ins Wasser gehen

dekumatland

Aktives Mitglied
wie ich mit Verblüffen festgestellt habe, gibt es eine Kulturgeschichte des Wassersuizids... ein zunächst abstrus erscheinender Titel, aber man sehe:
mare online - Ins Wasser gehen
(ich hoffe, dieser Link ist gestattet)

in Malerei und Literatur stets ein Thema, aber wie sah es in der Realität aus? Der verlinkte Text erklärt, dass ins Wasser gehen im 19. Jh. die mit Abstand häufigste Methode des Selbstmords war - - zunächst könnte man denken, dass schwimmen können dem im Wege wäre; allerdings bei Frost oder in starken Strudeln dürfte das schwimmen können nicht viel helfen. Virginia Woolfe ertränkte sich, obwohl sie eine gute Schwimmerin war.

ein lokal Aufsehen erregender Fall war im frühen 19. Jh. der Komponist Carl Maria von Weber: er ging, was als völlig unüblich und extraordinaire galt, im Elbsandsteingebirge in der Elbe schwimmen, womöglich überschätzte er sich oder unterschätzte die Strömung: ein Fischer rettete den Schwimmer, der es nicht ans Land geschafft hätte -- gottlob, sonst hätten wir keinen Oberon und keinen Freischütz!

ins Wasser gehen ohne sich in eine andere Welt speditieren zu wollen: schwimmen in Flüssen und Seen - wie wurde es damit in den verschiedenen geschichtlichen Epochen gehalten? wie war es um das schwimmen können oder lernen bestellt? (gehörte schwimmen nicht auch zu den Fertigkeiten, die ein Ritter beherrschen sollte?) im Krieg, Kampfhandlungen an Wasserläufen: konnten alle Krieger, alle Soldaten zu jeder Zeit schwimmen?

für uns heute ist schwimmen selbstverständlich, man geht sommers ins Freibad, winters ins Hallenbad - und früher?

war schwimmen womöglich zeitweilig eine schichtgebundene Fertigkeit?

sehr interessant für das 19. Jh. und Kindheit im 19. Jh. ist Mark Twains "Leben am Missisipi" - u.a. eine erlebte Episode aus der Erinnerung des Autors, worin die Schulbuben schwimmen gingen, ganz selbstverständlich (!), aber großes Entsetzen ausbrach, als einer dabei ertrank
 
Zuletzt bearbeitet:
wie ich mit Verblüffen festgestellt habe, gibt es eine Kulturgeschichte des Wassersuizids... ein zunächst abstrus erscheinender Titel, aber man sehe:
mare online - Ins Wasser gehen
(ich hoffe, dieser Link ist gestattet)

in Malerei und Literatur stets ein Thema, aber wie sah es in der Realität aus? Der verlinkte Text erklärt, dass ins Wasser gehen im 19. Jh. die mit Abstand häufigste Methode des Selbstmords war - - zunächst könnte man denken, dass schwimmen können dem im Wege wäre; allerdings bei Frost oder in starken Strudeln dürfte das schwimmen können nicht viel helfen. Virginia Woolfe ertränkte sich, obwohl sie eine gute Schwimmerin war.

ein lokal Aufsehen erregender Fall war im frühen 19. Jh. der Komponist Carl Maria von Weber: er ging, was als völlig unüblich und extraordinaire galt, im Elbsandsteingebirge in der Elbe schwimmen, womöglich überschätzte er sich oder unterschätzte die Strömung: ein Fischer rettete den Schwimmer, der es nicht ans Land geschafft hätte -- gottlob, sonst hätten wir keinen Oberon und keinen Freischütz!

ins Wasser gehen ohne sich in eine andere Welt speditieren zu wollen: schwimmen in Flüssen und Seen - wie wurde es damit in den verschiedenen geschichtlichen Epochen gehalten? wie war es um das schwimmen können oder lernen bestellt? (gehörte schwimmen nicht auch zu den Fertigkeiten, die ein Ritter beherrschen sollte?) im Krieg, Kampfhandlungen an Wasserläufen: konnten alle Krieger, alle Soldaten zu jeder Zeit schwimmen?

