Latinisten vor: ad ultimos Bructerorum (Tac. ann. I, 60)

El Quijote

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Wir lesen bei Tacitus, dass Germanicus und Caecina sich vom Rhein auf verschiendenen Wegen kommend, an einem verabredeten Platz an der Ems trafen. Dann wird erwähnt, daass Stertinius die Brukterer in die Flucht schlägt und schließlich Germanicus* das ganze Heer bis zu den ultimos Bructerorum führt:
Ductum inde agmen ad ultimos Bructerorum, quantumque Amisiam et Lupiam manes inter vastatum...
Wir sind daran gewöhnt, diese Stelle geographisch zu vestehen. Sontheimer übersetzt sie sogar mit:
Dann führte er sein Heer weiter bis zu der äußersten Grenze der Bructerer, und das ganze Gebiet zwischen den Flüssen Ems und Lippe [...] wurde verwüstet.
Aber müssen wir die Stelle wirklich so verstehen? Im Deutschen haben wir einen Ausdruck:
Sie wurden bis zum letzten Mann niedergmacht.
oder
Sie wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht.
Man versteht darunter schlichtweg: Alle! Kann man Tacitus nicht auch so lesen? Er führte das Heer bis zu den letzten Brukterern? Quasi: Jedes Gehöft der Brukterer, auch noch das letzte, vielleicht der kleinste "Schuppen" war von dem Gewaltexzess der Römer gegen die Brukterer betroffen? Dass Tacitus hier gar nicht die geographische Brille aufgesetzt hat, so wie wir?

Was meinen die Latinisten dazu?



*Germanicus wird freilich erst im nächsten Satz/Kapitel wieder erwähnt. Aber da Stertinius kaum mit seiner Heeresabteilung das ganze Land zwischen Ems und Lippe verwüstet hat, während Germanicus und Caecina ihre Füße zur Fischpediküre in die Ems gehangen haben, darf man hier wohl Germanicus ansetzen.
 
Im Deutschen haben wir einen Ausdruck:
Sie wurden bis zum letzten Mann niedergmacht.
oder
Sie wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht.
Der lateinische Ausdruck wäre "ad unum omnes".
Beispiele:
"orbem pugnantes ad unum omnes occidit" = "tötete(n) die in einem Kreis Kämpfenden alle bis auf den letzten Mann."

https://books.google.de/books?id=4wvoBQAAQBAJ&pg=PA250&lpg=PA250&dq=%22ad+unum+omnes+occidit%22+livius&source=bl&ots=YQJAJfELYi&sig=xPgCbS55BZg_XLY3tBqggIlgK_U&hl=de&sa=X&ei=kKEGVdu8HMXWOtzsgOAE&ved=0CDMQ6AEwAw#v=onepage&q=%22ad%20unum%20omnes%20occidit%22%20livius&f=false

"Romanus Consul in Algido consecutus ad unum omnes occidit" = "... holte der römische Konsul sie am Algidus ein und erschlug sie alle bis auf den letzten Mann."
https://books.google.de/books?id=1E...page&q="ad unum omnes occidit" livius&f=false

Ultimus
hat eine räumliche oder zeitliche Bedeutung. "Ultimi Bructerorum" könnte man eventuell zeitlich im Sinne der "letzten Mohikaner Brukterer" verstehen, aber das kann Tacitus nicht gemeint haben. Die Brukterer mischten ja später beim Bataveraufstand wieder fröhlich mit.
 
Erst mal danke! U.a. auf deine Antwort hatte ich gehofft. Ich wollte jedoch nicht so verstanden werden, dass ich meinte, die Brukterer wären vernichtet worden.
 
Also: Erst vertreibt L. Stertinius die Brukterer aus ihren Siedlungskammern. (Die werden hauptsächlich zwischen Ems und Lippe gelegen haben).
Die Brukterer ziehen sich in die dünn besiedelten Gegenden zurück, möglichst weit entfernt von den anmarschierenden Römern.
Das römische Heer setzt ihnen nach, bis zu den "hintersten der Brukterer".
 

