Joseph Merrick, der Elefantenmensch (1862-1890)

SRuehlow

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Joseph Merrick wurde am 5. August 1862 in Leicester geboren. Dieser Mann steht im viktorianischen Zeitalter für Toleranz und Mitgefühl, dass man jedem menschlichen Lebewesen erweisen soll. Eines seiner Zitate: Ich bin ein menschliches Wesen! Ich bin ein Mensch!

Bis zu seinem zweiten Lebensjahr hatten sich keine Symptome einer Erkrankung gezeigt. Dann veränderten sich der Kopf und seine rechte Körperhälfte dermaßen, dass er fortan mit schleppendem Gang, röchelndem Atem und Gleichgewichtsstörungen, verursacht durch seinen überdimensionalen Kopf, zu leiden hatte. An seinem ganzen Körper hingen Geschwülste hinab und ihn quälten ständige Kopfschmerzen.
Man vermutete bis in die 1970er Jahre, dass Merrick an der Krankheit Elefantiasis litt, bei dem verschiedene Körperteile extreme Schwellungen einlagern und sich eine krankhafte Wucherung der Körperzellen einstellt. 2003 konnte anhand einer DNA-Analyse nachgewiesen werden, dass Merrick am Proteus-Syndrom litt, einer sehr seltnen Krankheit, die Knochen durch überrasches Zellwachstum auftreibt und die Haut in extremen Veränderungen verlängert.

Seine Mutter liebte ihn trotz seines Aussehens innig und er verehrte sie bis zu seinem Tod als einen wahren Engel. Nachdem seine Mutter in jungen Jahren verstorben war, heiratete der Vater eine neue Frau, die sich jedoch von Josephs Äußerem angeekelt und gesellschaftlich isoliert fühlte. Auf Druck des Vaters beschloss Merrick nach London zu gehen und dort als Schausteller im Variete und auf Jahrmärkten zu arbeiten, weil er dachte, dass er mit seinem Aussehen Geld verdienen könnte. Dort jedoch wurde er wie ein Tier behandelt, geschlagen und gequält. Eine Gemeinschaft oder zumindest ein Gefühl von Gleichheit fühlte Joseph nur bei den anderen Schaustellern, die wie er, einer Kuriosität gleichkamen.

Nachdem er in verschiedenen Gruselkabinetten aufgetreten war, gastierte er direkt vor dem Krankenhaus London Hospital, wo Dr. Frederick Treves, Arzt und Anatomiedozent, auf ihn aufmerksam wurde und ihn zu sich in die Klink holte. Dort wurde er mehrfach vom Pflegepersonal an zahlende Kundschaft ausgestellt, bis die Sache aufflog. Im Krankenhaus durfte er nicht bleiben, da seine Erkrankung nicht heilbar war. Patienten hatten damals nur Zugang zu einer Klink, wenn ihre Krankheit, an der sie litten, auch kurierbar war. Königin Viktoria jedoch, die über die Londoner Gesellschaft über Joseph Merrick erfahren hatte, bestand darauf, dass man Merrick freie Kost und Logie gewähren müsse und sandte Prinzessin Alexandra zur Abstimmung, wo sie sich erfolgreich mit den königlichen Wünschen zugunsten von Merrick durchsetzen konnte.

Merrick war durch seine schlechten Erfahrungen mit Menschen gezeichnet, die in ihm mehr ein Monster, als einen Menschen sahen. Trotzdem war er ein feinfühliger, intelligenter Mann, der eine künstlerische Ader hatte. Während seiner Zeit im London Hospital bekam er immer mehr Freunde aus der Upperclass-Gesellschaft Londons. Heute kann man sich zurecht darüber streiten, ob diese „Freunde“ nicht einfach besessen von der Idee waren, in ihrem Freundeskreis damit angeben zu können, dass sie den „Elefantenmensch“ kennen und betroffen haben, ohne das Bewusstsein zu verlieren. Wenige wahre Freunde waren einige Krankenschwestern und, der Leiter des Hospitals und Dr. Treves, dem Merrick eine Menge zu verdanken hatte. Treves hatte durch das Endecken von Merrick einen enormen Kariereschub erfahren, denn dadurch wurde er über Londons Grenzen bekannt und wegen seiner Toleranz geschätzt.

Man hielt Merrick zwischenzeitlich Gerüchten zur Folge für Jack the Ripper, welches aber eine absurde Theorie war. Um präzise schneiden zu können, bedarf es einer ruhigen Hand und nicht nur anatomisches Wissen. Josephs rechte Hand war aufgrund der Deformation nicht brauchbar, ebenso wäre es für ihn undenkbar gewesen, nach einem der Rippermorde zu flüchten, da ihn sein Bewegungsapparat daran gehindert hätte.

