Jugendsexualität in der Vergangenheit

Jakobander

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Was haben Jugendliche früher (in den letzten Jahrhunderten und Jahrtausenden) gemacht, als es noch keine Kondome (Pille natürlich erst recht nicht) gab? Wurde wirklich auf Sex verzichtet oder wie hat man verhütet? Oder waren junge Mütter bereits normal? Wenn mit 12 / 14 bereits geheiratet wurde (Mittelalter), wie konnte man so jung ein Kind ernähren? Konnte man dennoch z.B. studieren (Es gab ja auch im Mittelalter schon eine Form von Unis)? Ich weiß, dass man da sehr viel differenzieren müsste (Ort, soziale Gruppe usw…), mich interessiert auch übers Mittelalter hinaus und danach, die ganze Welt, aber so ein grober Überblick wäre super.
 
Im Mittelalter galt man teils mit 12, teils mit 14 Jahren als mündig, eine Kindheit in unserem Sinne gab es nicht. Was es wohl gab, das waren Kondome, wenn diese auch nicht aus Kautschuk sondern aus organischen Materialien waren.
 
Auch wenn häufig von Kondomen aus Fischblasen oder Tiergedärmen in der Antike und im Mittelalter zu lesen ist, mangelt es dafür in Wahrheit an Belegen.

Verhütung gab es zwar, aber sie wurde eher praktiziert, indem Frauen ihre Vagina mit verschiedenen mehr oder weniger wirksamen Mittelchen einrieben. Oder aber sie versuchten im Falle einer Schwangerschaft gezielt eine Fehlgeburt herbeizuführen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Enthaltsamkeit, nicht-vaginaler Sex, Coitus interruptus, Schwangerschaftsabbrüche (zZt mit für die Frau sehr gefährlichen Methoden), Säuglingsmord, Aussetzung, Vernachlässigung mit Todesfolge. Wenns irgendwelche andere denkbare Methoden gibt hab ich die vergessen oder kenne sie nicht, praktiziert wurden sie aber vermutlich; zusätzlich zu den Methoden, die ich nicht erwähnt hab und die eigentlich nicht denkbar sind...
 
Nicht zu vergessen wäre dabei das tatsächliche Alter, in dem ein Mädchen zum ersten Mal menstruiert. Das kommt nicht nur auf das Alter an, sondern auch auf die Ernährungslage, und war demzufolge je nach Situation, oder Klasse verschieden. Will heißen, wieviel "Jugendsexualität" gab es eigentlich, im heutigen Sinne?

Eine These, die mir unterkam, sagte aus, daß in England im 18. Jhdt durchschnittlich die Menarche mit 17 bis 18 Jahren kam, aber junge Leute durchaus vorher Sex hatten. In wie weit das wahr ist, kann ich nicht beurteilen, aber das Hungerperioden auch bei erwachsenen Frauen die Periode aussetzen, ist zulänglich bekannt. Ebenso, daß vor-ehelicher Sex stattfand, was man an Kirchenbüchern, und Gerichtsurteilen feststellen kann, wenn es zu unehelichen Kindern kam. Sehr schön nachlesbar im Kirchenbuch meines Dorfes, ist die wahnsinnige Anzahl von "Frühgeburten" die nach einer Eheschließung stattfanden. Fünf-Monatskinder waren keine Seltenheit.

Zum Thema Verhütung, zitiere ich da Olwen Hufton (1995), von mir übersetzt, daß jede Generation den Coitus Interruptus erfinden konnte. Daneben gab es allerlei Humbug, wirksamere und unwirksamere Methoden, lebensgefährliche Abtreibungsmethoden, und ebenso lebensgefährliche Mittel die Lust einzudämmen. Falls dich solche Mittel weiter interessieren, hatten wir das Thema hier schon mal angeschnitten. Ab Seite 2 geht's los.


P.S.: Mündigkeit hieß nicht, daß unbedingt geheiratet wurde. In den ärmeren Schichten war es üblich zu warten, bis man sich eine Familie leisten konnte. Frauen haben daraufhin ebenso gearbeitet und gespart wie Männer, was das Heiratsalter nach oben hin verschoben hat. Ganz zu schweigen davon, daß teilweise ein Mädchen erst als "mannbar" galt, sofern sie ihre erste Periode hatte. Was "mannbar" heißt, kannst du dir wahrscheinlich vorstellen.


Quelle: Olwen Hufton (1995) "The Prospect before Her: A History of Women in Western Europe" Vol 1, Fontana Press.
 
Auch wenn häufig von Kondomen aus Fischblasen oder Tiergedärmen in der Antike und im Mittelalter zu lesen ist, mangelt es dafür in Wahrheit an Belegen.