für uns heute ist schwimmen selbstverständlich, man geht sommers ins Freibad, winters ins Hallenbad - und früher?

war schwimmen womöglich zeitweilig eine schichtgebundene Fertigkeit?

sehr interessant für das 19. Jh. und Kindheit im 19. Jh. ist Mark Twains "Leben am Missisipi" - u.a. eine erlebte Episode aus der Erinnerung des Autors, worin die Schulbuben schwimmen gingen, ganz selbstverständlich (!), aber großes Entsetzen ausbrach, als einer dabei ertrank

Wie du sicherlich weißt, ist die Fähigkeit zu schwimmen (hier mehr, dort weniger) fast allen Säugetieren von Natur aus eigen. Der Mensch, wie auch die meisten Primaten im übrigen (kürzlich erst ist doch irgendwo in einem Zoo einer ertrunken wenn ich mich nicht irre :grübel:) hat es da schon schwieriger was wohl der Preis seines aufrechten Gangs bzw. seiner Hüft/Beckenstellung ist. Schwimmen muss also gelernt werden aber ein Kind tut dies (wenn auch nur in Grundzügen) nach wenigen Tagen. Der Rest ist Übungssache. Mir liegen zwar keine Quellen zu diesem Thema zur Verfügung aber meine Meinung zur Frage wie es früher mit dem Erwerb bzw. der Anwendung dieser Fähigkeit aussah ist folgende;
Für uns oder zumindest für die meisten von uns ist schwimmen Freizeitbeschäftigung mit Sportcharakter. Sicherlich, bei Kindern sieht das noch etwas anders aus, aber genauso wie der erwachsene Mensch irgendwann den Spaß an Kissenburgen, Deckenhöhlen sowie dem versuch den eigenen Schatten zu fangen verliert, verliert er ihn auch am "Planschen".
Sport, nach moderner Auffassung, ist eine Erfindung des 19.Jhd. und da auch erst gegen Ende hin. Davor war körperliche Ertüchtigung lange Zeit Verpönt, zumindest bei Adel und Bürgerschicht. Warum, müssen andere klären. Fähigkeiten wie das Schwimmen waren also Zweckgebunden.
Ja, ein Ritter musste schwimmen können und ein Seemann wahrscheinlich auch. Menschen die an Gewässern und mit diesen lebten werden sich ebenfalls damit auseinandergesetzt haben, egal welcher Schicht sie angehörten. Interessant dabei ist jedoch eine Anekdote aus meinem Bekanntenkreis. Die Großeltern eines Freundes kommen aus der Nähe von Aschaffenburg und leben in einem Dorf direkt am Mainufer. Beide können bis heute nicht schwimmen und haben berichtet, dass sie dabei nicht die Einzigen waren. Oma hat sogar Angst vor Wasser und die gesamte Familiengeschichte ist voll von Todesopfern durch Ertrinken. In dieser Hinsicht finde ich deine Fragestellung nämlich hoch interessant. Obwohl Schwimmen also nicht schwer, kein Geheimwissen und sicherlich kein Standesattribut ist, gab und gibt es immer wieder viele Menschen die es nicht können.
Abseits der Suizidfrage komme ich jedoch zu dem unromantischen Ergebnis,
dass sich dahinter eher zufällige Faktoren verbergen als soziokulturelle.
Zu der Frage mit dem Erstaunen über den ertrunkenen Freund-
wärst du nicht geschockt? Außerdem; die Zahl der Todesopfer die heutzutage noch in öffentlichen Gewässern umkommen ist wahrscheinlich deshalb geringer als anno dazumal, weil man heute fast nirgendwo (vor allem in den großen Flüssen) noch schwimmen gehen kann!
 
Schwimmen

Hallo

Wenn man vom Beginn des 30.Jh. in Dt. auf die Fähigkeit der Mitteleuropäer in früheren zeiten schließen würde, war das Schwimmen einne seltene Fähigkeit, zumindest der Deutschen.
Sieh dazu die Gründung der DLRG. Diese erfolgte 19xy aufgrund eines Unglücks (Brückeneinsturz) mit nur wenigen Überlebenden, weil nur wenige Deutsche damals schwimmen konnten.

