Natürlich kannst Du Dich darüber lustig machen
@BerndHH ich bin mir sehr sicher, dass du gerade was in den falschen Hals gekriegt hast - sei sicher, meine letzten beiden Beiträge machen sich nicht über dich lustig.
Dass der Sonderband ärgerlich kostspielig ist, weiß ich: ich habe ihn auch nicht, hatte ihn aber mal interessehalber aus der UB entliehen und ein paarmal im Lesesaal drin nachgelesen. Ich verrate dir auch den Grund: nachdem ich in Bayreuth den kompletten Ring in der Rosalie-Inszenierung mit Polaski*) als stählerner Brünnhilde und einem klanglich sehr aufbrausenden Levine am Pult gehört/gesehen hatte, begann ich mich zunächst für die "literarischen" Hintergründe des Ringlibrettos zu interessieren (die musikalischen waren mir bekannt) und das weitete sich dann aus zu (m)einem Hobbyinteresse an allerlei im Kontext der Spätantike, der Völkerwanderungszeit, des Frühmittelalters. Und zu diesem Themenkomplex gehört auch "germanische Religionsgeschichte" - was es mit den paar überlieferten Götternamen, Sprachtrümmern, Artefakten etc auf sich hat, das wollte ich, so weit möglich, wissen. Das ist nun über 20 Jahre her, und in dieser Zeit habe ich sehr vieles, auch heterogenes, zu diesem Themenkomplex gelesen - mit der Zeit wird man, wenn man das so macht, hellhörig bei möglichen Anklängen an völkisch-rechtslastiges Neuheidentum (was ich dir
nicht unterstelle!) und bei salopp-oberflächlichen Verallgemeinerungen.
Und selbstredend habe ich dabei das Manko, weder Historiker noch Religionswissenschaftler zu sein. Da sitzen wir im selben Boot. Da wir aber im selben Gewässer umherschippern, können wir dieselben Häfen ansteuern: es gibt Häfen, in denen sich das findet, was uns interessiert, und es gibt Häfen, die das nicht vorrätig haben. Mein Tipp war, den "Hafen" RGA Sonerband anzusteuern (Fernleihe, Lesesaal etc), um einen Überblick über das zu bekommen, was man über die Religion der "Germanen" von frühen Steinritzungen, Pfahlgötzen etc bis zu dem, was man aus christlichen (früh)mittelalterlichen Quellen und Edda/Sagas sicher erschließen kann, tatsächlich
sicher wissen kann. Damit man für weitergehende Überlegungen einen festen Boden hat.
Ganz knapp zusammengefasst: für die frühe Zeit (ganz grob von Caesar über Tacitus bis in die Markomannenkriege) haben wir aus lateinischen Quellen nur ein paar wenige Götternamen, einige davon sind (Interpretatio Romana) als römische Götter (Mars, Merkur etc) benannt - da wird dann die Rückübertragung (Merkur = Odin/Wodan (?), Mars = Tyr/Ziu) - heikel, weil zwischen den frühen lateinischen Quellen und den späteren kirchlichen und teils "germanischen" (z.B. Merseburger Zaubersprüche) Götternamen eine Überlieferungslücke von mehreren Jahrhunderten klafft. Es ist nämlich keinesfalls sicher, dass der bei Tacitus (Germania) genannte Merkur wirklich Odin/Wodan meint. Außerdem tauchen bei Tacitus Gottheiten auf, die sich rasch danach verlieren: z.B. die Göttin
https://de.wikipedia.org/wiki/Nerthus samt ihren absonderlichen Ertränkungsopfern, die mit dem späteren Njörd gleichzusetzen eher Spekulation ist. - - ich erwähne das, weil es die Frühzeit und damit die Cherusker, die dich interessieren, zumindest zeitlich betrifft.
Und zur Religion speziell der Cherusker gibt es nahezu nichts greifbares, umso weniger können wir ernsthaft darüber spekulieren, ob sie eher sehr oder kaum religiös waren. Hier haben wir nur die Möglichkeit, mit Wahrscheinlichkeiten und Annahmen zu operieren: die erste wäre, davon auszugehen, dass die Germanenstämme/verbände, die von Caesar bis Tacitus samt einiger ihrer Eigenarten erwähnt werden, ungefähr dieselbe Religion hatten. In diesem Sinn müssten wir dann spekulieren, dass die Cherusker an die Gottheiten glaubten, die Tacitus für allerlei Semnonen und wie sie alle heißen erwähnt. Aber die bekannten, mit "germanisch" assoziierten Götter wie Odin, Thor, Freya, finden wir quellenmäßig
gesichert nicht im 1. und 2. Jh. (deswegen hatte ich dir den neuen Fund des bislang ältesten Odin-Nachweises verlinkt, den man natürlich nicht im schon etwas bejahrten RGA Sonderband finden kann - und der datiert aus der Völkerwanderungszeit, also einige Jahrhunderte nach den Cheruskern)
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*) ich gestehe sogar, mag das auch als skurril oder peinlich angesehen werden, dass mich anfangs speziell diese Gestalt - die "Walküre" und die gleichnamige Oper - interessiert hatte und der Anfang meines Interesses galt speziell diesen, übrigens vor Wagner von Heine sehr schön dargestellten "Halbgottheiten"