Verhütung gab es zwar, aber sie wurde eher praktiziert, indem Frauen ihre Vagina mit verschiedenen mehr oder weniger wirksamen Mittelchen einrieben. Oder aber sie versuchten im Falle einer Schwangerschaft gezielt eine Fehlgeburt herbeizuführen.

Römische Pessare sind m.W. doch belegt, so wie auch andere mehr oder weniger effektive Methoden.

de.muvs.org :: Wie Frauen in der Antike verhüteten
 
Was haben Jugendliche früher (in den letzten Jahrhunderten und Jahrtausenden) gemacht, als es noch keine Kondome (Pille natürlich erst recht nicht) gab? Wurde wirklich auf Sex verzichtet oder wie hat man verhütet?
gar nicht so verkehrt ist, die schöngeistige Literatur der verschiedenen Epochen zu befragen - nur mal so als Anregung:
K u K Österreich, um 1900 Robert Musil: die Verwirrungen des Zöglings Törleß (Roman)
british Empire 19. Jh. Samuel Pepys Tagebuch
deutsche Romantik (sic) E.T.A. Hoffmann: Schwester Monica (Roman)

zusammen mit dieser Anregung und der sich daraus ergebenden Sekundärliteratur wirst du viele interessante epochenabhängige Antworten finden (übrigens für das frühe 19. Jh. ist auch Heinrich Heine sehr ergiebig)

also ein wenig "Literaturwissenschaft" mit Blick auf kultur- und sozialhistorische Auswertung ist allemal lohnend, und man wird feststellen, dass die Verhaltensweisen gar nicht so sehr differierten...
 
deutsche Romantik (sic) E.T.A. Hoffmann: Schwester Monica (Roman)
Abgesehen davon, dass Hoffmanns Verfasserschaft arg fraglich ist, muss man bei diesem Roman bedenken, dass er keine seriöse und realitätsnahe Darstellung des Erwachsenwerdens einer jungen Frau sein will, sondern seinen Schwerpunkt eindeutig auf das Ansprechen des voyeuristischen Verlangens des Lesers nach Erotik legt. Da dürfte dem Verfasser doch ziemlich die Fantasie durchgegangen sein.
 
Abgesehen davon, dass Hoffmanns Verfasserschaft arg fraglich ist, muss man bei diesem Roman bedenken, dass er keine seriöse und realitätsnahe Darstellung des Erwachsenwerdens einer jungen Frau sein will, (...)
gewiß - aber es handelt sich um einen fiktionalen Text aus der fraglichen Zeit (Romantik, Biedermeier) und fiktionale literarische Texte sind nicht gezwungen, sozialhistorische Studien oder gar naturalistische Realitätswiedergaben zu liefern; stattdessen sind die auch solchen Texten wie diesem Roman eigenen Bilder und Vorstellungen interessant, welche - wie auch mancherlei Kunsthandwerk des Biedermeier - einen Blick hinter die Kulissen gestatten. In diesem Sinn ist dieser sehr wahrscheinlich von Hoffmann verfasste Roman interessant und aufschlußreich: er bildet Projektionsflächen, Vorstellungen aus dieser Zeit ab.

Vorstellungen und Bilder solcher Art, wie der Roman "Schwester Monika" sie bietet, sind ja kein Einzelfall in der Literatur des 19. Jh.! Ergänzend wäre auch auf Heinses "Ardinghello" *) (und speziell dessen nicht im Druck damals erschienene Passagen, die man in der krit. Reclam-ausgabe findet) zu verweisen. Und das nebenbei zusätzlich interessante an solchen Texten ist, dass sie Hinweise enthalten, wie vermeintlich harmlose Passagen anderer Texte dieser Zeit zu dechiffrieren sind - oder anders gesagt: Hoffmann ist bzgl. dieses Themas in "Schwester Monika" satirisch drastisch und auch übertrieben, aber "harmloser" sind seine anderen Texte nicht!... und das ist, seitens der Literaturgeschichte, eine bedenkenswerte Hinweissammlung zur hier gestellten Frage --- oder anders gesagt: um Antworten, Hinweise, Anregungen zum gefragten Thema zu finden, wird es nicht schaden, Heinse, Hoffmann, Tieck, Platen, Heine für das 19. Jh. zu lesen.
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*) keine Bange: mir ist bekannt, wann der Ardinghello erschien - mir ist aber auch bekannt, welche Bedeutung dieser Roman für die literarische Romantik hatte
 
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british Empire 19. Jh. Samuel Pepys Tagebuch[...]

