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british Empire 19. Jh. Samuel Pepys Tagebuch[...]
Nur hat der gute Samuel im 17. und nicht 19. Jhdt sein Tagebuch geschrieben. Die Pedantikerin in mir kann nicht anders. :winke:
Aber das erinnert mich an ein anderes Tagebuch, auch wenn dessen Wahrheitsgehalt umstritten ist: "My Secret Life" (1888) von Walter, was in erster Linie eine Zusammenstellung der erotischen Erlebnisse des Autors im viktorianischen London ist, und mit seiner Kindheit und Jugend, und den ersten Erlebnissen losgeht. In späteren Kapiteln, als erwachsener Mann, beschreibt er auch seine Erfahrungen mit jüngeren Mädchen (ein starker Magen empfiehlt sich), und ganz nebensächlich die ein oder andere Erfahrung die diese Mädchen ihm mit Jungs ihren Alters geschildert haben. Altersangaben gibt es keine, aber aufgrund der Körperbeschreibungen läßt sich vage auf die Reife der Mädchen schließen.
Wie gesagt, ein starker Magen hilft teilweise bei solchen Stellen. Abgesehen davon ist es ziemlich monoton, bietet aber manchmal interessante Einblicke in gesellschaftliche und wirtschaftliche Umstände der viktorianischen Zeit. Ob es echt ist, oder ein literarisches Werk, darüber gehen Meinungen auseinander, aber auch wenn es sich um kein autobigraphisches Werk handelt, dann bietet es doch ein paar Einsichten zum Thema.
***Spoiler für alle die es sich nicht selbst antun wollen***
Aus dem Gedächtnis heraus - länger her seit ich mir das angetan habe- schlief der Autor in Teenager-Jahren mit der Dienstmagd seiner Mutter, die in ähnlichem Alter wie er war. Die Dienstmagd wurde schwanger. Es geht weiter mit einer Reihe von Mägden, also alles junge Frauen die gesellschaftlich niedriger standen als er, und im viktorianischen Alter deswegen als von den oberen Schichten zugänglicher betrachtet wurden. Das sagt leider weniger über Jugendsexualität per se aus, als über Standesvorurteile, was unter anderem bei einer offen zugegebenen Vergewaltigung zum Tragen kommt.
Über das was später kommt, möchte ich eher weniger sagen, aber die Geschichten die, die Mädchen selbst erzählen weisen darauf hin, daß junge Leute sich in Londoner Hinterhöfen durchaus gemeinsam vergnügt haben. Thema ist auch der Coitus Interruptus, der so weit ich mich gerade erinnern kann, von mindestens zwei jungen Frauen/Mädchen erwähnt wird, im Zusammenhang mit ihren Freunden. "Freund" in diesem Sinne, als romantische Partner.
Das wird ebenso im Zusammenhang mit einer Reise nach Schottland erwähnt (Walter ist rumgekommen), wo eine junge Frau erzählt, daß ihre unverheiratete Schwester bereits zwei Kinder von ihrem Freund habe, keine weiteren wolle, weswegen Coitus Interruptus praktiziert werde. Wie alt die Schwester und ihr Partner sein sollen, läßt sich schwer abschätzen. Persönlich, aufgrund der Beschreibung einer vorangegangene Episode mit einer "älteren" Frau, dem beschriebenen Aussehen, und Vergleichen mit Photos aus der Zeit mit Altersangaben, würde ich bei der Schwester auf das Ende der Teenager-Zeit, Anfang zwanzig tippen. Dafür lege ich aber meine Hand nicht ins Feuer.
Die Problematik liegt offensichtlich darin, daß es schwer mit Gewißheit zu sagen ist, ob es sich dabei um Memoiren handelt, oder um Fiktion. Vor allem das England des 19. Jhdts hat eine Unmenge an erotischen Werken hervorgebracht, die wie die heutige Pornographie, teilweise mehr über Phantasien und Tabus aussagen, als über wirkliches Geschehen. Um's einigermassen historisch zu halten, weise ich auf den Kultfilm "Debbie goes to Dallas" (1978) hin, und frage rhetorisch ob dieser Film statistisch gesehen, das Leben in den 70ern widerspiegelte.
***Spoiler Ende***
Das es sich Bei "Walters" Erlebnissen um Fiktion handelt, scheint auf den ersten Blick die schiere Menge der Erlebnisse zu bewahrheiten. Als Leser fragt man sich irgendwann, wann der Autor denn Zeit hatte zu schlafen. Des weiteren sind die Dialoge monoton, und die Gesprächspartner benutzen alle die gleichen Phrasen und Wörter.
Das ist aber auch einer der Knackpunkte für mich, aufgrund derer ich denke, daß es sich um Memoiren handeln kann. Der Autor schreibt aus dem Gedächtnis und kann sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern, nur an die Umstände, und es mangelt ihm an Phantasie jeder Partnerin eine eigene Stimme zu geben. Hier und da fließt etwas ein, was "anders" klingt, und deswegen Potential hat eine Erinnerung zu sein. Erschwerend hinzu kommt die endlose, ätzende Monotonie. Nach den ersten paar Begebenheiten liest es sich wie ein Katalog der Anatomie. Ich hab's im englischen Original gelesen, und verwundert festgestellt, daß nach einer gewissen Zeit auch die "dreckigsten" englischen Wörter, nur noch langweilig waren. Ein Autor, dessen Brot davon abhing hätte sich sicher mehr Mühe gegeben, oder?
"Walters" Brot hing aber nicht davon ab, da "My Secret Life" privat erschien. Da steckte jemand mit Geld dahinter, was mich weiterhin zur Annahme verleitet, daß sich da wirklich jemand die Mühe gemacht hat sein Privatleben in endlosem Detail zu katalogisieren, und nebenher ein paar interessante Anmerkungen zur Zeit und der Moral der Zeit zu notieren. Insofern wäre es also fast vergleichbar mit Samuel Pepys, dessen Notizen jedoch etwas umfassender waren.
Nachdem ich jetzt hier eine ganze Abhandlung ohne wirkliches Ziel geschrieben habe, möchte ich abschließend sagen, daß ich meinen ursprünglichen Post nochmal überdenken will, da ich aus eigenem Fehler meinen Gedankengang Ende des 18. Jhdts eingestellt hatte. Das 19. Jhdt bietet mir Anlaß mir Gedanken über meine ursprüngliche Position zu machen, wobei
dekumatland Recht hat, daß hier die Projektionsflächen der Zeit, und der soziale Kontext in Betracht gezogen werden müssen, was meines Ermessens nach, "Walter" deutlich macht.