Kongress für Wirtschaftsgeschichte

silesia

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Wirtschaftsgeschichte ist in Deutschland, anders als zB in den USA oder Großbritannien und Japan, eher ein Randgebiet der Ökonomie. Interessanterweise beschäftigt man sich in anderen Ländern auch verstärkt mit deutscher Wirtschaftsgeschichte, vielleicht sogar mehr als im eigenen Land.

In Münster fand nun der I. deutsche Kongress für Wirtschaftsgeschichte statt, bei dem Ökonomen, Historiker, Soziologen etc. aufeinander trafen. Vertreter der empirisch-ökonometrischen Ausrichtung trafen dabei auf Modelltheoretiker und diskutierten unter der Überschrift "Ordnung und Chaos" die Abläufe von historischen Wirtschaftskrisen. Gastredner war ua. Ritschl, bekannt durch seine Publikationen zur Europäischen Wirtschaftsgeschichte 1919-1939, zur Weltwirtschaftskrise, Goldstandard etc. (Thema: Wirtschaftskrisen und Austeritätspolitik)

Aktuelle Meldungen der Universität Münster
I. Deutscher Kongress für Wirtschaftsgeschichte: Ordnung und Chaos ? Trends und Brüche in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte | H-Soz-Kult

Sendung im DLF:
Wirtschaftshistorischer Kongress - Blick auf Krisenzeiten
(Mit einem Ritschl-Interview um Kongress)
 
Wirtschaftsgeschichte ist in Deutschland, anders als zB in den USA oder Großbritannien und Japan, eher ein Randgebiet der Ökonomie. Interessanterweise beschäftigt man sich in anderen Ländern auch verstärkt mit deutscher Wirtschaftsgeschichte, vielleicht sogar mehr als im eigenen Land.

Das stimmt leider und ich habe das hierzuforum bereits moniert. Mir ist vor allem unklar, weshalb es in zahlreichen Ländern im Zuge der Krise(n) seit 2007 zu einem erstarken der Wirtschaftsgeschichte gekommen ist, sowohl als Fach, als auch als Gegenstandsbereich der Ökonomik, nur nicht in Deutschland. In der FAZ gab es dazu 2012 einen interessanten Artikel: Aufschwung: Warum ist Wirtschaftsgeschichte plötzlich sexy? - Wirtschaftswissen - FAZ . In Deutschland fristet die Wirtschaftsgeschichte nach wie vor ein Schattendasein und lebt mit der ständigen Angst, das nächste Ziel von Streichungen zu werden. An meiner Universität steht der Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte derzeit zur Disposition und keiner weiß so genau, was die Zukunft bringen wird.
Außerdem leidet die Wirtschaftsgeschichte meines Erachtens nach an einer gewissen Spaltung und gleichzeitig auch unter dem Einfluss des Bindestriches, viele Lehrstühle sind nämlich nicht genuin wirtschaftshistorisch, sondern Wirtschafts- und Sozial- und/oder Umwelt-, Technik-, Agrar-, Unternehmensgeschichte-Lehrstühle. Das ist insofern problematisch, als das Sozialgeschichte häufig auch ohne die Wirtschaftsgeschichte vertreten ist, aber nicht umgekehrt. Es ist auch bemerkenswert, dass die politische Ideengeschichte sowohl von Politikwissenschaftlern, als auch von historikern und Philosophen praktiziert wird, die ökonomische Ideengeschichte dagegen relativ fest in der Hand von Ökonomen ist und nicht etwa ein Kernbereich die Wirtschaftsgeschichte. Sie ist häufig das Nebenprodukt interessierter Wirtschaftswissenschaftler oder aber an Lehrstühle für Wirtschafstheorie bzw. politische Ideengeschichte delegiert.
Die Aufspaltung hat dafür gesorgt, dass es eine geschichtswissenschaftlich orientierte Wirtschaftsgeschichte gibt, wie sie etwa in Heidelberg oder Jena gelehrt wird und eine wirtschaftswissenschaftlich orientierte, wie sie etwa in Mannheim oder Göttingen vorzufinden ist. Dies ist auch Folge der unterschiedlichen Zugehörigkeit zu historischen oder wirtschaftswissenschaftlichen oder anderen Fakultäten und spiegelt sich in bestimmten methodischen Vorlieben wider. Meine eigenen Professoren waren bisher doch sehr adamant in der Legitimation ihrer eigenen Vorgehensweisen gegenüber anderer Richtungen. Komplementäre Ansätze scheinen eher selten. Durch die Bindestriche sind viele Lehrstühle zudem oft in die jeweils vorgebene Richtung orientiert, d.h. statt Wirtschaftsgeschichte steht eben die Sozialgeschichte im Vordergrund.
Von daher ist es auch kein Wunder, wenn die Wirtschaftsgeschichte institutionell nicht einheitlich auftritt, daher keine starke Stimme hat und gute Forscher mit Vorliebe ins Ausland gehen. Vor diesem Hintergrund begrüße ich die Intitative sehr.
 