Nur hat der gute Samuel im 17. und nicht 19. Jhdt sein Tagebuch geschrieben. Die Pedantikerin in mir kann nicht anders. :winke:

Aber das erinnert mich an ein anderes Tagebuch, auch wenn dessen Wahrheitsgehalt umstritten ist: "My Secret Life" (1888) von Walter, was in erster Linie eine Zusammenstellung der erotischen Erlebnisse des Autors im viktorianischen London ist, und mit seiner Kindheit und Jugend, und den ersten Erlebnissen losgeht. In späteren Kapiteln, als erwachsener Mann, beschreibt er auch seine Erfahrungen mit jüngeren Mädchen (ein starker Magen empfiehlt sich), und ganz nebensächlich die ein oder andere Erfahrung die diese Mädchen ihm mit Jungs ihren Alters geschildert haben. Altersangaben gibt es keine, aber aufgrund der Körperbeschreibungen läßt sich vage auf die Reife der Mädchen schließen.

Wie gesagt, ein starker Magen hilft teilweise bei solchen Stellen. Abgesehen davon ist es ziemlich monoton, bietet aber manchmal interessante Einblicke in gesellschaftliche und wirtschaftliche Umstände der viktorianischen Zeit. Ob es echt ist, oder ein literarisches Werk, darüber gehen Meinungen auseinander, aber auch wenn es sich um kein autobigraphisches Werk handelt, dann bietet es doch ein paar Einsichten zum Thema.

***Spoiler für alle die es sich nicht selbst antun wollen***


Aus dem Gedächtnis heraus - länger her seit ich mir das angetan habe- schlief der Autor in Teenager-Jahren mit der Dienstmagd seiner Mutter, die in ähnlichem Alter wie er war. Die Dienstmagd wurde schwanger. Es geht weiter mit einer Reihe von Mägden, also alles junge Frauen die gesellschaftlich niedriger standen als er, und im viktorianischen Alter deswegen als von den oberen Schichten zugänglicher betrachtet wurden. Das sagt leider weniger über Jugendsexualität per se aus, als über Standesvorurteile, was unter anderem bei einer offen zugegebenen Vergewaltigung zum Tragen kommt.

Über das was später kommt, möchte ich eher weniger sagen, aber die Geschichten die, die Mädchen selbst erzählen weisen darauf hin, daß junge Leute sich in Londoner Hinterhöfen durchaus gemeinsam vergnügt haben. Thema ist auch der Coitus Interruptus, der so weit ich mich gerade erinnern kann, von mindestens zwei jungen Frauen/Mädchen erwähnt wird, im Zusammenhang mit ihren Freunden. "Freund" in diesem Sinne, als romantische Partner.

Das wird ebenso im Zusammenhang mit einer Reise nach Schottland erwähnt (Walter ist rumgekommen), wo eine junge Frau erzählt, daß ihre unverheiratete Schwester bereits zwei Kinder von ihrem Freund habe, keine weiteren wolle, weswegen Coitus Interruptus praktiziert werde. Wie alt die Schwester und ihr Partner sein sollen, läßt sich schwer abschätzen. Persönlich, aufgrund der Beschreibung einer vorangegangene Episode mit einer "älteren" Frau, dem beschriebenen Aussehen, und Vergleichen mit Photos aus der Zeit mit Altersangaben, würde ich bei der Schwester auf das Ende der Teenager-Zeit, Anfang zwanzig tippen. Dafür lege ich aber meine Hand nicht ins Feuer.

Die Problematik liegt offensichtlich darin, daß es schwer mit Gewißheit zu sagen ist, ob es sich dabei um Memoiren handelt, oder um Fiktion. Vor allem das England des 19. Jhdts hat eine Unmenge an erotischen Werken hervorgebracht, die wie die heutige Pornographie, teilweise mehr über Phantasien und Tabus aussagen, als über wirkliches Geschehen. Um's einigermassen historisch zu halten, weise ich auf den Kultfilm "Debbie goes to Dallas" (1978) hin, und frage rhetorisch ob dieser Film statistisch gesehen, das Leben in den 70ern widerspiegelte.

***Spoiler Ende***

Das es sich Bei "Walters" Erlebnissen um Fiktion handelt, scheint auf den ersten Blick die schiere Menge der Erlebnisse zu bewahrheiten. Als Leser fragt man sich irgendwann, wann der Autor denn Zeit hatte zu schlafen. Des weiteren sind die Dialoge monoton, und die Gesprächspartner benutzen alle die gleichen Phrasen und Wörter.

