Kommunikations-Technik der Julikrise

Das Schwedische Karussell hat mich verblüfft.

Mich verblüfft eher, dass man das überhaupt versucht hat.
Rechnete man sich ernsthafte Chancen aus, dass die Mexiakaner drauf eingehen würden, ohne auch nur nochmal Rücksprache nehmen zu können oder rechnete man sich ernsthaft aus, Verhandlungen wegen eines Kriegseintritts über fremde Kabel unbehelligt führen zu können?

Beides abenteuerlich.
 
Mich verblüfft eher, dass man das überhaupt versucht hat.
Rechnete man sich ernsthafte Chancen aus, dass die Mexiakaner drauf eingehen würden, ohne auch nur nochmal Rücksprache nehmen zu können oder rechnete man sich ernsthaft aus, Verhandlungen wegen eines Kriegseintritts über fremde Kabel unbehelligt führen zu können?

Beides abenteuerlich.
Das find ich auch erstaunlich und das ist ja auch eine ganz irre Story im Zusammenhang mit vielen Versuchen des DR im Ersten Weltkrieg Stellvertreterkriege gegen die Widersacher anzuzetteln.
Zudem hatte man ja schon Kontakte und auch Waffen an Mexiko geliefert.
Das war nicht außerhalb dessen was man andernorts ohnehin schon tat und fügte sich in ein größeres Muster.
Und dann noch die Idee man könne vielleicht Japan zu einem Angriff auf die USA bewegen, mit mexikanischer Vermittlung..
das ist womöglich gar nicht so irre wie es scheint.
So nach dem Motto: wenn man an vielen Orten zündelt wird es schon irgendwo brennen.

Wollte eigentlich nicht so weit vom Thema abweichen, doch manchmal gerne. :)
 
rechnete man sich ernsthaft aus, Verhandlungen wegen eines Kriegseintritts über fremde Kabel unbehelligt führen zu können?
Die sporadische Benutzung des Diplomatenkabels der USA hat sich wohl während der Lusitania-Affäre etabliert. Warum aber ausgerechnet das Zimmermann-Telegramm auf diesem Weg abgeschickt wurde, erstaunt mich auch. Das Auswärtige Amt entschlüsselte die Telegramme des Feindes und nahm gleichzeitig an, dass dieser das nicht auch macht?
Ich vermute, da wusste innerhalb des Amtes die rechte Hand noch nicht, was die linke tat.
 
Die sporadische Benutzung des Diplomatenkabels der USA hat sich wohl während der Lusitania-Affäre etabliert.

Ja, damit die dt. Reg. überhaupt in gewissen gravierenden Fällen wie der Versenkung der Lusitania mit ihrer Botschaft in Washington D.C. kommunizieren konnte, welche ja vor Ort gegenüber der Washingtoner Reg. agieren können musste. Steht so auch in anderen Fachveröffentlichungen wie der von Dir dankenswerterweise geposteten.

Die Kommunikation zwischen den Reg. lief damals anscheinend immer noch weitestgehend über die Botschaften, sofern nicht direkte Regierungsangehörige zu Besuch anwesend waren, vermutlich auch technisch auch nicht anders möglich oder eingerichtet. Klar, es gab auch noch Briefpost, wahrscheinlich wurden diese jedoch erst zur Botschaft vor Ort mit Botschaftspost transportiert und dann von der Botschaft zu den entsprechenden Regierungsgebäuden der jeweiligen ausländischen Regierung. Dürfte anderseits im I. Weltkrieg zumindest für die dt. Reg. in Berlin ebenfalls kaum ein gangbarer/machbarer Weg gewesen sein Richtung Washington D.C., zumal die Beförderungsdauer wohl einfach zu lang und zu unzuverlässig gewesen wäre bei akuten Ereignissen oder Fragen etc.

Und war da nicht die Schweiz eine wichtige Vermittlungsstelle für indirekte, fallweise Kontakte der Konfliktparteien? Denn diese Kontakte braucht man irgendwie ja doch für gewisse Fragen/Ereignisse etc.
 
