Krüger-Depesche und Transvaal-Krise 1895/96

Es führt hier vom Thema weg, aber da es schon angesprochen wurde:

Dieser Befund ist ja durch die Entwicklung im Ersten Weltkrieg eindrucksvoll bestätigt worden. (Ironie)

Zum "Versagen" der Blockade bis zum Kriegseintritt der USA 1917 resümierend Osborne, der die wirtschaftshistorischen Daten analysiert und den Forschungsstand dargelegt hat:

"The success of the blockade should not suggest, however, that it was a decisive factor from the moment of its inception. Internal conflict between the civilian and military branches of government in Great Britain, the chief blockading power, over the best means to pursue dogged the institution up to 1917. The assertion that the blockade could have been more effective earlier is true, although it is not certain that had it become more stringent in the early years it would have ended the war then. So long as the United States remained neutral, the blockade never had a chance of being a truly effective weapon with which to fight Germany. "
Britain’s economic blockade of Germany. 1914–1919 / Eric W. Osborne

Wenn man sich mit der Kriegswirtschaft des Deutschen Reiches 1914/18 etwas tiefergehend beschäftigt (Detailanalysen gibt es auch für den Nahrungsmittelsektor etc.), dann wird folgende Reihenfolge in der Gewichtung der Faktoren deutlich:

1. Kriegsbedingte Ressourcenverteilung (zB Arbeitskräftemangel, Transportmittel, Energie usw.)
2. kriegsbedingte Ausfall ehemaliger Importstaaten, die nun als Gegner auftraten (siehe Thanepower beispielsweise zu Russland etc.)
3. kriegsbedingte Ressourcen-Dispositionen im Deutschen Reich, wie zB bzgl. der hier im Forum schon erläuterten Düngemittelproduktion im Zielkonflikt zur Munitionserzeugung, Verschleiß versus Ersatzinvestitionen und Instandhaltung, Organisationschaos, usw.
4. Blockade

Den Anteil von Nr. 4 würde ich (auch nach Kriegseintritt der USA, siehe Nr. 2) als Arbeitshypothese vernachlässigbar, unter 10% der Gesamtwirkungen und damit als marginal im Vergleich zu den anderen Punkten ansetzen. Dennoch (!) muß man konstatieren - und das widerspricht keinesfalls der obigen Gesamtaussage - dass es auch immer die letzten 10% Wirkung sind, die zum abschließenden Kollaps führen. Die weit überwiegenden Ursachen dieses Kollapses nach 3 oder 4 Jahren "Kriegswirtschaft" sind allerdings die unter 1. bis 3. genannten kriegsbedingten, jahrelangen "Auszehrungen" gewesen, nicht die unter 4.

Ich lasse mich aber selbstverständlich anhand von geeignetem Datenmaterial auch vom Gegenteil überzeugen. Dazu müssten die ökonometrisch leicht fassbaren, gravierenden Auswirkungen von 1. bis 3. erst einmal relativiert werden.
 
Das wäre wirklich sehr interessant. Ich habe Clark nur oberflächlich als englische E-book Ausgabe überflogen, aber angesichts der enormen Wirkungsmächtigkeit, die er inzwischen hierzulande offenbar entfaltet, erschiene mir dies als fruchtbares Unternehmen.

In unserer Lokalzeitung erschien im Rahmen ihrer Serie '100 Jahre Erster Weltkrieg' eine Besprechung, in der ein begeisterter Autor feststellen zu glauben meinte, Clark habe 'endlich' die 'Legende' der deutschen 'Alleinschuld' am Erstern Weltkrieg 'widerlegt', die seit Fritz Fischer 'Konsens' unter deutschen Historikern gewesen sei. Fischers Buch sei dem Zeitgeist der 60er Jahre entsprungen, der nun endlich gebrochen sei.

Leider scheint dieser Blödsinn den Tenor der populären Rezeption Clarks widerzugeben. Insofern fände ich ein solches Unternehmen sehr interessant.

Ich würde das auch gern angehen. Es muß in einem Forum wie diesem möglich sein, die Substanz von Clarks Publikation auch sachlich kontrovers (und unter strikter Vermeidung von jeglicher "Empörung", sei es zur Befürwortung oder zur Ablehnung/Kritik) zu diskutieren.

Mehrfach ist angesprochen worden, dass das Werk inzwischen "polarisiert", und es wäre interessant, über den Inhalt den Gründen dafür nachzugehen.
 