Das ist aber auch einer der Knackpunkte für mich, aufgrund derer ich denke, daß es sich um Memoiren handeln kann. Der Autor schreibt aus dem Gedächtnis und kann sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern, nur an die Umstände, und es mangelt ihm an Phantasie jeder Partnerin eine eigene Stimme zu geben. Hier und da fließt etwas ein, was "anders" klingt, und deswegen Potential hat eine Erinnerung zu sein. Erschwerend hinzu kommt die endlose, ätzende Monotonie. Nach den ersten paar Begebenheiten liest es sich wie ein Katalog der Anatomie. Ich hab's im englischen Original gelesen, und verwundert festgestellt, daß nach einer gewissen Zeit auch die "dreckigsten" englischen Wörter, nur noch langweilig waren. Ein Autor, dessen Brot davon abhing hätte sich sicher mehr Mühe gegeben, oder?

"Walters" Brot hing aber nicht davon ab, da "My Secret Life" privat erschien. Da steckte jemand mit Geld dahinter, was mich weiterhin zur Annahme verleitet, daß sich da wirklich jemand die Mühe gemacht hat sein Privatleben in endlosem Detail zu katalogisieren, und nebenher ein paar interessante Anmerkungen zur Zeit und der Moral der Zeit zu notieren. Insofern wäre es also fast vergleichbar mit Samuel Pepys, dessen Notizen jedoch etwas umfassender waren.

Nachdem ich jetzt hier eine ganze Abhandlung ohne wirkliches Ziel geschrieben habe, möchte ich abschließend sagen, daß ich meinen ursprünglichen Post nochmal überdenken will, da ich aus eigenem Fehler meinen Gedankengang Ende des 18. Jhdts eingestellt hatte. Das 19. Jhdt bietet mir Anlaß mir Gedanken über meine ursprüngliche Position zu machen, wobei dekumatland Recht hat, daß hier die Projektionsflächen der Zeit, und der soziale Kontext in Betracht gezogen werden müssen, was meines Ermessens nach, "Walter" deutlich macht.
 
Nur hat der gute Samuel im 17. und nicht 19. Jhdt sein Tagebuch geschrieben. Die Pedantikerin in mir kann nicht anders. :winke:

Aber das erinnert mich an ein anderes Tagebuch, auch wenn dessen Wahrheitsgehalt umstritten ist: "My Secret Life" (1888)
stimmt! du hast völlig recht.
ich hatte mich da vertan: eigentlich meinte ich das Textmonstrum vom anonymen Walter.
auch hier (mehr Fiktion als reale Autobiografie) sind es die Bilder und Vorstellungen speziell im Stil und der Bewertung der Entstehungszeit, die aufschlußreich sind (übrigens die Rollenklischees und Stereotypen, die sich in allerlei Literatur, Kolportage und Schund des späten 19. Jh., der belle epoque, der Gründerzeit, wilhelminischen Zeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs finden)
 
Eine These, die mir unterkam, sagte aus, daß in England im 18. Jhdt durchschnittlich die Menarche mit 17 bis 18 Jahren kam, aber junge Leute durchaus vorher Sex hatten. In wie weit das wahr ist, kann ich nicht beurteilen, aber das Hungerperioden auch bei erwachsenen Frauen die Periode aussetzen, ist zulänglich bekannt. Ebenso, daß vor-ehelicher Sex stattfand, was man an Kirchenbüchern, und Gerichtsurteilen feststellen kann, wenn es zu unehelichen Kindern kam. Sehr schön nachlesbar im Kirchenbuch meines Dorfes, ist die wahnsinnige Anzahl von "Frühgeburten" die nach einer Eheschließung stattfanden. Fünf-Monatskinder waren keine Seltenheit.
Das müsste sich doch eigentlich auch in Strafen widerspiegeln. :grübel: Nach meiner Erfahrung standen auf außerehelichen Sex generell hohe Geldstrafen. Für den weiblichen Part konnte es auch nicht selten auf Landesverweisung und dergleichen hinauslaufen, was noch härter war. Man weiß ja, dass damals viele Staaten sich gegeneinander gegen den Zuzug mittelloser Menschen abgeschottet haben.
 
Das müsste sich doch eigentlich auch in Strafen widerspiegeln. :grübel: Nach meiner Erfahrung standen auf außerehelichen Sex generell hohe Geldstrafen.
:D es ist sehr mutig, dass du so freimütig davon berichtest - wieviel war denn zu bezahlen und wann war das? :D
(du verzeihst mir den Jokus, es bot sich halt sooo schön an)

bedenkt man, dass in der Literatur des 19. Jhs. die sexuelle Initiation oft genug thematisiert wurde*), so kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit erschließen, dass erste sexuelle Erfahrungen nicht erst in der Hochzeitsnacht gemacht wurden. Aufschlußreich ist, wie der spätere Konsul Thomas Buddenbrook das mit einer Blumenverkäuferin regulierte, ja potztausend was bietet allein dieses Wort doch für Assoziationen: die Blumenmädchen im Parsifal... da könnte man jetzt endlos weitermachen
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*) als nur ein Exempel Turgenjews Novelle erste Liebe
 
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