Hindenburg ernannte Hitler

Mir ging es ja vor allem um die Gegenüberstellung der verschiedenen Hindenburg-Entscheidungen. Und da findet die zur Hitler-Ernennung viel mehr Beachtung, obwohl die Unterschrift unter die Erlasse wohl viel entscheidender waren.

Deutet man nun das Ermächtigungsgesetz weniger als gegen den Parteienstaat gerichtet - dafür wurde es ohnehin mit der Zerschlagung nicht gebraucht -, sondern eher wirkungsbezogen als Autarkiegesetz gegenüber dem Reichspräsidenten, hat Hindenburg quasi seine eigene Entmachtung unterschrieben.

Und Gürtner hat assistiert.
 
Inwieweit war Hindenburg durch das Ermächtigungsgesetz entmachtet?
Hätte er nicht wenigstens theoretisch noch die Möglichkeit gehabt, Hitler zu entlassen?
Laut Ermächtigungsgesetz blieben die Rechte des Reichspräsidenten unberührt.
 
Ja, aber beschnitten heißt nicht beseitigt, und das ist eben meine Frage: Hatte Hindenburg theoretisch noch irgendeine oder mehrere, noch so kleine Möglichkeit/en der Einflußnahme, und wenn ja, wie sah/en diese Möglichkeit/en aus?
 
Wenn ich das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" richtig deute, ich bin nämlich kein Jurist, dann konnte Hindenburg gemäß Artikel 53 der Reichsverfassung Hitler feuern. Und Hindenburg war auch noch immer Oberbefehlshaber der Reichswehr.

Hindenburg hat sich doch praktisch ins Privatleben zurückgezogen und gar nicht daran gedacht sich in die Politik einzuschalten.
 
Das meinte ich.
Und wenn das so gewesen wäre (bin nämlich auch kein Jurist:)), dann müßte man ab Inkrafttreten des Ermächtigungsgesetzes zwar von einer Diktatur sprechen insofern, als das Parlament- Volkes Stimme- praktisch überflüssig gemacht worden war, aber es wäre dann noch keine reine Nazi- bzw. "Führer"-Diktatur gewesen.
Das würde für mich schon einen Unterschied machen, denn die weitgehende Entmachtung des Parlaments war ja nicht nur von Hitler und seiner Partei, sondern auch von den nationalkonservativen Koalitionspartnern gewollt.
Als man dann durch das Ermächtigungsgesetz da oben gewissermaßen unter sich war, da hätten die "Barone" mit Unterstützung Hindenburgs ja auch selbst die Initiative ergreifen und ihre Vorstellungen von der alten Kaiserherrlichkeit oder was auch immer verwirklichen können. Ursprünglich war die Einsetzung Hitlers als Reichskanzler ja nur Mittel zum Zweck gewesen, die "Barone" um Papen wollten weiterhin die Zügel in der Hand behalten.
 
denn die weitgehende Entmachtung des Parlaments war ja nicht nur von Hitler und seiner Partei, sondern auch von den nationalkonservativen Koalitionspartnern gewollt.

Als man dann durch das Ermächtigungsgesetz da oben gewissermaßen unter sich war, da hätten die "Barone" mit Unterstützung Hindenburgs ja auch selbst die Initiative ergreifen und ihre Vorstellungen von der alten Kaiserherrlichkeit oder was auch immer verwirklichen können.

Erstes ist richtig, da Gegenstand der Absprachen zwischen DNVP und NSDAP mE war, die Wahl im März 1933 (also die nächste nach vorgesehener und abgesprochener Auflösung des Reichstages) "zur letzten" werden zu lassen. Die Abschaffung der parlamentatischen Demokratie war insoweit Programm.

