Kirchganghäufigkeit im Kaiserreich

Pausanias

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Für die Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es Statistiken zur Häufigkeit des Kirchgangs. Dabei ist die Diskrepanz zwischen Katholiken und Protestanten beachtlich:
1952: 51% vs. 13%
1963: 55% vs. 15%
1999: 26% vs. 7%
(Quelle: Regelmäßiger Kirchgang der Kirchenmitglieder bis 2006 | Statista )

Da habe ich mich gewundert, ob es diesen großen Unterschied schon vorher gab. Wurde schon zur Kaiserzeit darüber Statistik geführt? Oder gibt es zumindest irgendwelche Untersuchungen dazu?
 
Die Zahl der katholischen Kommunikanten, also derjenigen, die zur Kommunion gingen wurde zu Ostern gezählt. Allerdings waren dazu alle Einwohner katholischer Gegenden verpflichtet, was zu Ostern strenger gehandhabt wurde, da zum einen oft eine Opferpflicht (Geldspendenpflicht) der Gläubigen zu diesem Anlass bestand und zum anderen das Nichterscheinen bei den Sendgerichten geahndet wurde. Von den Sendgerichten haben sich häufig Akten erhalten. Da es den Leuten nicht frei stand, würde es mich wundern, wenn es in diesem Punkt im alten Reich zu einer höheren Zahl an Verfehlungen gekommen wäre. Das ist natürlich nicht mit dem 20. Jahrhundert zu vergleichen, ermöglicht aber Schätzungen zur Einwohnerzahl. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass Kinder und Kranke und die vom Kirchgang befreiten Personengruppen (z.B. Hirten und Juden) nicht gezählt wurden.

Da ich das entsprechende Buch verliehen habe, kann ich vorerst nur lokale Zahlen nennen, aber meines Wissens war es im ganzen Bistum Paderborn auf Prozente übertragen ähnlich mit dem Kirchenbesuch:

Ein Visitationsprotokoll von 1654 zählt in hiesiger Pfarrei wie folgt auf:

"Communicantes in paschute .ad 300.|

Nomina Acatholicorum
Johan Von der Wittlage
Item tota familia de Alten"

Daraus wird auf ca. 400 Einwohner geschlossen. Eine erste Einwohnerzählung fand erst 1770 statt. Sie ergab 402 Einwohner. Wenn Corona sich verzogen hat, kann ich mal schauen, ob sich im Pfarrarchiv eine Angabe zu den Kommunikanten erhalten hat. Aber die Zahlen 300 und 400 liegen so nahe beieinander, dass wohl nur kleine Kinder, deren Betreuerinnen, Kranke und Bettlägerige, Hirten und ähnliche Berufsgruppen, die ca. 7 Nichtkatholiken nicht zur Messe erschienen. Die Liste von 1770 habe ich vor einiger Zeit mal in Tabellenform gebracht. Wenn es interessiert, schaue ich mal, wie ich eine Tabelle hier einfügen kann. (Es wird zwischen Familie, erwachsen (152), Dienstboten (29), Beiliegern (41), Kindern der Beilieger (5 oder 6), Kindern über 12 (60) und Kindern unter 12 (113) unterschieden. Hinzu kamen 7 'Pauperes' (Arme). Diese sind zusätzlich der Meierqualität der Höfe nach unterschieden. Die Kinder der Beilieger werden zweimal aufgeführt, weshalb sie in der Summe fehlen.)

Zu den protestantischen Messgewohnheiten kann ich wenig sagen. Aber die Zahlen der Messteilnehmer wurden ja zu verschiedenen Schätzungen der Bevölkerungsgröße für das HRR herangezogen.

Zur Opferpflicht ein Auszug aus einer Aufstellung des damaligen Pfarrers hiesiger Gemeinde von 1727:

"Am Weihnachtstage und Feste des H. Stephanus und am Oster- und Pfingsttage, so auch am Feste der Himmelfahrt der allerseligsten Jungfrau Maria müssen die Pfarrkinder unter der Messe am Altar opfern; wieviel hängt hier wieder von ihrem freien Willen ab." (Übersetzung eines Pfarrers des frühen 19. Jahrhunderts aus dem lateinischen Original. Ich habe nur grob überprüft, ob die Übersetzung stimmt.)

Edit: Falls das Kaiserreich ab 1871 gemeint ist, gab es da natürlich Zahlen. In Preußen wurden Einwohnerzahlen aber schon spätestens ab 1818 erhoben und die kirchlichen Zahlen sollten zu dieser Zeit auch zu finden sein.
 
Edit: Falls das Kaiserreich ab 1871 gemeint ist, gab es da natürlich Zahlen. In Preußen wurden Einwohnerzahlen aber schon spätestens ab 1818 erhoben und die kirchlichen Zahlen sollten zu dieser Zeit auch zu finden sein.

Ursprünglich war ab 1871 gemeint, aber eigentlich interessiert mich jede Epoche.
Aber auf jedem Fall schonmal ein sehr interessanter Beitrag! Was bei den nach 45 erhobenen Zahlen interessant ist, dass sie an Terminen erhoben werden, die ganz normale Sonntage sind und damit einen Eindruck von der regulären Kirchganghäufigkeit fernab von Feiertagen geben.
Bei den Katholiken spielte ja sicherlich mit rein, dass es Pflicht ist, die Messe zu besuchen. Aber auch im evangelischen Bereich ist mir sowas schon untergekommen. Um jetzt auch mal in der Zeit des Alten Reichs zu bleiben: Für die Grafschaft Oldenburg ordnete der damalige Landesherr, der dänische König, eine Sonntagspflicht an (inklusive Bußgeld bei Nichtbefolgung). Genaueres kann ich jetzr nicht sagen, da die Literatur wegen Corona nicht verfügbar ist, aber solche obrigkeitlichen Anordnungen wird es sicherlich vielerorts gegeben haben.
 
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