Kreuzfahrerstaaten - Verfassung?

Arsacides

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Hatten die Kreuzfahrerstaaten eigentlich "Verfassungen" (natürlich nicht im modernen Sinne, sondern eher rechtlich beglaubigte Dokumente, die grundlegende Fragen des jeweiligen Staates und seiner Bewohner regelten)?

Die Eroberungen waren ja langfristig gedacht, also würde mich interessieren, inwiefern Arbeiten in diese Richtung gemacht wurden.
 
Die Kreuzfahrerstaaten waren feudalstaatlich Aufgebaut, ganz nach französischen Vorbild. Im 13. Jahrhundert begann sich eine Form von Parlamentarismus sowohl im Königreich Jerusalem (Akkon) als auch im Königreich Zypern zu bilden, indem die Barone im sogenannten Haute Cour (hohen Gerichtshof) in die politischen Entscheidungsprozesse eingebunden wurden. Die Barone wählten damals beispielsweise die Regenten des Königreichs.

Die Rechtsgewohnheiten Outremers waren in den Assisen von Jerusalem zusammengefasst, die ebenfalls im 13. Jahrhundert von Johann von Ibelin schriftlich fixiert wurden.
 
Noch eine kurze Ergänzung zur Frage schriftlicher Nachweise/Zeugnisse:

1) Heinrich Mitteis verweist in seinem Werk "Lehnrecht und Staatsgewalt", S. 250 in Fn. 152 auf sog. "Lettres du Saint Sepulcre", so dass damals schon die normative Grundlage für den Lehnsstaat der Kreuzfahrer in kodifizierter Form erfolgt sei;
diese sollen aber nach 1187 verschollen sein.
Außerdem verweist Mitteis darauf, dass aufgrund der Einmischung byzantinischer Politik es sich bei den Kreuzfahrerstaaten des Orients um byzantinische Vasallenstaaten gehandelt habe, so dass man wahrscheinlich die Prinzipien des Lehnrechts in der französisch-burgundischen Form nicht immer zu 100 % auf diese "Satellitenstaaten" übertragen können wird; unbeschadet von den Ausführungen im vorherigen Beitrag.

2) Ebenfalls bei Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters, Kap. 35: Die Staaten der Kreuzfahrer. Mitteis als Jurist legt besonderen Wert auf die Behandlung normativer Zusammenhänge/Strukturen.

Götz zum Gruß
 
Außerdem verweist Mitteis darauf, dass aufgrund der Einmischung byzantinischer Politik es sich bei den Kreuzfahrerstaaten des Orients um byzantinische Vasallenstaaten gehandelt habe,

Das habe ich anders gelesen.

Byzanz beanspruchte zwar eine Oberlehnsherrschaft über die Kreuzfahrerstaaten, was diese jedoch nicht anerkannten und nachdrücklich ablehnten.
 
Das habe ich anders gelesen.

Byzanz beanspruchte zwar eine Oberlehnsherrschaft über die Kreuzfahrerstaaten, was diese jedoch nicht anerkannten und nachdrücklich ablehnten.

Also ich kann nur wiedergeben, was in meiner Ausgabe von Mitteis' "Lehnrecht und Staatsgewalt", Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1958, unveränderter Nachdruck der Auflage v. 1933, S. 248f., ziemlich eindeutig formuliert ist.
Was jetzt aber kein Grund für Beckmesserei sein sollte....

Ich halte zwar die dortige Formulierung - "und die Kreuzfahrer gingen auf diese Forderung (gemeint ist u.a. Treueid ggü. Alexius I.) ein, nichtsahnend, daß sie vor den Wagen der byzantinischen Politik gespannt werden sollten" nebst der sehr umfangreichen Fn. 148 m.w.N. - auch für sehr pointiert (waren die Söhne der Hocharistokratie Europas geistig umnachtet bzw. von "verbotenen Substanzen" berauscht, gar von der Syphilis befallen oder der Grieche nur sehr sehr trickreich ?), aber wahrscheinlich gibt es hierfür verschiedene Deutungsmuster, was Mitteis in der betr. Fn. 148 auch andeutet.

Aber die Aussage "byzantinische Vasallenstaaten" folgt auf S. 249 meiner Ausgabe - ich denke mir ja sowas nicht aus; insbesondere da ich für das Gesamtwerk von Mitteis seit Studientagen eine gewisse Wertschätzung hege (wobei es sich dabei auch mehr um seine Dt. Rechtsgeschichte bzw. Privatrechtsgeschichte handelt).

Was ich mir nur vorstellen kann, ist, dass es in der allgemeinen Literatur zum Lehnswesen relativ wenige Ausführungen zu dem speziellen Komplex der Kreuzfahrerstaaten gibt; der allgemeine Schwerpunkt liegt naturgemäß bei den Nachfolgestaaten des Großfränkischen Reiches und den regionalen Besonderheiten.
Daher kann es eventuell sein, dass manche Autoren eher unbesehen Allgemeinplätze übernehmen, ohne diese immer nachzuprüfen.

Letztlich glaube ich, dass es für die Ausgangsfrage auch weniger um solche Details geht.
Die Quellenlage ist halt etwas kompliziert.

Götz zum Gruß
 
Teils, teils. Nach langem Widerstreben akzeptierte Bohemund von Antiochia seinen Vasallenstatus: Vertrag von Devol ? Wikipedia Auch Rainald von Chatillon akzeptierte die byzantinische Oberhoheit.

Da muss ich mich, was die Kürze bzw. Schnelligkeit der Fundstellensuche angeht, neidlos der modernen Technik beugen - die herkömmliche Fundstellensuche kann da nicht mit....

Ich habe ja schon Probleme, dass mich die Forumssoftware immer wieder rauskegeln will....
 
Teils, teils. Nach langem Widerstreben akzeptierte Bohemund von Antiochia seinen Vasallenstatus: Vertrag von Devol ? Wikipedia Auch Rainald von Chatillon akzeptierte die byzantinische Oberhoheit.


Jetzt umfasst dieser Vertrag allerdings nur einen zeitlich und regional sehr begrenzten Bereich.

Ob hiermit die Ausgangsfrage für den Themenstarter beantwortet ist, scheint fraglich. Zumal auch der besagte Basileus Alexios genügend außenpolitischen Stress hatte - von seinen Nachfolgern ganz abgesehen.

Daher stellt sich tatsächlich die Frage, wie ausgeprägt das Lehswesen in den diversen Kreuzfahrerstaaten zu den unterschiedlichen Epochen gewesen ist.

Götz zum Gruß
 
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