Interessenausgleich 1912

Ich halte die Splendid Isolation für sicherer als das neue Verfahren mit den Bündnissen. Schon das japanische Bündnis hätte um ein Haar zum Krieg mit Russland und ev. sogar mit Frankreich dann geführt. Auf Seiten der Tripple-Entente hats dann richtig gekracht.

Natürlich kann man den Wechsel kommentieren. Aber das wurde eben in Großbritannien zeitgenössisch anders gesehen, und ist durch etliche Untersuchungen geklärt worden.

"Splendid Isolation" ist (nur) die Kehrseite der Medaille "Gleichtgewichtspolitik", die über hunderte Jahre gepflegt wurde.

Es ist das Verdienst der Studie von Gade, Gleichgewichtspolitik oder Bündnispflege: Maximen britischer Aussenpolitik (1909-1914), nachgewiesen zu haben, dass nach 1900 eben ein Prioritäten- bzw. Methodenwechsel in der britischen Außenpolitik stattgefunden hat, der unter der Wahrnehmung der veränderten strategischen Lage erklärbar ist.

Die Studie von Gade wurde durch Frehland-Wildeboer aufgegriffen und bestätigt (S. 401).
 
Und Großbritannien benötigte diesen Ausgleich, denn wenn die Russen ernst gemacht hätten, wären die britischen Positionen wohl nicht zu halten gewesen.
Das ist für mich nicht abzuschätzen, wie sich die Russen bei einem Angriff gegen Indien oder Persien geschlagen hätten, aber konnten sie sich denn einen solchen Angriff überhaupt leisten, wenn sie nicht auf die Neutralität der Deutschen zählen konnten? Was passiert wenn die halbe russ. Armee in Persien oder Indien steht und der Zweibund auf brit. Seite in den Krieg eintritt. Bleiben die Türken dann neutral oder die Japaner?
So schlecht wie das Verhältnis zu Deutschland war nach 1908, konnten die Russen doch gar keine zweite Front gegen GB eröffnen.


Das Buch von Neitzel ist von 2002 also wirklich überholt ist das noch nicht denke ich mal. Im Vorwort ist ein Seitenhieb gegen Nial Ferguson, der würde so abwegige Theorien aufstellen um Aufmerksamkeit zu erregen, da habe ich schon gegrinst, beim zweiten mal Lesen. :)

Es ist das Verdienst der Studie von Gade, Gleichgewichtspolitik oder Bündnispflege: Maximen britischer Aussenpolitik (1909-1914), nachgewiesen zu haben, dass nach 1900 eben ein Prioritäten- bzw. Methodenwechsel in der britischen Außenpolitik stattgefunden hat, der unter der Wahrnehmung der veränderten strategischen Lage erklärbar ist.
Aber wo ein Prioritätenwechsel stattgefunden hat, kann ja auch ein zweiter stattfinden, wenn die "strategische Lage" es erlaubt. Da bin ich mir noch nicht so schlüssig, Neitzel arbeitet das zwar alles schön heraus, nur was nach 1900 so viel anders ist als vor 1900 verstehe ich nicht. Die brit. Armee war doch um 1880 auch schon mickrig klein und der Burenkrieg wäre 1880 doch auch nicht billiger gewesen als 1900.
In Faschoda gegen Frankreich und in Nordchina gegen Russland hat GB noch beinhart gespielt, beide mal bis an den Rand des Krieges gegangen und im Grunde beide Male als Sieger vom Platz gegangen. Dann nach 1905 werden sie auf einmal knieweich. Entente hier, Freundschaft da, bloß keinen verärgern.
Die klassische Erklärung war, dass vor lauter Angst vor den Deutschen und ihrer Flotte man umdisponiert hat. Oder jetzt alternativ, dass Empire "nicht mehr zu halten" war. Warum es aber "nicht mehr zu halten" wird nicht so genau erläutert.
 
El Mercenario schrieb:
Das ist für mich nicht abzuschätzen, wie sich die Russen bei einem Angriff gegen Indien oder Persien geschlagen hätten, aber konnten sie sich denn einen solchen Angriff überhaupt leisten, wenn sie nicht auf die Neutralität der Deutschen zählen konnten? Was passiert wenn die halbe russ. Armee in Persien oder Indien steht und der Zweibund auf brit. Seite in den Krieg eintritt. Bleiben die Türken dann neutral oder die Japaner?
So schlecht wie das Verhältnis zu Deutschland war nach 1908, konnten die Russen doch gar keine zweite Front gegen GB eröffnen.

