Ingenieurbau im Zweistromland

Babylonia

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Seit 6000 Jahren hat die technische Intelligenz des Menschen unbeschreibliche Fortschritte gemacht. Während der letzten 4000 Jahre vor unserer Zeitrechnung war alles, was heute unser kulturelles Leben und die technischen Errungenschaften ausmacht, entweder längst erfunden oder zumindest in Gedanken vorhanden. Die Schlussbetrachtung von M. V. Locquin in seiner „Chronik der Vor- und Frühgeschichte“, Inselverlag 1998, klärt uns darüber auf. Einen maßgebenden Anteil daran hatten die Sumerer.

Es ist für niemanden hier im Forum mehr ein Geheimnis, dass mir gerade die Sumerer so sehr ans Herz gewachsen sind. Der Grund dafür ist simpel: Mit ihrer Geistesgröße, gepaart mit viel Fleiß, großer Zähigkeit und einem unerschütterlichen Glauben an den Erfolg ihrer Vorhaben (immer mit „Gottes Segen“ freilich) haben die Sumerer so viele Dinge erfunden die es vorher noch nie gab oder sie entwickelten die schon in Ansätzen vorhandenen Ideen zur Perfektion (manchmal auch umgekehrt).

Der sumerische Mythos erzählt davon, dass die Menschen erschaffen wurden, um die Götter vom Zwang zur Arbeit an den Kanälen zu befreien. Daran lässt sich ablesen, wie schwer und mühsam diese Arbeit war und welch große Bedeutung die Unterhaltung des Kanalnetzes für das Wirtschaftssystem hatte. Es verwundert nicht, denn die Sumerer verwandelten mit ihrem Bewässerungssystem das vorgefundene, wenig einladende, weil einerseits sehr trockene, trotzdem gelegentlich von wolkenbruchartigen Regenfällen heimgesuchte und von Sandstürmen geplagte, andererseits sumpfige, von Überflutungen der Flüsse ständig bedrohte Gebiet, in nur wenigen Generationen in fruchtbare Kulturlandschaften. Die Unterhaltung des Kanalnetzes erforderte einen großen Verwaltungsapparat und eine beachtliche Belegschaft. Verwunderlich, dass sich in keinem der Keilschrifttexte Hinweise darauf finden, dass für diese Arbeiten besondere Fähigkeiten vorausgesetzt wurden. Das betrifft auch viele andere technische Bereiche der südmesopotamischen Wirtschaft. Genauso wenig verraten uns die Texte über die damalige Technologie. Wirtschaftstexte mit Berechnungen der Zahl der für bestimmte Vorhaben erforderlichen Arbeiter, die Mengen an Naturalien als Entlohnung für diese oder perfekte Berechnungen des benötigten Arbeitsmaterials, z. B. Millionen von Ziegeln für den Bau eines Tempels oder Palastes, füllen alle städtischen Archive ab dem 3. vorchristlichen Jahrtausend und sogar in Bilderschrift schon davor. Wirtschaftstexte, Rollsiegel, Inschriften, Stelen, Weihplatten, Reliefs, Malereien und selbst Mythen geben uns heute Auskunft darüber was gebaut wurde, aber nicht wie. Trotzdem finden sich unzählige Beispiele für eine im Zweistromland hoch entwickelte Technologie in den letzten Jahrtausenden vor Christus. Bewässerung- und Kanalisation, Brücken- , Straßen- und Schiffbau, monumentale Tempel, Zikkurrate und Königspaläste u.v.m. zeugen vom großen technischen Können der Mesopotamier.

Keilschrifttexte berichten nur ganz allgemein über den Bau von Festungsmauern und –gräben oder über die Belagerungstechnik. Schriftlich erwähnt wurde der Bau einer 63 Kilometer langen Mauer, die der König von Ur, Schulgi (regierte 2093- 2046v. Ch.), als Schutz vor Überfällen der Amurriter errichten ließ und von seinem Enkel Schusin (reg. 2036- 2028v. Ch.) auf 280 Kilometer verlängert wurde – auch hierfür gibt es keinen einzigen Satz über das „Wie“. Dieser Mangel an Information über die Technologie betrifft auch die vorbildliche städtische Kanalisation im Babylon des 1. Jts. v. Ch. Das Wasser floss aus tönernen Rohren zu und wurde in gemauerten Kanälen abgeleitet, das ergaben archäologische Grabungen. Auch von internen Sickerschächten (seltener von Kanälen die auf die Straße führten), die als Entwässerungsanlagen für Küchen, Badezimmer und Toiletten in manchen Bürgerhäusern dienten, wird in Keilschrifttexten berichtet.

Ein Meisterwerk südmesopotamischer Baukunst stellt die Brücke über den Euphrat dar. Sie war von Nabopolassar (reg. 626- 605 v. Ch.) angelegt, der auch den „Turmbau zu Babel“ und die Prozessionsstraße mit dem Ischtartor bauen ließ, und von Nebukadnezar (Nachfolger Nabopolassars, der Babylon noch einmal zur Blüte und zum Großreich führte) restauriert worden war. Diese Brücke ruhte bei einer Spannweite von 123 Metern auf acht Pfeilern, die - 8,5 x 20 Meter – wie Schiffsbüge in den Strom gemauert waren. Nachts wurden die Bohlen entfernt, so dass Schiffe mit hohen Segeln passieren konnten und gleichzeitig die Brücke für den Verkehr gesperrt war. Ihre Pfeiler wurden im ehemaligen Flussbett gefunden.
Darüber, wie (mitunter auch ob) die berühmten „Hängenden Gärten“ der Semiramis in Babylon, die Nebukadnezar II. für seine aus Medien stammende Frau hat bauen lassen, konstruiert und bewässert wurden, führen Fachleute noch heute heftige Debatten.

Quellen:

B. Hrouda, Der Alte Orient, Bertelsmann, München 2002

H. Uhlig, Die Sumerer“, Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2002

M. Jursa, Die Babylonier, C. H. Beck Wissen, München 2004















 
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