Zitat aus dem Wikipedia-Artikel zur DLRG
Gegründet wurde der Verein am 19. Oktober 1913 im Saal des Kaufmännischen Vereins in Leipzig. Anlass war ein Unglück am 28. Juli 1912 in Binz auf Rügen, als sich über 1.000 Badegäste und Ausflügler auf der 560 Meter langen Seebrücke drängten und die Ankunft des Bäderdampfers Kronprinz Wilhelm erwarteten. Plötzlich brach die Anlegestelle am Brückenkopf trichterförmig in sich zusammen. Über 100 Menschen stürzten in die Ostsee. Für 17 Menschen, darunter sieben Kinder, kam jede Hilfe zu spät. „Allgemein wurde es als beschämend empfunden, dass von den unzähligen Menschen auf der Brücke und auf dem Bäderschiff kaum jemand bereit oder fähig war, zu retten oder Erste Hilfe zu leisten und Wiederbelebungsversuche zu machen“ so Edith Mayer-Springer, Hamburg 1913.<sup class="reference" id="cite_ref-chronik50j_1-0">[2]</sup> Zur damaligen Zeit verloren pro Jahr etwa 5.000 Menschen ihr Leben im Wasser, und nur zwei bis drei Prozent der Bevölkerung konnten schwimmen.<sup class="reference" id="cite_ref-geschichte_2-0">[3]</sup>


mfg
schwedenmann
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessanter Beitrag, dekumatland! Hab mir auch schon über das “ins Wasser Gehen” Gedanken gemacht, da ich mich gut erinnere, wie ich als Kind Panik vom tiefen Wasser hatte, und wie es schließlich zu sowas wie meinem Element geworden war, sodass ich es mir kaum vorstellen konnte, überhaupt im Wasser ertrinken zu können.

Die Methode ist bei Schwimmern nur schwer vorzustellen, da es eigentlich die Panik ist, die einen nicht auf der Oberfläche hält. Hingegen braucht sie äußerst starken Willen und Entschloßenheit. Man muss wahrscheinlich den panischen Moment so lange wie möglich hinauszögern, um überhaupt ertrinken zu können. Eine traurige Angelegenheit.

Persönlich bin ich überzeugt, dass die Methode v.a. wegen der nötigen Selbstbeherrschung und dem sinnbildlichen Entschwinden in der Ferne des 19.Jhs. Lieblingssuizid war. Ophelia, die schöne Tote zwischen Seerosen, in der Malerei des 19.Jhs. unzählige Mal zitiert, trug zudem wahrscheinlich auch zur Beliebtheit der Methode bei Frauen bei.

Die Fähigkeit zu Schwimmen war m.M.n. eher geografisch bedingt als vom gesellschaftlichen Rang. Glaube kaum, dass Schwimmkurse im MA zur Ausbildung der Ritter gehörte (vielleicht aber später). Apropos Ritter: von Ludwig II. von Ungarn behauptet man, er sei in der Schlacht von Mohács in seichtem Wasser ertrunken - war wahrscheinlich wegen der schweren Rüstung kaum bewegungsfähig.

Bin übrigens etwas skeptisch bez. Frau del Buonos Behauptung, diese Suizidmethode sei ein “Armentod” gewesen, da es sich - wie sie schreibt - kein offener Balken fand, um den sich ein Strick binden ließ. Etwas gesucht, aber ihr Artikel sonst cool recherchiert und anregend.
 
Wenn man sich die Badekleidung der prüden wilhelminischen Zeit ansieht, ist es auch kein Wunder, dass Mann und Frau damit nicht schwimmen konnte. Im Ganzkörperbadeanzug konnte man meist nur planschen. Wasserabweisende Stoffe hat es damals sicher noch nicht gegeben und mit einem vollgesogenen Kleidungsstück am Körper ist Schwimmen ziemlich anstrengend. Wenn man voll bekleidet zwecks Suizid ins Wasser ging, war es nur eine Frage der Zeit, bis man unterging.
 