Was hätte Großbritannien dann den Russen in Persien oder Indien groß entgegensetzten können? Rußland hätte für eine entsprechenden Angriff wohl nicht seine Westfront entblößen müssen. Des Weiteren war Rußland mit Frankreich verbündet, welches sicherlich zumindest deutsche Kräfte binden würde. Aber soweit wollte es Großbritanniejn ja gar nicht kommen lassen, da man die Triple Entente als ganz wesentlich betrachtete und dafür auch bereit war zurückzustecken. Sehr zum Ärger der britischen Öffentlichkeit, die den Kurs der Regierung gegenüber dem Zarenreich nicht immer gefolgt ist. Lange Zeit wurde das Deutsche Reich eben als die größte Gefahr begriffen und da war man auch bereit "Kröten" zu schlucken.
 
Naja, ich vermute GB hätte die Wehrpflicht eingeführt und Russland in einen jahrelangen Krieg verwickelt, wie man es vs Deutschland auch gemacht hat. Ich denke die Seeverbindung von GB nach Persien und Indien war günstiger als die Landverbindung vom europ. Russland aus und finanziell gesehen würde ich meinen, GB konnte sich das eher leisten.
Ob Frankreich bei einem Krieg vs GB mitmacht und deutsche Kräfte bindet hätte ich für zweifelhaft gehalten, ein Krieg mit mageren Erfolgsaussichten wo zumindest alle Kolonien bei verloren gehen.

Wenn GB das DR als die größte Gefahr angesehen hat, stellt sich eben die Frage warum. Die deutsche Flotte war ja schon längst "überrüstet" 1914. Wozu brauchte GB also die Triple-Entente?
 
Naja, ich vermute GB hätte die Wehrpflicht eingeführt und Russland in einen jahrelangen Krieg verwickelt, wie man es vs Deutschland auch gemacht hat

Das wissen wir aber nicht.



Ob Frankreich bei einem Krieg vs GB mitmacht und deutsche Kräfte bindet hätte ich für zweifelhaft gehalten, ein Krieg mit mageren Erfolgsaussichten wo zumindest alle Kolonien bei verloren gehen.

Frankreich hätte gar nicht mitmachen müsseb, sondern nur ein wenig mit dem Säbel rasseln müssen.

Wenn GB das DR als die größte Gefahr angesehen hat, stellt sich eben die Frage warum.

Weil es durch die britischen Medien dazu gemacht worden ist. Phasenweise gan es ja geradezu eine hysterische Angst vor einer Invasion. Da hätte man mit einer nüchternen Analys eigentlich zu den Schluß gelangen müssen, dass das die deutschen Möglichkeiten überstieg. Auf der anderen Seite war diese Hysterie nicht unwilkommen, das so Aufrüstungsprogrammen durch das Unterhaus gebracht werden konnten.

Die britische Staatsführung war der Auffassung das Wohlwollen Russlands, Stichwort Indien und Persien, zu benötigen und dafür war man bereit sich einiges bieten zu lassen.

Frankeich wurde schon in Sachen Deutsches Reich benötigt.
 
Die britische Staatsführung war der Auffassung das Wohlwollen Russlands, Stichwort Indien und Persien, zu benötigen und dafür war man bereit sich einiges bieten zu lassen.
Ja, aber warum brauchte man das nach 1909 aber nicht vor 1909. Was hätte GB denn 1895 oder 1905 den Russen in Indien und Persien entgegengestellt?

Wenn ein Prioritäten-Wechsel in GBs Außenpolitik stattgefunden hat, frage ich mich eben warum. Für mich stellt sich die Sache so dar, dass Russland etwa 1902 einen Angriff auf Persien und Indien hätte durchführen können, weil die Neutralität des Zweibundes und Japans sicher war, nach 1908 aber nicht mehr.
 
Die Russen wollten um die Jahrhundertwende direkt diplomatische Beziehungen zu Afghanistan aufnehmen und hatten eine entsprechende Note überreicht. Afghanistan durfte ohne Erlaubnis Großbritanniens keine diplomatischen Beziehungen zu dritten Ländern aufnehmen. Dies hatten Die Russen auch grundsätzlich anerkannt.

Der Zeitpunkt war gut gewählt, denn die Briten hatten gerade mit dem Burenkrieg genügend Problem am Hals. Gleichzeitig ließen die Russen ein bisschen militärisch die Muskeln spielen, in dem man 69.000 Soldaten nach Baku verlegt.

Die Briten antworteten ausweichend, während in Indien helle Aufregung herrschte. Ob die Russen tatsächlich bereit gewesen wären zu marschieren, ist nicht anzunehmen. Die Russen wollten die Briten weichkochen.