Clark berichtet beispielsweise, das der serbische Ministerpräsident Pasic von dem Attentat im Vorfeld Kenntnis hatte und eine nebulöse Warnung nach Wien schickte, die dort missverstanden wurde. Aktiv unternahm Pasic nichts gegen das geplante Attentat.

Clark beleuchtet die französische Außenpolitik und insbesondere den französischen Präsidenten Poincare in der Julikrise. Poincare vertrat die Ansicht, dass nur eine „feste Politik der Stärke“ die Deutschen zur Räson bringen würde und signalisierte den Russen unbedingte Bündnistreue. Das war auch eine Art von Blankoscheck.

Sir Edward Grey kommt bei Clark auch nicht besonders gut weg. Er informiert den Leser über Greys Prioritäten, nämlich den Erhalt des Empires, der praktisch über alles stand, und hierzu wurden in der Vergangenheit entsprechende Abmachungen mit Frankreich und Russland getroffen. Dass das natürlich Folgen haben könnte, war klar und wurde in Kauf genommen. Und es bleibt auch nicht die Rolle der starken antideutschen Fraktion im Foreign Office unerwähnt.

Bei den Russen werden insbesondere die frühzeitige Mobilmachung und der damit verbundene Wille zum Krieg heftig kritisiert.

Den Deutschen bescheinigt er eben nicht in der Julikrise Komödie gespielt zu haben und so zu tun als ob nicht sei und die Reichsleitung in den Urlaub fährt.

Im Prinzip werden durch Clark damit „liebgewordene Positionen“ doch infrage gestellt.

Im Zuge der Marokkokrisen beispielsweise wird endlich einmal, Clark sei Dank, darauf hingewiesen, das es die Franzosen in beiden Fällen gewesen waren, die bestehende Verträge gebrochen und damit die Krise erst ausgelöst haben. Das wird häufig entweder gar nicht oder nur als Fußnote erwähnt. Dafür wird aber üblicherweise das deutsche aggressive Vorgehen sehr heftig kritisiert, aber Kritik an den anderen Mächten bleibt bis heute, ja sogar in unseren Schulbüchern, einfach ausgespart. Und in diesen beiden Krisen haben auch Frankreich und Großbritannien „einiges auf dem Kerbholz“.

Die Polarisierung dürfte daher kommen, das die eine Fraktion die bisherige Wahrnehmung der kaiserlichen Außenpolitik für nicht anfechtbar hält und die andere sieht dank eines im Flusse befindlichen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes eine vorsichtige Korrektur des vorhandenen und überlieferten Geschichtsbildes.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, Clarks Monographie ist durchaus wunderbar und reiht sich ein in eine ganze Phalanx neuerer britischer Literatur, am Populärsten und über die Fachgrenzen hinaus sicher weiterhin Fergusons Werk vor etwa 10 Jahren. Der eigentliche Clou an der Sache: Es ist in einigen Teilen durchweg kalter Kaffee und bezieht sich in manchen Bereichen auf die gleichen glaubhaften Quellen wie deutsche Historiker, die nicht vielmehr den aktuellen Zeitgeist poträtieren sondern im wahrsten Sinn Geschichte schreib(t)en. Nur kommen die "differenzierten" Betrachtungsweisen diesmal von den renommiertesten Historikern der Welt und aus dem britischen (oder semi-australischen ;) ) Lager. Wenn eine kleine Schar dt. Historiker in den letzten 2-3 Dekaden Ähnliches postulierte, brauchte man sich nicht groß damit auseinandersetzen. Ein paar Rezensionen, die im Regelfall primär die politische Haltung angriffen und ein weitgehendes Verschweigen dieser Werke selbst in der Bibliografie zu neuesten Werken. Es mögen viele der bundesdeutschen "Koryphäen" der Geschichtsschreibung des 1. Weltkriegs mal hoffentlich aus ihren Elfenbeintürmen heraus kommen und "updaten", ihr morsches, vergilbtes Forschungsbild. Oder gehen als endgültig obsolet unter. An Ersteres glaubt man nicht wirklich. So wenig wie man von einem Hindenburg bei der Vita erwarten durfte, dass er in seinen letzten Lebensjahren lupenreiner Demokrat wurde, so wenig darf man von Teilen einer völlig politisierten schreibenden Kaste erwarten, dass sie ihre über Jahrzehnte lieb gewonnenen Feindbilder aufgrund neuer Erkenntnisse fallen lassen. Was will man von einer gewisen Schicht der etablierten Historikerzunft erwarten, wo bis vor wenigen Jahren (!) noch Stand der Forschung war, Stalin habe sich nur Ostpolen in rein defensiver Absicht einverleibt, um sich vor den Nazis zu schützen? Aber es gibt im Zuge neuer Entwicklungen auch einiges was leider unweigerlich verloren geht. Ich hatte wirklich geglaubt, von 1900 bis 1914 wurde nur in Berlin Außenpolitik und Weltpolitik betrieben und alle Mächte der Zeit haben sich um Anderes gekümmert, die Ausnahme war nur, wenn sie wieder auf Berlins Frevel reagieren mussten. Das Weltpolitikzentrum Berlin sagt also leider langsam Servus. :weinen:
 