Ultimus
hat eine räumliche oder zeitliche Bedeutung. "Ultimi Bructerorum" könnte man eventuell zeitlich im Sinne der "letzten Mohikaner Brukterer" verstehen, aber das kann Tacitus nicht gemeint haben. Die Brukterer mischten ja später beim Bataveraufstand wieder fröhlich mit.

Das hätte er dann aber sogar zweimal geschrieben. Vorzeitig ausgelöscht hat Tacitus die Brukterer ja auch noch in (Tac, Germania 33)

Gruß
jchatt
 
Wir lesen bei Tacitus, dass Germanicus und Caecina sich vom Rhein auf verschiendenen Wegen kommend, an einem verabredeten Platz an der Ems trafen. Dann wird erwähnt, daass Stertinius die Brukterer in die Flucht schlägt und schließlich Germanicus* das ganze Heer bis zu den ultimos Bructerorum führt:
Ductum inde agmen ad ultimos Bructerorum, quantumque Amisiam et Lupiam manes inter vastatum...
Wir sind daran gewöhnt, diese Stelle geographisch zu vestehen. Sontheimer übersetzt sie sogar mit:
Dann führte er sein Heer weiter bis zu der äußersten Grenze der Bructerer, und das ganze Gebiet zwischen den Flüssen Ems und Lippe [...] wurde verwüstet.
Aber müssen wir die Stelle wirklich so verstehen? Im Deutschen haben wir einen Ausdruck:
Sie wurden bis zum letzten Mann niedergmacht.
oder
Sie wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht.
Man versteht darunter schlichtweg: Alle! Kann man Tacitus nicht auch so lesen? Er führte das Heer bis zu den letzten Brukterern? Quasi: Jedes Gehöft der Brukterer, auch noch das letzte, vielleicht der kleinste "Schuppen" war von dem Gewaltexzess der Römer gegen die Brukterer betroffen? Dass Tacitus hier gar nicht die geographische Brille aufgesetzt hat, so wie wir?

Was meinen die Latinisten dazu?



*Germanicus wird freilich erst im nächsten Satz/Kapitel wieder erwähnt. Aber da Stertinius kaum mit seiner Heeresabteilung das ganze Land zwischen Ems und Lippe verwüstet hat, während Germanicus und Caecina ihre Füße zur Fischpediküre in die Ems gehangen haben, darf man hier wohl Germanicus ansetzen.

Ich bin zwar nicht mehr ganz so firm im Lateinischen, aber ist nicht das Hauptproblem, dass "Bructerorum" im Genitiv steht? Und das dieses, wie Sepiola schreibt, dann dazu führt, dass "ad ultimos" eben einen zeitlichen oder räumlichen Bezug hat, keinesfalls aber die Brukterer selbst das Objekt darstellen können, sondern dieses nur beschreiben?
 
dann marschierte "ad ultimos" vonne Brukterer wie man im schlechten deutsch sagt.

Und das sind eben nicht die entfernten Stellen, sondern die letzten.

Also wie El quijote schreibt, die letzten (Ecken) der Brukterer. Von Umbringen etc ist aber nicht die Rede.
 
Ich bin zwar nicht mehr ganz so firm im Lateinischen, aber ist nicht das Hauptproblem, dass "Bructerorum" im Genitiv steht? Und das dieses, wie Sepiola schreibt, dann dazu führt, dass "ad ultimos" eben einen zeitlichen oder räumlichen Bezug hat, keinesfalls aber die Brukterer selbst das Objekt darstellen können, sondern dieses nur beschreiben?

Ich hatte meine Idee schon mit Sepiolas Einwand gekippt, dieser Einwurf kommt erschwerend hinzu. Das hätte mir eigentlich auffallen sollen. :rotwerd:
 
Salve,
da sah ich gestern auf MDR eine Doku über Hexen, als auf einem mittelalterlich wirkenden Dokument der Name "Mons Bructerus" auffiel, der Brocken! Auch im Lateinwörterbuch ist er neben Melibocus als Mons Bructerus genannt. Wie kann das sein? Wohnten hier gar die äußersten Brukterer?
Ich frage daher in die Runde:
Weiß jemand genaueres oder kann jemand zweifelsfrei widerlegen, dass der gute Berg etwas mit unseren Brukterern zu tun hat?:grübel:
 
Aus dem Brockenbuch 1789:

Die Luft, die deine Höh' umfliesset
Verwebt den Harm,
Den Erdennoth wohl in uns giesset:
Das Herz von stiller Freude warm,
Schwelgt in dem Allnaturgenuss,
0 Brukterus.

