Ist Links wie Rechts? - Die Extremismustheorie von 1973 als historische Kategorie

Ogrim

Aktives Mitglied
Liebe Forumsteilnehmer,

nachdem ein Beitrag in einem anderen Thread wegen angeblicher "tagespoliticher" Bezüge gelöscht wurde, möchte ich das Thema gerne hier ausführlicher diskutieren.

Grundlage könnte der Wikipedia-Artikel Extremismus ? Wikipedia
sein.

Ist es historisch eine zulässige Kategorie, "Links" und "Rechts" in parlamentarischen Systemen miteinander zu vergleichen?

Dient diese Einordnung nicht hauptsächlich dazu, radikale bzw. "extremistische" Tendenzen in der sich selbst definierenden "Mitte" zu verharmlosen? Oder ist er für Historiker und Geschichtsfreunde sinnvoll?

Gibt es Regeln, nach denen eine Gruppe oder Partei ins extremistische Spektrum fällt? Wer entscheidet eigentlich, wer "links" oder "rechts" ist?

Ins Geschichtsforum gehört die Debatte meines Erachtens alleine schon deswegen, weil der Begriff im Jahr 1973 "erfunden" wurde und heute häufig für Verwirrung sorgt. Ist er nur aus der Situation der 70er Jahre verständlich?

Ich freue mich über Beiträge.
 
Ist es historisch eine zulässige Kategorie, "Links" und "Rechts" in parlamentarischen Systemen miteinander zu vergleichen?

Warum denn nicht?

"Links und Rechts", ebenso wie schwarz und rot sind Bestandteile der Debatten im parlamentarischen System der BRD seit den 1950ern.


Dient diese Einordnung nicht hauptsächlich dazu, radikale bzw. "extremistische" Tendenzen in der sich selbst definierenden "Mitte" zu verharmlosen? Oder ist er für Historiker und Geschichtsfreunde sinnvoll?
Hier liegt offenbar ein Missverständnis vor: die Extremismusdebatte (außerhalb der gewohnten Mitte von rechts bis links) bezog sich auf "Linksextremismus" (insbesondere befördert durch die Vorgänge um die RAF) und "Rechtsextremismus".

Das ergibt sich schon aus den Wiki-links:
Linksextremismus ? Wikipedia
Rechtsextremismus ? Wikipedia

Radikalismus- und Totalitarismus-Debatten stehen damit im engen Zusammenhang. Außerhalb der oben beschriebenen Vorgänge stehen bereits das SRP- und KPD-Verbot in den 1950ern.

"[erreicht die] ...Abkehr von demokratischen Organisationsgrundsätzen in der inneren Ordnung einer Partei einen solchen Grad, daß sie nur als Ausdruck einer grundsätzlich demokratiefeindlichen Haltung erklärbar ist, ..."

Das ist die Umschreibung des Extremismus für das parlamentarische System der Bundesrepublik.
DFR - BVerfGE 2, 1 - SRP-Verbot
BVerfGE BvB 1/51- SRP-Verbot
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Begriff "Extremismus" selbst ist m.E. älter. Er geht auf die Vorstellung des politischen Spektrums als "Linie" zurück, mit zwei Enden links und rechts.

Die Begriffe "links" und "rechts" gehen übrigens schon auf die französische Nationalversammlung zur Zeit der Revolution zurück. Ich meine dass der Begriff "extremiste jacobin" schon damals oder zumindest für damalige Figuren angewendet wurde.

Dem steht die Vorstellung des Spektrums als Kreis gegenüber, bei dem sich die enden Berühren. Dieses wird unterstützt von der Menge an ehemaligen "Linksextremisten" die nach "rechts" übergewechselt haben oder die selteneren Fälle, bei denen diese Wanderung umgekehrt war. Mussolini war mal Sozialist, bei den Nazis gab es sogar in Führungspositionen einige, die mal links waren und noch sozialistische Tendenzen vertraten, bzw. 1945 anfingen, hektisch nach Gemeinsamkeiten mit den Bolschewiken zu suchen.

In Deutschland haben wir eine recht peinliche Figur die (historisch) mal Mitbegründer bei der RAF war, und heute genau am entgegengesetzten Ende agitiert.
In Spanien gibt es einen ähnlichen Fall. In den 70.ern war die kommunistische bewaffnete Untergrundorganisation "Grapo" (Grupo antifascista primero de octubre) in den letzten Jahren des Francoregimes und den ersten der Democratie aktiv. Mitglied bei denen (historisch) war Pio Moa der sogar bei einem Banküberfall mit einem ermordeten Wachman beteiligt war. Jetzt (nicht mehr historisch, eher histerisch) ist er einer der übelsten revisionistischen Schreiberlinge die das franquistische Regime schönschreiben wollen.