[FONT=&quot]@staatsräson[/FONT]
[FONT=&quot] [/FONT]
[FONT=&quot]Ich möchte eines verdeutlichen. Ich bin kein Revisionist und auch ganz gewiss kein Anhänger der rechten Szene. Mit der habe ich nichts am Hut!
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[FONT=&quot][/FONT]
[FONT=&quot]Und von Hindenburg konnte man beispielsweise erwarten, das er nicht lügt und betrügt. Stichworte seien hier die Dolchstosslegende oder seine freche Lüge gegenübe einen Journalisten zu behaupten, er hätte für seine Kandidatur als Reichspräsident nicht die Zustimmung aus Doorn eingeholt.
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Tja, gelogen, um anderen die Schuld zu geben haben damals wohl alle maßgeblichen Kreise, um eigene Versäumnisse im besseren Lichte da stehen zu lassen, nicht zuletzt die Sozialdemokratie. Dass sich bei all der innerdeutschen Selbstzerfleischung die Dolchstoßlegende am Nachhaltigsten hielt, ist Zurecht beklagt worden. Zum ersten Satz...wer behauptet sowas? Naja, jeder hat seinen eigenen Ansatz, ich verteidige mich in der Beziehung nie, denn wer sich verteidigt, setzt sich schon ins Unrecht. ;)
 
Keine Verteidigung. Klarstellung!!

Dann nenne doch einmal die Versäumnisse der SPD als Oppositionspartei im Reichstag, ohne Mehrheit, hinsichtlich der Ursachen des Ersten Weltkrieges? War sie etwa in der Lage den Krieg zu verhindern?

Gelogen haben vor allem die konservativen Kreise.
 
Die Engländer waren ja nun nicht die ersten Europäer, die sich im Süden Afrikas niederließen. Die Niederländische Ostindiengesellschaft war zuerst dort und hatte eine erste Siedlung gegründet. Die Menschen dort nannten sich Buren.

Während der Kriege gegen Napoelon nahmen die Briten kurzerhand die Kapkolonie einfach in ihren Besitz. Nichtsdestotrotz stellten die Buren die Bevölkerungsmehrheit. 1834 wurde im Unterhaus durchgesetzt, das die Sklaverei abgeschafft wird. Da die Buren dies nicht akzeptierten, packten sie inhre Koffer und zogen nördlich in den Norden und gründeten dort die Republiken Transvaal und Oranje-Freistaat. Diese Republiken wurden von England 1854 anerkannt. Der Premier Disraeli machte die Anerkennung 25 später wieder rückgängig und annektierte den Transvaal. Die Buren fanden das gar nicht witzig und probten den Aufstand. Der nächste Premier Gladstone handelte einen Kompromiss aus. Die Burenrepubliken blieben von London abhängiger unabhängiger Staat mit dem Recht auf Selbstverwaltung. Mit ausländischen Mächten durften Verträge nur mit Erlaubnis Londons geschlossen werden. Die Planung des Angriffs Jamesons ist London nicht verborgen geblieben. Jedenfalls war die Aktion von Jameson und letzten Endes Rhodes eklatanter Rechtsbruch. Jameson kam außerordentlich billig davon; nur 4 Monate Gefängnis und später wurde er zur Verhöhnung der Buren auch noch Premier der Kapkolonie. Rhodes kam vollkommen ungeschoren davon; Wilhelm II. sein dämliches Telegramm hatte ihn wohl vor irgendwelchen Konsequenzen bewahrt.

Das Telegramm war eine diplomatische Ungeschicklichkeit erster Klasse, aber die Aufregung, die dadurch entstand ist m.E. nach nicht gerechtfertigt. Aber, die Engländer fühlten sich verletzt und nahmen diese Depesche verdammt übel.
 
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