Leningrader Kapitulationsversuche?

Siehe Küchlers (OB des AOK18) Fahrt zu den OBs seiner Korps (XXXXI. und L.) 17.9.1941
Quelle : NARA T312 R799 F790/791

aus "notfalls" wird hier persönlich auf "rücksichtslos" korrigiert.
siehe auch Hürter, Die Wehrmacht vor Leningrad, in: Hartmann etc, Der deutsche Krieg im Osten 1941/44, S. 115ff
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Ich hatte heute ein wenig Zeit mich weiter mit der Materie auseinanderzusetzen. Zu meinen Recherchen gehören zunächst Auszüge aus dem Buchband "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg" und "Hitlers Weisungen für die Kriegführung 1939". Mehr dazu unten.

'wir':D:D? Letzte Chance für dich: (...)

Ich habe wegen der doch zunehmend herablassenden Art und Weise hier gezögert tatsächlich noch zu antworten. Schließlich wollte ich eigentlich nur ein Refarat vorbereiten. Trotzdem werde ich dir den Gefallen tun.

Mein Argument ist nachwievor eine sehr simple Kausalität. Ich werde sie gerne noch einmal etwas überspitzt formulieren: Eine Blockade ist ein legitimes militärisches Mittel. Die erwähnten Befehle, bezüglich Ablehnung einer Kapitulation und Aushungerung der Bevölkerung, waren faktisch irrelevant. Sie hätten ebensogut lauten können Leningrad in einen Freizeitpark zu verwandeln. Kein Befehl dieser Art hätte umgesetzt werden können solange die rote Armee den Laden dicht gehalten hat. Zu einer deutschen Entscheidung wäre es erst werden können, sobald das Schicksal der Zivilbevölkerung endgültig und unmittelbar in den Händen der Wehrmacht gelegen hätte. Offensichtlich gab es aber keinen Versuch der Sowjets trotz auswegsloser Situation die Blockade zu beenden, was nicht gerade von einem übergeordneten Interesse an der eigenen Zivilbevölkerung zeugt. Ebensowenig war die Stadt der Situation schutzlos ausgeliefert, sondern hat sich eine Menge Mühe gegeben sich in ein Fort zu verzuwandeln.

Dass sich diese Diskussion nicht annähernd so schwarz-weiß darstellt, wird u.A. hoffentlich auch aus folgendem Beitrag klarer.
„Die Entscheidung, die Stadt aufzugeben oder nicht, war das Vorrecht eines einzigen Menschen: Stalin! Aber das Leben eines Menschen gehörte nicht zum Werte-Kanon Stalins. Für ihn waren zwei Werte maßgeblich: Das eigene Prestige und das Behaupten eines militärischen Brückenkopfs. Daran festzuhalten, war ihm den Preis einer beliebig großen Anzahl menschlicher Leben wert. Denn diese Reserve galt in der Sowjetunion als unerschöpflich.“

Quelle: Jurij Curganov, "Als die Blockade von Leningrad begann", Deutschlandfunk, Link

Was nun bei einer tatsächlichen Kapitulation Leningrads, d.h. beim Wechsel der Initiative, passiert wäre, ist völlig spekulativ. Situationen ändern sich und mit ihnen auch Befehle. Besonders Hitler war nicht für seine Standhaftigkeit bei der militärischen Planung bekannt. Warum nun also z.B. ausgerechnet ein Direktiv des Stabes der Kriegsmarine (Beitrag #31) in Stein gemeißelt sein sollte, ist mir schleierhaft. Ähnliches gilt sicherlich für die Anweisung zur Ablehung bei Kapitulationsangeboten. (Beide Weisungen sind vom 22. September.)

Die Gültigkeit solcher Weisungen über längere Zeiträume finde ich mindestens diskussionswürdig. Tatsächlich schildert Ernst Klink eine jüngere Anweisung des OKH, welche das Handeln im Falle einer Kapitulation unklar macht:
Am 17. Oktober antwortete das OKH (an die Heeresgruppe Nord), es sei sofort zu melden, wenn die Truppen in Leningrad die Kapitulation anböten, da "erst zu diesem Zeitpunkt eine Entscheidung an oberster Stelle über die weitere Behandlung dieser Frage getroffen werden wird". Diese sollte jedoch niemals akut werden.