Ein "Extremismus der Mitte" ist erst einmal definitorisch eher unwahrscheinlich (die Mitte kann schlecht am Rand liegen) und ist m.E. eher ein Schlagwort der Extremisten wenn sie sich in der Ausübung ihres verfassungsmäßig verankerten bzw. gottesgegebenen Rechtes zur Intoleranz behindert sehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Problem mit Links und Rechts ist sicherlich die Unschärfe beider Kategorien. Grundsätzlich gilt im "demokratischen" Spektrum sicherlich ein Gefälle von Links-Reformistisch (heute meist Sozialistisch/Sozialdemokratisch) nach Rechts (Konservativ im Sinne von erhaltend) oder Reaktionär (im Sinne von Rückschrittlich). Der extremistische Rand der Anti-Demokratischen Ideologien (wobei das auch wieder iene riene definitionsfrage ist) ähnelt sich teilweise in den Parolen und den Forderungen. Für die Weimarer Republik wird daher häufig eine "Hufeisenform" genutzt, anstatt einer Linie um die Nähe der extremistischen Parteien zueinander zu zeigen.

Ich selbst verwende bei einer Einschätzung einer Partei lieber ein Wertedreieck mit den Eckwerten "Freiheit", "Sicherheit" und "Gleichheit" um Parteien einzuordnen.
 
Erstmal danke für eure ersten Beiträge.

Besonders an Young Arkanas, die Idee mit dem Wertedreieck führt ungefähr in die Richtung, die ich mir vorgestellt hatte.

Reale Kategorien, die nicht nur sprachlich festgelegt sind.

Das ist im übrigen mein einziges Problem mit dem Beitrag von Bdaian. Er erscheint mir vor diesem Hintergrund zu sophistisch.

Es gibt durchaus einen "Extremismus der Mitte", sogar einen sehr starken. Ausländer- oder frauenfeindliche Ressentiments gehören für mich inhaltlich zu den extremistischen Positionen. Oder der in Deutschland ständig zunehmende Anti-Islamismus.
Wären diese Phänomene im gleichen Ausmass an den Rändern des Hufeisens zunehmeden, hätte die Presse ständig darüber berichtet.

Gerade mit der Aussage "Die Mitte kann schlecht am Rand liegen" verwechselst du nämlich die Ortsbeschreibung "Mitte" mit dem parlamentarischen Begriff "Mitte", der eben etwas völlig anderes beschreibt. Das ist genau der Punkt, auf den ich ursprünglich hinaus wollte.
 
Dient diese Einordnung nicht hauptsächlich dazu, radikale bzw. "extremistische" Tendenzen in der sich selbst definierenden "Mitte" zu verharmlosen? Oder ist er für Historiker und Geschichtsfreunde sinnvoll?
Ich freue mich über Beiträge.

Kategorisierungen verharmlosen wohl immer irgendwas. Und was jeweils als rechts oder links von der Mehrheitsmeinung abgetan wird, wird zugleich in der Mehrheitsmeinung diffamiert.

Was "Mitte" sein soll, ist daher schwer zu bestimmen, vor allem weil "Mitte" aus anderen Blickwinkeln als Extrem erscheinen kann - oder dazu gemacht wird. So verstehe ich jedenfalls Deinen Ansatz.

Zugleich ist es für Historiker natürlich hilfreich, sich mit den jeweiligen Vorstellungen politischer "Mitte" zu beschäftigen, aber eben nur dann, wenn dies geschichtswissenschaftlich geschieht und vom heutigen Verständnis getrennt bleibt.
 
Hinweis der Moderation

Wir machen euch darauf aufmerksam, dass eine Diskussion über das tagespolitische Geschehen in Deutschland und in der übrigen Welt, im Geschichtsforum nicht erlaubt ist.

Solche Aussagen wie hier:

Es gibt durchaus einen "Extremismus der Mitte", sogar einen sehr starken. Ausländer- oder frauenfeindliche Ressentiments gehören für mich inhaltlich zu den extremistischen Positionen. Oder der in Deutschland ständig zunehmende Anti-Islamismus.

sind ganz klar Tagespolitisch und gehören nicht ins Geschichtsforum. Siehe Forenregeln:

Für Diskussionen über aktuelle politische Themen ist das Geschichtsforum nicht der richtige Platz.

http://www.geschichtsforum.de/regeln.php

Die Moderation wird das Thema weiter beobachten und wenn es wieder zu solchen politischen Aussagen kommt, wird das Thema geschlossen.
 
