Kleisthenes=Demokratie!?

Man schätzt, dass bei einer Bevölkerung Attikas von etwa 350 000 Menschen nur etwa 40 000 aktiv politisch als Bürger mitwirkten.

Interessante Fragen dazu: Auf welchen Quellen/Überlegungen beruht diese Schätzung? Für welche Zeit gilt sie? (Im 5. Jh. wuchs mit der anwachsenden Macht Athens sicherlich die Zahl der Sklaven in der Stadt, vermutlich auch die Zahl der Metöken.) Und heißt dass, das es nur 40.000 Bürger gab, die zur Mitbestimmung berechtigt waren, oder dass nur 40.000 aus einer größeren Zahl von Bürgern sich tatsächlich einbrachten, zB weil Bauern aus dem Umland nicht ständig in die Hauptstadt kommen konnten, um an besagten zentralen Volksversammlungen teilzunehmen?
 
Interessante Fragen dazu: Auf welchen Quellen/Überlegungen beruht diese Schätzung? Für welche Zeit gilt sie? ... Und heißt dass, das es nur 40.000 Bürger gab, die zur Mitbestimmung berechtigt waren, oder dass nur 40.000 aus einer größeren Zahl von Bürgern sich tatsächlich einbrachten, zB weil Bauern aus dem Umland nicht ständig in die Hauptstadt kommen konnten, um an besagten zentralen Volksversammlungen teilzunehmen?

Zur Zahl der Sklaven in Athen:

Wie viele Sklaven es in Athen gab, ist eine oft erörterte Frage. Die einzig überlieferte Zahl, 400 000 gegen Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr., ist wie analoge Zahlen für andere Poleis ganz unglaubwürdig. In Anbetracht der Wirtschafts- und Sozialstruktur wäre ein Sklavenanteil von 200 000 bis 300 000 schon beachtlich.

(Detlev Lotze, Griechische Geschichte, München 1995, S. 60 f.)
Bürger Athens war, wer von freien Eltern aus Athen abstammte. Die Bürger mussten zu einer Phratrie zählen, ursprünglich wohl Bruderschaften von Kriegern, in denen die Bürgerlisten geführt wurden. Wer heiratete, führte die Braut in diesen Kreis ein, oder gab jedenfalls die Ehe dort offiziell bekannt. Wr einen Sohn bekam, trug ihn in der Versammlung um den gemeinsamen Altar, beeidete seine Vaterschaft, und die Genossen entschieden darüber, dass er zu ihnen gehöre, wobei die eheliche Geburt garantiert sein musste (vgl. hierzu Christian Meier, Athen, Berlin 1993, S. 190).

Das waren die Vollbürger Athens, die seit Kleisthenes gleiche Rechte und gleiche Pflichten hatten und in der Volksversammlung und allen staatlichen Institutionen politisch mitwirken konnten und mussten.

Die Zahl der Bürger Athens wird auf etwa 35 000-40 000 geschätzt. Hierzu Christian Meier:

Aus den dreiíg Demengruppen, die sich so ergaben, bildete Kleisthenes je zehn Phylen, indem er immer eine aus der Stadt, eine von der Küste und eine vom Binnenland zusammenfügte ... Die Phylen umfassten im Durchschnitt etwa 3500 Bürger.

(Christian Meier, Athen. Ein Neibeginn der Weltgeschichte, Berlin 1993, 193 f.)
Da es insgesamt 30 Phylen gab, kommt man hier auf eine Summe von rund 35 000 attischen Bürgern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Korrektur: Der letzte Satz muss natürlich lauten: "Da es 10 Phylen gab, kommt man auf eine Zahl von 35 000 Bürgern." :sorry:
 
Bei allem Respekt vor der Tatsache, dass die Macht beim Volk lag: Ab der Einführung des Lossystems, wo Ämter einfach nur unter den Bürgern gelost wurden, ging das System doch den Bach hinunter. Denn politische Mitwirkung erfordert auch entsprechende Qualifikationen, auf die bei der Verlosung nie geachtet werden konnte!
 
Ich hoffe, das ist jetzt nicht zu tagespolitisch, aber:
Wer kann sich denn in Österreich und Deutschland schon wirklich an der Politik beteiligen? Um es echt zu etwas zu bringen, muss man sich einer der etablierten Partei anschließen (und somit auch anpassen und unterordnen), und auch dann braucht man noch die richtigen Kontakte und Protegen. Wer das nicht will, hat keine Chance. Durch das Losverfahren konnte auch der kleine Maxos Mustermannos etwas werden. Wenn man bedenkt, dass es etwa 40.000 männliche Vollbürger gab, dann bedeutet das, dass mindestens ein Drittel aller Bürger einmal im Leben Vorsitzender der Bule, also nominelles Staatsoberhaupt, war.
Und was die Qualifikation anbelangt: Die Strategen als wichtigstes Amt wurden ja nicht gelost. Und bei den Hinterbänklern (aber sogar manchen Ministern) ist auch heute die Qualifikation mitunter fraglich.
 