Was auffällt bei der Sichtung, ist die zuverlässige Langsamkeit der Übertragung.
Ein Beispiel:
23. Juli 1914: Der Ö-U Botschafter in Belgrad wird vom Außenminister Berchtold angewiesen das Ultimatum an Serbien nicht schon um 17 Uhr zu übergeben, sondern erst um 18:00.
Dies da der Französische Präsident Poincare um 23:00 den Russischen Kriegshafen Kronstadt verlassen werde und ihn die Nachricht nicht mehr während seiner Anwesenheit in Russland erreichen könne.

Das sind ja ganze fünf Stunden, die Berchtold als kürzeste Übermittlungszeit zwischen Belgrad und St. Petersburg ansetzt,
Wenn ich es recht erinnere kam die Nachricht des Ultimatums erst am nächsten morgen dort an.

Der „Draht“ ist ja beliebig schnell.
Also wie stell ich mir das vor?
Was haben die alles getrieben um eine Nachricht zu übermitteln?
Zuverlässig langsam eher nicht oder nicht allgemein. Abhängig wahrscheinlich von der Tageszeit, dem Wochentag wg. der Arbeitszeiten der Mitarbeiter, vielleicht auch von Telegrahenlinie. In den BD liegen in jenen Tagen meist 1-2 Stunden zwischen Ausgang n a c h der Codierung und Eingang beim Decodierungsbüro in der Botschaft, im Ministerium. Petersburg-London beispielsweise eine gute Stunde.
 
Dürfte anderseits im I. Weltkrieg zumindest für die dt. Reg. in Berlin ebenfalls kaum ein gangbarer/machbarer Weg gewesen sein Richtung Washington D.C., zumal die Beförderungsdauer wohl einfach zu lang und zu unzuverlässig gewesen wäre bei akuten Ereignissen oder Fragen etc.
Viele Optionen standen der deutschen Regierung nicht zur Verfügung, aber etwas mehr Aufwand bei der Übermittlung einer so brisanten Meldung hätte ich schon erwartet.
In meiner blühenden Phantasie sehe ich schon Mata Hari in Madrid einen Brief aus ihrem Handtäschchen ziehen und ihn an den dort stationierten jungen Canaris übergeben, welcher ihn dann auf dem Südatlantik Kabel übermitteln lässt.
Wahrscheinlich hatten die Briten auch dort und in allen anderen Kabeln die Ohren dran, aber gleich auf dem Präsentierteller in einem Kabel, welches über britisches Territorium führt, finde ich sonderbar.
Und war da nicht die Schweiz eine wichtige Vermittlungsstelle für indirekte, fallweise Kontakte der Konfliktparteien?
Da kenne ich eigentlich nur einen gescheiterten Versuch: Grimm-Hoffmann-Affäre – Wikipedia
Die Rolle der Schweiz im 1. Weltkrieg wäre wohl ein eigenes Thema. Hier nur soviel: es fehlte ihr für ein weitreichendes Kontaktnetz an Vertretungen im Ausland. Sie hatte davon nur relativ wenige, die in Mexiko z.B. wurde erst 1946 eröffnet.
 
Wahrscheinlich hatten die Briten auch dort und in allen anderen Kabeln die Ohren dran, aber gleich auf dem Präsentierteller in einem Kabel, welches über britisches Territorium führt, finde ich sonderbar.
Dass sie das im eigenen Territorium abgefangen hatten konnten sie jedoch nicht zugeben. Denn dann wäre aufgeflogen, dass sie das Diplomaten-Kabel der USA abhörten.
Und es hätte die Deutschen gewarnt.
Doch wurde das Telegramm in Mexico ebenso abgefangen. Auch da hatten die "Ohren dran", wie Du schreibst. Und das Telegramm war von der US-Firma Western Telegraph. Das steigerte die Glaubwürdigkeit gegenüber Wilson.
 