Liebe Ursi,

danke für den Hinweis. Es ist meine erste Diskussion unter "Neuzeit" und es handelt sich offensichtlich um einen schmalen Grat.
Der Satz "der... ständig zunehmende Anti-Islamismus" hatte klar einen tagespolitischen Bezug und spielte in den 70er Jahren noch keine bedeutende Rolle.
Ich werde mich am Riemen reissen und möchte auch die anderen Diskutanten bitten, darauf zu achten.
 
Das Thema hat geschichtliche Bezüge und kann auch ohne aktuelle Referenzen diskutiert werden.

@ Ogrim: Ich beziehe mich keinesweges auf die rein parlamentarische Landschaft, sondern auf das politisch-ideologische Spektrum das in einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhanden ist. In der Politik gibt es m.E. keine "reinen" Kategorien und was Links oder Rechts ist, definiert sich in Bezug auf den Mainstream...und zumeist auf den eigenen Standpunkt. Was zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Mehrheit als sozialer Konsens der "Mitte" angesehen wird, kann wenige Jahre später schon als Rechtskonservativ gelten oder umgekehrt.

Die Mehrheit einer jeweiligen Gesellschaft ist in der Regel wenig ideologisiert und die politischen Parteien, die diese Representierten und sich in der "Mitte" befanden, waren in der Regel immer eher pragmatisch und hatten keinen oder nur eine sehr dürftigen Theorethischen Unterbau.

Dass es in der Mehrheit auch Tendenzen gibt, die eigentlich aus einen der Extreme des Spektrums stammen, mag ja sein, das heist aber noch lange nicht, dass es gleich ein "Extremismus" der "Mitte ist.

Zum Beispiel. Die Weimarer Republik war, in Vielem weit fortschritlicher als es die frühe Bonner Republik war. Ich bin kein Experte zu dem Thema und lass mich gerne eines besseren belehren, aber m.E. war die rechtliche Situation der Frau in der Weimarer Republik besser als in der frühen Nachkriegszeit. In Weimer waren die Extreme weiter auseinander und bekämpften sich heftiger, die (politisch-rechnerische) Mitte lag jedoch näher an dem was wir heute darunter verstehen. Zu Adenauers Zeiten gab es aus verschiedenen Gründen, darunter auch durch die Teilung, einen Verlust der Extremen Positionen und eine relative Verschiebung nach Rechts. In der Gesellschaft galten bis 68 als Konsens Positionen, die wir heute eher der konservativen Rechten zuordnen würden.

Ob man das politische Spektrum in Form einer Linie (ähnlich wie das Licht), oder wie einen Kreis (so wie das Farbspektrum) darstellen will, darüber kann man trefflich diskutieren, für beides gibt es viele Argumente. Das Dreieck würde jedoch eine gewisse gleichwertig der Positionen beinhalten die allein Zahlenmässig nicht vorhanden ist (das moralische lassen wir mal aussen vor). Ich würde es eher wie einen liegenden Halbmond sehen. Die Mehrheit sammelt sich im Bauch der moderaten Mittelpositionen. An den Spitzen der Extreme wird es immer dünner bis man nur noch ein paar fanatische Wirrköpfe findet.

Das ist alles meine Meinung und ich erwarte nicht, dass jemand diese unbedingt teilt, über konkrete, argumentierte Gegenmeinungen freue ich mich. Ich bin kein Politologe, habe aber in zwei Ländern den Übergang von einer Diktatur zur Demokratie erleben können, was jedesmals ein faszinierender Prozess war.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Einteilung von links und rechts war vielleicht zur Zeit der Französischen Revolution seine Berechtigung. Aber schon die vielen unterschiedlichen Richtungen des Sozialismus haben Aspekte von links wie rechts.

Und das rechte Naziregime hatte sehr viele Aspekte die mit Konservatismus und freier Marktwirtschaft so nichts zu tun haben.
 
Ob man das politische Spektrum in Form einer Linie (ähnlich wie das Licht), oder wie einen Kreis (so wie das Farbspektrum) darstellen will, darüber kann man trefflich diskutieren, für beides gibt es viele Argumente. Das Dreieck würde jedoch eine gewisse gleichwertig der Positionen beinhalten die allein Zahlenmässig nicht vorhanden ist (das moralische lassen wir mal aussen vor). Ich würde es eher wie einen liegenden Halbmond sehen. Die Mehrheit sammelt sich im Bauch der moderaten Mittelpositionen. An den Spitzen der Extreme wird es immer dünner bis man nur noch ein paar fanatische Wirrköpfe findet.