Gleichzeitig wollte man im Persischen Golf einen Hafen. Es wurde also gezielt Druck ausgeübt, denn auch hier wurden Truppen verlegt.

Auch 1900 meinten die Briten russische Angriffsabsichten durch den Bau von Eisenbahnlinien erkennen zu können. Bis dato gab es nur eine Verbindung zwischen Turkestan und den europäischen Rußland.

So begannen letzten Endes die langwierigen Unterhandlungen zwischen den beiden Weltmächten die 1907 in den Ausgleich einmündeten.

Die Russen hatten dann noch im Jahre 1904 ihre strategische Position an der afghanischen Grenze durch die Fertigstellung der Bahnlinie Taschkent nach Orenburg verbessert. Es existierte damit ein durchgängiger Schienenweg von Moskau/Petersburg bis nach Herat.

Jaeckel, Die Nordwestgrenze Indiens 1900-1908
 
Ja, aber warum brauchte man das nach 1909 aber nicht vor 1909. Was hätte GB denn 1895 oder 1905 den Russen in Indien und Persien entgegengestellt?

1895 wie 1905 etwa eine Indische Armee von rd. 190.000 Mann und rd. 80.000 Mann britische Truppen. Dazu kam die Befürchtung über Aufstände in Indien während eines Krieges. Curzon rechnete mit einer russischen Mobilisierung ab dem Kaukasus von rd. 270.000 Mann. Die Lage war also während des "Great Game" für Großbritannien durchweg prekär, der Indus wurde nie als geeignete Verteidigungslinie angesehen.

Die Lage entspannte sich nach dem japanisch-russischen Krieg wegen der Schwächung Rußlands. Genau in dem Augenblick wurde der Ausgleich gesucht, an dem dann bis 1914 krampfhaft festgehalten wurde.

Siehe:
Johnson: "Russians at the Gates of India"? Planning the Defense of India, 1885-1900
Project MUSE - The Journal of Military History - "Russians at the Gates of India"? Planning the Defense of India, 1885-1900

Towle: The Russo-Japanese War and the Defence of India, in: Military Affairs 1980, S. 111

Tripodi: "Good for one but not the other": The "Sandeman System" of Pacification as Applied to Baluchistan and the North-West Frontier, 1877-1947.
Project MUSE - The Journal of Military History - "Good for one but not the other": The "Sandeman System" of Pacification as Applied to Baluchistan and the North-West Frontier, 1877-1947
 
silesia schrieb:
1895 wie 1905 etwa eine Indische Armee von rd. 190.000 Mann und rd. 80.000 Mann britische Truppen. Dazu kam die Befürchtung über Aufstände in Indien während eines Krieges. Curzon rechnete mit einer russischen Mobilisierung ab dem Kaukasus von rd. 270.000 Mann. Die Lage war also während des "Great Game" für Großbritannien durchweg prekär, der Indus wurde nie als geeignete Verteidigungslinie angesehen.


Curzon und Kitchener wollten ja auch die Truppen personell verstärken wissen, sind aber an den Widerstand der Londoner Zentrale gescheitert. Ach stellt sich die Frage, wie die Qualität der indischen Truppen in Vergleich zu den russischen Truppen einzustufen ist?
 
Ach stellt sich die Frage, wie die Qualität der indischen Truppen in Vergleich zu den russischen Truppen einzustufen ist?

Die andauernden Forderungen auf Erhöhung der rein britischen Truppenstärke (über den Faktor 1:2 hinaus), zB. in den Memoranden von Roberts, basierten gerade auf der Feststellung, dass die indischen Truppen nicht "verläßlich" und qualitativ minderwertig seien. Salisbury und Brackenbury ("director of military intelligence") schlossen sich dem beispielsweise an.

Jetzt unabhängig vom Werturteil (richtig oder falsch): das war jedenfalls die britische Perzeption, die dann die politischen Einstellungen beeinflusste.
Johnson, S. 720, 721.

Die als "Zuverlässig" eingestuften indischen Einheiten (Sikhs, Gurkhas) bekamen einen Elite-Status, britische Offiziere führten die Gebirgsartillerie, indische Regimenter hatten britische Artillerie, und waren unter britischen Brigaden eingegliedert. Die indischen Truppen hatten veraltete Gewehre (Snider), modernes Material war bei den britischen Truppen.

Hinzu kam über den gesamten Betrachtungszeitraum, dass für die Verteidigung von Indien auf britischer Seite erhebliche logistische Schwierigkeiten ("äußere Linie") gesehen wurden, dagegen Rußland - mit den erstellten Eisenbahnen - quasi die innere Linie als Angreifer innehaben würde.

