens genauso geduldig wie Papier.


Genau, ich kenn ja nicht mal die Gedanken meines Mannes:D

Auf das obige Thema, man kann nicht einfach davon ausgehen, dass es in der damaligen Epoche nicht auch Menschen gab, die die Geschehnisse als Verbrechen erkannt haben, dass alle aus dem Glauben heraus die Hexen- und Ketzerverfolgung für rechtens hielten.
 
Spee war gläubiger Katholik. Ihm wurde sogar die Re- Katholisierung der Stadt Peine übertragen.

1631 erschien seine „Cautio Criminalis“. Ab 1590 war aufgrund des bayerischen Hofgutachtens Kritik an den Hexenprozessen im Prinzip verboten. Es galt als „unkatholisch“. Das ein Kritiker nun seine Ansichten zwischen den Zeilen postulieren musste, dürfte verständlich sein, wollte er nicht ebenfalls auf dem Scheiterhaufen enden.

In diesem Zusammenhang sind Spees niedergeschriebene Worte zu lesen. Vor allem die Wortwahl in der Cautio Criminalis ist in Bezug auf das Nichtgeschriebene verständlich:

Zitat:

„Ob es in Deutschland mehr Hexen und Unholde als anderorts gibt? Ich antworte: Das weiß ich nicht. Aber ich will, um keine Zeit zu vertun, kurz sagen , wie sich mir die Sache darstellt. Danach scheint es jedenfalls so und es wird angenommen, dass sich in Deutschland mehr Hexen finden als woanders.“

Diplomatischer geht es nicht im Ausdruck ohne anzuecken. Und weiter:

„Dieser Glaube an eine Unmenge von Hexen in unserem Lande wird aus zwei wichtigen Quellen genährt. Deren erste heißt Unwissenheit und Aberglauben des Volkes. Alle Naturforscher lehren, dass auch solche Erscheinungen auf ganz natürlichen Ursachen beruhen, die bisweilen ein wenig vom gewöhnlichem Lauf der Natur abweichen, und die man als außerordentlich bezeichnet, wie beispielsweise ein übermäßiger Platzregen, besonders starker Hagel und Frost, ein übergewaltiger Donnerschlag und Ähnliches...
Die zweite Quelle des Glaubens an die unzähligen Hexen heißt Neid und Missgunst des Volkes.“


Übersetzen könnte man das folgendermaßen: Das ungebildete und neidische Volk lässt sich an der Nase herumführen.
 
Ich erlaube mir nochmals eine Einmischung...

Irene schrieb:
... man kann nicht einfach davon ausgehen, dass es in der damaligen Epoche nicht auch Menschen gab, die die Geschehnisse als Verbrechen erkannt haben, dass alle aus dem Glauben heraus die Hexen- und Ketzerverfolgung für rechtens hielten.

Da hast Du meines Erachtens etwas mißverstanden; denn so wie ich Herolds Beiträge verstanden hatte, ging es ihm um den Zeitgeist bzw. "das geistige Klima der Zeit" (wie er es nannte).

Ich gestatte mir zu Deinen Einwänden noch eine Gegenfrage: Warum sollten Menschen im Europa vor der Epoche der Aufklärung diese "Geschehnisse" als Verbrechen sehen?

PS: Und obgleich es mir nicht behagt, andauernd auf meine früheren Beiträge hinzuweisen, möchte ich nochmals auf den verlinkten Text in Beitrag #74 verweisen. Dort klärt sich im abschließenden Teil meiner Meinung nach vieles, worüber hier "gestritten" wird...
Aber ich zitere den diesbezüglich relevanten Teil...

Insgesamt bieten die europäischen Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit ein äußerst facettenreiches Bild. Es gab keine große, zusammenhängende Verfolgung auf dem Kontinent über den gesamten Zeitraum hinweg; für die einzelnen regionalen, nicht selten endemisch auftretenden, sich oft aber auch epidemisch ausbreitenden Hexenpaniken ist immer eine Vielzahl verschiedener Ursachen verantwortlich. Nicht jede Hungerkrise führte zu Hexenprozessen, bei weitem nicht aus jedem Zaubereiverdacht entwickelte sich eine gerichtsrelevante Anklage wegen Hexerei; nicht jede Anklage wegen Schadenzauber unterstellte auch den Teufelspakt, nicht jedes Hexereiverfahren endete mit einem Todesurteil, und nicht jeder Zaubereiprozess zog automatisch andere Verfahren nach sich, deren Dynamik in Massenhinrichtungen endete. Darüber hinaus hat es zu allen Verfolgungszeiten kritische und besonnene Stimmen aus allen konfessionellen Lagern und aus allen Bevölkerungsschichten gegen den Hexenglauben und gegen die Hexenjagden gegeben.