Die fünf Stunden Wette

Zuverlässig langsam eher nicht oder nicht allgemein. Abhängig wahrscheinlich von der Tageszeit, dem Wochentag wg. der Arbeitszeiten der Mitarbeiter, vielleicht auch von Telegrahenlinie. In den BD liegen in jenen Tagen meist 1-2 Stunden zwischen Ausgang n a c h der Codierung und Eingang beim Decodierungsbüro in der Botschaft, im Ministerium. Petersburg-London beispielsweise eine gute Stunde.
(Hervorhebung durch mich)
Interessant fand ich ja ein Telegramm vom 27. Juli 1914 von Riga nach London das gerade mal 35 Minuten brauchte. (BD Bd.11)
„Mines have been laid down at Bolderaa and no vessels are allowed in or out.
Reported all troops in camp in this neighbourhood have been ordered to the
frontier. Bolderaa is reported to be on a war footing. Please acknowledge.“

Ich versuche mir mal den Vorgang vorzustellen und nehm die von dir verlinkte exzellente Karte zu Hilfe.
Am Telegrafenamt Riga gibt ein Konsul Bosanquet dem Telegrafisten die zu übertragende Nachricht an Sir Edward Grey. Nun können zwei Leitungen genommen werden. Über St. Petersburg-Schweden-UK, oder über Libau Kopenhagen.
Nehmen wir letztere Route:
Der Telegrafist in Riga morst an Libau das Begehren mit London verbunden zu werden, diesen Wunsch weiterzuleiten und die Leitung zur nächsten Station zu schalten.
Diese ist Kopenhagen verbunden durch ein Unterseeleitung.
Kopenhagen muss weiter schalten Richtung Westen nach Söndervig. Von dort geht es nach Newcastle. Dieses muss nach Anforderung nach London schalten.

Endlich meldet sich London per Morse zum Empfang bereit und der Telegrafist haut die Nachricht in die Taste. (Es ist Eine Taste. Stellen wir uns mal vor unser Computer hätte kein Keyboard sondern nur eine Taste.)
Dabei schafft er vielleicht 20 Wörter pro Minute, vielleicht auch nur 10. Dann braucht er für das Reinklappern 2-4 Minuten bei dieser kurzen Nachricht.
Und die kommt dann, praktisch ohne Zeitverzögerung, am anderen Ende, wahrscheinlich als codierter „Klartext“ auf einem Streifen an.
Falls das so ist, hat die Schaltung nach London über vier oder fünf Verzweigungen ca. eine halbe Stunde gedauert, wahr wohl schnell doch der deutlich längste Zeitpfad.
Ist der Text lang, dann dauert das reine Reinklappern auch mal eine halbe Stunde, oder mehr.
Und das Codieren und Decodieren wird auch nicht schneller gewesen sein, und wir haben schon 2 Stunden falls alles bei der Durchschaltung so gut wie von Riga nach London klappt.
Und insbesondere wenn es über Kopenhagen oder Schweden geht, weil sich dort High-Tec Knoten etabliert haben.
(.. wie gesagt, ich versuche nur mir das vorzustellen, es kann sich auch bei weiterem Blick ein anderes Bild zeigen.)

So gesehen wäre die von Wien gewonnene Wette, dass die Serben es nicht innerhalb von fünf Stunden mit der Nachricht vom Ultimatum bis nach St. Petersburg schaffen, keine hohe gewesen.

Weiß man eigentlich, welchen Weg die telegraphische Kommunikation zwischen Belgrad und Petersburg genommen hat?
Die Frage ist interessant. Ich weiß es leider nicht.
Schaut man sich die örtliche Lage Belgrads an, dann kann ein Telegramm nicht den Weg der potenten Knoten gehen ohne durch Feindesland zu laufen.

..zudem mussten sich die Serben erstmal innerlich fangen. Denn das Ultimatum kam wohl überraschend.
Ja was schreibt man denn, wenn der Pasic nicht einmal da ist?
 
Zuletzt bearbeitet:
Schaut man sich die örtliche Lage Belgrads an, dann kann ein Telegramm nicht den Weg der potenten Knoten gehen ohne durch Feindesland zu laufen.

Das meine ich. Der kürzeste Weg nach St. Petersburg ohne österreichisches Gebiet zu tangieren, wäre der über Bukarest gewesen.
Die Frage ist, traute man den Rumänen, die ja immerhin inoffizieller 4. im Dreibund waren und mit Russland nicht unbedingt auf besonders gutem Fuß standen? Wenn nicht, wäre es logisch gewesen das in Richtung Westen zu kabeln und dann wäre die Nachricht, je nach dem ob man auch Deutschland hätte umgehen wollen, möglicherweise erstmal durch halb West- und Nordeuropa gegangen.

Hätte natürlich bei den dann notwendigen Zwischenstationen deutlich länger gedauert.
 
Am Telegrafenamt Riga gibt ein Konsul Bosanquet dem Telegrafisten die zu übertragende Nachricht an Sir Edward Grey.
Vorher wurde die Nachricht in aller Regel codiert, auch im Konsulat, dann ging ein Konsulatsbote/-angestellter, Expressbote zum Telegrafenamt usw.
Die von dir erwähnten 35 Minuten Riga-London zeigen die zeitliche Distanz zwischen Ausgang beim Codierungsbüro im Konsulat und Eingang beim Codierungsbüro im Außenministerium. Die 35 Minuten zeigen also nicht die Zeitdistanz von 'Haustür' zu 'Haustür', oder zwischen Absende-Telegrafenstation und Empfangsstation.

Angesichts der von Dir geschilderten Abläufe bemerkenswert schnell.

Schaut man sich die örtliche Lage Belgrads an, dann kann ein Telegramm nicht den Weg der potenten Knoten gehen ohne durch Feindesland zu laufen.
Via Sofia & Konstantinopel & Odessa nach Petersburg, beispielsweise.
 
Der Weg über Sofia nach Konstantinopel war spätestens 1871 in Betrieb, soweit ich sehe, von Brüssel-Wien kommend; in den und seit den 1880ern hatte ein britisches Konsortium die Kabelstrecke Konstantinopel-Odessa via Unterwasserkabel hergestellt und betrieben.
 
Der Weg über Sofia nach Konstantinopel war spätestens 1871 in Betrieb, soweit ich sehe, von Brüssel-Wien kommend; in den und seit den 1880ern hatte ein britisches Konsortium die Kabelstrecke Konstantinopel-Odessa via Unterwasserkabel hergestellt und betrieben.

Ja, die Frage ist allerdings, ob man von serbische Seite in derart heiklen Dingen ausgerechnet über den bulgarischen Intimfeind mit Petersburg Fühlung halten wollte.
 
Die Netze wurden dort wahrscheinlich, wie andernorts in vergleichbaren Staaten, nicht staatlich aufgebaut, betrieben und dicht kontrolliert. Ein britischer, französischer Betreiber, ein Konsortium mit den üblichen internat. Verbindungen usw. hat sich wohl kaum von einer Reg. in Sofia, zumal nach der bulg. Niederlage im 2. Balkankrieg, instrumentalisieren oder einschüchtern lassen usw...meine Einschätzung.
 
Wir befinden uns immer noch in der Phase v o r Kriegsbeginn, so daß in keinem Land Kriegsrecht u.ä. herrschte, welches eine umfassende Kontrolle nicht nur rechtlich ermöglichte, sondern auch die Möglichkeiten und die Instrumente des Vollzuges gab - keines der damaligen Balkan-Kleinstaaten hätte und hat solche Massnahmen im Alleingang initiieren und durchführen können v o r Kriegsbeginn/Kriegserklärungen.

Die Idee, die Nachbarn Serbiens wären, da 'unzuverlässig' oder feindlich eingestellt, willens oder in der Lage gewesen, einfach so ein entsprechendes Telegramm der Belgrader Regierung vom 24. Juli an die russ. Reg. 'abzufangen' und verschwinden zu lassen oder zu verfälschen, verbietet sich sowieso.
Und was wäre gewesen, hätte irgendeine Reg. der Nachbarn Serbiens von den Inhalten von Telegrammen Belgrads an die ihre Botschaft in Petersburg mit Ziel der russ. Reg. ab dem 23/24. Juli Kenntnis erhalten? Was sollte denn in den Telegrammen stehen, was nicht in diversen Massenmedien, ob in Serbien oder in Russland usw. massiv thematisiert worden war und wurde?

Dass die serbischen Telegramme etwa nicht (hinreichend) chiffriert nach Petersburg über die Pipelines geschickt worden waren, ist wohl auszuschließen. Und dass die serbischen chiffrierten Telegramme sowieso in Budapest oder in Sofia selbstverständlich dechiffriert werden konnten, nachdem man sie selbstverständlich einfach irgendwo 'mitgelesen' hatte, das war ebenso wenig wahrscheinlich.;)
 
..zudem mussten sich die Serben erstmal innerlich fangen. Denn das Ultimatum kam wohl überraschend.
Ja was schreibt man denn, wenn der Pasic nicht einmal da ist?

Überraschend?
Am 20. Juli 1914 hatte beispielsweise der serbische Gesandte in Wien, Jowanowitsch, an Pasic gekabelt, u.a. schreibt der Gesandte:

[...]
Zweifellos bereitet Österreich-Ungarn etwas Ernstes vor. Was man am meisten befürchten muss und was sehr glaubhaft ist, ist, daß es den Krieg mit Serbien vorbereite. [...] Man glaubt auch, daß ein solcher Krieg beendet sein würde, ehe Europa intervenieren könnte. Die militärischen Vorbereitungen, die man im Begriffe ist, insbesondere an der serbischen Grenze zu machen, beweisen, daß die Absichten Österreichs Ernst sind.

(Q: Miloš Boghitchévitch, Die auswärtige Politik Serbiens. 1: Geheimakten aus serbischen Archiven, Berlin 1928, S. 431, # 409)

Ernste Kriegsabsichten und anlaufende Kriegsvorbereitungen waren (auch damals fast) unvermeidlich mit einem kommenden, entsprechend formulierten Ultimatum verbunden.
 
Man konnte ein Telegramm bei der Post oder, falls vorhanden, im Büro einer privaten Telegrafenfirma aufgeben. Bei der Post konnte man Wünsche anbringen z.B "via Eastern". Eastern warb mit dem Slogan "Bitte ihre Telegramme immer via Eastern aufgeben". Sie betrieb damals die alte Indo-Europäische Linie von London über Wien, Belgrad, Konstantinopel. Gab man bei ihr in London ein Telegramm nach Russland auf, lief das immer über Odessa.
Siehe Tarifblatt https://gb-precancels.org/Telegraphs/World/images/Eastern-JH-Tariff-1922-2.jpg
Private Telegrafie Firmen wollten natürlich ein Telegramm so weit wie möglich auf ihrem Netz halten, um möglichst wenig Gebühr an die Anschlusspartner abgeben zu müssen. Dabei mussten sie aber in Betracht ziehen, dass die Telegramme auch außerhalb ihres Netzes möglichst schnell übermittelt wurden, man hatte schließlich einen Ruf zu verlieren.
In Odessa hatte man Anschluss an das staatliche russische Telegrafie-Netz und an die neuere, nördlich verlaufende und private indo-europäische Telegrafenlinie – Wikipedia , die von Siemens betrieben wurde. Diese Linie ging von Odessa über Kiew nach Warschau, immer auf russischem Boden. Das staatliche russische Telegrafie-Netz wurde ebenfalls von Siemens-Halske gebaut.

Ich hätte das Telegramm in Belgrad also bei der Eastern Telegraph Company aufgegeben, im Wissen, dass es über Odessa und Warschau auf dem schnellsten Weg ins staatliche russische Netzwerk laufen würde. Nur zwei Schnittstellen und meistens auf Linien mit neuester Technik. Die Benutzung der russischen Linie von Odessa über Moskau nach Petersburg, scheint mir unwahrscheinlich, da sie über zu viele Stationen ging und schon vorher von Kaufleuten in Odessa bemängelt wurde. Dass dabei theoretisch deutsche Ingenieure heimlich das Telegramm abfangen konnten, war unumgänglich. S&H beschäftigte 1914 4000 Mitarbeiter in Russland.
Eastern Telegraph Company's European System and its Connections

