Lehnswesen im Heiligen Römischen Reich

Alex1990

Neues Mitglied
Hallo zusammen,
Ich habe eine Verständnisfrage bzgl. der "zentrifugalen Kräfte" des Lehnswesens. Mir ist durchaus klar, dass dies zur Beeinträchtigung und letztlich zum Bedeutungsverfall der Zentralmacht geführt hat.

Ich bin jedoch nicht wirklich wissenschaftlich fundiert darüber informiert, warum diese zentrifugalen Kräfte sich nicht auch stärker auf niedrigeren Ebenen der Lehnspyramide ausgewirkt haben. Also warum haben nicht die Landesherren einen ebensolchen Machtverfall durch die Vergabe von Afterlehen hinnehmen müssen. Die Geschichte lehrt uns, dass die Landesherren offenbar im Laufe des Mittelalters die wesentlichen Souveränitätsrechte sowohl gegenüber dem König als auch ihren eigenen Vasallen erlang und verteidigt haben.

Meine Frage ist jetzt aber, ob hier eine gewisse Logik - die mir auf den ersten Blick nocht nicht klar ist - existiert, die erklärt warum die Landesherren nicht auch die Zentrifugalkräfte des Lehnswesens stärker zu spühren bekamen?

Könnt ihr mir hierbei weiterhelfen oder kennt ihr ggf. Literatur die sich mit solchen Fragen auseinandersetzt?

Beste Grüße
Alex
 
Es ist doch wohl zu vermuten, dass die Landesherren sehr viel unmittelbarer auf ihre Aftervasallen einwirken konnten, als der König auf die Kronvasallen, schon allein, weil sie - außer natürlich bei unzusammenhängenden Gebieten - lokal sehr viel stärker präsent waren, als ein König, der heute in Italien, morgen in Sachsen und übermorgen in Burgund weilt. Desweiteren bedarf der Vasall des Schutzes. der Landesherr mit einer Reihe von Untervasallen kann sich die Lossagung vom König vielleicht erlauben, weil er über ausreichend Untervasallen gebietet, die er ihm Zweifelsfall ins Feld führen kann, er Untervasall aber steht, wenn er sich vom Lehnsherrn lossagt und sich mit seinem Lehen nicht zu einem anderen Lehnsherren retten kann, ziemlich allein da.
 
:grübel:
Ergänzen möchte ich die durchaus richtigen Ausführungen von @El Quijote mit der Anmerkung, daß die großen Herzogtümer in der Frühzeit des Reiches durchaus auch solch einen Zerfallsprozeß durchgemacht haben - d. h. die Herzogtümer wie Schwaben, Franken und Lothringen existierten nach dem Interregnum nicht mehr oder waren territorial stark geschrumpft.
Mit dem Herzogtum Sachsen war das allerdings etwas anderes, denn das wurde ja von Kaiser Friedrich I. absichtlich zerschlagen.
Allein Baiern konnte sich einigermaßen halten (mit geringeren Gebietsverlusten).
 
Also warum haben nicht die Landesherren einen ebensolchen Machtverfall durch die Vergabe von Afterlehen hinnehmen müssen ... Meine Frage ist jetzt aber, ob hier eine gewisse Logik - die mir auf den ersten Blick nocht nicht klar ist - existiert, die erklärt warum die Landesherren nicht auch die Zentrifugalkräfte des Lehnswesens stärker zu spühren bekamen?

Wenn man das europäische Königtum des Mittelaters betrachtet, so lassen sich zwei Tendenzen ausmachen: Zum einen ein mächiges, zentralisiertes erbliches Königtum, wie es vor allem in Frankreich, in den spanischen Königreichen und - mit Abstrichen - in England entstand. Zum anderen ein dezentrales Reich mit einer schwachen Wahlmonarchie, wie es das Heiliige Römische Reich repräsentiert.

Im Westfränkischen Reich - aus dem später Frankreich hervorging - übernahm 987 die Familie der Kapetinger die Herrschaft Sie verdrängte andere Adelsgeschlechter, errichtete eine Erbmonarchie und behauptete ihre Herrschaft - ausgespalten in verschiedene Linien - bis zur Französischen Revolution. So entstand in Frankreich eine starke Monarchie mit einer Ausrichtung auf Paris, die den Adel zunehmend dominieren konnte.

In Deutschland hingegen, das aus dem Ostfränkischen Reich hervorging, gab immer wieder neue Herrschergeschlechter aus den verschiedenen Landesteilen. Keine dieser Familien konnte sich bis ins 15. Jh. dauerhaft behaupten, denn Deutschland blieb eine Wahlmonarchie und der Adel behauptete eine wichtige Rolle. Anders als in Frankreich gelang es ihm, dem schwachen Königtum wichtige Hoheitsrechte bzw. Regalien zu entwinden, Besitzungen und Herrschaftsrechte zu bündeln, andere Adlige zu verdrängen und geschlossene Territorien aufzubauen.

Als die Habsburger ab 1438 dauerhaft die Herrscher des Heiligen Römischen Reichs stellten, war es längst zu spät, die Rechte der mächtigen Landesfürsten zu beschneiden. Auch Reichsreformen im 15. und 16. Jahrhundert, die die Struktur und die Verfassungsordnung des Heiligen Römischen Reichs den Erfordernissen des frühmodernen Staats anpassen sollten und ihm eine einheitliche Regierung unter ständischer oder kaiserlicher Vorherrschaft geben sollten, blieben weitgehend erfolglos.
 
Wenn man das europäische Königtum des Mittelaters betrachtet, so lassen sich zwei Tendenzen ausmachen: Zum einen ein mächiges, zentralisiertes erbliches Königtum, wie es vor allem in Frankreich, in den spanischen Königreichen und - mit Abstrichen - in England entstand. Zum anderen ein dezentrales Reich mit einer schwachen Wahlmonarchie, wie es das Heiliige Römische Reich repräsentiert.

Im Westfränkischen Reich - aus dem später Frankreich hervorging - übernahm 987 die Familie der Kapetinger die Herrschaft Sie verdrängte andere Adelsgeschlechter, errichtete eine Erbmonarchie und behauptete ihre Herrschaft - ausgespalten in verschiedene Linien - bis zur Französischen Revolution. So entstand in Frankreich eine starke Monarchie mit einer Ausrichtung auf Paris, die den Adel zunehmend dominieren konnte.

Da sind Abstriche zu machen. Die Gottesfriedensbewegung (Pax et Tregua Dei) entstand nicht von ungefähr in Südfrankreich: Hier hatten die französischen Könige einfach keinen Einfluss mehr, den sie geltend machen konnten.
 
Danke an alle für die erhellende Beiträge! Schön, dass man hier immer qualifizierten Rat erhält!
Gruß
Alex
 
Da sind Abstriche zu machen. Die Gottesfriedensbewegung (Pax et Tregua Dei) entstand nicht von ungefähr in Südfrankreich: Hier hatten die französischen Könige einfach keinen Einfluss mehr, den sie geltend machen konnten.

Das war wohlgemerkt im 11. Jahrhundert. Nach dem Albigenserkreuzzug Anfang des 13. Jahrhunderts und dem abschließenden Vertrag von Meaux-Paris 1229 sah die Situation schon wieder anders aus.
 
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