0 lägst du nicht in duft'ger Bläue
Uns so entrückt;
So suchte ich mit Freundes Treue
Dich heim,
so oft dein Lenz dich schmückt;
Doch fern seufz' ich nun voll Verdruss:
Ach Brukterus.

Am Ende meiner Lebenspfade
Legt mein Gebein,
Wie Josephs Leib in eine Lade,
Und scharrt mich an dem Brocken ein,
Ich schlummre dann,
trotz Sturm und Guss,
Am Brukterus.

0. F. W e h r h a n , Kollaborator, aus Magdeburg.
 
Salve,
da sah ich gestern auf MDR eine Doku über Hexen, als auf einem mittelalterlich wirkenden Dokument der Name "Mons Bructerus" auffiel, der Brocken! Auch im Lateinwörterbuch ist er neben Melibocus als Mons Bructerus genannt. Wie kann das sein? Wohnten hier gar die äußersten Brukterer?
Ich frage daher in die Runde:
Weiß jemand genaueres oder kann jemand zweifelsfrei widerlegen, dass der gute Berg etwas mit unseren Brukterern zu tun hat?:grübel:
Mit etwas Mühe lässt sich folgende ältere Quelle zum Namen des Brockens lesen.
https://books.google.de/books?id=WG...ved=0ahUKEwjW9_D9wbLOAhUHWxQKHVKlDLcQ6AEIMTAC
 
Auch, wenn der Name sicher auf Fehlannahmen beruht, kann es durchaus sein, dass es Brukterer in jene Gegend verschlagen hat. Allerdings erst am Ende der Völkerwanderungszeit. Sigibert I. soll Franken und Schwaben im sächsischen Nordteil Thüringens angesiedelt haben. Dazu können gut auch Brukterer gehört haben, die damals im Brukterergau zwischen Lippe und Ruhr zu finden waren.

Ich muss allerdings noch nach der Quelle suchen. Aber es ist ja sowieso Zufall. Ich poste das nur der Vollständigkeit halber.
 
Die in der Dokumentation gezeigte Darstellung stammt aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Brocken_L._S._Bestehorn.jpg

Tacitus war seit dem 15./16. Jhdt. bekannt und als beinahe einzige greifbare Quelle über die frühen "Deutschen" recht beliebt, daher war seit dem 16. Jhdt. auch jedem nur mäßig Gebildeten der Stamm der Brukterer ein Begriff und somit sind auch Pseudoetymologien wie Brocken = Brukterer-Berg nicht weiter verwunderlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mit etwas Mühe lässt sich folgende ältere Quelle zum Namen des Brockens lesen.
https://books.google.de/books?id=WG...ved=0ahUKEwjW9_D9wbLOAhUHWxQKHVKlDLcQ6AEIMTAC

Auch Ulrich Nonn, Die Franken , Stuttgart 2010, S.33 sieht sich befleissigt, die Claudian-Stelle "venit accola silvae Bructerus Hercyniae" ( Es kommt der Brukterer, der Einwohner des Hercynischen Waldes.) zu erklären. Bei ihm liegt es daran, dass der Hercynische Wald mehrfach in Zusammenhang mit den Franken erwähnt wird.

Nun ist die Stelle schon so nicht belastbar. Cherusker und Sugambrer gab es damals nicht mehr und so ist auch der Bezug zum hercynischen Wald schon aus diesem Grunde literarisch. Ganz abgesehen davon, dass damit die gesamte Deutsche Mittelgebirgsregion gemeint sein konnte.

Wie El Quijote schon schrieb, liegt eine Volksetymologie nahe. Und hier ist ein Bezug zum hercynischen Wald, der zwar kaum etwas mit dem Harz zu tun hat, aber ebensosehr zu einer falschen Etymologie verleitet.
 
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