Die Verbindung von einer Telegrafenfirma zur anderen dürfte noch manuell hergestellt worden sein. Innerhalb der jeweiligen Betreiberfirmen waren, je nach Stand des Ausbaus, bereits Relais und automatische Umschaltapparate im Einsatz, ja sogar Multiplexing gab es schon, d.h. mehrere Meldungen gleichzeitig im Kabel.
Was die Tasten anbelangt, war man 1914 schon ein Stück weiter. Mehrere Leute tüftelten an unterschiedlichen Systemen. Während Wheatstone etwas mit Nadeln machte (Telegraph Keys ) waren es bei Hughes bereits Tasten (Telegraph Keys ). Am weitesten war 1914 vermutlich Creed, denn er setzte so etwas wie eine Schreibmaschine ein, die mit Pneumatik die Lochstreifen stanzte und vor allem erfand er auch ein entsprechendes Empfangsgerät.
Creed and Company Limited - the First 50 years

Soviel ich weiß, wurden diplomatische Telegramme auf Französisch verfasst. Die jeweilige Übersetzung, außer in Frankreich, dürfte auch noch etwas Zeit gekostet haben.
 
..zudem mussten sich die Serben erstmal innerlich fangen. Denn das Ultimatum kam wohl überraschend.
Ja was schreibt man denn, wenn der Pasic nicht einmal da ist?

Bereits am 17.Juli kam entsprechende Nachrichten von dem serbischen Geschäftsträger aus Rom, das eine Demarche von Wien zu erwarten sei. Italien ist tatsächlich mit der Info hausieren gegangen.

San Giuliano ließ jedenfalls den serbischen Geschäftsträger dann noch wissen, "wenn Serbien nicht jene Rücksichten gewährt werden, welche ein Staat den anderen schuldig ist, dieselbe dem Widerspruch der öffentlichen Meinung Italiens begegnen werden, und daß die italienische Regierung ein Interesse habe, daß die volle Unabhängigkeit Serbiens erhalten bleibe."

Die Befürchtungen des Ballhausplatzes, das man Rom nichts wissen lassen dürfe, da dort die Information nicht vertraulich behandelt werden würden, waren berechtigt.

Milos Boghitchévitch, Die auswärtige Politik Serbiens
 
Sehr nützliche Ergänzung, vielen Dank @Naresuan

Kleine Anmerkungen:
Dass dabei theoretisch deutsche Ingenieure heimlich das Telegramm abfangen konnten, war unumgänglich. S&H beschäftigte 1914 4000 Mitarbeiter in Russland.
Sicher arbeiteten dort mehrheitlich nicht-deutsche Ingenieure und die dt. Ingenieure dürften sehr selten heimliche Mitarbeiter deutscher Dienste bzw. dt. Regierungseinrichtungen gewesen sein. Ohne Kenntnis des Chiffriercodes hätten abgefangene Telegramme zudem nichts genützt, konstante und lückenlose Überwachung und problemlose Übermittlung der heimlich abgefangenen Nachrichten nach Berlin o.ä. vorausgesetzt.

Daher war die effizienteste, und soweit mir bekannt, am ehesten eingesetzte Methode, Botschafts-/Gesandtschaftsmitarbeiter anzuwerben oder Leute in den Ministerien/hohen Behörden oder Personen, die sehr gute Kontakte in die Ministerien hatten.
Siehe Benno von Siebert in der russ. Botschaft in London. Siehe Oberst Redl in Wien/Prag.

Ich selber kenne außerhalb Kriegszeiten und jenseits der vom britischen Marinegeheimdienst im Room 40 entschlüsselten Zimmermann-Telegramme keinen ähnlichen Fall vor Kriegsbeginn 1914, der dank geheimer Mitarbeiter in bzw. an Telegraphenlinien/Telegraphiestationen und geknackter Chiffriercodes verschlüsselt gesendete Nachrichten zwischen Botschaften und Ministerium entschlüsselt hätte.

Soviel ich weiß, wurden diplomatische Telegramme auf Französisch verfasst. Die jeweilige Übersetzung, außer in Frankreich, dürfte auch noch etwas Zeit gekostet haben.
Das trifft nur für offizielle, hoheitliche Noten zwischen den jeweiligen Regierungen zu, die beispielsweise per Botschaften/Gesandtschaften übermittelt wurden. Wobei die britische Reg. die Ausnahme darstellt.
 
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