Ernst Klink, "Der Angriff auf die Sowjetunion", S. 638.

Eine noch jüngere und wohl signifikantere Weisung direkt von Hitler zeigt, dass er noch im Juli 1942 mit der Eroberung Leningrads plante:
Dabei kann damit gerechnet werden, daß
a) spätestens im September Leningrad genommen wird und hierdurch finnische Kräfte freigemacht werden,
b) bis Ende September die 5. Geb. Div. nach Finnland zugeführt sein wird.

Quelle: Hitlers Weisungen für die Kriegführung, S. 215, Link

Das scheint mir doch sehr weit entfernt von der Behauptung, dass der Plan für Leningrad von Anfang bis Ende die kompromisslose Aushungerung der Bevölkerung war.
 
(...)
Quelle:
„1.) Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Rußland ernährt wird.
2.) Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.“
(...)
Die Blockade von Leningrad muss man im Kontext vom Unternehmen Barbarossa ansehen. (...)
Ok. Vor dem Hintergrund müsste sämtliches Geschehen in diesem Krieg im Osten plakativ als Kriegsverbrechen verbucht werden. Das ist mir dann doch entschieden zu einfach.
 
Tatsächlich schildert Ernst Klink eine jüngere Anweisung des OKH,
"Klink hatte als Angehöriger der Waffen-SS am Zweiten Weltkrieg teilgenommen und war Mitglied der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS (HIAG). Er nutzte seine Stellung im MGFA auch, um sich an der Geschichtsklitterung der Veteranen der Waffen-SS zu beteiligen. So sichtete und bereinigte er persönliche Unterlagen und Nachlässe und gab Informationen weiter." Ernst Klink – Wikipedia

Du solltest bei der Auswahl deiner Sekundärquellen Vorsicht walten lassen.


Vor dem Hintergrund müsste sämtliches Geschehen in diesem Krieg im Osten plakativ als Kriegsverbrechen verbucht werden.

So ist es. Der Vorsatz und die Ausführung Millionen von Russen, Polen, Ukrainern und andere Slawen verhungern zu lassen, wie er sich im Hungerbefehl niederschlägt, wird zutreffend - und nicht plakativ - als Kriegsverbrechen gewertet.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Klink hatte als Angehöriger der Waffen-SS am Zweiten Weltkrieg teilgenommen (...)
Fabelhaft. Wenn's anders nicht geht, dann eben ad hominem. Ich werde mir jetzt nicht die Arbeit machen und die Primärquelle dazu raussuchen. Diese prinzipielle Diskreditierung scheint sehr praktisch in Diskussionen.

"
So ist es. Der Vorsatz und die Ausführung Millionen von Russen, Polen, Ukrainern und anderen Slawen verhungern zu lassen, wie er sich im Hungerbefehl niederschlägt, wird zutreffend - und nicht plakativ - als Kriegsverbrechen gewertet.
Wenn tatsächlich jede Handlung der Deutschen im Osten per Definition ein Kriegsverbrechen war, dann macht diese auf Leningrad eingeschränke Diskussion sicher keinen Sinn.
 
Wenn tatsächlich jede Handlung der Deutschen im Osten per Definition ein Kriegsverbrechen war
Nicht jede, aber der herbeigeführte Hungertod von Millionen Menschen schon.
Fabelhaft. Wenn's anders nicht geht, dann eben ad hominem
Das ist kein argumentum ad hominem, denn ich ziele nicht auf deine Person. Der Militärhistoriker, auf den du dich berufst, ist eben sehr umstritten und bekannt dafür, dass er an der Legende der "sauberen Wehrmacht" festhielt.
 