Bezüglich der theoretischen Möglichkeiten auch des Reichspräsidenten, Hitler nach dem Ermächtigungsgesetz zu "stürzen" bzw. anzuberufen, sollte man die faktischen Machtverhältnisse nicht außer Acht lassen. Zunächst einmal ist die Situation vor und nach Ermächtigungsgesetz von der Machtkonstellation doch recht vergleichbar: Hitler wäre (theoretisch) nur durch einen Putsch der Reichswehr, Hindenburg unterstellt und letzter verbliebener unabhängiger Machtfaktor im Staat, zu stürzen gewesen. Eine Abberufung ohne Bürgerkrieg, SA, SS etc. ist wohl nur theoretisch vorstellbar. Der Putsch vor und nach dem Ermächtigungsgesetz wiederum ist sicher nur mit Hindenburgs "Billigung" oder sogar nur auf seinen Befehl hin denkbar.

Das Ermächtigungsgesetz hat an dieser Kräfte-Situation nichts verändert, mE außer Formalien, nämlich der Regierbarkeit auf dem Papier an Hindenburg vorbei. Das betrifft eher die "formale" Ordnungsmäßigkeit, die sich die Hitler-Diktatur nach außen gab.

Was soll demnach eine "reine" Diktatur darstellen? Eine Diktatur ohne weiteren Machtfaktor im Staat, den die Reichswehr zunächst trotz aller Durchdringung gerade im jüngeren Offizierskorps bzw. teilweisen Sympathien im älteren plus kräftig Mitwirkenden wie Blomberg etc. darstellte?
 
Bzgl. "reine" Nazi-Diktatur meinte ich in der Tat eine Staatsordnung (realisiert wohl spätestens mit der Vereinigung der Ämter des Staats- und des Regierungsoberhauptes in einer Person, dem "Führer und Reichskanzler"), in der die NSDAP mit ihren Mitgliedern und Institutionen den allein maßgeblichen Machtfaktor darstellte, von dem alle anderen- formal weiterbestehenden- Einrichtungen abhängig waren, eben auch die Reichswehr.
Andere Frage: Hätte Hindenburg wirklich putschen müssen?
Angenommen, SA und SS hätten z. B. auf die Entlassung Hitlers als Reichskanzler mit Waffengewalt geantwortet, dann würde ich sagen, das wäre ein Putschversuch, und dann wäre Hindenburg vor der Entscheidung gestanden, ob er diesen durch die Reichswehr niederschlagen läßt. Klar, das Risiko wäre hoch gewesen, die Folgen unabsehbar. Aber wir wissen ja heute, wie die Alternative aussah.
Ich finde halt gerade die Form interessant, in der diese Veränderungen alle vollzogen wurden, denn hier zeigt sich, wie diffus der Übergang von der Demokratie zur Diktatur eigentlich war, v.a. aus der Perspektive der damaligen Zeitzeugen, die noch nichts von Holocaust und Vernichtungskrieg wissen konnten, oder höchstens als dunkle Vorahnung.
 
Bzgl. "reine" Nazi-Diktatur meinte ich in der Tat eine Staatsordnung (realisiert wohl spätestens mit der Vereinigung der Ämter des Staats- und des Regierungsoberhauptes in einer Person, dem "Führer und Reichskanzler"), in der die NSDAP mit ihren Mitgliedern und Institutionen den allein maßgeblichen Machtfaktor darstellte, von dem alle anderen- formal weiterbestehenden- Einrichtungen abhängig waren, eben auch die Reichswehr...
Das wäre dann also mit dem Tod Hindenburgs am 2. 8. 1934 der Fall gewesen.
Andere Frage: Hätte Hindenburg wirklich putschen müssen?
Angenommen, SA und SS hätten z. B. auf die Entlassung Hitlers als Reichskanzler mit Waffengewalt geantwortet, dann würde ich sagen, das wäre ein Putschversuch, und dann wäre Hindenburg vor der Entscheidung gestanden, ob er diesen durch die Reichswehr niederschlagen läßt. Klar, das Risiko wäre hoch gewesen, die Folgen unabsehbar. Aber wir wissen ja heute, wie die Alternative aussah...
Aber ich bin auch fest der Überzeugung, daß sich die Nazis nicht mehr so einfach hätten absetzen lassen.
Nachdem er zum Reichskanzler ernannt wurde soll Hitler vor dem Reichstag sogar gesagt haben:
"Hier bekommt mich niemand mehr lebend heraus."