Die argentinische Dichterin Alfonsina Storni hat sich noch 1938 so umgebracht. Das hat nachträglich eines der schönsten Lieder zu einem so grimmigen Thema entstehen lassen:

Por la blanda arena que lame el mar
Su pequeña huella no vuelve mas,
Un sendero solo de pena y silencio llego
Hasta el agua profunda,
Un sendero solo de penas mudas llego
Hasta la espuma.

Sabe dios que angustia te acompaño
Que dolores viejos callo tu voz
Para recostarte arrullada en el canto
De las caracolas marinas
La cancion que canta en el fondo oscuro del mar
La caracola.

Te vas alfonsina con tu soledad
Que poemas nuevos fuiste a buscar ...?
Una voz antigua de viento y de sal
Te requiebra el alma y la esta llevando
Y te vas hacia alla como en sueños,
Dormida, alfonsina, vestida de mar ...

Cinco sirenitas te llevaran
Por caminos de algas y de coral
Y fosforecentes caballos marinos haran
Una ronda a tu lado
Y los habitantes del agua van a jugar
Pronto a tu lado.

Bajame la lampara un poco mas
Dejame que duerma nodriza en paz
Y si llama el no le digas que estoy
Dile que alfonsina no vuelve ...
Y si llama el no le digas nunca que estoy,
Di que me he ido ...

Te vas alfonsina con tu soledad
Que poemas nuevos fuiste a buscar ...?
Una voz antigua de viento y de sal
Te requiebra el alma y la esta llevando
Y te vas hacia alla como en sueños,
Dormida, alfonsina, vestida de mar ...

Von Ariel Ramirez, in der bekanntesten Fassung von Mercedes Sosa gesungen.

Mercedes Sosa, Cancionero: Alfonsina y el mar
 
Ich habe mir darüber noch nicht allzuviele Gedanken gemacht. Mir ist aber angelegentlich aufgefallen, dass es in der FNZ immer wieder Verbote gab in den und den Flüssen zu baden bzw. schwimmen und damals waren Bade-/Schwimmunfälle nicht selten. Daher kann ich mir nicht vorstellen, dass der Umgang mit dem Wasser den Menschen ganz unbekannt war. Angesichts des Aufwandes anderweitig zu baden, was das Schöpfen von Wasser aus dem Brunnen und einen Kraftakt beim Antransport des Wassers bedeutet hätte, finde ich das Schwimmengehen recht einleuchtend.
Baden am bzw. im Meer war schon im 18.Jh. beliebt. 1793 wurde Heiligendamm als ein frühes Seebad in Deutschland begründet. Auf einem Stich aus Heideloffs "Gallery of Fashion" (1794-1803) erkennt man im Hintergrund die charakteristischen Wagen, die am Meeresstrand ins Wasser gefahren wurden.
 
Galt nicht in der frühen Neuzeit Wasser als gefährlich? Mit Brunnenwasser in den Städten konnte man ja, dank der Bakterien, richtig krank werden.
Nicht um sonst wurde ja in den Städten Bier gebraut, mit einem niedrigeren Alkoholgehalt als heute. Dadurch wurden die Bakterien abgetötet. Das Wasser als Ursache wurde wohl erkannt. Bakterien waren ja unbekannt. Und damit die krank machende Ursache.
Warum sollten sich Leute also in die Gefahr begeben und freiwillig mit Wasser in Kontakt treten. Und erst recht zu ertrinken.
Waschen war ja am Hofe des Sonnenkönigs verpönt, viel lieber wurde mit Duftwässern der Gestank übertüncht.
Die Royal Navy soll zum Teil sogar deshalb die Schiffe auf Reede gelegt haben um die Desertation zu reduzieren weil kaum einer schwimmen konnte.

Apvar
 
Ich habe mir darüber noch nicht allzuviele Gedanken gemacht. Mir ist aber angelegentlich aufgefallen, dass es in der FNZ immer wieder Verbote gab in den und den Flüssen zu baden bzw. schwimmen und damals waren Bade-/Schwimmunfälle nicht selten. Daher kann ich mir nicht vorstellen, dass der Umgang mit dem Wasser den Menschen ganz unbekannt war. [...]
Kann ich mir auch nicht vorstellen - angesichts der vielen erhaltenen Badehäuschen und Badepavillons bereits aus dem Barock.