Allerdings wurden diese Stimmen mit zunehmender Verfolgungstätigkeit immer leiser und scheuten nicht selten eine schriftliche Aufzeichnung, denn sich gegen den Strom zu stellen, war höchst riskant. Insgesamt mußte immer eine Vielzahl von Bedingungen erfüllt werden, um Hexereiverfahren in Gang zu
bringen.
Dazu gehörten unter anderem:
1. einschlägige wirtschaftliche, konfessionelle und / oder politische Krisenszenarien und Konflikte,
2. die Verbreitung des Hexereibegriffs und die Akzeptanz (bzw. Nicht-Akzeptanz) seiner einzelnen Bestandteile Teufelspakt und -buhlschaft, Hexenflug, Sabbat und Schadenszauber;
3. das Verfolgungsdrängen der Bevölkerung,
4. die Verfolgungsbereitschaft der Hochgerichtsherren in adligen, geistlichen oder städtischen Herrschaftsgebieten;
5. das Karriere-, Profilierungs- und Bereicherungsinteresse, welches lokale Gerichtsbeamte, Kommissare und Notare an der Durchführung von Hexereiverfahren nehmen konnten,
6. die verfolgungsfördernden, -dulden-den oder -abwehrenden Maßnahmen der Landesherrschaften, sowie
7. die Möglichkeit der Nutzung/Instrumentalisierung von Hexereiverfahren.
Die Hexenverfolgungen müssen demnach heute als eine von gelehrten Brandstiftern aus allen
konfessionellen Lagern, von Theologen wie von Juristen legitimierte, von der Bevölkerung
vorangetriebene, von den obrigkeitlichen Gerichten geförderte und von vielen
Interessengruppen genutzte Aktion gelten, die sich nicht gegen eine spezielle Opfergruppe richtete, sondern deren Fahndungsbild auf Menschen jeden Geschlechts, Alters oder Standes zugeschnitten werden konnte.

Wahrscheinlich liegt es an eben dieser oft nur mühsam zu popularisierenden Vielschichtigkeit des Phänomens "Hexenverfolgungen", warum ein naives, in simplen schwarz-weiß Kategorien denkendes Geschichtsverständnis sich lieber von ebenso naiven Verschwörungsszenarien den Blick trüben lässt, als sich durchaus kritisch mit den (leicht zugänglichen) Ergebnissen der neueren Hexenforschung auseinanderzusetzen. Eine gewisse "Belehrungsresistenz" der Öffentlichkeit scheint außerdem weniger das Ergebnis von Uneinsichtigkeit zu sein als vielmehr eine Folge medialer Überforderung und widersprüchlicher Informationsangebote.

Nochmals der Link: http://www.listserv.dfn.de/cgi-bin/wa?A2=ind0602&L=hexenforschung&O=D&F=&S=&P=761

Schlußendlich noch eine weitere Anmerkung dazu: Aussagen wie "war Katholik" bzw. "war Protestant" sagen übrigens bezüglich Befürwortung/Förderung vs. Kritik so gut wie gar nichts aus.
 
Irene schrieb:
Auf das obige Thema, man kann nicht einfach davon ausgehen, dass es in der damaligen Epoche nicht auch Menschen gab, die die Geschehnisse als Verbrechen erkannt haben, dass alle aus dem Glauben heraus die Hexen- und Ketzerverfolgung für rechtens hielten.

Man kann aber davon ausgehen, daß es einen allgemeinen Konsens gab, aus dem auch ein Friedrich Spee nicht auszuscheren wagte (vgl. Samsons Beitrag).
 
Mercy schrieb:
Welche Prozessakten lagen denn dir vor?

Hallo Mercy

Neben den allgemeinen Akten, die man in offiziellen Standartwerken findet, habe ich vor allem die Akten der Obwaldner Hexenprozesse in Erinnerung.
Darin wird der Schaden, welcher den Mitbewohnern des Dorfes gemacht wurde, ebenso hoch gewichtet wie Taten gegen die Kirche. Da die meisten Bewohner zwar nicht direkt arm waren, aber auch nicht in luxuriösen Verhältnissen lebte, war der Tod einer Kuh oder auch nur einer Ziege oft ein grösseres finanzielles Problem. Kam dies öfters vor (was um 1630 noch oft geschah), konnte dies für den Lebensunterhalt und die Existenz einer Familie sehr bedrohlich werden. Wenn dann gleichzeitig eine Hexe gestand, das sie mit Salben etc. die Nachbarstiere gefährdete, so war sie sich der Hass der Mitmenschen sicher, da sie als etwas Existenzbedrohendes galt.
Interessant ist auch, dass die Geistlichen in Obwalden meines Wissens bis auf einen Fall sich weder als Ankläger oder Hexensammler oder ähnliches betätigten. Das ganze Verfahren wurde von der weltlichen Obrigkeit geführt.
Um 1650 kritisiert der Sarner Pfarrer gar die Obrigkeit wegen den Hexenverfolgungen, worin ihm eine Redeverbot erteilt wurde, und, falls er weiter so spreche, könne er sein Brot woanders suchen.
Aber das ist, wie ich schon oben schrieb, nur ein regionales Beispiel.
 
timotheus schrieb:
Ich gestatte mir zu Deinen Einwänden noch eine Gegenfrage: Warum sollten Menschen im Europa vor der Epoche der Aufklärung diese "Geschehnisse" als Verbrechen sehen?