Zuletzt bearbeitet:
Als Mannheimer kenne ich den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte im Bereich der Volkswirtschaftslehre angesiedelt. Aber was schlägst du vor? Komplett eigenständig, klar zu sozialwissenschaftlich orientierten Lehrstühlen oder doch wirtschaftswissenschaftlichen? Meiner Meinung ist die Trennung sinnvoll, weil es doch einen unterschiedlichen Fokus hat.
 
Das stimmt leider und ich habe das hierzuforum bereits moniert. Mir ist vor allem unklar, weshalb es in zahlreichen Ländern im Zuge der Krise(n) seit 2007 zu einem erstarken der Wirtschaftsgeschichte gekommen ist, sowohl als Fach, als auch als Gegenstandsbereich der Ökonomik, nur nicht in Deutschland. In der FAZ gab es dazu 2012 einen interessanten Artikel: Aufschwung: Warum ist Wirtschaftsgeschichte plötzlich sexy? - Wirtschaftswissen - FAZ . In Deutschland fristet die Wirtschaftsgeschichte nach wie vor ein Schattendasein und lebt mit der ständigen Angst, das nächste Ziel von Streichungen zu werden. An meiner Universität steht der Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte derzeit zur Disposition und keiner weiß so genau, was die Zukunft bringen wird.
Außerdem leidet die Wirtschaftsgeschichte meines Erachtens nach an einer gewissen Spaltung und gleichzeitig auch unter dem Einfluss des Bindestriches, viele Lehrstühle sind nämlich nicht genuin wirtschaftshistorisch, sondern Wirtschafts- und Sozial- und/oder Umwelt-, Technik-, Agrar-, Unternehmensgeschichte-Lehrstühle. Das ist insofern problematisch, als das Sozialgeschichte häufig auch ohne die Wirtschaftsgeschichte vertreten ist, aber nicht umgekehrt. Es ist auch bemerkenswert, dass die politische Ideengeschichte sowohl von Politikwissenschaftlern, als auch von historikern und Philosophen praktiziert wird, die ökonomische Ideengeschichte dagegen relativ fest in der Hand von Ökonomen ist und nicht etwa ein Kernbereich die Wirtschaftsgeschichte. Sie ist häufig das Nebenprodukt interessierter Wirtschaftswissenschaftler oder aber an Lehrstühle für Wirtschafstheorie bzw. politische Ideengeschichte delegiert.
Die Aufspaltung hat dafür gesorgt, dass es eine geschichtswissenschaftlich orientierte Wirtschaftsgeschichte gibt, wie sie etwa in Heidelberg oder Jena gelehrt wird und eine wirtschaftswissenschaftlich orientierte, wie sie etwa in Mannheim oder Göttingen vorzufinden ist. Dies ist auch Folge der unterschiedlichen Zugehörigkeit zu historischen oder wirtschaftswissenschaftlichen oder anderen Fakultäten und spiegelt sich in bestimmten methodischen Vorlieben wider. Meine eigenen Professoren waren bisher doch sehr adamant in der Legitimation ihrer eigenen Vorgehensweisen gegenüber anderer Richtungen. Komplementäre Ansätze scheinen eher selten. Durch die Bindestriche sind viele Lehrstühle zudem oft in die jeweils vorgebene Richtung orientiert, d.h. statt Wirtschaftsgeschichte steht eben die Sozialgeschichte im Vordergrund.
Von daher ist es auch kein Wunder, wenn die Wirtschaftsgeschichte institutionell nicht einheitlich auftritt, daher keine starke Stimme hat und gute Forscher mit Vorliebe ins Ausland gehen. Vor diesem Hintergrund begrüße ich die Intitative sehr.