Was ich mich aber frage, ob Frauen öfter als Männer diese Art des Suizids gewählt haben, sodass man statt “Armentod” eher von “Frauentod” reden könnte (obwohl sich natürlich auch mal gestandene Männer in die Fluten geworfen haben), und ob vielleicht das 19. Jh. das Zeitalter der Suizide der Frauen gewesen sei, als Resignation vor dem männlichen Chauvinismus? Nur mal als These...
 
Schuß ins Blaue: War der Freitod durch Bewässerung möglicherweise auch ein letztes Aufbäumen des Stolzes der Leute? Selbstmord war damals (und heute) ja nicht wirklich gesellschaftlich akzeptiert, es gab kein Grab in geweihter Erde, sondern man wurde schmählich irgendwo vor dem Friedhof verscharrt. Vielleicht wollten diese Selbstmörder sich diese Schmach nicht antun sondern hofften, dass das Gewässer, in das sich sich zurückzogen, ihre Leichen nicht mehr preisgeben würde und sie somit tasächlich - mitsamt ihrem wirklichen oder eingebildeten Scheitern - aus der Welt waren?
Seeleute konnten übrigens tatsächlich häufig nicht schwimmen - das lag aber weniger daran, dass sie Seeleute waren, sondern daran, dass weder sie noch ihr Arbeitgeber irgendeinen Anreiz sahen, Ihnen das Schwimmen beizubringen. Neben dem platten Argument der Desertionsverhinderung gab es auch das sehr viel persönlichere Argument, dass es nicht viel Sinn machten, sich auf hoher See länger als nötig über Wasser halten zu können, wenn man über Bord gegangen war. Unnötige Verlängerung der Leidensdauer. Zusätzlich: Welche Notwendigkeit gab es für einen Seemann, schwimmen zu könne?
 
[...]Fähigkeiten wie das Schwimmen waren also Zweckgebunden.
Ja, ein Ritter musste schwimmen können und ein Seemann wahrscheinlich auch. [...]

Nur auf diese Zeile bezogen, und auf die Seemänner, und auch nur auf die Britische Navy in der frühen Neuzeit...da war die Fähigkeit schwimmen zu können, eher weniger gefragt. Im Gegenteil, da die Obrigkeit befürchtete, daß gepresste Männer, die schwimmen können, ihre Situation bei Ankerlage im Hafen, durch einen gewagten Sprung ändern könnten. Da die Situation, bei der Navy, an Bord teilweise extrem übel war, erhielten die Seeleute auch nicht immer Landgang, sondern mussten auch im Hafen auf dem Schiff bleiben, da Massendesertion gefürchtet war. Langer Rede, kurzer Sinn: Ich bin heute kleinlich, und fühle mich daher berufen darauf hinzuweisen, daß Seeleute nicht immer schwimmen können mussten, sondern dass das teilweise sogar als nachteilig empfunden wurde (jedoch nicht von denen die es konnten, dessen bin ich mir ziemlich sicher).
 
Zu der Frage mit dem Erstaunen über den ertrunkenen Freund - wärst du nicht geschockt?
doch, natürlich -- wahrscheinlich missverstehen wir uns, weil ich es ungeschickt formuliert hatte.
Ich fand es erstaunlich, dass das schwimmen in einem so gefährlichen und uneinschätzbarem riesigem Gewässer wie dem Mississipi (Twain beschreibt in seinem Buch eindrücklich eines der schlimmen Hochwasser wie auch die Schwierigkeiten der Schiffer) für die Kinder bzw. Buben damals offenbar im sAommer ganz alltäglich war. In seinen rein fiktiven literarischen Werken wie Tom Saywer oder Huck Finn taucht das schwimmen im Mississipi ebenfalls auf- allerdings schwimmen da keine Mädchen! --- Nun sind Twains faszinierende und wunderbar geschriebene Erinnerungen einerseits durchaus realistisch (warum sollte man daran zweifeln?), andererseits sind sie aber auch literarisch verarbeitet (im Fall von "Leben am Mississipi" ist es das Wechselspiel zwischen erinnerndem und erinnertem Ich während einer Mississipi-Fahrt) sodass sie vielleicht nicht in strengstem Sinne als Quelle gelten (?!) -- mir fällt auf, dass in allerlei Literatur des 19. Jh. dort, wo eben geschwommen wird, keine Mädchen oder Frauen schwimmen (die pflegen eher zum ertrinken ins Waqsser zu gehen...)
--- daher auch folgende Fragestellung: war das schwimmen können, schwimmen wollen usw. womöglich lange Zeit (also vor dem späten 19. Jh.) eher Männer- bzw. Jungensache?
 
