Arcimboldo
Aktives Mitglied
Zu den Olympischen Spielen 2004 sollten die Elgin Marbles nach Athen zurückkehren, aber das
Britische Museum spielt nicht mit. Damit ist die Debatte über Beutekunst jedoch nicht beendet.
Die Formel "Zurück an den Ursprungsort" ist freilich zu pauschal, um die Besitzansprüche auf
archäologische Funde zu regeln.
Im Dezember 1674 reiste der Marquis de Nointel, Frankreichs Botschafter bei der Hohen
Pforte, in die osmanische Provinzstadt Athen. Auf der Akropolis bestaunte er den
Parthenon−Fries mit den Figuren des Phidias. Für die kenne er nur einen richtigen Ort, schrieb
er an König Louis XIV., "die Amtsgemächer Eurer Majestät. Dort würden sie den Schutz des
großen Monarchen genießen, der die Künste und Wissenschaften ehrt, und so vor den
Zerstörungen der Zeit und vor der Barbarei der Türken gerettet ..."
Für die Rettungstat des Marquis fand sich keine Gelegenheit. Die bot sich 130 Jahre später dem
englischen Diplomaten Lord Elgin, der in Istanbul bessere Karten hatte, weil seine Regierung
damals das Osmanische Reich gegen das napoleonische Frankreich unterstützte. Diese
politische Konstellation verschaffte dem Lord die Erlaubnis des Sultans, 71 Tafeln des
Parthenon−Frieses nach England zu verschiffen. Die seitdem so genannten Elgin Marbles
wurden 1816 vom Britischen Museum gekauft − und damit zur Cause célèbre der
Beutekunst−Debatte.
Wäre die Geschichte anders verlaufen, müssten sich die Griechen heute mit Jacques Chirac und
nicht mit Tony Blair anlegen. Der will die Forderung, den Torso des Phidias−Werkes nachMit der Forderung, bedeutsame und Identität stiftende Kunstwerke an ihren historischen Ort
zurückzubringen, kehrt die Beutekunst−Debatte in ihr Zentrum zurück. Ihr Kern lässt sich am
Fall der Elgin Marbles freilegen. Der allerdings auch zeigt, dass die Devise "alles an seine
Ursprünge zurück" eine allzu platte Formel ist. Die Dinge liegen komplizierter. Wenn man sich
in London entschlossen hätte, die Elgin Marbles zurückzuschicken, hätte es dafür in Athen
keine Adresse gegeben. Das Akropolis−Museum, das die Griechen bis 2004 fertig haben
wollten, blieb in der Planung stecken. Das scheint dem Britischen Museum Recht zu geben, das
stets argumentierte: Bei uns ist das alles kompetenter und zugänglicher, also "demokratischer"
untergebracht als in Athen.
Da ist es wieder, das schöne Bild der "zivilisierten Nationen", die für die rückständigen Völker
− die barbarischen Türken von damals wie die unfähigen Griechen von heute − den kultivierten
Vormund spielen. Noch immer meinen die Präzeptoren in London, Paris oder Berlin am besten
zu wissen, wann die Entführung "verwaister" Kunstwerke eine Rettungstat und wann sie ein
Gangsterstück ist.
Als Lord Elgin die Marmortafeln aus dem Parthenon heraussägte, wollte er das Werk des
Phidias vor der Vernichtung retten: Die osmanische Obrigkeit habe die Akropolis nicht
geschützt, der Parthenon wäre alsbald komplett geplündert worden. Das war gar nicht falsch,
tatsächlich wurden damals unzählige Kunstwerke zerstört. Die Bevölkerung, ob Christen oder
Muslime, nutzten die alten Steine für ihre eigenen Zwecke. Und überall im Lande wanderten
antike Artefakte in die Kalkbrennöfen. Zudem war das osmanische Griechenland für Reisende
ein "ungezäunter Weingarten", wie die Griechen sagen: Jeder konnte sich im Vorbeigehen die
süßesten Trauben pflücken.
Die Herrschaft der barbarischen Türken über das Land, das als "Wiege der Kultur" galt, war für
die europäischen Kulturnationen eine bequeme Sache: Sie bot ihnen die Gelegenheit wie die
Rechtfertigung für das Plündern der antiken Ruinen. Hinzu kam die kulturpolitische
Konkurrenz zwischen den alten und den aufsteigenden Imperien. Ohne den Wettlauf um den
Titel des abendländischen Kulturchampions wären die Antikensammlungen in Paris, London,
Berlin und Wien nicht die stolzen Tempel, die sie heute sind.
Dabei machten auch überzeugte Philhellenen mit. Kurz vor Beginn des griechischen Aufstands
gegen die Osmanen hielt Leo von Klenze, Hofbaumeister in München, einen Vortrag "Über das
Hinwegführen von Antiken aus Griechenland". Sein Vorschlag: eine "Entdeckungsfahrt
teutscher Forscher" nach "dem geheiligten Boden Olympias", auf dass "die Kunstgebilde des
Phidias und Myron willig aus ihrem feuchten Grab erstehen und zu uns herüberwandern ..." Um
den Steinen Beine zu machen, regte von Klenze eine Lotterie an, die das Unternehmen
finanzieren sollte.
ganzer Artikel :http://www.eurozine.com/pdf/2004-08-25-kadritzke-de.pdf
Britische Museum spielt nicht mit. Damit ist die Debatte über Beutekunst jedoch nicht beendet.