Hallo Chan, ich sehe auch methodische Probleme beginnend in der Lehre. Anders als Sozialwissenschaftler oder Psychologen, bei denen das zum Lehrprogramm dazu gehört, beschäftigen sich angehende Historiker selten mit der Analyse größerer Datenmengen und Statistik. So bleibt vieles in einer deskriptiven Tradition, die vor allem auf die Auswertung von Einzelquellen und deren Folgen setzt. Dies reicht bei wirtschaftsgeschichtlichen Fragen oft nicht aus.
 
Dies reicht bei wirtschaftsgeschichtlichen Fragen oft nicht aus.

Neben der Empirie fehlen auch die Theotiker bzw. die Modellökonomen.

In der angloamerikanischen Forschung ist die Wirtschaftsgeschichte stets bei den Ökonomen integriert gewesen. Die sind den Weg gegangen, Historiker reinzuholen, oder Geschichtswissenschaft als Hilfswissenschaft speziell bei den Makroökonomen zu integrieren.

Es scheint so zu sein, dass man sich inzwischen im Ausland mit deutscher Wirtschaftsgeschichte mehr beschäftigt als hierzulande.

Es gibt aber auch gegenläufige Trends, so mit Acemoglus Institutional Growth an deutschen VWLer-Stühlen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Als Mannheimer kenne ich den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte im Bereich der Volkswirtschaftslehre angesiedelt. Aber was schlägst du vor? Komplett eigenständig, klar zu sozialwissenschaftlich orientierten Lehrstühlen oder doch wirtschaftswissenschaftlichen? Meiner Meinung ist die Trennung sinnvoll, weil es doch einen unterschiedlichen Fokus hat.

Meine Ausführungen bezogen sich nur auf die instituionelle Lage, die m.E. dazu führt, dass die Wirtschaftsgeschichte in Deutschland eher einem Flickenteppich gleichkommt, denn einer kohärenten Teildisziplin. Dies führte vermutlich auch dazu, dass die Wirtschaftsgeschichte sich nicht wirklich durchsetzen kann, weil der Zusammenhalt fehlt. Darum finde ich solche Initiativen, wie die vorgestellte, sehr gut, da versucht wird, die unterschiedlichen Positionen zusammenzubringen und die WiGe in die Diskussion zu bringen und ihre Vorteile anzupreisen.
Inhaltlich kann die Trennung durchaus sinnvoll sein. Aber auch was den Inhalt angeht fehlt irgendwo ein gemeinsamer Rahmen und es scheint mir so zu sein, das verschiedene Grüppchen ihr Süppchen kochen und es zum Teil relativ verhärtete Positionen gibt, insbesondere was die Methodik angeht. Vielleicht habe ich aber auch nur an den falschen Unis studiert. Meiner Auffassung nach können sich modelltheoretische, statistische und historisch-kritische narrarative Methoden sehr gut ergänzen. Zumal, wie ich finde, die Abneigung gegenüber Zahlen in der Wirtschaftsgeschichte so ein bisschen die gängige Kritik an der Neoklassik widerspiegelt. Es gibt aber nicht nur neoklassische Modelle, oder an der Neoklassik orientierte Institutionenökonomik, sondern gerade Ansätze wie die Industrie/Innovations- oder die Evolutionsökonomik grenzen sich ja mit Slogans wie "history matters" von der Neoklassik ab.

Aber das spielt natürlich auch in die Probleme der Ökonomik in Deutschland. Während in Japan oder den USA beispielsweise marxistische Ansätze, Evolutionsökonomik, Unternehmensgeschichte und Wirtschaftsgeschichte (relativ) stark an Universitäten vertreten sind und auch starke Interessensvertretungen haben, spielt "plurale Ökonomik", d.h. andere Ansätze als der neoklassische/institutionenökonomische Mainstream in Deutschland auch eine eher unwichtige Rolle.
 