(...)
Das ist kein argumentum ad hominem, denn ich ziele nicht auf deine Person. Der Militärhistoriker, auf den du dich berufst, ist eben sehr umstritten und bekannt dafür, dass er an der Legende der "sauberen Wehrmacht" festhielt.
Entschuldige. Ich habe es nicht als Angriff auf meine Person verstanden, sondern als prinzipielle Ablehnung jeder Äußerung des Autors, also auf seine Person. Am Ende darfst du das Zitat auch gerne ausblenden, wenn es dir nicht gefällt. Die Argumentation aus Beitrag #42 funktioniert auch ohne es.

Der Relativierungsversuch über „jede Handlung“ scheitert angesichts der konkreten verbrecherischen Befehle - siehe Quelle oben in #41 als Ende der Befehlskette Hitler-Halder-Leeb-Küchler-Korps.
Ich habe es in meinem Beitrag versucht zu beantworten. Ich bezweifle dass die Weisung aus #41 für die Ewigkeit geschrieben wurde. Siehe beispielhaft "Hitlers Weisungen für die Kriegführung" aus #42, welche sich nicht wirklich mit #41 vereinbaren lässt. Bitte ließ und verstehe meinen Beitrag.

Soll die Karawane schnell weiter ziehen?
Tut mir Leid. Ich weiß nicht, was das bedeutet.
 
Offenbar hast Du im Umgang mit militärischem Quellenmaterial keine Erfahrung.
Mit dem zeitlich früheren Weisungs-BlaBla hat das nix mehr zu tun.

Hier geht es um die zeitnahe Umsetzung - vor Ort! - in den direkten Befehlsketten ( siehe vorlaufend Halder und Leeb, was offenbar auch unbekannt ist) mit der erfolgten Einschließung.
 
Ganz generell erst einmal. Die Wehrmacht hatte mit den verbrecherischen, ja mörderischen Formationen der SS und Polizei kooperiert.
Siehe hierzu:
  • Die Richtlinien auf Sondergebieten zur Weisung Nr.21 des OKW vom 13.03.1941
  • Die besonderen Anordnungen für die Versorgung des OKH vom 03.04.1941
  • Der Befehl des OKH zur Regelung des Einsatzes der Sicherheitspolizei und des SD im Verbande des Heeres vom 28.04.1941 und
  • der Befehl des "Reichsführer" SS über die Einsetzung Höherer SS- und Polizeiführer im rückwärtiges Heeresgebiet vom 21.05.1941.
Die Einnahme der Stadt Leningrad wurde ja explizit ausgeschlossen, auch von militärischen Argumenten seitens der Kriegsmarine ließ sich Hitler nicht beeindrucken, und das war eben nicht gängige Kriegsführung, denn man wollte die Stadt ja gar nicht. Sie sollte abgeschlossen, zusammengebombt und die Menschen ausgehungert werden. Es ging ausschließlich um Vernichtung der Stadt und der dort lebenden Bevölkerung. Es ging nicht um Eroberung.

Bereits am 08.Juli 1941 hatte Hitler sich zu Leningrad geäußert. Halder notierte hierzu in seinem Tagebuch, " Feststehender Entschluss des Führers ist es, Moskau und Leningrad dem Erdboden gleichzumachen, um zu verhindern, daß Menschen darin bleiben, die wir dann im Winter ernähren müssten. Die Städte sollen durch die Luftwaffe vernichtet werden; Panzer dürfen dafür nicht eingesetzt werden." Nachzulesen im Kriegstagebuch von Halder. Dieser Ausführung Hitlers bezeugt den Willen zur Vernichtung und die Marschrichtung zum Genozid der Bevölkerung Leningrades war bereits hier vorgezeichnet.

Dann darf man auch wohl bemerken, das es zur Aufgabenstellung einer jeden Armee gehört, die andere Länder erobert, die Verpflichtung hat, die einheimische Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen.