Schwimmen in Flüssen und Seen - wie wurde es damit in den verschiedenen geschichtlichen Epochen gehalten? Wie war es um das Schwimmen können oder lernen bestellt? (Gehörte Schwimmen nicht auch zu den Fertigkeiten, die ein Ritter beherrschen sollte?) im Krieg, Kampfhandlungen an Wasserläufen: konnten alle Krieger, alle Soldaten zu jeder Zeit schwimmen?
Du denkst sicher auch an Barbarossa und seinen Tod, nicht wahr?
Ja, ein Ritter musste schwimmen können ...
Wo steht das?
Ich meine, am Hof Roger II. von Sizilien habe es einen Taucher gegeben.
 
Ich meine, am Hof Roger II. von Sizilien habe es einen Taucher gegeben.

Der gute Mann hieß Nicolaus Pipa.

De Nicolao Pipe, homine equoreo. Multi vivunt qui nobis magnum et omni admiracione maius enarrant se vidisse circa pontum illud prodigium: Nicolaum Pipe, hominem equoreum, qui sine spiraculo diu per mensem vel annum vicinia ponti cum piscibus frequentabat indempnis et tempestate depressa navibus in portu exitum vetabat presagio vel egressis reditum indicebat... Cupivit eum rex Siculus Willielmus auditis his videre iussitque ipsum sibi presentari; quem dum invitum traherent, inter manus eorum absentia maris extinctus es.

(Walter Map: Libro de nugis curialium)


De insulis Mediterranei maris... Sicilia ab Italia modico freto distinguitur, in quo Scilla est et Caribdis, marine voragines, quibus navigia absorbentur aut colliduntur, quem locum Farum nominant. In hunc referunt ex coaccione regis Siculi Rogerii descendisse Nicolaum Pipam, hominem de Apulia oriundum, cuius mansio fere continua erat in profundo maris. Hic a marinis beluis quasi notus ac familiaris vitabatur ad malum; maris sedulus explorator, currentibus in pelago navibus, nautis instantes tem pestates prenuntiabat, et cum derepente a mari nudus prorumpebat, nichil preter oleum a transeuntibus postulabat, ut eius beneficio profundum n abissi maris speculacius intueri posset atque rimari. Hic in Faro nemorosam abyssum esse dicebat; ex arborum itaque oppositis obicibus fluctus o collidi invicem proponebat, asserens, in mari montes esse et valles, silvas et campos et arbores glandiferas. Ad cuius rei fidem nos quoque glandes marinas in litore maris sepe prospeximus.
(Gervasius von Tilbury: Otia imperialia)
Hm... Irgendwie bemerkenswert, dass den Bericht von Nicolaus Pipa nur Briten überliefert haben.
 
...übersetzt wäre es vielleicht für mehr Teilnehmer verständlich... (mein Latein reicht da ohne Wörterbuch nicht aus)
Na dann will ich mich wieder einmal versuchen: (Ein Problem beim Übersetzen ist die abweichende Schreibung mancher Wörter im Mittelalter, vor allem dass ae oft nur als e geschrieben wird ... Generell ist mein Mittellatein recht schwach.)

Über Nikolaus Pipe, den Meermenschen. Viele leben, die uns erzählen, dass sie in der Gegend des Meeres jenes große und durch die ganze Bewunderung größere Wunder gesehen haben: Dass Nikolaus Pipe, der Meermensch, der sich ohne Luftloch lange für einen Monat oder ein Jahr in der Nachbarschaft des Meeres schadlos* mit den Fischen versammelte und, wenn sich ein Sturm herabgesenkt hatte, den Schiffen im Hafen die Ausfahrt durch die Vorhersagung verbot oder den Hinausgefahrenen die Rückkehr ansagte ... Ihn wünschte der sizilische König Wilhelm, nachdem er davon gehört hatte, zu sehen und befahl, dass er selbst ihm gezeigt werde; während sie den Unwilligen herbeischleppten, wurde er in ihren Händen durch die Abwesenheit vom Meer getötet.