Warum sollte ein Wertedreieck eine gleichwertigkeit der Positionen beinhalten? Ein Wertedreieck sagt ja nichts über die Anzahl der Menschen aus die einer Ideologie folgen (das machen diese Schemata eig. nie) sondern zeigt lediglich auf wer in welcher Position ein "Extremum" belegt und wer eher Zentristisch ist. In der Weimarer Republik war die Konservative Rechte in einem Wertedreieck aus Sicherheit, Freiheit und Gelichheit ganz in der Ecke der Sicherheit, während die NSDAP auch radikal in Hinsicht auf Sicherheit war, aber auch eine gewisse Form der Gleichheit beinhaltete. Das veränderte sich (anders als die Zahl der Anhänger) zwischen 1919 und 1933 nicht sehr viel, die Zahl der Anhänger allerdings massiv.
Ich finde die Bewertung von Ideologien anhand der Zahl ihrer Anhänger ist nicht unbedingt logisch und wiederlegt sich alleine schon in der endphase der Weimarer Republik, in der diese "paar extremistischen Wirrköpfe" über 40% der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen konnten.
 
Die Idee mit dem Halbmond gefällt mir sehr gut, weil sie auch den Bauch umschreibt, der sich um die Mitte bildet. Damit nimmt sie aber Bezug auf die Anzahl und nicht auf die Qualität oder inhaltliche Ausrichtung der "Anhänger" (kann man das so sagen?).

Man darf aber nicht ausblenden, dass sich eine solche Einordnung auch ändern lässt. So wurden ja gerade in den 50er und 60er Jahren in der BRD viele Parteien verboten, die "Ansatzpunkte" des Halbmondes wurden also von außen verschoben.

Es hat aber den gleichen Vorteil wie das Hufeisen: Es drückt die Tatsache aus, dass der Weg von einem äußeren Ende der Darstellung zum anderen manchmal wirklich kürzer ist, als der Weg von einem der Enden zur "Mitte". Damit ist aber ausdrücklich nicht gesagt, das die Positionen in irgendeiner Form ähnlich oder gleich sind, vielmehr drängt sich mir der Eindruck auf, dass dieser Weg etwas mit der negativen Einschätzung einer mittigen Position und der dortigen Kritik- und Gestaltungsmöglichkeiten zu tun hat.

Mir fehlt noch eine Kategorie, die ich "Utopie" nennen würde, wenn der Begriff in keiner Weise negativ belegt wäre. Mit utopisch meine ich in jenem Fall eine Einstellung, die die bestehenden Verhältnisse erkennt, aber davon überzeugt ist, dass andere Verhältnisse möglich wären. Diese Haltung ist im konservativen Bereich naturgemäß fast garnicht vorhanden.

Ein Beispiel aus der Geschichte wäre der kleindeutsche Ansatz der Rechten in der Frankfurter Paulskirche und der großdeutsche Ansatz der damaligen Linken.

Auf den Unterschied zwischen der Beschreibung des parlamentarischen und des politischen Spektrums sollten wir weiter achten, man kann es auf einen einfachen Nenner bringen: Wer im Parlament rechts und links sitzt, das entscheidet der Parlamentsvorsitzende. Mir ist keine Regelung dazu bekannt, die ihm bei dieser Entscheidung Vorschriften macht oder Anhaltspunkte an die Hand gibt. Wer im politischen Spektrum links oder rechts steht, dafür muss es klare Definitionsmöglichkeiten geben und genau diese Frage wird in der BRD überwiegend persönlich und über die Medien bestimmt.

Wir hatten in Hessen mal einen Ministerpräsidenten, der auf die Frage, was er von den (damals noch sehr radikalen/extremen) Grünen hält, gesagt hat, für Grüne hätte er nur Dachlatten (zum Verprügeln). Wenige Tage später hat er den ersten Rot-Grünen Koalitionsvertrag unterschrieben. Also hat er gemeinsam mit den Medien den Status einer Partei aus opportunistischen Gründen aus dem "extremen" Teil des Spektrums in die bürgerliche Mitte geschoben. Die frühen Grünen waren nicht gerade begeistert damals.

Trotzdem finde ich das Thema gleichbleibend spannend und würde mich über mehr Beiträge freuen.
 
Das links rechts Schema berücksichtigt weder historische noch länderspezifische Unterschiede die neben der Ideologie jede Partei prägen.

Tony Blairs Britannien war ziemlich neoliberal, vor allem im Vergleich zu Sozialisten in Griechenland oder Italien.
 
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