Merrick starb am 11. April 1890 in London. Als Todesursache stellte sich heraus, dass sein Kopf im Schlaf nach hinten gefallen war und er es nicht aus eigener Kraft geschafft hat, ihn nach oben zu hieven. Das brach Merrick das Genick. Vor seinem Tod hatte er eine Vereinbarung mit Dr. Treves getroffen, dass er, im Falle seines Ablebens, sich der medizinischen Forschung zur Verfügung stellt. Nach seinem Tod wurde er obduziert und für wissenschaftliche Lehren ausgestellt.

Sein Körper ruht bis heute in mehreren Teilen in den verschiedensten medizinischen Archiven in London. 2004 wurde am London Hospital von Freunden und Verehrern Merricks eine Gedenkplatte errichtet, die an den außergewöhnlichen Menschen Joseph Merrick erinnert. 1980 wurde die Lebensgeschichte von David Lynch verfilmt, in den Hauptrollen John Hurt und Antony Hopkins.
 
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Hier ein paar Literaturtipps:

Howell, Michael: The true story of elephant man, London 1992.
Pomerance, Bernhard: Elephant man, London 1981.
Sparks, Christine: Der Elefantenmensch, Heyne, München 1981.

Ist euch schon mal aufgefallen, dass hier in diesen Literaturangaben nicht sein Name erwähnt wird, sondern nur sein Synonym? Ich finde das ziemlich traurig. Seine Botschaft hat sich jedenfalls in den Titeln nicht durchsetzen können. Ich hoffe, dass der Inhalt anders ist... er ist ein Mensch.
 
Ich habe nochmal im Internet recherchiert und ein paar interessante Web-Seiten zu Joseph Merrick gefunden.

Hier ist eine Seite, die den heutigen Hinterhof zeigt, in dem Joseph als Elephant Man ausgestellt wurde. Man sieht zwei Bilder von der Whitechapel Road, dem alten London, so wie man es noch selten finden kann.
http://www.londonleben.co.uk/london_leben/2004/09/123_whitechapel.html

Eine kleine deutschsprachige Seite zum Film und Theaterstück Elephantman, in dem auch David Bowie mitgespielt hat.
http://www.davidlynch.de/elewelt.html

Diese Seite ist besonders für die Medizininteressierten unseres Forums zu nennen. Sie beschäftigt sich mit dem medizinischen Aspekt der Neurofibromatose, der Krankheit, an der Merrick litt.
http://www.ipedia.net/deutsch/Neurofibromatose_Typ_1
 
Ich habe mir beim Durchlesen der erwähnten Links (danke, SRuehlow!) überlegt, wie wohl Merrick heute leben würde.

Die Gruselkabinette und Jahrmarkt-Attraktionen mit körperlich Gezeichneten gehören ja zum Glück der Vergangenheit an. Aber würde man Merrick nicht doch in den Boulevard-Medien ebnefalls zur Schau stellen? Vielleicht nicht ganz so schlimm. Vielleicht auch schlimmer, ich weiß es nicht.

Ob die Krankheit heute heilbar ist oder nicht, entzieht sich meiner Kenntnis. Durch kosmetische Chirurgie kann man aber seit ein paar Jahren die erstaunlichsten Dinge machen, ich erinnere nur an den Fall einer Frau, die ein neues Gesicht bekommen hat, nachdem sie durch einen Unfall (ich glaube, es war ein Hundebiss) schwer verstümmelt worden war. Ob er dann ein relativ normales Leben geführt hätte?

Wie gesagt, das war nur so eine Überlegung.

Das wichtigste ist und bleibt jedoch, dass man trotz aller Äußerlichkeiten den Menschen dahinter sieht. So wie es SRuehlow auch beklagt hat: Keiner kennt den Namen Merrick, als "Elefantenmensch" ist er dagegen unsterblich geworden.
 
Jacobum schrieb:
Ich habe mir beim Durchlesen der erwähnten Links (danke, SRuehlow!) überlegt, wie wohl Merrick heute leben würde.

Die Gruselkabinette und Jahrmarkt-Attraktionen mit körperlich Gezeichneten gehören ja zum Glück der Vergangenheit an. Aber würde man Merrick nicht doch in den Boulevard-Medien ebnefalls zur Schau stellen?

Ich könnte mir vorstellen, daß man ihn in einer Handvoll Billig-Talkshows herumreichen würde. Dann würde man ihm eine Operation spendieren und das Ergebnis in einer Vorher-Nachher-Show auf den Markt werfen.

Nachdem ihn alle Zielgruppen begafft hätten und er seine Quoten erbracht hätte, wär's das dann wohl gewesen.
 
hyokkose schrieb:
Ich könnte mir vorstellen, daß man ihn in einer Handvoll Billig-Talkshows herumreichen würde. Dann würde man ihm eine Operation spendieren und das Ergebnis in einer Vorher-Nachher-Show auf den Markt werfen.

Nachdem ihn alle Zielgruppen begafft hätten und er seine Quoten erbracht hätte, wär's das dann wohl gewesen.

Und nicht zu vergessen seine Memoiren (die natürlich ein Ghostwriter verfassen wird), die schließlich auch verfilmt werden.
 
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