Kieloben in Scapa Flow

silesia

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Als vermutlich vorletztes Großkampfschiff der ehemaligen Kaiserlichen Flotte "schwamm" während des 2. Weltkrieges der Schlachtkreuzer "SMS Derfflinger" kieloben in Scapa Flow.

Über die Umstände der Bergung und die 6-jährige "Liegezeit", vollgepumpt mit Pressluft, gibt jetzt ein kurzer Beitrag im Conway Warship 2016 Auskunft.

Anliegend 1. ein Luftbild vom Oktober 1939 (Derfflinger als Nr. 5)*, sowie 2. die Überführung zum Abwracken.

Das Schiff (Selbstversenkung 1919) wurde nach Verschluss mit Pressluft-Pumpen gedreht und im August 1939 kurz vor Kriegsausbruch an die Wasseroberfläche gebracht, dort stabilisiert. Bis dato hatte die Royal Navy etwa pro Jahr ein deutsches Großkampfschiff gehoben und der Verschrottung zugeführt. Bei Derfflinger ging es um 25000 Tonnen Schiffsbau- und Panzerstahl im Abwracken.

Der Kriegsausbruch änderte die Absichten: wegen der Bedrohung von Scapa Flow plädierte die Navy, den Pott als "Blockschiff" zu benutzen und als Sperre zu versenken. Es blieb bei der Absicht, und es passierte erstmal nichts. Das Wirtschaftsministerium gegen brauchte dringend hohe Schrottstahlmengen für die Kriegsindustrie.

Im Sommer 1940 entschied man sich im Kriegsverlauf nun doch für den Abbruch, hatte aber keine Dock- und Verbringungskapazitäten für die Ausführung der Aktion binnen geforderter 3 bis 4 Monate (der spätere Abbruch dauerte tatsächlich 15 Monate). Die Abbruchswerft zog ihre frühere Zusage über einen schnell eingeschobenen Abbruch wieder zurück.

Anfang 1943 brachte die "Schrottkrise" die Derfflinger wieder in die Ministerienbesprechungen, die 25000 Tonnen wurden dringend wegen Schrottmangels für die Stahlerzeugung benötigt. Nun hatte man aber überhaupt keine Kapazitäten mehr, weswegen Derfflinger im "aufgepumpten" Zustand den Krieg überdauerte und dann erst 1946/47 abgebrochen wurde.
The Interwar Years 1919-39 | 1914 to 1945 - two world wars | The 20th Century | Archaeology and History | Scapa Flow Landscape Partnership Scheme

Interessant ist bei der Hebung, dass die höheren Aufbauten trotz des Sinkens und der "Drehung" intakt waren und auch nach Hebung kieloben sämtliche 4 Türme weiter in den Barbetten "steckten" und nicht herausgerutscht waren. Um das Schiff stabil zu halten, und den "künstlichen Kiel" zu verkleinern, wurden die höheren Türme unter Wasser entfernt (keine Ahnung, wie das die Hebemannschaft hinbekommen hat) und die oberen Aufbauten nebst Schornsteinen entfernt.

Am 30. August 1965 wurden dem deutschen Marineattaché die geborgene Schiffsglocke und das Dienstsiegel der Derfflinger zum Zeichen der Völkerversöhnung überreicht, wonach sie schließlich in der Marineschule Mürwik landete.
https://de.wikipedia.org/wiki/SMS_Derfflinger

Das war aber nur die eine Schiffsglocke. Eine weitere hängt in einer kleinen Kirche:
St Michael's Church auf Eriskay: das Geheimnis der Glocke

* Quelle
Chronik Seekrieg 1939-1945
 

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Interessant ist bei der Hebung, dass die höheren Aufbauten trotz des Sinkens und der "Drehung" intakt waren und auch nach Hebung kieloben sämtliche 4 Türme weiter in den Barbetten "steckten" und nicht herausgerutscht waren. Um das Schiff stabil zu halten, und den "künstlichen Kiel" zu verkleinern, wurden die höheren Türme unter Wasser entfernt (keine Ahnung, wie das die Hebemannschaft hinbekommen hat) und die oberen Aufbauten nebst Schornsteinen entfernt.

Ein Erklärungsversuch:
Die meisten Battleships, die gesunken sind, waren im vollen Gefecht.
Geschütztürme waren offen in der Drehbewegung und die Geschützrohre in den Lafetten nicht in Nullstellung oder Ladestellung. Wenn dann so ein Schiff kentert, dreht sich meist der Turm auf der Barbette rein aus der Schwerkraft der langen Geschützrohre zum unteren Punkt, was dazu führt, dass auch der Aufsatz der Barbette aus der losen Verankerung und dem Rollenbett abkippt oder zumindest in Schräglage fällt, wobei die Lager der Rollenbahnen des Barbettekranzes beschädigt werden und eine natürliche Verkeilung und Sicherung gänzlich keinen Halt mehr bietet, Der schwere Turmaufbau mit samt Lafette und Geschützrohr wird dann beim drehen des Schiffes auf die Rückenlage auch dem Turm aus dem Rest des Barbettunterbaus reißen.

