Kinderbetreuung und Erziehung in der DDR

Summa summarum, die Rotlicht - Bestrahlung sollte man nicht überbewerten, sie war da, es gab auch vereinzelt welche die das ernst nahmen, aber...
Aber irgendwo müssen die ja hergekommen sein, die sich dann in Ungarn kurz aufhielten, aufhielten in der Prager- und Warschauer Botschaft.
Und schließlich etwas später dann in Leipzig, sowie in vielen anderen Orten en masse mit Erfolg demonstrierten.
Dass die Propaganda der DDR eher nach hinten losging haben wir schon einmal an anderer Stelle diskutiert.
Gefordert waren das Erlernen von Soldatenliedern und dgl. auf alle Fälle von oberster Stelle aber wie schon gesagt wurde das nicht überall auch wirklich umgesetzt. Kindergärtnerinnen waren auch Mütter und wollten so etwas bei ihren eigenen Kindern schließlich auch nicht.
 
@Galeotto

Mein Kindergarten war in Leipzig-Schleußig, auch ich ging in den 1960'er Jahren in den Kindergarten. Unsere Pateneinheit war in der Olbricht-Kaserne in Leipzig, natürlich weiß ich jetzt, daß es ein Nachrichten-Regiment war.

@thane

Du hast recht, indem Du auf den tw. eklatanten Widerspruch zwischen normativ formulierten Zielen/Erwartungshorizonten und der Umsetzung dieser normativen Ziele in totalitären Regimen hinweist. Selbstverständlich gab es da Spielräume in der Umsetzung, das erklärt z.B. die unterschiedliche Wahrnehmung individueller Geschichte von meinem Mitdiskutanten Galeotto und mir.

Ändert das aber etwas an der Beurteilung und historischen Einordnung dieser normativen Ziele?

M.
 
Ändert das aber etwas an der Beurteilung und historischen Einordnung dieser normativen Ziele?

Denke schon, dass die Ergänzung notwendig ist, da sich in diesen Punkten verkürzt die ursprüngliche Kritik der "Strukturalisten" an der Theorie der monolithischen, totalitären Überzeichnung vor allem der stalinistischen Gesellschaft aufzeigen läßt, wie im Klassiker bei Friedrich und Brzezinski formuliert.

Totalitarian Dictatorship and Autocracy - Carl J. Friedrich, Zbigniew K. Brzezinski - Google Books

Zumal die Realität in den unterschiedlichen Phasen der stalinistischen bzw. post-stalinistischen Gesellschaften variierte und zwar viel stärker, wie auf der Ebene der Theorie über Totalitarismus eigentlich prognostiziert bzw. auch theoretisch zugelassen. Nebenbei einer der zentralen Kritikpunkte an den Totalitarismus-Theorien.

In diesem Sinne sollte die normative Theorie mit empirischen Studien zu einzelnen konkreten gesellschaftlichen Bereichen konfrontiert werden und hat zumindest das Verständnis totalitärer Herrschaftssysteme und den dazugehörigen Gesellschaften deutlich erweitert.

Und dieser Umstand wird auch dadurch erklärt, dass trotz eines totalitären Anspruchs das SED-Regime auch viele Nischen gekannt hat, bis runter auf die Ebene der Kindergärten.
 
Zuletzt bearbeitet:
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Und dieser Umstand wird auch dadurch erklärt, dass trotz eines totalitären Anspruchs das SED-Regime auch viele Nischen gekannt hat, bis runter auf die Ebene der Kindergärten.

@thane

Genau und korrekt, aber das beschreibt ein Problem. Wie alle Systeme, so hat auch ein totalitäres System, Zielhierarchien. Diese Zielhierarchien sind aber i.d.R. nicht normativ formuliert, sondern können nur mehr oder weniger indirekt ermittelt werden z.B. mittels vw Ressourcenbindung, tatsächlicher und somit empirisch nachweisbarer politischen, militärischen und ökonomischen Handelns der Systemprotagonisten. D.h., m.E. je niedriger das normative Ziel in der informellen Zielhierachie steht, desto schwieriger wird die empirische Nachweisführung. Hinzu kommen, Konflikte der, nennen wir sie mal, Zielprotagonisten, diese wurden entschieden durch die informelle Stellung innerhalb der Partei- bzw. Staatshierarchie.

Damit ich nicht vollkommen in die Theorie abdrifte, bleiben wir bei unserem Beispiel: Kindergarten.