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Hallo Chan, ich sehe auch methodische Probleme beginnend in der Lehre. Anders als Sozialwissenschaftler oder Psychologen, bei denen das zum Lehrprogramm dazu gehört, beschäftigen sich angehende Historiker selten mit der Analyse größerer Datenmengen und Statistik. So bleibt vieles in einer deskriptiven Tradition, die vor allem auf die Auswertung von Einzelquellen und deren Folgen setzt. Dies reicht bei wirtschaftsgeschichtlichen Fragen oft nicht aus.

Das sehe ich definitiv auch als großes Problem, daher habe ich auch nebenher quasi ein VWL-Studium gemacht indem ich Mikro, Makro usw. belegt habe. Au f der anderen Seite fehlt es den Ökonomen aber auch an Kenntnissen im qualitativen Bereich. Letzten Endes werden dadurch Dialoge zwischen den Disziplinen verhindert.
 
Neben der Empirie fehlen auch die Theotiker bzw. die Modellökonomen.

In der angloamerikanischen Forschung ist die Wirtschaftsgeschichte stets bei den Ökonomen integriert gewesen. Die sind den Weg gegangen, Historiker reinzuholen, oder Geschichtswissenschaft als Hilfswissenschaft speziell bei den Makroökonomen zu integrieren.

Es scheint so zu sein, dass man sich inzwischen im Ausland mit deutscher Wirtschaftsgeschichte mehr beschäftigt als hierzulande.

Es gibt aber auch gegenläufige Trends, so mit Acemoglus Institutional Growth an deutschen VWLer-Stühlen.

Acemoglu habe ich von meinem Makro-Prof ans Herz gelegt bekommen. Dieser Prof hat während der Vorlesung immer wieder auf die Schwächen der gängigen VWL-Forschung hingewiesen, aber auch darauf, dass der Druck in den besten Zeitschriften zu publizieren, in den Rankings (als Einzelperson und als Fachbereich) immer oben zu stehen und möglichst viel internationale Auftritte zu haben, es eben erschwert, Neuland zu betreten.

Persönlich empfand ich das Buch von Acemoglu und Robinson eher als ein Beispiel schlechter Wirtschaftsgeschichte von Ökonomen, die sich eher ungerne mit Quellenkritik und Kontextualisierung auseinandersetzen und damit als ein gutes Argument dahingehend, dass es eine eigenständige und gleichwertige Wirtschaftsgeschichte neben Makroökonomik etc. braucht. Es zeigt aber auf jeden Fall, dass vielleicht ein langfristiges Umdenken stattfindet und die Wirtschaftsgeschichte wieder mehr Beachtung findet. Ich hoffe, es ist kein Trend aufgrun des großen pubilzistischen Erfolges von Acemoglu und Robinson. Naja, jetzt ist ja mit Piketty auch ein weiteres an der Geschichte interessiertes Buch im Gespräch.
 
Man muss hier deutlich unterscheiden: den populär so wahrgenommenen und sozusagen die "großen Erklärungen" abliefernden Acemoglu (das ist auch ein medial geprägtes Bild) und den exzellenten Wissenschaftler in der theoretischen und empirischen Ökonomie.

Acemoglu findet weniger als Serienlieferant für Ranking-Publikationen Beachtung (da gibt es "Schlimmere"), sondern zitatweise beeindruckende, dokumentierte Aufmerksamkeit durch seine Fachkollegen in deren Publikationen und Forschungsfeldern: er bestimmt hier Forschungstrends.

Seine "Institutions-Hypothese" als ein Ausschnitt seiner Thesen ist inzwischen Gegenstand umfangreicher empirischer Forschung (die sich in der angelsächsischen Forschung häufig mit Wirtschaftsgeschichte überschneidet), die seine Darlegungen exponentiell übersteigen. Von daher ist mE die wahrgenommene populäre Bedeutung (sozusagen ein einziges Buch) von der schwergewichtigen Rezeption in der aktuellen Forschung zu unterscheiden.