P.S.: War Italien für dich dann ebenfalls keine "reine Diktatur"? Dort gab es ja einen König als Staatsoberhaupt - bis 1946.
 
Ich meinte mit "reiner" Diktatur die Nazi- Diktatur, in der es über der Partei bzw. dem Führer keine auch nur symbolische Instanz mehr gab außer Gott, der sich aber auch an den Vorgaben der Nazis zu orientieren hatte. (Ähem...)
Ich sagte ja: durch das Ermächtigungsgesetz war Deutschland de facto eine Diktatur, nur eben rein formal noch nicht absolut in den Händen der Nazis.
Mit der italienischen Geschichte kannte ich mich bisher, offen gesagt, so gut wie gar nicht aus, insofern war es für mich gerade recht interessant, mir darüber etwas anzulesen. (Wo? Man höre und staune: Wikipedia!)
Ja, da ist das von der Bevölkerungsmehrheit respektierte Staatsoberhaupt eben nicht gestorben, sondern hat weiter brav sein Land repräsentiert. Auch er hätte aber- zumindest theoretisch- intervenieren können.
Damit kommen wir wieder zu Hindenburg:
Wie du ja bereits gesagt hast: die Nazis hätten sich nicht so einfach absetzen lassen. Und so mußte man halt abwägen, welches Risiko man einzugehen bereit war.
Klar: Hindenburg war sowieso von Anfang an eher eine Galionsfigur gewesen, d.h. man konnte von ihm nicht allzuviel staatsmännisches Format erwarten.
 
Putsch war etwas flockig gewählt, um die realen Machtverhältnisse anzudeuten.

Die Reichswehr blieb zunächst als - von der NS-Diktatur gesonderter - Machtfaktor erhalten.

So wie Barbarossa auch schrieb, ist nicht ersichtlich, dass Hitler auf Anordnung den Platz des RK geräumt hätte, Aussagen und das rasche Vorschreiten der Machtübernahme in die Bereiche des Staates deuten eher das Gegenteil an. Bezüglich der sich aufbauenden Kräfte sollte man auch die fortschreitende Übernahme der Polizei nicht außer Acht lassen.

Die Aussichten der 100.000 Mann-Reichswehr in einem Bürgerkrieg (im Frühjahr 1933 vermutlich zzgl. Teile der deutschen Polizei, vermutlich abzüglich Teile des jüngeren Offizierskorps der Reichswehr) sind wenig erfolgreich in Planspielen im Herbst 1932 dargestellt worden:

"Das Kriegsspiel im November 1932 beschäftigte sich mit gewalttätigen innenpolitschen Unruhen, einem Bürgerkrieg mit Kommunisten und NSDAP, einschließlich SA, sowie Generalstreik. Niederschmetterndes Ergebnis war, dass die Reichswehr die Ordnung in einem solchen Revolutions- bzw. Putschszenario nicht würde wiederherstellen können.
Die Schlußfolgerung der Planstudie war dann, nachdem sie dem Reichswehrminister gemeldet worden war, "dass alle erforderlichen Vorbereitungen getroffen seien, einen Ausnahmezustand in Gang zu setzen. Es habe sich aber bei sorgfältiger Abwägung gezeigt, dass die Ordnungskräfte des Reiches und der Länder in keiner Weise ausreichen, um die verfassungsmäßige Ordnung gegen Nationalsozialisten und kommunisten aufrecht zu erhalten und die Grenzen zu schützen. Es sei daher die Pflicht des Reichswehrministers, die Zuflucht der Reichsregierung zum militärischen Ausnahmezustand zu verhindern.
Schüddekopf, Heer und Republik."
 
Dann wäre also die nächste Frage, warum von seiten der Westmächte für solche Fälle weder die Rüstungsbeschränkungen gelockert noch die Bildung paramilitärischer Verbände grundsätzlich untersagt wurde.
Oder anders gefragt: Haben sich die deutschen Machthaber (vor Hitler) um solche Zugeständnisse bemüht?
 
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