Kinderbetreuung hatte, generell wie Du richtig schriebst, einen relativ niedrigen Stand in der Zielhierarchie der DDR. Der ökonomische Aspekt der Kinderbetreuung, und zwar Kinderaufbewahrung zur Sicherstellung einer hohen Frauenbeschäftigungsquote, aber wiederum einen sehr hohen, und zwar zur Überdeckung/Kompensation der strukturell zu niedrigen Produktivität. Kurz, die Kids mußten in die Kindergärten, damit die Mütter arbeiten gehen konnten ("innere Ressourcenmobilisierung"). Diese Politik stellte einen kulturellen Paradigmawechsel in den 1960'er Jahren dar und mußte ideologisch begründet werden. Hieraus erwuchs der Zwang zu einer ideologischen Normensetzung, siehe w.o. verlinktes Gesetz. Die ökonomische Ressourcenbindung hierfür und der kulturelle Paradigmawechsel mußte systemimmanent abgesichert werden ("Kampagnenmethodik"). Abgesichert wurde dieses, durch die Ernennung von Margot Honecker zur Volksbildungsministerin, das Amt war formell nicht herausgehoben, aber da sie die Frau der seinerzeitigen Nummer 2 und späteren Nummer 1 war, informell einflußreich.

Nachdem das vw Ziel, einer hohen Kinderbetreuungsquote und somit nachfolgend einer hohen Frauenbeschäftigungsquote erreicht war, überließ man die folgende Entwicklung der Eigendynamik des Sytems. Da Kindergärten weder eine hohe ökonomische Relevanz bzw. systemgefährdende Relavanz hatten, konnte es so zu der von Dir angeführten "Nischenbildung" kommen; solange Systemgrenzen nicht gefährdet waren, das aber war informell sichergestellt.

"Nischenbildung" fand also dort statt, wo der totalitäre Staat keine a priori "Systemgefährdung" ausmachte oder auszumachen meinte.

Das wäre eine Ansatz, um die Wahrnehmungsdifferenz von Galeotto und mir in bezug auf unsere Kindergartenzeit zu erklären.

In allen Bereichen, die per se Systemgrenzen berührten, gab es m.E. keine "Nischen", z.B. Grenzsicherung zur Bundesrepublik.

Sorry, wegen des überlangen Postings.

M. :winke:
 
@Melchior, bei der reinen Kinderaufbewahrung kann ich Dir leider wieder nur bedingt zustimmen. Die Kinder erhielten im Kindergarten der DDR eine recht gute Vorbereitung auf die Schule. So mussten die Kindergärtnerinnen für jede Woche einen Plan erstellen was sie an Lehrstoff den Kindern vermitteln wollten( etwas was man heute in den KiTas als enorme Neuerung auch wieder einführen will). Die Kindergärten waren dem Bildungsministerium interstellt, da sie als Bildungsstätten galten. Ich zitiere vom Portal für Frühpädagogik:
"Entsprechend der Logik des Systems wurden Vorschulerziehung und Ausbildung zentral gesteuert. Die außerfamiliale Erziehung und Bildung war aufgeteilt: der Krippenbereich unterstand den Gesundheitsbehörden, der Kindergarten und der Hort der Schuladministration. Bildung in der Krippe war demnach - bei einem hohen Versorgungsgrad - auch in der DDR kein Thema, wohl aber im Kindergarten, der eindeutig zum Bildungssystem zählte. In der Arbeitszeit der ErzieherInnen im Kindergarten waren - bei 43,75 Stunden in der Woche - 5,75 bis 9,75 Stunden für Vorbereitung und Elterngespräche und -besuche kalkuliert (errechnet nach Rauschenbach/Beher/Knauer 1996: 159). In diesem Punkt war die DDR also der alten Bundesrepublik voraus. Im Übernahmerausch der Wiedervereinigung wurde jedoch auf die Evaluation der einzelnen Elemente des Bildungs- und Sozialsystems der DDR verzichtet."
In der DDR galten Kindergärtnerinnen als Pädagogen und waren in ihrer Ausbildung nahe an Unterstufenlehrerinnen. Eine Aufbewahrungsanstalt wurde der Kindergarten erst nach der Wende wo es plötzlich überhaupt keine Lehrziele mehr gab und die Kinder bloß noch das lernen konnten wozu gerade Lust hatten und das war sogut wie gar nichts mehr.

Es ist ärgerlich, dass ich, der überhaupt nichts für die DDR übrig hat sie an dieser Stelle verteidigen muss.
 