* Ich vermute, dass "indempnis" ein Verschreiber für "indemnis" sein soll.

Von den Inseln des Mittelmeers ... Sizilien wird von Italien durch eine mäßige Meerenge getrennt, in der die Skylla und Charybdis ist, Abgründe des Meeres, von denen Schiffe verschluckt oder zusammengestoßen werden, welchen Ort sie Farus/Farum nennen. Sie berichten, dass in diesen während [oder: auf der Flucht vor ?] der Steuereintreibung des sizilischen Königs Roger Nicolaus Pipa, ein aus Apulien stammender Mensch, dessen zusammenhängender Aufenthalt meistens in der Tiefe des Meeres war, hinabgestiegen sei.

(Ich muss jetzt weg, die Fortsetzung folgt irgendwann im Laufe des Abends.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier die komplette Übersetzung beider Texte:
Ein Problem beim Übersetzen war nicht nur die abweichende Schreibung mancher Wörter im Mittelalter, vor allem dass ae oft nur als e geschrieben wird, sondern auch, dass der Text recht verderbt zu sein scheint, insbesondere manchmal anscheinend Buchstaben fehlen (z. B. "es" statt "est"), ich musste daher manche Wörter - meinem Verdacht entsprechend - ein bisschen korrigieren.

Über Nikolaus Pipe, den Meermenschen. Viele leben, die uns erzählen, dass sie in der Gegend des Meeres jenes große und durch die ganze Bewunderung größere Wunder gesehen haben: Dass Nikolaus Pipe, der Meermensch, der sich ohne Luftloch lange für einen Monat oder ein Jahr in der Nachbarschaft des Meeres schadlos* mit den Fischen versammelte und, wenn sich ein Sturm herabgesenkt hatte, den Schiffen im Hafen die Ausfahrt durch die Vorhersage verbot oder den Hinausgefahrenen die Rückkehr ansagte ... Ihn wünschte der sizilische König Wilhelm, nachdem er davon gehört hatte, zu sehen und befahl, dass er selbst ihm gezeigt werde; während sie den Unwilligen herbeischleppten, starb er in ihren Händen durch die Abwesenheit vom Meer.

* Ich vermute, dass "indempnis" ein Verschreiber für "indemnis" sein soll.


Über die Inseln des Mittelmeers ... Sizilien wird von Italien durch eine mäßige Meerenge getrennt, in der die Skylla ist und die Charybdis, Meeresabgründe, von denen Schiffe verschluckt oder zusammengestoßen werden, welchen Ort sie Farus/Farum nennen. Sie berichten, dass in diesen wegen der Steuereintreibung des sizilischen Königs Roger Nicolaus Pipa, ein aus Apulien stammender Mensch, dessen ununterbrochener Aufenthalt meistens in der Tiefe des Meeres war, hinabgestiegen sei. Dieser wurde von den Meeresungeheuern quasi als Bekannter und Verwandter beim Bösen gemieden; als eifriger Erforscher des Meeres kündigte er, wenn Schiffe auf dem Meer fuhren, den Seemännern bevorstehende Stürme an, und wenn er plötzlich nackt aus dem Meer hervorbrach, verlangte er von den Vorbeifahrenden nichts außer Öl, damit er durch ihre Wohltat die Tiefe des Abgrunds des Meeres mehr ausgekundschaftet anschauen und erforschen könne. Dieser sagte, dass im Farus/Farum eine waldreiche Tiefe sei; er erzählte, dass daher wegen der entgegenstehenden Balken der Bäume die Fluten wechselseitig zusammengeschlagen würden, und behauptete, dass im Meer Berge und Täler seien, Wälder und Felder und Eicheln tragende Bäume. Zum Glauben an diese Sache erblickten wir auch oft Meereicheln an der Küste des Meeres.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben