Konflikte Hirten-Bauern, Hirtennomaden-Seßhafte Wasseranrainer

Dieses Thema im Forum "Judentum | Israel | Naher Osten" wurde erstellt von rena8, 27. Juni 2009.

  1. rena8

    rena8 Aktives Mitglied

    Auf den ersten Blick sind diese Konflikte allgemein bekannt und bieten wenig Diskussionsstoff. Schließlich steht die Geschichte von Kain und Abel schon in der Bibel.

    Ich möchte mir gern ein genaueres Bild machen, wie, wann, wo und warum sich Hirten von Bauern trennten und welche Folgen diese Spezialisierungen auf Besitzstände, Lebens- und Geisteshaltung hatten.

    Eigentlich interessieren mich alle Hirten, vom Schäfer in der Heide über den Senn in den Alpen und natürlich die eurasischen Reiternomaden.
    Die Anfänge sind aber nicht schriftlich dokumentiert und daher überlege ich, ob nicht im alten Testament oder mesopotamischen Texten etwas über den Umgang mit diesen Konflikte zu erfahren ist.
     
  2. Turandokht

    Turandokht Aktives Mitglied

    Das Wann kann man ein zumindest wenig eingrenzen:

    (Dieter Guldin, Früher Nomadismus im Spiegel einer neuen Betrachtungsweise. In: Akkulturation und Selbstbehauptung. Mitteilungen des SFB "Differenz und Integration")

    Siedlungen von Seßhaften und Nomaden lassen sich archäologisch recht gut voneinander unterscheiden, schon deshalb, weil letztere nicht das ganze Jahr über bewohnt waren und dadurch Besonderheiten aufweisen.
     
  3. rena8

    rena8 Aktives Mitglied

    Ich befürchte, die Bibel bringt mich nicht wirklich weiter.
    Wenn die nomadische Tierhaltung für das Gebiet um Israel ca auf das 6. Jhst. zurückgeht, dann werden in der Bibel mythische Legenden aus grauer Vorzeit erzählt.

    In Die hebräische Bibel im Licht neuer archäologischer Erkenntnisse wird in "Herkunft der Israeliten" der Wechsel zwischen nomadischer und seßhafter Lebensweise postuliert, abhängig von den Tauschmöglichkeiten.

    Grundsätzlich können doch Hirtennomaden nur dann autark leben, wenn sie sich ausschließlich von fleischlicher Kost ernähren, ansonsten müssen sie Pflanzen sammeln, tauschen, handeln oder rauben?
     
  4. Turandokht

    Turandokht Aktives Mitglied

    Du legst den Finger auf die Wunde: Nomaden leben nicht autark. Sie _brauchen_ Seßhaften als Tausch- oder Handelspartner oder zumindest als Opfer, die sie ausrauben können. Die meisten Nomadenvölker essen auch relativ wenig Fleisch, ganz im Kontrast zum Beispiel zu den Darstellungen in antiken Quellen, wo der Nomade immer der wilde, rohes Fleisch fressende Barbar ist.
     
  5. Dieter

    Dieter Premiummitglied

    Bekanntlich findet sich die Bezeichnung "Nomaden" - d.h. Hirtenvölker bzw. Wanderhirten, die mit ihren Herden umherziehen - als terminus technicus bereits bei antiken Autoren wie Herodot oder Polybios.

    Der Nomadismus ist eine sehr komplexe Lebens- und Wirtschaftsform, zu dessen Merkmalen Herdenviehzucht ohne Stallhaltung und jahreszeitlich bedingte Wanderzyklen zwischen Sommer- und Winterweiden zählen. Herdentiere sind - je nach Klima- und Vegetationszone - Schaf, Ziege, Rind, Kamel oder Yak.

    Seit undenklichen Zeiten - du hast bereits auf die Bibel verwiesen - gibt es einen Antagonismus zwischen Bauern und Nomaden, zwischen friedlichen Ackerbestellern und kriegerischen oder räuberisch umherziehenden Menschengruppen. Denn wenn die Nomaden nicht selbst ausreichend Bodenbau betrieben, um sich mit pflanzlicher Zusatzkost zu versorgen, so suchten sie ihren Bedarf durch Tauschhandel, erzwungene Tributleistungen unterworfener Bevölkerungsgruppen und gegebenenfalld durch Raubzüge zu decken. Außerdem tauschten sie Vieh und tierische Produkte gegen Handwerkserzeugnisse, Waffen und Luxusartikel, die sie selbst nicht herstellten.

    Die Frage nach der Entstehung des Reiternomadentums konnte von der Forschung bisher nicht zufriedenstellend beantwortet werden, sodass man sich mit Hypothesen behelfen muss. Weder die Dreistufenlehre des Evolutionismus - Wildbeuter-Hirten-Bauern - noch die These, nach der die reiterische Nutzung des Pferdes auf die Zucht und Haltung des Rentieres zurückzuführen sei, stieß in der Forschung auf einheitliche Zustimmung.

    Sicher scheint nur, dass die Ausbreitung des Nomadismus in den Steppen Eurasiens eng mit der beginnenden Nutzung des Pferdes als Reittier verbunden war, während es sich beim Kamel- und Rentiernomadismus um spätere Erscheinungsformen handelt.

    Ferner ist die Auffassung verbreitet, dass sich die Anfänge des Reiternomadismus aus einem frühen Steppenbauerntum auf Getreidegrundlage und mit Kleinviehhaltung herleiten. Erst die reiterische Nutzung von Pferden und Kamelen versetzte die Träger dieser Kulturen in die Lage, Steppen- und Wüstenzonen weiträumig zu durchstreifen.

    Zu den ersten (bekannten) Reitern, die seit dem 8. Jh. v. Chr. in die Steppen vordrangen, zählen v.a. iranische Völker wie Saken und Skythen, die auf ihren Wanderungen bis in das Gebiet der heutigen Mongolei gelangten, wo sie auf autochthone protomongolische und alttürkische Ethnien stießen, die seit dem 5. Jh. v. Chr. ebenfalls zum Nomadentum übergingen.

    Das harte Leben in der Steppe und die ständigen Auseinandersetzungen um Weideplätze und Herden stellten zusammen mit dem Verlangen nach Beute hohe Anforderungen an die Kampfbereitschaft der Reiternomaden. Begünstigt wurde die damit verbundene Expansion der Reiter durch eine überlegene Bewaffnung und Kriegführung, denen die sesshaften Völker und Ackerbauern meist nicht gewachsen waren. Entsprechend widersprüchlich gestaltete daher das Verhältnis der Reiter zu ihren sesshaften Nachbarn. Längere Friedensperioden wurden von Beutezügen unterbrochen, in denen die Reiternomaden nicht mehr durch Handel und Tribute in den Besitz der begehrten Kulturgüter und Agrarerzeugnisse gelangten, sondern zur kriegerischen Expansion übergingen.

    Das Auftreten der Nomaden löste in allen Hochkulturen ein großes Echo aus und führte zur Entstehung eines relativ einheitlichen Bildes in chinesischen, vorderasiatischen, byzantinischen und abendländischen Quellen. Reiterinvasionen wurden oft von muslimischen, christlichen oder jüdischen Autoren als grausame aber gerechte Strafe Gottres für Sünden der heimgesuchten Völker empfunden.

    Zu betonen wäre noch, dass die Reiternomaden die Ausbeutung sesshafter Völker keineswegs als Unrecht oder Makel empfanden, sondern ganz im Gegenteil einen reichen Beutezug als besonderen Gunsterweis der Götter betrachteten und die Bedeutung des Einzelnen um so höher schätzten, je mehr Beute er heimbrachte. Das Wertesystem und der Moralkodex waren somit von dem sesshafter Völker fundamental verschieden.
     
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  6. askan

    askan Neues Mitglied

    Zitat:"sondern ganz im Gegenteil einen reichen Beutezug als besonderen Gunsterweis der Götter betrachteten und die Bedeutung des Einzelnen um so höher schätzten, je mehr Beute er heimbrachte. Das Wertesystem und der Moralkodex waren somit von dem sesshafter Völker fundamental verschieden."

    Naja, sehr ähnliches schreibt Tacitus über die Germanen und die waren keine Nomaden.
     
  7. Dieter

    Dieter Premiummitglied

    Und das ist der gewaltige Unterschied! Ferner ist anzunehmen, dass abgesehen von der anderen Lebensweise auch das Wertesystem und der Moralkodex nomadischer Völker von dem sesshafter Völker wie dem der Germanen fundamental verschieden war.
     
  8. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Damit greifst du natürlich eine mehrtausendjährige Darstellungsweise der Seßhaften auf. Die Frage ist nun, ob nicht Seßhafte eher Schriftbesitzer als Nomaden sind - nur mal als These in den Raum gestellt - und deshalb in diesem Konflikt auch über Jahrtausende die Deutungshoheit besaßen.
    Man könnte es ja auch so sehen: Die Seßhaften verweigern den Nomaden den Zugang zu Wasser und Weiden.
     
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  9. Dieter

    Dieter Premiummitglied

    Unzweifelhaft waren in der Regel die Sesshaften im Besitz von Schriftsysytemen. Das ergab sich schon aus bestimmten Notwendigkeiten der Verwaltung und dem Verkauf selbsterzeugter Güter. Das gilt natürlich nur für den Fall, dass die sesshafte Bevölkerung weit genug entwickelt war.

    Somit ist es erstaunlich, dass einige nomadische Völker dennoch eine Schrift hervorbrachten. Ich denke da z.B. an die um 600 n. Chr. entstandenen Orchon-Runen in alttürkischer Schrift, die die Kök-Türken entwickelt haben. Ebenfalls zu nennen ist hier die altungarische und protobulgarische Schrift, die möglicherweise mit den Orchon-Runen verwandt ist.
     
  10. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Mir ging es mehr um Narrativkritik: Folgen wir in unserer historischen Meistererzählung vom friedliebenden Bauern, der Probleme mit dem räuberischen Nomaden hat, nicht einfach zu sehr dem Narrativ der Produzenten unserer historischen Quellen, die im Zweifel eher Seßhafte als Nomaden waren?
     
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  11. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Einfacher fällt vielleicht der Blick auf modernere Gesellschaften. Ich sag mal der Konflikt zwischen Viehtreibern und Farmern, wie er im 19. Jhdt. im Mittleren Westen stattfindet, nicht selten mit dem Gebrauch der Schusswaffe geregelt wird.
    Es ist ja immer ein Konflikt der darum geht, ob Ressourcen Privatbesitz sind oder nicht (von seiten der Cowboys) bzw. ob die Saaten und Felder hinreichend geschützt sind (von seiten der Farmer).

    Aber auch im Qur'ān wird der Konflikt zwischen städtischer und beduinischer Bevölkerung angerissen. Die A'rāb (Beduinen, nicht zu verwechseln mit 'arab(ī), den ethnischen Arabern) kommen im Qur'ān nur mittelprächtig weg. Sie gelten als unzivilisiert und roh bzw. vor allem als rückständig.
     

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