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Galeotto;669734 [COLOR=#313131 schrieb:
...Es ist ärgerlich, dass ich, der überhaupt nichts für die DDR übrig hat sie an dieser Stelle verteidigen muss.[/COLOR]

@Galeotto

Dieser Satz birgt eine hohe Komik. :winke: Danke dafür.

Zurück zum Thema.

Ich fürchte, da haben wir uns partiell mißverstanden, oder ich habe mißverständlich formuliert.

Bei der Betrachtung der Kindergärten in der DDR gibt es m.E. mehrere Ebenen.

Grundsätzliche Ebene, war das Ziel eine hohe Frauenbeschäftigungsquote zu erreichen, dieses Ziel konnte nur erreicht werden, in dem man "Kinderaufbewahrungsstätten" schuf.

Dieses ökonomische Metaziel mußte auf einer weiteren Ebene abgesichert werden, einmal, die ökonomische Ressourcenbindung, die für die Schaffung und den Betrieb dieser "Kinderaufbewahrungsstätten" notwendig war, das wurde informell sichergestellt und tw. auch durch die Schaffung normativer Ziele (=> einheitlich sozialistisches Bildungssystem).

Zum anderen, bedeutete dieses Ziel einen grundsätzlichen kulturellen Paradigmawechsel, von der häuslichen Erziehung in der frühkindlichen Phase zur außerhäuslichen Erziehung. Dabei konnte man sich auf eine lange Traditionslinie berufen (Pestalozzi => Fröbel), die tw. auch weit in die Geschichte der Arbeiterbewegung hereinreichte. Damit war aus Sicht der Funktionärselite der DDR der Nachweis da, daß Kindergärten in einer progressiven Traditionslinie standen. Ideologisch konnten so die Kindergärten, auch und insbesondere, gegenüber den Eltern abgesichert werden. Denn schließlich mußte den Eltern, und zwar quer duch alle Schichten und soziokulturellen Mileus verdeutlicht werden, daß ihre Kids in den Kindergärten gut aufgehoben sind.

Nun kommen wir zu einer weiteren Ebene, die in der heutigen Rezeptionsgeschichte der Kindergärten in der DDR die wahrscheinlich größte Rolle spielt, und zwar die pädagogische. Selbstverständlich kann man nicht ohne pädagogisches Konzept und pädagogisch ausgebildetes Personal, hunderttausende von Kindern in Kindergärten betreuen, aber das überließ die Funktionärselite der DDR der Eigendynamik des Systems "Volksbildung". Daß eine "ideologische Kontaminierung" der Bildungspläne für die Kindergärten ("Lernnachmittage", "Beschäftigung" etc.) begrenzt war, ergab sich zwangsläufig daraus, daß das "Kindergartenkonzept" attraktiv für alle Schichten und soziokulturellen Mileus gehalten werden mußte, ansonsten hätte es ein Akzeptanzproblem gegeben, welches dem ökonomischen Metaziel "hohe Frauenbeschäftigungsquote" entgegen gelaufen wäre. Außerdem hatten die Kindergärten ein Effizienzziel, das auch klar formuliert war, nämlich die Kids auf die Schule vorzubereiten.

Darüber hinaus überließ man den Kindergärten, da nur ökonomisch systemrelevant, ein relativ großes "Nischenpotential", welches individuell ausgenutzt werden konnte - oder eben auch nicht.


M.
 
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@ Melchior, an Deinen letzten Ausführungen habe ich nichts mehr zu meckern:pfeif:.
Nur noch eine kleine Anmerkung. Als ich Kind war, Anfang der sechziger Jahre, war noch kein flächendeckendes Netz an Kindergärten vorhanden. Meine Eltern mussten ziemlich lange warten ehe sie einen Platz für mich bekamen. Ab den siebziger Jahren war es nicht mehr so problematisch einen freien Kindergartenplatz zu bekommen.
 
@Galeotto

Nachstehend statistische Angaben zur frühkindlichen Betreuung in der DDR.

Einfach unter der Rubrik "Kulturelle und Soziale Bereiche", "XVIII Bildungswesen und Kultur", "Vor- und außerschuliche Erziehung" anklicken, dann hast Du die Zahlenreihen.

Die Statistischen Jahrbücher der DDR sind kritisch zu werten, aber in diesem Bereich gab es eigentlich keinen ersichtlichen Grund zum faken.

DigiZeitschriften: Inhaltsverzeichnis

Das Jahr habe ich deswegen gewählt, da 1985 das sog. "Blaue Buch" als verbindlicher Rahmenlehrplan für die Kindergärten in Kraft trat.

M.
 
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