Lebensweise einer kinderreichen Familie um 1900

Der Poet

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Hallo und Guten Tag in die Runde,

Ich bin auf der Suche nach einem Thema, das es vielleicht schon gibt und hier auch behandelt wurde, möglicherweise inhaltlich leicht abgewandelt. In diesem Fall bitte ich um den entsprechenden Link, damit ich mich nicht totsuchen muss.

Meine Großmutter väterlicherseits (geb. 1913) war das Jüngste von 13 Geschwistern in einem 200-Seelen-Dorf am Rande des Harz. Der Vater war Chausseewärter, die Mutter dürfte eine einfache Hausfrau gewesen sein. Was mich interessiert: wie brachte man zu dieser Zeit als Chausseewärter eine so große Familie durch? Wie haben sie gelebt, und wovon haben sie noch gelebt? Und, auch nicht ganz unwichtig: die Eltern sind ungefähr um 1915 und 1918/19 gestorben, so dass meine Oma mit 2 1/2 Jahren Halbwaise und mit 4 1/2 Jahren Vollwaise war. Wie ging es mit meiner Oma wohl weiter, wie mit den anderen Kindern? Genealogisch habe ich acht der 13 Kinder gefunden, bis ins Geburtsjahr 1901. Da einige Lücken herrschten gehe ich davon aus, dass das Älteste so gegen 1890 bis 1893 geboren ist. Den Rest finde ich schon...

Vielen Dank im Voraus für eure Antworten!
 
Ich nehme an, dass deine Urgroßeltern, neben dem Gehalt deines Urgroßvaters, auch einen Gemüsegarten bewirtschaftet haben und wahrscheinlich eine Ziege im Stall hatten.

Was genau ist eine Chausseewärter? Ist das eher ein Beamter oder eher ein Straßenkehrer?

Wenn die ältesten Geschwister wirklich schon um die 20 waren, als deine Urgroßeltern verstarben, dann könnte deine Großmutter wie eine Schwester ihrer Neffen und Nichten aufgewachsen sein. Dazu müsstest du natürlich wissen, wo sie untergekommen ist bzw. wer das Elternhaus übernommen hat (wenn es nicht dem Land gehörte).
 
Also, sonderlich viel wissen wir über meine Oma nicht, weil sie nie (!) irgendetwas "von früher" erzählt hat. Unser Wissen ist nur, dass sie die Jüngste von 13 war und sehr früh Waise wurde. Dazu hatten wir nur noch Namen von vier der 15 Familienmitglieder. Ausgestattet mit dem Namen meiner Oma, ihrem Geburtsdatum und -Ort ist es mir immerhin gelungen, acht der 13 Kinder zu finden, geboren zwischen 1901 und 1913. Die Lücken zwischen den einzelnen Geburtsdaten könnten ein Indiz für Fehlgeburten oder Abgänge. Ich hoffe, dass mir die Kirchenbücher weiterhelfen können, die ich nächste Woche einsehen darf, um die übrigen fünf Kinder und die Geburts- und Sterbedaten meiner Urgroßeltern zu finden.

Selbst hat meine Oma elf Kinder auf die Welt gebracht, von denen acht überlebt haben, drei Kinder sind tot geboren - auch da fehlen mir die Daten.

Ob mein Uropa Beamter oder einfacher Chausseewärter war, der mit einem einachsigen Handkarren, Besen, Schaufel und Eimer die Schotterstraßen gerichtet und im Winter vom Schnee befreit hat, ist uns ebenfalls nicht bekannt. Um unsere Wissenslücke noch größer werden zu lassen: wir wissen nicht, ob das Elternhaus noch existiert und wo genau es gestanden hat. Möglicherweise war dort auch ein Gemüsegarten, um den eigenen Bedarf einigermaßen zu decken.

Dein Gedanke, dass meine Oma bei einer Schwester oder einem Bruder aufgewachsen ist, ist nicht schlecht. Dazu müsste ich allerdings in einer Linie weiterforschen, bei der mir rechtlich die Hände gebunden sind. Denn die Ämter und Behörden, die diese Daten führen, brauchen einen Nachweis, der mich zu dieser Suche berechtigt. Solange irgendwo mein Nachname auftaucht, ist es leicht. Für alles andere brauche ich eine Vollmacht - und da weiß ich nicht, wo ich weitersuchen soll. Interessieren würd's mich natürlich schon...
 
30 Jahre nach dem Tod, oder - falls Tod unbekannt - 100 Jahre nach ihrer Geburt darf normalerweise - so noch vorhanden - Akteneinsicht genommen werden (wobei das Archivrecht in jedem Bundesland nominell anders ist, de facto aber sind sich die Archivrechte ziemlich ähnlich). Bessere Beratung können dir da @Melchior und @Ashigaru geben, wobei Melchior sich vor zwei Jahren letztmalig hier hat blicken lassen.