Das erlaube ich mir zu bezweifeln, dass die Aufklärung der Dreh- und Angelpunkt bei diesen Betrachtungen ist. Wie häufig in einzelnen Strängen hingewiesen - zählt Europa mehr oder weniger als einziges zu den gesegneten Völkern, die der Aufklärung teilhaftig wurden. Außerhalb Europas - z.B. im Islam und auch im Judentum - gab es weder Hexenverfolgungen noch Inquistionen. Dies trifft auch für andere Nationen zu, denen die "Aufklärung" noch nicht zu teil wurde.
Ich bin mir ganz sicher, dass es auch vor der "Aufklärung" genügend Menschen in Europa und Deutschland gab, die ihren Verstand gebrauchten und naturwissenschaftliches Wissen besaßen und das Geschehen auch als das erkannten was es war, ein Verbrechen. Denn trotz "Aufklärung" sind Massenhysterien jederzeit inszenierbar und auch heute nicht auszuschließen.
 
Ich wurde noch angefragt, wie ich an die Dokumente über die Obwaldner Hexenprozesse kam.
Leider wurden von allen Prozessen bloss ein kleiner Prozentsatz transkribiert. Ein grösseres Kapitel darüber findet sich in:

- Garovi A.; Die Geschichte Obwaldens, 2000
- Stockmann; Die Hexenprozesse in Obwalden, 1925

Sehr interessant finde ich daneben auch die Landessagen, wovon viele über die Hexenverfolgungen erzählen. Darin finden sich hauptsächlich Erzählungen, wie Hexen Vieh verdarben, Matten überschwemmte etc.
Für das einfache Volk kann man deshalb ableiten, dass die ökonomischen Folgen der Hexenmacht schlimmer schienen als die Tatsache, dass sie sich von der offiziellen Religion abwandten. Denn dies kommt in den Sagen vergleichsweise selten zur Sprache. Das wichtigste Werk dafür ist:

- Niderberger F.; Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, 1909/10 (Nachdruck Olms Verlag 1989)

Eine kurze Abhandlung über die Darstellungen in der Sage und den Urkunden findet sich in:

- Niederberger H.; Sagen aus Giswil, 1984

Leider sind zurzeit nur noch die beiden Bücher von F. Niderberger und A. Garovi im Handel erhältlich. Wer sich übrigens für Volkssagen interessiert, würde ich F. Niederbergers Buch empfehlen. Oft sagen Sagen mehr über das Empfinden des Volkes aus als die authentischen Gerichtsprotokolle.
 
Ich möchte doch darum bitten, meine Fragestellung richtig zu lesen...

Irene schrieb:
Das erlaube ich mir zu bezweifeln, dass die Aufklärung der Dreh- und Angelpunkt bei diesen Betrachtungen ist.

Hatte ich gar nicht behauptet; es ging um die zeitliche Einordnung.

Irene schrieb:
Wie häufig in einzelnen Strängen hingewiesen - zählt Europa mehr oder weniger als einziges zu den gesegneten Völkern, die der Aufklärung teilhaftig wurden. Außerhalb Europas - z.B. im Islam und auch im Judentum - gab es weder Hexenverfolgungen noch Inquistionen. Dies trifft auch für andere Nationen zu, denen die "Aufklärung" noch nicht zu teil wurde.

Daß die Situation außerhalb des christlichen Europas anders darstellt, hat niemand angezweifelt - aber in dieser Diskussion geht es nun einmal um das christliche bzw. christlich geprägte Europa (genaugenommen den westlichen Teil), weswegen auch dieses zu betrachten ist.
Es bringt für die Diskussion nichts, wenn jedes Mal gesagt wird "in anderen Kulturen war das aber anders", denn dort gibt es auch andere Traditionen - solche Argumentationen nennt man in der Logik eine Tautologie.

Irene schrieb:
Ich bin mir ganz sicher, dass es auch vor der "Aufklärung" genügend Menschen in Europa und Deutschland gab, die ihren Verstand gebrauchten und naturwissenschaftliches Wissen besaßen und das Geschehen auch als das erkannten was es war, ein Verbrechen.

Gut, ich stelle die Frage anders: Mit welcher Begründung bist Du Dir ganz sicher, daß sie es als Verbrechen erkannten?
Anm.: Ich spreche dabei wohlgemerkt vom Kampf gegen Hexen, nicht von Kritik an der Prozeßführung o.ä.
Im Voraus nur so viel: Dem mit "Verstand gebrauchen" und/oder "naturwissenschaftlichem Wissen" beikommen zu wollen, ist zu kurz gegriffen.

Irene schrieb:
Denn trotz "Aufklärung" sind Massenhysterien jederzeit inszenierbar und auch heute nicht auszuschließen.

Kein Widerspruch.
Aber eben stets unter Berücksichtigung des Zeitgeistes...
 
Irene schrieb:
Das erlaube ich mir zu bezweifeln, dass die Aufklärung der Dreh- und Angelpunkt bei diesen Betrachtungen ist. Wie häufig in einzelnen Strängen hingewiesen - zählt Europa mehr oder weniger als einziges zu den gesegneten Völkern, die der Aufklärung teilhaftig wurden. Außerhalb Europas - z.B. im Islam und auch im Judentum - gab es weder Hexenverfolgungen noch Inquistionen. Dies trifft auch für andere Nationen zu, denen die "Aufklärung" noch nicht zu teil wurde.
Ich bin mir ganz sicher, dass es auch vor der "Aufklärung" genügend Menschen in Europa und Deutschland gab, die ihren Verstand gebrauchten und naturwissenschaftliches Wissen besaßen und das Geschehen auch als das erkannten was es war, ein Verbrechen. Denn trotz "Aufklärung" sind Massenhysterien jederzeit inszenierbar und auch heute nicht auszuschließen.

