Intersexuelle in der Antike: Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Kunst?

foxbuster

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Hallo,

ich lese derzeit zum Thema Sexualität in der Antike und bin beim Phänomen des Hermaphroditismus hängen geblieben.
So begegnen mir stets Berichte über die Ermordung von Hermaphroditen, da man sie zunächst als böse Omen betrachtete und sie zugleich als Gefahr für die (Ordnung der) Gesellschaft erachtete.

(Literatur: Brisson, Luc: Sexual Ambivalence)

Demgegenüber aber befinden sich diverse antike Plastiken und Skulpturen (mitunter Repliken) von ausgewachsenen Hermaphroditen in diversen Museen der Welt.

Am bekanntesten ist wohl folgende aus dem Pariser Louvre: Sexualität: Zwitter - Mann und Frau zugleich - Nachrichten Gesundheit - WELT ONLINE); Oder auch folgende: http://farm4.static.flickr.com/3560/3387627646_98cf66d863.jpg

Steht beides nicht in einem gewissen Widerspruch? Warum entstanden jene Kunstwerke, wenn man Intersexuelle nicht nur Verstieß, sondern gar im jungen Alter ermordete?

Hoffe auf Erleuchtung. :)

Danke!
 
Nun, Kunst dient ja verschiedenen Aspekten, und es wird mit ihr nicht nur dargestellt, was man positiv empfindet. Mit Kunst läßt sich das Fremde, das Feindliche, das Andere, das Gegenteilige usw. darstellen, thematisieren, bannen. Du wirst in der antiken Kunst eine ganze Reihe von Sujets finden, die sich nicht dem Ideal der Auftraggeber unterwerfen. Um es vereinfacht darzustellen: man hat ja auch Barbaren künstlerisch thematisiert, die man bekämpft und versklavt hat, auf jeden Fall verachtet hat.

Die Darstellung von Hermaphroditen stammt, soweit ich weiß, immer aus einem dionysischen Kontext, will also die Welt des Gottes darstellen, vor der man sich genauso gefürchtet hat wie man sie ersehnt hat. Dionysos, das ist das Wilde, das Rauschhafte, das Ungezügelte, das Unberechenbare, das Mystische, das aus dem Osten kommt, wo die Welt voll ist von Fabelwesen (die griechischen fabelwesen sind fast alle orientalisch inspiriert). Dionysos ist begleitet von Satyrn und Mänaden, die im wilden Rausch alles zerreißen, er ist begleitet von Pan, von dem unser Wort Panik abgeleitet ist, und in diesem Thiasos (Umzug) ist auch der Hermaphrodit zu suchen.

Das Problem bei antiekn Kunstwerken, gerade bei Skulptur ist, daß sie im Museum ihre eigentliche Aussage verloren haben, die bestand in der antiken Welt fast immer im Aufstellungsort. Eine solche Statue stand in der regel nicht allein, sondern in einer Gruppe, in einem Garten, zwischen Efeubewachsenen Säulen, in einer künstlichen Grotte oder ähnlichem, in Korrespondenz zu einer anderen Statue, mal als Paar gedacht, mal als Antipoden. Daraus entwickelte solch eine Statuengruppe ihre Wirkung und war für den Betrachter auch sofort verständlich.

Und so löst sich dann auch der vermeintliche Widerspruch auf, daß künstlerisch etwas dargestellt wird, was im Alltag nicht toleriert wird.
 
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