Anders bei den selbstversenkten Battleships der Hochseeflotte 1919. Dies waren nicht in Gefechtsbereitschaft, daß bedeutet, Geschütztürme plus Geschützrohe wurden in Nullstelleung und mit (sicherlich) Arretierung in diesen Zustand versenkt.
Ein durch die Schwertkraft bedingtes Abdrehen der Türme und damit den Beschädigungen am Lager und dem Barbette-Schaft und Führungsbahnen war nicht möglich. Der Geschützturm konnte somit die volle Position mit allen Arretierungen halten, auch beim Kentern und beim Drehen unter Wasser.

Die Royal Navy hat sich nach dem Krieg 1918 sehr intensiv mit dem Battleship SMS Baden beschäftigt, welches vor dem Untergang gerettet werden konnte und die Ingenieure hatten auch dabei die Möglichkeit den gesamten Mechanismus der Barbette und der Rollenlager incl. Arretierung zu studieren.
Ein Aufschweißen der entsprechenden Elemente, um den Turm in Rückenlage aus der Barbett zu lösen, dürfte zwar für den einzelnen Arbeiter ein Kraftakt gewesen sein, aber mit der Summe an Erfahrung der abgewrackten Schiffe deutscher Bauart, nichts besonderes mehr darstellen.
 
Nähere Umstände, wie technisch das Lösen der Türme aus den Barbetten und das "Abschneiden" der Schornsteine und höheren Decksaufbauten beim kieloben schwimmenden Wrack gelöst wurde, sind leider nicht angegeben.

Denken würde ich an das Unterwasser-Schweißen. Das ist aber erst in den 1930ern eingeführt worden. Wurde das also angewandt, zeitlich würde es in etwa passen.

Das Wrack oben zu öffnen, stelle ich mir wegen des Pressluft-Druckes schwierig vor. Und das Taucher von innen die Arretierungen lösen, dürfte eine ziemlich gefährliche Angelegenheit sein, wenn überhaupt möglich...
 
Handelt es sich dabei nicht auch um die Schiffe deren Stahl zum Bau von hochsensiblen Messgeräten (Radioaktivität), verwendet wird, da diese unter dem Wasser vor dem Einfluß der Atomtests des 20sten Jh. geschützt waren?
 
Vermutlich verwechselst Du da etwas mit Materialien, die vor Einwirkungen der Atomtest der 60er geschützt waren, im Hinblick auf Radiokarbon-Verfahren.
 
Aus dem oben verlinkten Artikel aus Heise: (https://www.heise.de/tp/features/Fragwuerdige-Heldentat-3381622.html) stammt folgende Aussage:

"Für diese fragwürdige Heldentat zahlte Deutschland allerdings einen gehörigen Preis. Die Alliierten verlangten nicht nur die Übergabe anderer, zum Teil moderner Schiffe, die den Grundstock für die neue Reichsmarine hätten bilden sollen, sondern auch den größten Teil der noch bestehenden deutschen Handelsflotte."

Welche andere "modernere Schiffe" waren denn noch übrig nachdem die Hochseeflotte nach Scapa Flow zog?
 
Ich war vor einigen Jahren (leider nur für einen Tag) auf den Orkney‘s. Interessanterweise wird Scapa Flow in der britischen Geschichte ganz anders erinnert als in der Deutschen, wobei man ja sagen muss, dass die Selbstversenkung der deutschen Flotte im deutschen Bewusstsein stark in den Hintergrund gerückt ist.

Von 1919 - 1940 war sie für das deutsche Geschichtsbewusstsein sehr wichtig (ähnlich wie die Skaggerak-Schlacht, aber wer, der heute in einer der zahlreichen Skagerrakstraßen in deutschen Städten wohnt, weiß schon noch was über die Seeschlacht 1916?), aber heute ist sie ja eigentlich nur noch Experten ein Begriff oder auch ewiggestrigen (die in manchen Dingen eben auch Experten sind, halt Experten, die auf einem Geschichtsbewusstsein von 1930 hängen geblieben sind).

Die Briten erinnern sich, wenn sie um die Bucht von Scapa Flow fahren, und die künstlichen Dämme zwischen den kleineren Inseln („Churchill Barriers“), um die Durchfahrtmöglichkeiten zu minimieren oder die aus Nissenhütten zusammengesetzte Italian Chapel (errichtet von italienischen Kriegsgefangenen), unterstützen diese Erinnerung natürlich, vor allem an den U-Bootkrieg und die Versenkung der Royal Oak im Oktober 1939. Die Royal Oak war ein veraltetes Kriegsschiff und sicher nicht mehr für den Seekrieg zu gebrauchen, aber auf ihr taten an die 1.300 Seeleute Dienst, von denen 855 ums Leben kamen (der Angriff geschah in der Nacht), darunter 135 Jungen unter 18 Jahren. Dies führte dazu, dass das Alter von Schiffspersonal für Kriegsschiffe auf 18 Jahre heraufgesetzt wurde.

Die Orkney‘s sind im Übrigen ein historisch ganz herausragendes Reiseziel, man hat auf engstem Raum Geschichte des 20. Jahrhunderts und Steinzeit und Bronzezeit (Skara Brae, Standing Stones), sowie Wikinger (Runen in Steinkreisen angebracht) oder das bronzezeitliche Grab von Maes Howe als von Wikingern genutzte Schutzhütte während eines Schneesturms, dem wir entsprechende Runeninschriften verdanken.
 
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