Der Unterschied z.B. zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus besteht darin, daß dieser 1945 aufgehört hat zu existieren während die Kirche immer noch existent ist und in großen Teilen der Bevölkerung der Glauben verwurzelt ist.
Viele Kritiker wagten aufgrund des Glaubens und wohl auch der Machtfülle der Kirche nicht, sich offen gegen die Kirche zu stellen, sondern interpretierten die Bibel oder Teile davon im Sinne des persönlichen Glaubens anders.
Will sagen: ein Gläubiger wird sich nicht gegen das Glaubensdogma auflehnen, weil er dann kein Gläubiger mehr ist. Nimmt das Glaubensdogma aber eine behrrschende Stellung in der Gesellschaft uund im Staat ein, wäre es geradezu revolutionären Gedankenguts, sich dagegen aufzulehnen.
 
Irene schrieb:
Ich meinte nicht die Geschichtswissenschaft, ich bezog mich allgemein auf die Menschen der damaligen Zeit. Und deren Denken wird immer ein Geheimnis bleiben. Publikationen, Quellen, nichts sagen diese über das Denken der Menschen aus. Papier ist geduldig und aus Angst, Karrieredenken, Anbiederung u. vielen ähnlichen Gründen haben Menschen schon sehr viel geschrieben und Standpunkte vertreten, nichts aber sagt das über ihr geheimes Denken. Gerade die Geschichte zeigt oft, wie schnell solche Publikationen verleugnet werden von den Autoren selbst, wie schnell sich Meinungen und Demonstrationen ändern. Wie schnell aus einem Saulus ein Paulus wird, wenn für ihn selbst Risiken bestehen. Es ist Papier und wir nehmen es so zur Kenntnis, nichts aber wissen wir über das wirkliche Denken der Menschen vergangener Epochen. Die Geschichtswissenschaft hat zwar Daten und Quellen aber in den meisten Fällen bleibt es Theorie, denn selbst Quellen haben sich schon oft als Fälschungen herausgestellt. Das ist jetzt allgemein auf die Geschichtswissenschaft bezogen, nicht direkt auf Hexenprozesse oder Inquisition.
Die Geschichtswissenschaft ist nicht mit der Mathematik zu vergleichen. Es bleiben zu viele Unbekannte, zu viel Theorie und Vermutungen und auch neuzeitliches Denken haben Einfluß.

Du irrst dich. Es ist vielleicht nicht möglich, das konkrete Denken einzelner Individuen, die geheimen Wünsche und Ängste, die innersten Antriebe eines Menschen zu rekonstruieren. Es ist aber sehr wohl möglich, das Denken, ganz allgemein den geistigen Horizont bestimmter Personengruppen zu bestimmen, zu sehen, in welchen Bahnen Stiftskleriker dachten oder Universitätsgelehrte oder Juristen. Im Gegensatz zu der Unterstellung, die Zeitgenossen früherer Epochen hätten sehr oft nicht ihre eigene Meinung zu Papier gebracht, sondern diese aus Karrieredenken oder drohenden Konsequenzen verstellt, sind Akten oder gar Ego-Dokumente aus der Zeit ein reichhaltiger Fundus für die Sicht der Zeitgenossen auf anfallende Probleme und deren Reaktion hierauf. Natürlich müssen gewisse Grundlagen der Quellenkritik betrachtet werden, aber mit einem intelligenten Zugang zu den Quellen ist das Denken früherer Zeiten nicht solch ein schwarzes Loch, wie du annimmst.


Irene schrieb:
man kann nicht einfach davon ausgehen, dass es in der damaligen Epoche nicht auch Menschen gab, die die Geschehnisse als Verbrechen erkannt haben, dass alle aus dem Glauben heraus die Hexen- und Ketzerverfolgung für rechtens hielten.

Irene schrieb:
Ich bin mir ganz sicher, dass es auch vor der "Aufklärung" genügend Menschen in Europa und Deutschland gab, die ihren Verstand gebrauchten und naturwissenschaftliches Wissen besaßen und das Geschehen auch als das erkannten was es war, ein Verbrechen.

Vielleicht muss man zum Verständnis einfach etwas weiter zurücktreten und das große Gesamtbild des Epochenumbruchs vo Mittelalter zur Neuzeit betrachten: Im Mittelalter lebten die Menschen in einem magischen Verständnis der Welt. Es gibt Kräfte in der Welt, die vermögen die verschiedensten Dinge zu tun, alles ist irgendwie durch diese Kräfte beeinflussbar und bestimmte Menschen beherrschen diese Kräfte. Religion ist dabei durchaus Teil dieses magischen Weltverständnisses, auch sie kann auf diese Kräfte zugreifen. Ein Priester kann ebenso diese Kräfte lenken wie eine Hexe - nicht zuletzt deshalb, weil diese Kraft aus verschiedenen Quellen kommen kann, Gott ist die eine, der Teufel die andere. Zweifel an diesem Weltbild gab es nicht, es wurde tradiert, es funktionierte. Magie war real. Andere als magische Erklärungsmuster für die Welt (etwa naturwissenschaftliche) hatten sich noch nicht entwickelt.