Noch eine Bemerkung zum deutschen "Defizit" in der empririsch angelegte, vor allem aber der theoretischen Makroökonomie: traditionell dürfte das in der Nachkriegszeit daran liegen, dass lange die Mikroökonomie, verhaltens- und sozioökonomische ansätze, Entscheidungstheorie etc. die dominierende Rolle in Deutschland spielte, ergänzt durch einzelne (für die BRD spezifische) Schwerpunkte wie Fiskalpolitik. Die übrigen Fachfelder fanden lange wenig(er) Beachtung, aber da scheint man aufzuholen.

Als Beispiel sozusagen "unter Ausschluss" der populären Öffentlichkeit hier der Ökonomie-Theoretiker Acemoglu (Entscheidungstheorie)
http://economics.mit.edu/files/10435
 
Man muss hier deutlich unterscheiden: den populär so wahrgenommenen und sozusagen die "großen Erklärungen" abliefernden Acemoglu (das ist auch ein medial geprägtes Bild) und den exzellenten Wissenschaftler in der theoretischen und empirischen Ökonomie.

Acemoglu findet weniger als Serienlieferant für Ranking-Publikationen Beachtung (da gibt es "Schlimmere"), sondern zitatweise beeindruckende, dokumentierte Aufmerksamkeit durch seine Fachkollegen in deren Publikationen und Forschungsfeldern: er bestimmt hier Forschungstrends.

Seine "Institutions-Hypothese" als ein Ausschnitt seiner Thesen ist inzwischen Gegenstand umfangreicher empirischer Forschung (die sich in der angelsächsischen Forschung häufig mit Wirtschaftsgeschichte überschneidet), die seine Darlegungen exponentiell übersteigen. Von daher ist mE die wahrgenommene populäre Bedeutung (sozusagen ein einziges Buch) von der schwergewichtigen Rezeption in der aktuellen Forschung zu unterscheiden.

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Als Beispiel sozusagen "unter Ausschluss" der populären Öffentlichkeit hier der Ökonomie-Theoretiker Acemoglu (Entscheidungstheorie)
http://economics.mit.edu/files/10435

Das sehe ich anders, auch wenn ich Dir zustimmen würde, dass zum Verständnis von Why Nations Fail die Kenntnis der anderen Werke der beiden Autoren, insbesondere der Robinsons, wichtig sind. Acemoglu arbeitet überaus aktiv an seiner Selbstdarstellung und hat sich mit der dogmatischen Verteidigung seiner Thesen in eine exponierte Position begeben, wo wissenschaftliche Zurückhaltung angeraten gewesen wäre.

Das Buch hat zwar zahlreiche Ehrenbezeugungen von namhaften Wissenschaftlern erhalten, doch wenn man zwischen den Zeilen liest, dann scheint sich die Begeisterung eher auf die beiden Umstände zu beschränken, dass hier erstens die Wirtschaftsgeschichte in den Fokus rückt und zweitens die Politik (wieder) ernst genommen wird, nachdem Institutionen zuvor, ähnlich wie die Wirtschaft selbst, als autonome Entitäten behandelt wurden und häufig nach wie vor werden.

Leider wird wenig Neuheit geboten und das "sample" an Nationen, das untersucht wird, enthält einige der offensichtlich konträren Beispiel, etwa Deutschland, nicht. Die große Aufmerksamkeit die es erhielt, hängt wohl vor allem mit der Krise der Weltwirtschaft und der Mainstream-Ökonomik zusammen. Es ist auch anmaßend das zweite Kapitel "theories that don't work" zu nennen, die Leistungen von Diamond, Landes, usw. mit einer Hand wegzuwischen und dann die institutionelle Geschichte vom "rise of the West" im Gewand neoliberaler Politiktheorie neu aufzubrühen. Aus institutioneller und eurozentristischer Perspektive sehr viel überzeugender, aber ungleich weniger beachtet, argumentiert Van Zanden, Jan Luiten: The Long Road to the Industrial Revolution. The European Economy in a Global Perspective, 1000-1800. Leiden, Brill Publishers, 2009.
 
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