Erst mal Danke an Dieter für die Hinweise auf die Sekundärliteratur; auch wenn mich immer noch die Grundlage für Christian Meiers Schätzung interessieren würde. ;)

Die "Definiton", wer ein Athener Bürger ist, ist es ebenso; dabei wird eutlich, dass der Besitzstand theoretisch keine Rolle mehr spielte. Mich würde es einfach wundern, wenn die Zahl der Sklaven in Attika am Beginn des 5. Jh. an die Zahl der Bürger herangereicht hat, und auch die Metöken waren damals mWn eine Minderheit. Naja, ist alles viel Spekulation, und am Ende der Pentekontaetie dah das anze bestimmt ganz anders aus... ;)

Bei allem Respekt vor der Tatsache, dass die Macht beim Volk lag: Ab der Einführung des Lossystems, wo Ämter einfach nur unter den Bürgern gelost wurden, ging das System doch den Bach hinunter. Denn politische Mitwirkung erfordert auch entsprechende Qualifikationen, auf die bei der Verlosung nie geachtet werden konnte!

Es gab bei vielen (v.a. wichtigen) Losämtern eine Vorauswahl durch Wahl, zB in der Phyle. Wenn ich mich Recht erinnere gilt dies bspw für die Mitglieder des Rates (boule). Eigentlich ist das Losprinzip die Umsetzung weniger des Demokratie- als des Isonomie-Prinzips (Isonomie lässt sich im polit. Kontext mit Gleichheit übersetzen). In einer demokratischen Wahl sind immer Faktoren mitentschiedend, die die Gleichheit der Bürger aushebeln, bspw des Vermögen, das ür Wahlkampagnen nötig ist. Das Los stellte diese Gleichheit wieder her. Die Strategie (die 10 polit. und v.a. militärische wichtigsten Ämter der Polis in der entwickelten Demokratie) wurden allerdings durch Wahl vergeben, und standen der untersten Zensusklasse nicht mals theoretisch offen.

EDIT
@ Ravenik: Ich hab mal irgendwo gelesen, dass ein Athener Bürger im 5. Jh. rein statistisch davon ausgehen durfte, mehrmals im Leben ein öffentliches Amt zu bekleiden, wenn er sich darum bemühte, und sei es nur das als Richter in einem Gerichtshof.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bei allem Respekt vor der Tatsache, dass die Macht beim Volk lag: Ab der Einführung des Lossystems, wo Ämter einfach nur unter den Bürgern gelost wurden, ging das System doch den Bach hinunter.
Denn politische Mitwirkung erfordert auch entsprechende Qualifikationen, auf die bei der Verlosung nie geachtet werden konnte![/QUOTE]

Bis zu einer bestimmten Größe war es sinnvoll ein Losverfahren einzusetzen, da so eine breitere Streuung der öffentlichen Ämter ermöglicht wurde. Die Bürger wurde so eine stärkere Teilhabe an der Polis ermöglicht.
Die einzelnen Ämter waren auch bei weitem noch nicht so ausdifferenziert wie in moderneren Staatsformen. Mitunter wurden die Bürger nur ausgelost um z. B. Recht zu sprechen. Hier wurde durch die Auslosung einiger hundert bzw. tausend Richter das Rechtsempfinden der Polis relativ gut wiedergegeben und eventuelle Bestechungsversuche wurden verhindert.
Da die Bürger direkten Einfluss nehmen konnten hatten sie auch mehr Interesse am politischen Geschehen und setzten sich wahrscheinlich auch intensiver damit auseinander. Das Losverfahren wurde auch eingeführt um eventuellen Machtbestrebungen Einzelner entgegenzuwirken. Möglicherweise sollte so auch eine erneute Tyranis verhindert werden.

Denn politische Mitwirkung erfordert auch entsprechende Qualifikationen, auf die bei der Verlosung nie geachtet werden konnte!

Auch heute sind etliche Minister „fachfremd“ in ihren Bereichen. Die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ist Lehrerin und der berliner Bildungssenator Zöllner ist Mediziner.
 
Die Strategen als wichtigstes Amt wurden ja nicht gelost.

Ganz genau. Das bedeutet, dass das Amt des Strategen noch von "starken" Persönlichkeiten besetzt wurde, die dadurch zur Macht kamen (man denke etwa an Perikles) und auch länger und mehrmals hintereinander besetzen konnten.


Der Korinther schrieb:
Auch heute sind etliche Minister „fachfremd“ in ihren Bereichen. Die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ist Lehrerin und der berliner Bildungssenator Zöllner ist Mediziner.

Als Österreicher könnte man in dieser Liste noch Norbert Darabos anführen, eine ehemaliger Zivi als Verteidigungsminister. Und genau darum geht es: Wenn fachfremde Politiker in Positionen kommen, die ihnen, wenn man ihre Fähigkeiten beachtet, nicht zustehen, ist es doch logisch, dass politisch nicht viel weiter gehen kann. Nur dass dieses System in Griechenland doch noch viel krasser war!
 
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