Das änderte sich nun in einem gewaltigen fundamentalen Veränderungsprozess in nahezu allen Bereichen des Lebens, der vereinfachend mit einem Epochenumbruch hin zur Neuzeit zu beschreiben ist. Langsam, ganz langsam wurde dieses magische Weltbild aufgelöst und zunehmend durch rationalere, naturwissenschaftliche Erklärungen der Welt ersetzt. Dieser Prozess begann irgendwann im späten Mittelalter, beschleunigte sich in der frühen Neuzeit und brauchte sicherlich weit bis in die Moderne hinein, um völlig abgeschlossen zu werden.

Erst mit diesem Veränderungsprozess wurde es möglich, eine Hexe nicht mehr als verderbte Teufelsbuhlerin zu sehen, deren Existenz die göttliche Weltordnung bedrohte. Erst jetzt wurde der Weg frei für die Sicht der Hexenverfolgung als ein Verbrechen. Diese Sicht stand aber der bisherigen Weltdeutung so diametral gegenüber, dass sie lange brauchte, um sich durchzusetzen. Die berühmten Gegner einer Hexenverfolgung waren in diesem speziellen Gebiet die ersten Exponenten einer modernen Weltsicht, aber sie waren anfangs nur wenige, die ihre Meinung erst ganz langsam mehrheitsfähig machen konnten. Sie erschütterten bislang fest stehende Grundüberzeugungen, das aber nachhaltig. Und aus der Hexenverfolgung, früher vollkommen natürliche und notwendige Aufgabe weltlicher und geistlicher Obrigkeiten, konnte so erst das Verbrechen werden, als das wir es heute sehen. Zur Zeit der großen Verfolgungswellen bestand dieses Denken aber erst in Ansätzen. (Und mit einem gesunden Menschenverstand, wie oben angeklungen, hat das übrigens nichts zu tun: Dieser riet den Menschen übrigens die verderbten Hexen rigoros unschädlich zu machen, und nicht, nach möglichen Fehlern des ganzen Systems zu suchen.)
 
Samson schrieb:
Herold schrieb:
Die berühmte Cautio Criminalis von Friedrich Spee etwa stellt die Existenz von Hexen überhaupt nicht in Frage, vielmehr kritisiert er die Prozesspraxis, die einen Beweis der Unschuld praktisch unmöglich macht.

Friedrich Spee schrieb:
"... es ist mir schon früher oft der Gedanke gekommen, daß jene erwähnten Inquisatoren diese ganze Unzahl von Hexen erst mit ihrem unbesonnenen, doch sollte ich sagen, wirklich sehr ausgeklügelten und weislich verteilten Foltern nach Deutschland hereingebracht haben. ..."

Aus diesem Zitat entnehme ich, daß Spee an die Hexen als Schöpfung der Inquisition glaubte.


Samson schrieb:
Friedrich Spee schrieb:
"Ob es in Deutschland mehr Hexen und Unholde als anderorts gibt? Ich antworte: Das weiß ich nicht. Aber ich will, um keine Zeit zu vertun, kurz sagen , wie sich mir die Sache darstellt. Danach scheint es jedenfalls so und es wird angenommen, dass sich in Deutschland mehr Hexen finden als woanders."
[...]
"Dieser Glaube an eine Unmenge von Hexen in unserem Lande wird aus zwei wichtigen Quellen genährt. Deren erste heißt Unwissenheit und Aberglauben des Volkes. Alle Naturforscher lehren, dass auch solche Erscheinungen auf ganz natürlichen Ursachen beruhen, die bisweilen ein wenig vom gewöhnlichem Lauf der Natur abweichen, und die man als außerordentlich bezeichnet, wie beispielsweise ein übermäßiger Platzregen, besonders starker Hagel und Frost, ein übergewaltiger Donnerschlag und Ähnliches...
Die zweite Quelle des Glaubens an die unzähligen Hexen heißt Neid und Missgunst des Volkes.

Die Zitate von Friedrich Spee sind wirklich schön. Aber sie sind nur bedingt ein Beleg für eine Ablehnung des Hexenglaubens an sich. Du hebst die diplomatische Sprache hervor, die seine vermeintliche Ablehnung dieses Hexenglaubens belegen soll, die er aber nicht offen zugeben durfte. Aber wäre das wirklich nötig gewesen? Schließlich erschien die Cautio Criminalis anonym. Er hätte ohne diplomatische Rücksichten argumentieren können. Auch Spee war nur ein Kind seiner Zeit, er kritisiert - wie hyokkose bereits richtig anmerkte - die Unmengen von Hexen, die von Aberglauben und Hexenrichtern erschaffen werden, eine ganz grundsätzliche Infragestellung teuflischer Kräfte ist dabei nicht zu sehen (würde mich bei einem Jesuiten des 17. Jhd.s auch wundern). Das Vorgehen gegen die Ausartungen des Prozesswesens sind wichtig und lobenswert genug, aber dadurch allein war Friedrich Spee noch kein moderner, nach reiner Rationalität handelnder Mensch.
 
Herold schrieb:
Du irrst dich. Es ist vielleicht nicht möglich, das konkrete Denken einzelner Individuen, die geheimen Wünsche und Ängste, die innersten Antriebe eines Menschen zu rekonstruieren. Es ist aber sehr wohl möglich, das Denken, ganz allgemein den geistigen Horizont bestimmter Personengruppen zu bestimmen, zu sehen, in welchen Bahnen Stiftskleriker dachten oder Universitätsgelehrte oder Juristen. Im Gegensatz zu der Unterstellung, die Zeitgenossen früherer Epochen hätten sehr oft nicht ihre eigene Meinung zu Papier gebracht, sondern diese aus Karrieredenken oder drohenden Konsequenzen verstellt, sind Akten oder gar Ego-Dokumente aus der Zeit ein reichhaltiger Fundus für die Sicht der Zeitgenossen auf anfallende Probleme und deren Reaktion hierauf. Natürlich müssen gewisse Grundlagen der Quellenkritik betrachtet werden, aber mit einem intelligenten Zugang zu den Quellen ist das Denken früherer Zeiten nicht solch ein schwarzes Loch, wie du annimmst.






Vielleicht muss man zum Verständnis einfach etwas weiter zurücktreten und das große Gesamtbild des Epochenumbruchs vo Mittelalter zur Neuzeit betrachten: Im Mittelalter lebten die Menschen in einem magischen Verständnis der Welt. Es gibt Kräfte in der Welt, die vermögen die verschiedensten Dinge zu tun, alles ist irgendwie durch diese Kräfte beeinflussbar und bestimmte Menschen beherrschen diese Kräfte. Religion ist dabei durchaus Teil dieses magischen Weltverständnisses, auch sie kann auf diese Kräfte zugreifen. Ein Priester kann ebenso diese Kräfte lenken wie eine Hexe - nicht zuletzt deshalb, weil diese Kraft aus verschiedenen Quellen kommen kann, Gott ist die eine, der Teufel die andere. Zweifel an diesem Weltbild gab es nicht, es wurde tradiert, es funktionierte. Magie war real. Andere als magische Erklärungsmuster für die Welt (etwa naturwissenschaftliche) hatten sich noch nicht entwickelt.

Das änderte sich nun in einem gewaltigen fundamentalen Veränderungsprozess in nahezu allen Bereichen des Lebens, der vereinfachend mit einem Epochenumbruch hin zur Neuzeit zu beschreiben ist. Langsam, ganz langsam wurde dieses magische Weltbild aufgelöst und zunehmend durch rationalere, naturwissenschaftliche Erklärungen der Welt ersetzt. Dieser Prozess begann irgendwann im späten Mittelalter, beschleunigte sich in der frühen Neuzeit und brauchte sicherlich weit bis in die Moderne hinein, um völlig abgeschlossen zu werden.

Erst mit diesem Veränderungsprozess wurde es möglich, eine Hexe nicht mehr als verderbte Teufelsbuhlerin zu sehen, deren Existenz die göttliche Weltordnung bedrohte. Erst jetzt wurde der Weg frei für die Sicht der Hexenverfolgung als ein Verbrechen. Diese Sicht stand aber der bisherigen Weltdeutung so diametral gegenüber, dass sie lange brauchte, um sich durchzusetzen. Die berühmten Gegner einer Hexenverfolgung waren in diesem speziellen Gebiet die ersten Exponenten einer modernen Weltsicht, aber sie waren anfangs nur wenige, die ihre Meinung erst ganz langsam mehrheitsfähig machen konnten. Sie erschütterten bislang fest stehende Grundüberzeugungen, das aber nachhaltig. Und aus der Hexenverfolgung, früher vollkommen natürliche und notwendige Aufgabe weltlicher und geistlicher Obrigkeiten, konnte so erst das Verbrechen werden, als das wir es heute sehen. Zur Zeit der großen Verfolgungswellen bestand dieses Denken aber erst in Ansätzen. (Und mit einem gesunden Menschenverstand, wie oben angeklungen, hat das übrigens nichts zu tun: Dieser riet den Menschen übrigens die verderbten Hexen rigoros unschädlich zu machen, und nicht, nach möglichen Fehlern des ganzen Systems zu suchen.)


Du kommst immer wieder auf das in der Magie verhaftete Denken der Menschen des Mittelalters zurück und die daraus resultierenden Handlungen, die später durch die "Aufklärung" erst verständlich wurden.
Aber ich frage dann nochmal ganz konkret - wie groß ist die Schuld der Religion Christentum (Kirchen), damit nicht wieder der Gedanke aufkommt, ich beziehe mich auf die kath. Kirche direkt an all diesen Vorgängen und auch dem verhaftet sein in der Magie. Weder der Islam noch das Judentum kennen dieses Phänomen.
 
Irene schrieb:
Du kommst immer wieder auf das in der Magie verhaftete Denken der Menschen des Mittelalters zurück und die daraus resultierenden Handlungen, die später durch die "Aufklärung" erst verständlich wurden.
Aber ich frage dann nochmal ganz konkret - wie groß ist die Schuld der Religion Christentum (Kirchen), damit nicht wieder der Gedanke aufkommt, ich beziehe mich auf die kath. Kirche direkt an all diesen Vorgängen und auch dem verhaftet sein in der Magie. Weder der Islam noch das Judentum kennen dieses Phänomen.

Diese Magie-Grundlagen gehen noch weiter zurück als nur bis zur Christianisierung Europas.
In der Zeit vor der Christianisierung gehörte das magische Weltbild bei vielen Völkern zum Alltag. Noch um 800 verbat Karl der Grosse den damals immer noch grossen Glauben an Menschen mit Zauberkraft (Hexen), freilich mit wenige Erfolg. Mit dem Beginn der kleinen Eiszeit, wo das Klima für das Gedeihen der Früchte sich verschlechterte, begannen grössere ökonomische Einbussen für die Bevölkerung. Der noch latent existierende Hexenglauben brach bei der Bevölkerung wieder auf, aber vermischt mit dem kirchlichen Bild des Ketzers!
Die kath. Kirche, bzw. die Inquisition versuchte, den Irrglauben zu verhindern, indem sie die betreffenden Personen vor Gericht brachte. Später begann die Bevölkerung, Hexen nicht mehr im traditionellen Bild, wie es vor der Christianisierung war, zu sehen, sondern dachten, dass diese Zauberkraft vom Teufel käme. Die weltliche Obrigkeit suchte mit der Bevölkerung nach Sündenböcke für Ernteeinbussen. Als Begründung, diese "Hexen" zu exekutieren, wurde der Verstoss gegen die kirchlichen Gesetze vorgebracht.
Interessanterweise bezog sich das Phänomen zur Hauptsache auf das nördliche Europa. In Rom selber glaubten weder Kardinäle wie Bellarmin, noch die römische Bevölkerung an Hexen.
Im der östlichen Mittelmeerregion gab es dagegen diese Vorstellung von Hexen bereits vor dem Islam und auch später nicht in diesem Sinne, weshalb die Hexenverfolgungen hauptsächlich ein europäisches (und nordamerikanisches) Phänomen blieben. Aber das würde ich, wie gesagt, nicht direkt mit den Landeskirchen in Verbindung bringen.
 
Obwalden schrieb:
Diese Magie-Grundlagen gehen noch weiter zurück als nur bis zur Christianisierung Europas.
In der Zeit vor der Christianisierung gehörte das magische Weltbild bei vielen Völkern zum Alltag. Noch um 800 verbat Karl der Grosse den damals immer noch grossen Glauben an Menschen mit Zauberkraft (Hexen), freilich mit wenige Erfolg. Mit dem Beginn der kleinen Eiszeit, wo das Klima für das Gedeihen der Früchte sich verschlechterte, begannen grössere ökonomische Einbussen für die Bevölkerung. Der noch latent existierende Hexenglauben brach bei der Bevölkerung wieder auf, aber vermischt mit dem kirchlichen Bild des Ketzers!
Die kath. Kirche, bzw. die Inquisition versuchte, den Irrglauben zu verhindern, indem sie die betreffenden Personen vor Gericht brachte. Später begann die Bevölkerung, Hexen nicht mehr im traditionellen Bild, wie es vor der Christianisierung war, zu sehen, sondern dachten, dass diese Zauberkraft vom Teufel käme. Die weltliche Obrigkeit suchte mit der Bevölkerung nach Sündenböcke für Ernteeinbussen. Als Begründung, diese "Hexen" zu exekutieren, wurde der Verstoss gegen die kirchlichen Gesetze vorgebracht.
Interessanterweise bezog sich das Phänomen zur Hauptsache auf das nördliche Europa. In Rom selber glaubten weder Kardinäle wie Bellarmin, noch die römische Bevölkerung an Hexen.
Im der östlichen Mittelmeerregion gab es dagegen diese Vorstellung von Hexen bereits vor dem Islam und auch später nicht in diesem Sinne, weshalb die Hexenverfolgungen hauptsächlich ein europäisches (und nordamerikanisches) Phänomen blieben. Aber das würde ich, wie gesagt, nicht direkt mit den Landeskirchen in Verbindung bringen.

Wenn wir jetzt bei dem "magischen Weltbild" von heidnischen Religionen ausgehen, dann ist auch bei diesen das Phänomen Hexen und auch das Phänomen Teufel nicht bekannt. Oder irre ich mich da, gibt es in Europa heidnische Religionen die als Gegenkraft zu ihren Göttern einen Teufel kennen. Gibt es da Hinweise oder Quellen, dass in diesen finsteren heidnischen Zeiten Menschen um der Götter willen oder eines Teufels willen hingerichtet wurden? Ich meine jetzt Europa, nicht Religionen mit einem menschlichen Blutopfer?
 
Zur Frage nach Magie in vorchristlicher Zeit, spez. im Judentum empfehle ich einen Blick zuwerfen in: Rüdiger Schmitt: Magie im Alten Testament. Münster 2004.
Er beleuchtet besonders den Zusammenhang, bzw. Gegensatz von Magie und Religion, und warum sie sich als "Negativposten" durch das ganze AT zieht.

Und der Satz "die Hexe sollst du nicht am Leben lassen" (Ex22,18, nach anderer Zählung 17) stammt nun explizit aus dem jüdischen Raum. Und ist recht deutlich, was mit den Personen geschehen sollte.

Ich bin kein Religionswissenschaftler, aber vom Christentum her gedacht, würde ich fragen, welchen Sinn macht eine Gestalt wie der Teufel des Christentums in polytheistischen Religionen? Gibt es da nicht ohnehin einen festen Platz für zerstörerische Götter? Etwa ein Loki in der Nordischen Mythologie, der gleichzeitig Gott ist.
Im Christentum macht ein Teufel nur Sinn, weil er die Gegenkraft zur (überdimensionalen) Liebe Gottes ist.
Übertragen auf die anderen monotheistischen Religionen eine Konkurrenz zu dem einzigen Gott. Wenn aber mehrere Götter legitim sind, kann man nicht jemanden Töten, weil er an einen davon geglaubt hat, oder sihc zumindest dem einen mehr verbunden fühlte als einem anderen.
 
Irene schrieb:
Aber ich frage dann nochmal ganz konkret - wie groß ist die Schuld der Religion Christentum (Kirchen), damit nicht wieder der Gedanke aufkommt, ich beziehe mich auf die kath. Kirche direkt an all diesen Vorgängen und auch dem verhaftet sein in der Magie.

Ich habe es oben schon einmal versucht anzudeuten: In der Vormoderne ist die Kirche praktisch nicht als einzelnes soziales Subsystem aus der Gesellschaft herauszulösen. Jeder Lebensbereich war mit der Religion verknüpft und die Kirche als Sachverwalterin des Religiösen somit überall auf die eine oder andere Art involviert. Das darf aber nicht so verstanden werden, als ob eine omnipräsente Kirche alle Lebensbereiche steuern konnte, vielmehr wurde jeder Lebensbereich religiös interpretiert und legitimiert. Nur so ist auch die große Vielfalt der mittelalterlichen Frömmigkeitsformen zu verstehen. Die Kirche hatte ihren Platz an der Spitze der hierarchischen Gesellschaftsordnung (z.B. Papstkirche, Bischofsherrschaft) ebenso wie ganz unten (z.B. Armutsideal, karitative Aufgaben). Sie prägte das Leben des Bauern ebenso wie des Bürgers und des Adeligen. Überall waren Kirchen, Kapellen oder Wegkreuze zu finden und erinnerten die Menschen an ihre Existenz als Christen. Alle menschlichen Lebensstationen wurden von der Kirche begleitet, von der Taufe bis zur Beerdigung. Alltägliches Handeln war religiös aufgeladen (z.B. Tagesgebete, gesellschaftliche Zusammenkünfte, die Tageseinteilung an sich) ebenso wie Auszeiten vom Alltäglichen, etwa in Form von Festen. Abseits der Religion gab es lange Zeit praktisch keine Kunst, keine Literatur, keine Bildung, keinen intellektuellen Diskurs. Die Religion stiftete jedem Menschen zu jeder Tageszeit an jedem Ort Sinn und gab ihm seinen gottgewollten Platz im Diesseits.

Was heißt das jetzt im Hinblick auf die Hexenverfolgung und eine vermeintliche Schuld der Kirche? Natürlich wurzelte die Hexenverfolgung in der Religion. Und genauso natürlich wurde ihre Ablehnung von der Kirche betrieben. Kirchliche Amtsträger verbrannten Hexen. Kirchliche Amtsträger verweigerten sich der Hexenverfolgung. Kirche glaubte an Magie. Kirche bezweifelte die Funktionsweise von Magie. Kirchliche Gelehrte schrieben wissenschaftliche Traktate über die teuflische Verschwörung der Hexen. Kirchliche Gelehrte schrieben wissenschaftliche Traktate über die Unschuld verbrannter Frauen. Die Kirche war letztlich ein Teil der Gesellschaft, vielleicht ihr Spiegelbild. Sie beeinflusste die Gesellschaft und wurde selber von ihr beeinflusst. Mit dem Finger auf bestimmte Aspekte der Kirche zu zeigen und dort eine Schuld festzustellen ist schwer. Hexenverfolgung war ein soziales Phänomen, kein kirchliches.
 
Kassia schrieb:
Übertragen auf die anderen monotheistischen Religionen eine Konkurrenz zu dem einzigen Gott. Wenn aber mehrere Götter legitim sind, kann man nicht jemanden Töten, weil er an einen davon geglaubt hat, oder sihc zumindest dem einen mehr verbunden fühlte als einem anderen.

Dann waren diese heidnischen Religionen wahrscheinlich von mehr Verstand und Liebe getragen als das Christentum. Denn Jesus war ein Jude und der Sohn Gottes und nicht nur Hexen und Ketzer sondern auch die Juden wurden auf den Scheiterhaufen verbrannt. Die Verwandten Jesu, auch sie Kinder Gottes, aber weil sie nicht den katholischen und später nicht den protestantischen Glauben annahmen (und es brannten auch die, die zum Christentum wechselten und denen man dann unterstellte, sie wären heimlich bei ihrem Glauben geblieben. wurden gejagd, vertrieben und verbrannt. Rechnet man jetzt noch das Schwert hinzu, die Kreuzzüge, dann ist es bis in die Neuzeit ein wirklich blutiger Weg, um eine Religion, einen Glauben zu schützen oder andere zu diesem Glauben zu bekehren.
Die Schuldfrage spielt gar keine Rolle, diese Vergangenheit kann man nicht auslöschen.
 
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