Was mich wundert, ist, dass deine Oma nicht darüber erzählt hat, bei wem sie aufgewachsen ist. Auch ihren Kindern nicht? (Aber die müssten ja auch mittlerweile zwischen 80 und 100 sein.)
 
Danke für die Hinweise auf weitere Forenmitglieder, ich schau mal ob ich die direkt anschreibe.

Meine Oma hat tatsächlich nie jemandem mehr erzählt als das, was ihre Kinder wissen. Von meinen Onkels und Tanten leben nur noch drei Onkels und eine Tante, alle um die 80 rum. Zu einem Onkel hat niemand mehr Kontakt, ein anderer lebt in einem Pflegeheim, und die beiden übrigen sagen übereinstimmend, dass sie fast nichts aus der Kindheit ihrer Mutter wissen. Das deutet schon stark darauf hin, dass meine Oma ihre Kindheit vergessen will und die Erinnerung daran verdrängt hat. Das macht mich um so neugieriger, denn sie ist in meinem Genogramm schon eine wichtige Person...
 
Nun ich geb mal wieder was ich von meinem Opa und älteren Verwandten so mitgekriegt habe;
Was das tägliche Leben der Familien mit vielen Kindern betrifft (und das war damals eher die Regel als die Ausnahme) so gingen die Väter meist einem Beruf nach und waren außerdem, zumindest in den Gebieten in denen Realteilung herrschte , als Nebenerwerbslandwirte auf der ererbten Parzelle tätig,hinzu kamen Gartenbau , Kleinviehhaltung und oft genug ein Nebengewerbe
Bäuerliche Realteilung gab es in Mittel- und Südwestdeutschland sowie im Rheinland,
Bargeld war eher Mangelware, beim Händler liess man bis zum Zahltag anschreiben
Da zumindest auf dem Land im Dorf ja größere Sippen-und Clanverbände lebten war meist zwei mal im Jahr Schlachtfest, d,h, 2 aus dem Clan waren dran, das zwei Jahre gemästete Schwein zu schlachten und der gesamte Clan nebst der Nachbarschaft bekam was davon ab-das ging reihum
Außerdem gab es auf den Dörfern eine Art Tauschhandel von Waren und Dienstleistungen
Die Kinder wurden oft als landwirtschaftliche Hilfskräfte bei Großbauern eingesetzt oder gingen in der Erntezeit Kartoffeln stoppeln oder Ähren lesen Nach der Schulzeit wurden sie so früh als möglich in einem Beruf untergebracht und mussten das verdiente Geld als Kostgeld zum gemeinsamen Haushaltsbudget beisteuern- so ging es zumindest auf dem Land zu
In meiner Familie gingen die beiden Opas tagsüber in die nächste Stadt in die Fabrik,bewirtschafteten nebenbei jeweils 2 Äcker und der eine war im Nebenjob Sattler und Schuster,der andere Schmied und Kupferschmied, die Urgroßväter waren Maurermeister und Landwirt, die eine Urgroßmutter hatte eine Nähstube

Waisenkinder wurden oft ebenfalls als landwirtschaftliche Hilfskräfte zu Großbauern abgeschoben
wobei sie da in der Hierachie noch unter den Tagelöhnern ,Knechten und Mägden standen was sicher sehr hart war- kein Wunder dass Deine Oma da nicht gerne von erzählt
 
Hey, vielen Dank für die Antwort, das rundet mein Wissen über die damalige Zeit weiter ab.

Zwischenzeitlich hab ich Kirchenbücher zu lesen bekommen und folgendes herausbekommen: die Familie bestand aus 13 Personen, sprich es waren elf Kinder geboren. Wobei es das Schicksal alles andere als gut mit der Familie gemeint hat: fünf der elf Kinder starben im Kindesalter - Kind 1 mit acht Jahren, die folgenden drei mit vier Monaten (zweimal) und fast zwei Jahren (einmal), so dass bei der Geburt des fünften Kindes drei schon nicht mehr gelebt haben. Als meine Oma eineinhalb Jahre alt war, starb ihr fünftes Geschwisterkind im Alter von fast zehn Jahren. Als meine Uroma starb, war meine Oma sechs Jahre alt, und sie war neun, als ihr Vater starb. Nach dem Tod der Mutter mussten alle lebenden Kinder ins Heim. Ältere Geschwister, die die jüngeren hätten mitnehmen können, lebten nicht mehr. Und "ab ins Heim im Jahr 1919" ist mit "ab ins Heim 2019" in keinster Weise vergleichbar.

Der Gedanke, dass meine Oma bei Großbauern schuften musste, auf der untersten Stufe der Hierarchie, jagt mir dann doch eine Gänsehaut über den Rücken...sie ist in einer extrem ländlichen Gegend aufgewachsen, bei ihrer Geburt zählte der Ort gerade mal 150 Einwohner.
 
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