Die Formel "Zurück an den Ursprungsort" ist freilich zu pauschal, um die Besitzansprüche auf
archäologische Funde zu regeln.
Im Dezember 1674 reiste der Marquis de Nointel, Frankreichs Botschafter bei der Hohen
Pforte, in die osmanische Provinzstadt Athen. Auf der Akropolis bestaunte er den
Parthenon−Fries mit den Figuren des Phidias. Für die kenne er nur einen richtigen Ort, schrieb
er an König Louis XIV., "die Amtsgemächer Eurer Majestät. Dort würden sie den Schutz des
großen Monarchen genießen, der die Künste und Wissenschaften ehrt, und so vor den
Zerstörungen der Zeit und vor der Barbarei der Türken gerettet ..."
Für die Rettungstat des Marquis fand sich keine Gelegenheit. Die bot sich 130 Jahre später dem
englischen Diplomaten Lord Elgin, der in Istanbul bessere Karten hatte, weil seine Regierung
damals das Osmanische Reich gegen das napoleonische Frankreich unterstützte. Diese
politische Konstellation verschaffte dem Lord die Erlaubnis des Sultans, 71 Tafeln des
Parthenon−Frieses nach England zu verschiffen. Die seitdem so genannten Elgin Marbles
wurden 1816 vom Britischen Museum gekauft − und damit zur Cause célèbre der
Beutekunst−Debatte.
Wäre die Geschichte anders verlaufen, müssten sich die Griechen heute mit Jacques Chirac und
nicht mit Tony Blair anlegen. Der will die Forderung, den Torso des Phidias−Werkes nachMit der Forderung, bedeutsame und Identität stiftende Kunstwerke an ihren historischen Ort
zurückzubringen, kehrt die Beutekunst−Debatte in ihr Zentrum zurück. Ihr Kern lässt sich am
Fall der Elgin Marbles freilegen. Der allerdings auch zeigt, dass die Devise "alles an seine
Ursprünge zurück" eine allzu platte Formel ist. Die Dinge liegen komplizierter. Wenn man sich
in London entschlossen hätte, die Elgin Marbles zurückzuschicken, hätte es dafür in Athen
keine Adresse gegeben. Das Akropolis−Museum, das die Griechen bis 2004 fertig haben
wollten, blieb in der Planung stecken. Das scheint dem Britischen Museum Recht zu geben, das
stets argumentierte: Bei uns ist das alles kompetenter und zugänglicher, also "demokratischer"
untergebracht als in Athen.
Da ist es wieder, das schöne Bild der "zivilisierten Nationen", die für die rückständigen Völker
− die barbarischen Türken von damals wie die unfähigen Griechen von heute − den kultivierten
Vormund spielen. Noch immer meinen die Präzeptoren in London, Paris oder Berlin am besten
zu wissen, wann die Entführung "verwaister" Kunstwerke eine Rettungstat und wann sie ein
Gangsterstück ist.
Als Lord Elgin die Marmortafeln aus dem Parthenon heraussägte, wollte er das Werk des
Phidias vor der Vernichtung retten: Die osmanische Obrigkeit habe die Akropolis nicht
geschützt, der Parthenon wäre alsbald komplett geplündert worden. Das war gar nicht falsch,
tatsächlich wurden damals unzählige Kunstwerke zerstört. Die Bevölkerung, ob Christen oder
Muslime, nutzten die alten Steine für ihre eigenen Zwecke. Und überall im Lande wanderten
antike Artefakte in die Kalkbrennöfen. Zudem war das osmanische Griechenland für Reisende
ein "ungezäunter Weingarten", wie die Griechen sagen: Jeder konnte sich im Vorbeigehen die
süßesten Trauben pflücken.
Die Herrschaft der barbarischen Türken über das Land, das als "Wiege der Kultur" galt, war für
die europäischen Kulturnationen eine bequeme Sache: Sie bot ihnen die Gelegenheit wie die
Rechtfertigung für das Plündern der antiken Ruinen. Hinzu kam die kulturpolitische
Konkurrenz zwischen den alten und den aufsteigenden Imperien. Ohne den Wettlauf um den
Titel des abendländischen Kulturchampions wären die Antikensammlungen in Paris, London,
Berlin und Wien nicht die stolzen Tempel, die sie heute sind.
Dabei machten auch überzeugte Philhellenen mit. Kurz vor Beginn des griechischen Aufstands
gegen die Osmanen hielt Leo von Klenze, Hofbaumeister in München, einen Vortrag "Über das
Hinwegführen von Antiken aus Griechenland". Sein Vorschlag: eine "Entdeckungsfahrt
teutscher Forscher" nach "dem geheiligten Boden Olympias", auf dass "die Kunstgebilde des
Phidias und Myron willig aus ihrem feuchten Grab erstehen und zu uns herüberwandern ..." Um
den Steinen Beine zu machen, regte von Klenze eine Lotterie an, die das Unternehmen
finanzieren sollte.
ganzer Artikel :http://www.eurozine.com/pdf/2004-08-25-kadritzke-de.pdf