Ergo: den "indian scare" kann man über 30 Jahre durchaus mit den "invasion scares" wegen der deutschen Hochseeflotte vergleichen.
 
Turgot schrieb:
Da hätte man mit einer nüchternen Analys eigentlich zu den Schluß gelangen müssen, dass das die deutschen Möglichkeiten überstieg.

Lloyd George hatte beipielsweise im August 1908 ausgeführt:

"Hier sehen Sie Deutschland in der Mitte Europas, auf den Flanken Frankreich und Rußland mit Armeen, die größer sind als die eigene. Ich möchte unsere Freunden, die da meinen dass Deutschland, weil es Furcht vor uns hat, auch wirklich Unheil gegen uns Brütet, daran erinnern, das dieses Land ängstlich ist aus Gründen, die unter gleichen Verhältnissen auch uns Furcht einjagen müßten." (1)

Unterstreichung durch meine Wenigkeit

(1) Reichsarchiv, Der Weltkrieg 1914-1918, Grenzschlachten im Westen
 
Lloyd George hatte beipielsweise im August 1908 ausgeführt:

"Hier sehen Sie Deutschland in der Mitte Europas, auf den Flanken Frankreich und Rußland mit Armeen, die größer sind als die eigene. Ich möchte unsere Freunden, die da meinen dass Deutschland, weil es Furcht vor uns hat, auch wirklich Unheil gegen uns Brütet, daran erinnern, das dieses Land ängstlich ist aus Gründen, die unter gleichen Verhältnissen auch uns Furcht einjagen müßten."


Für diese Äußerung ist der Kontext des Naval Scares 1908/09 wichtig. L-G versuchte hier offenbar, die Politik und Öffentlichkeit in GB zu beruhigen. Hintergrund war auch die Konkurrenz zwischen in Aussicht stehenden gewaltigen Steigerungen der Marineausgaben konträr zu geforderten sozialen Mehrausgaben. Ob er das wirklich so gesehen hat, würde ich in Frage stellen. Jedenfalls scheint die Position in den innenpolitischen Streitereien opportun gewesen zu sein, um die "scaremongers" im Zaum zu halten.

http://www.geschichtsforum.de/576817-post24.html
 
Für diese Äußerung ist der Kontext des Naval Scares 1908/09 wichtig. L-G versuchte hier offenbar, die Politik und Öffentlichkeit in GB zu beruhigen. Hintergrund war auch die Konkurrenz zwischen in Aussicht stehenden gewaltigen Steigerungen der Marineausgaben konträr zu geforderten sozialen Mehrausgaben. Ob er das wirklich so gesehen hat, würde ich in Frage stellen. Jedenfalls scheint die Position in den innenpolitischen Streitereien opportun gewesen zu sein, um die "scaremongers" im Zaum zu halten.

http://www.geschichtsforum.de/576817-post24.html


Das ist gut möglich. Zu jener Zeit war ja auch, wieder einmal, das absurde Thema einer deutschen Invasion Thema, was ja von interessierten Kreisen ventiliert und befördert wurde. Äußeren Ausdruck fand das auf der Tagesordnung des C.I.D. und das, obwohl dieser Auschuß unter Balfour wenige Jahre zuvor dieses Hirngespinst erschöpfend geklärt hatte.
 
i5mJv.jpg


Ich habe zwar beim Schreiben der Frage schon die Antwort gefunden, aber ich lasse euch mal die beiden Karikaturen hier, um die sich die originale Frage dreht.

Jedem, der hier landet, kann ich nur sagen: Man hat alle Informationen, die man zur Beantwortung braucht - und ja, ich bin nach zwei Tagen auch erst beim zweiten Abschnitt der Fragen, und das ist wohl auch der Sinn der Sache, damit man den Stoff bis zur Klausur behält.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nachdem der bedeutende Ausgleich zwischen England und Russland unter Dach und Fach war, gab es im Januar 1908 eine interessante Konferenz des russischen Ministerrates.
Man zeigte sich überzeugt, die britische Unterstützung auf dem Balkan fortan in der Tasche zu haben. Die Verständigung mit England böte äußerst verlockende Aussicht. Sie könne zu glänzenden Ergebnissen führen und die historische Aufgaben Russlands im Nahen Osten fördern. Eine solche Politik könne eine erneute Aufrollung der türkischen Frage zur Folge haben und dabei komme England als Element einer solchen diplomatischen Konstellation eine wesentliche Rolle zu.

Das Zarenreich fühlte sich ermutigt auf dam Balkan aktiv zu werden.

Vielleicht interessiert es ja jemanden.



(1)Schmidt, Kaiserdämmerung und dieser zitiert Pokrowski, Drei Konferenzen
 
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