Bereits im Januar 1941 macht der Staatssekretär Herbert Backe Hitler den Vorschlag, fehlende Lebensmittel doch bitte aus dem Überschussgebiet der Ukraine zu holen. Das war der Grundstein für den Raubfeldzug, denn bei den Planungen zu Barbarossa stand die große Frage im Raume, wie sollte so ein Millionenheer eigentlich ernährt werden. Im Mai 41 fand eine Besprechung statt, die die Grundlagen für die spätere Hungerpolitik legte. Auf dieser Konferenz stellte man fest, der Krieg gegen England könne nur dann fortgesetzt werden, wenn das gesamt Ostheer sich aus Russland ernährt. Die Kosten hierfür müsse die sowjetische Bevölkerung tragen. Welche Kosten das sein würden, ist ja wohl offenkundig.
An dieser Sitzung nahmen unter anderem Göring, Jodl, Backe, Thomas, Reinhardt etc. teil. Nachzulesen bei Dietrich Eichholtz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft Band 1. Dort ist auch die Aktennotiz abgedruckt.

Backe und Co. estellten eine Studie, wie eine solche Hungerpolitik dann konkret aussehen solle. Aus dieser ging hervor, das der ganze Norden und Zentralrußland von jeglicher Nahrungsmittelzufuhr abgeschnitten werden sollten. Dies waren die sogenannten Zuschussgebiete für Nahrungsmittel gemäß Backe. In der Praxis bedeutet dies, das Millionen Menschen in diesen Gebieten sterben würden.

Die Entscheidung zum Genozid an Bevölkerung von Leningrad steht im engen Zusammenhang mit dieser Hungerpolitik.
 
Zuletzt bearbeitet:
Als Kriegsverbrechen z.B. entlang der Haager Landkriegsordnung werden keineswegs mögliche und länger zurückliegende Planungen und Pläne eingestuft, sondern gewisse Maßnahmen, Aktionen und Handlungen, auch bewusste Unterlassungen einer Kriegspartei, welche Kombattanten und Nichtkombattanten betreffen.

Im
  • Zweiten Abschnitt der Landkriegsordnung,
    • Erstes Kapitel: Mittel zur Schädigung des Feindes, Belagerungen und Beschießungen,
      • steht im Artikel 22: Die Kriegführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes.
Artikel 22 und damit die Einstufung von Handlungen, Maßnahmen und Aktionen oder bewusste Unterlassungen einer Kriegspartei als Kriegsverbrechen, war und ist nicht abhängig von Handlungen, Maßnahmen, Aktionen oder bewusste Unterlassungen der gegnerischen Kriegspartei.
Ein typischer Anfängerfehler besteht wohl darin zu glauben, drastische, teils als menschenverachtend erscheinende Maßnahmen und Handlungen/Nichthandlungen des Kriegsgegners würden Kriegsverbrechen des Aggressors, der angreifenden Partei weniger bedeutsam oder gar verständlicher machen. Vielleicht auch in dem Sinne, zu den Kriegsverbrechen wäre es 'eigentlich' nur als Reaktion auf das Handeln/Verhalten der gegnerischen Partei gekommen, hätte sich der Kriegsgegner 'normal' verhalten, wäre es (hypothetischer Weise) nicht dazu gekommen.
Man kennt das Muster oder die Naivität dieser Argumentation beispielweise aus den Rechtfertigungen bzw. von Angehörigen/ Offizieren/ Truppen des Deutschen Heeres im I. Weltkriegs beim Durchqueren belgischen Territoriums zu Beginn der Westoffensive hinsichtlich begangener Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung.

Wie Silesias Beitrag 41 zeigen konnte, sind die Kriegsverbrechen der Wehrmacht bei der Blockade Leningrads nicht nur durch die Maßnahmen und ihre Auswirkungen hinreichend belegt, sondern auch durch entsprechenden Befehle für die Situation vor Ort zu jener Zeit dokumentiert angeordnet worden.

Den großen Rahmen für die Barbarossa-Feldzug der Wehrmacht gegen die Sowjetunion ab dem 22.6.41 illustrieren beispielsweise die von Generaloberst Halder im entsprechenden KTB-Eintrag vom 8.7.1941 vorhandenen Notate, im Faden schon erwähnt, über eine Besprechung Hitlers mit führenden Wehrmacht-Generälen, bei der Hitler seinen feststehenden Entschluss mitgeteilt habe,

''Moskau und Leningrad dem Erdboden gleich zu machen, um zu verhindern, daß Menschen darin bleiben, die wir dann im Winter ernähren müssten''.​

Der Entschluss im September 1941, Leningrad und seine Zivilbevölkerung auszuhungern, wurde vor Ort und angesichts der militärischen Umstände gefällt, die kriegsverbrecherische Grundsätzlichkeit dieser Maßnahmen war in der generellen Qualität und Ausrichtung des Barbarossa-Feldzuges verankert und nicht plötzlicher, unkontrollierter oder unerwarteter Ausdruck einer besonders schwierigen militärischen Situation.
 
@Turgot @andreassolar
Vielen Dank für eure umfassenden und einleuchtenden Beiträge. Ich weiß das zu schätzen. Auf die Gefahr hin, dass ihr denkt hier gerade meine Hausaufgaben zu machen, möchte ich ein paar weitere Fragen stellen. Vielleicht beruhigt euch, dass das Referat die Belagerung im Allgemeinen umfasst und nicht die Frage nach dem Kriegsverbrechen.

Die Einnahme der Stadt Leningrad wurde ja explizit ausgeschlossen (...)
Bereits am 08.Juli 1941 hatte Hitler sich zu Leningrad geäußert. Halder notierte hierzu in seinem Tagebuch, "Feststehender Entschluss des Führers ist es, Moskau und Leningrad dem Erdboden gleichzumachen, um zu verhindern, daß Menschen darin bleiben, die wir dann im Winter ernähren müssten. Die Städte sollen durch die Luftwaffe vernichtet werden; Panzer dürfen dafür nicht eingesetzt werden." Nachzulesen im Kriegstagebuch von Halder. (...)
Der Entschluss im September 1941, Leningrad und seine Zivilbevölkerung auszuhungern, wurde vor Ort und angesichts der militärischen Umstände gefällt (...)

Ich erkenne hier einige Aussagen, die für mich noch nicht ganz zusammenpassen.
1) Die Einnahme Leningrads soll angeblich kategorisch ausgeschlossen worden sein. Trotzdem zeigt Beitrag #41, dass bereits ein Kommandant festgelegt und der Umgang mit der männlichen Bevölkerung vorgegeben wurde. Passend, war auch Hitler zumindest bis zum Juli 1942 gewillt die Stadt einzunehmen (Weisung Nr. 44 für die Kriegführung).
2) Ebenso ist das Vorhaben die Stadt durch die Luftwaffe dem Erdboden gleichzumachen für mich nicht ohne Weiteres mit dem Plan der Aushungerung per Aufrechterhaltung der Blockade vereinbar. Man sollte meinen, dass es nach einer solchen Bombadierung nicht mehr viel zum Aushungern übrig bleibt. Ein Kommandant ist dann vermutlich ebenso unnötig.
Wie kann man diese scheinbaren Widersprüche erklären?

In diesem Zusammenhang habe ich mich kurz um "Präzedenzfälle" für Leningrad bemüht. Nach meinem Verständnis sollte mit Kiew ähnlich wie Leningrad umgegangen werden. Trotzdem resultierte aus einer Änderung der Lage vorort die Einnahme der Stadt. Der entscheidene Unterschied war, dass eine Eroberung Kiews irgendwann militärisch sinnvoll und umsetzbar war. Wer garantiert also, dass mit Leningrad nicht ählich umgegangen worden wäre, wenn sich die militärische Lage anders dargestellt hätte (z.B. im Falle einer Kapitulation)? Auch die (vermutlichen) Widersprüche oben sprechen nicht dafür, dass es für Leningrad nur ein und denselben Plan gegeben hat.
Weisung Nr. 34 vom 12. August 1941. Dort wurde hinsichtlich Kiews festgehalten, daß »der Angriff gegen die Stadt Kiew selbst einzustellen ist. Ihre Vernichtung durch Brandbomben und Artillerie-Feuer ist vorzusehen, sobald es die Nachschublage gestattet.« Kiew sollte mit Hilfe der Luftwaffe und schwerer Artillerie in »Schutt und Asche« gelegt werden, und der Generalstabschef ging nun daran, dieses vorbereiten zu lassen.

Quelle: Klaus Jochen Arnold, "Die Eroberung und Behandlung der Stadt Kiew durch die Wehrmacht im September 1941: Zur Radikalisierung der Besatzungspolitik"



Dann darf man auch wohl bemerken, das es zur Aufgabenstellung einer jeden Armee gehört, die andere Länder erobert, die Verpflichtung hat, die einheimische Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen.
Ich wäre einverstanden, mit der Aussage, dass eine Besatzungsmacht zur Versorgung der Bevölkerung verpflichtet ist. Allerdings haben die Deutschen Leningrad offensichtlich nie besetzt.

Die Entscheidung zum Genozid an Bevölkerung von Leningrad steht im engen Zusammenhang mit dieser Hungerpolitik.
Ich verstehe diese Ansicht. Sie lässt sich aber sicher nicht auf alle Umstände im Osten gleichermaßen anwenden und scheint mir daher etwas verallgemeinernd.

(...) Ein typischer Anfängerfehler besteht wohl darin zu glauben, drastische, teils als menschenverachtend erscheinende Maßnahmen und Handlungen/Nichthandlungen des Kriegsgegners würden Kriegsverbrechen des Aggressors, der angreifenden Partei weniger bedeutsam oder gar verständlicher machen. (...)
Vielen Dank für die Darlegung. Mit der von dir umrissenen Definition von Kriegsverbrechen stellt sich die Situation sicher anders dar, als von mir angenommen. Ich frage mich nur wieviel Interpretation wohl darin stecken mag, und ob sich solche Interpretationen nicht auch über die Zeit gewandelt haben. Ähnlich wie Gesetzestexte bedürfen doch sicher auch Kriegskonventionen eine gewisse Deutung. Denn so ganz kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Deutung so alternativlos ist. Besonders, wenn die Texte so allgemein formuliert sind, wie der von dir zitierte Abschnitt der Landkriegsordnung. Bitte versteh das nicht falsch. Am Ende heißt das u.U. nur, dass ich mich etwas damit beschäftigen muss.

Das bringt mich zu meiner letzten Frage. Ein Interesse an Leningrad bzw. an der Zerschlagung seiner Wirtschaftskraft und einem gewissen Prestige gab es ja allemal. Zudem hat die Stadt nur unnötig deutsche Truppen gebunden. Da eine Eroberung meines Wissens nach mit den vorhandenen Truppen nicht einfach möglich gewesen wäre, frage ich mich wie sich die Wehrmacht stattdessen vor Leningrad korrekterweise hätte verhalten sollen?
 
Nenn bitte einmal ganz konkret deine Aufgabenstellung, die du von deiner Schule erhalten hast.

Soweit ich aus #1 erkennen kannst, sollst du über die Belagerung referieren; dafür gibt es reichlich Stoff. Ich erkenne aber nicht die Aufgabenstellung aus deinen Ausführungen, das die Wehrmacht von dem Kriegsverbrechen freigesprochen werden soll, denn dahin zielen deine Bemühungen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich möchte dich einmal daran erinnern, das der von Hitler entfesselte Krieg gegen die Sowjetunion insgesamt ca. 27.000.000 Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Von diesen 27 Millionen waren 14 Millionen Zivilisten.
Von dem Leid, welches dies bei den Angehörigen ausgelöst hat, will ich erst gar nicht anfangen.

Und der von der Wehrmacht geführte Krieg war nicht vergleichbar mit dem an der Westfront. Hier wurde mit unfassbarer Brutalität vorgegangen. Erwähnt sei beispielsweise die unfassbare Tat von Babi Jar. Es war ein barbarischer Vernichtungsfeldzug!
 
Ich habe selbst einige Beiträge in anderen Threads zur Belagerung von Leningrad geschrieben, in denen ich auch zur Situation innerhalb von Leningrad Artikel verlinkt habe. Gerade die persönlichen Berichte ließen mich oftmals erschauern. Eine der zahlenmäßig größten einzelnen Tragödien des zweiten Weltkriegs. Ich habe Aussagen, dass es sich dabei um ein Kriegsverbrechen handelt, von vielen Historikern gelesen.

Aber die Frage, ob es sich dabei um ein Kriegsverbrechen handelt, ist primär eine juristische, die anhand des damaligen Kriegsvölkerrechts zu beantworten ist.

In der Wikipedia habe ich folgende Aussage gefunden:

Der Völkerrechtler Christoph Safferling vertritt in einem Vortrag im Jahr 2014 demgegenüber die Ansicht, dass in den frühen 1940er Jahren noch keine explizite völkerrechtliche Vorschrift gegen den Einsatz von Hunger als Waffe gegen die Zivilbevölkerung existiert habe. Eine solche sei erst 1977 mit einem Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen eingeführt worden. Dies sei auch der Grund dafür, dass die Leningrader Blockade in den Nürnberger Prozessen nicht als Kriegsverbrechen bezeichnet wurde.[24]
Leningrader Blockade – Wikipedia

Ich selber kann das juristisch nicht beurteilen, wie die Rechtslage damals war. Vielleicht vertreten andere Völkerrechtler andere Meinungen zu der Frage. Unstrittig ist zumindest, dass eine solche Aushungerungspolitik zumindest ab 1977 ein Verbrechen darstellt.
 
Ich weiß auch nicht, ob die entsetzlichen, zahllosen Verbrechen der Wehrmacht, hier konkret Leningrad, im juristischen Sinne Verbrechen sind. Ich denke es herrscht darüber große Einigkeit, das hier grausame Verbrechen vorliegen; unabhängig davon, ob das nun juristisch so kodiert war. Möglicherweise konnte man sich damals so eine perverse Vorgehensweise von Streitkräften im 20.Jahrhundert nicht vorstellen.
 
Ich weiß auch nicht, ob die entsetzlichen, zahllosen Verbrechen der Wehrmacht, hier konkret Leningrad, im juristischen Sinne Verbrechen sind. Ich denke es herrscht darüber große Einigkeit, das hier grausame Verbrechen vorliegen; unabhängig davon, ob das nun juristisch so kodiert war. Möglicherweise konnte man sich damals so eine perverse Vorgehensweise von Streitkräften im 20.Jahrhundert nicht vorstellen.

Das sehe ich auch so. Aber:

Völkerrecht ist zum Teil Gewohnheitsrecht, also das, was man immer so gemacht hat. Bei vielen kriegerischen Handlungen, die heute als Verbrechen auch juristisch gelten, gab es solche Regelungen im 2. Weltkrieg noch nicht. Ich meine auch die häufigen Geiselerschießungen waren damals gewohnheitsrechtlich legitime Handlungen (aber ich bin mir nicht so 100 % sicher zur Rechtslage im zweiten Weltkrieg). Auch die damaligen Flächenbombardements würden nach heutiger Sicht m. W. Kriegsverbrechen darstellen. Aber Kriegsvölkerrecht ist auch in Entwicklung begriffen.

Dass man Millionen gefangener Rotarmisten absichtlich dem Hungertod überließ, oder die planmäßige Ermordung zehntausender Zivilisten während der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes waren aber m. W. auch damals bereits juristisch Kriegsverbrechen.
 
Soweit ich aus #1 erkennen kannst, sollst du über die Belagerung referieren; dafür gibt es reichlich Stoff. Ich erkenne aber nicht die Aufgabenstellung aus deinen Ausführungen, das die Wehrmacht von dem Kriegsverbrechen freigesprochen werden soll, denn dahin zielen deine Bemühungen.
Vielen Dank für die nette Unterstellung. Ich habe wenig Interesse daran das Geschehen rund um Leningrad und die Rolle der Wehrmacht zu verharmlosen. Ich erkenne keinen Sinn darin ein einzelnes potenzielles Kriegsverbrechen abzustreiten, wenn es gleichzeitig eine Fülle eindeutiger unbestreitbarer Verbrechen an der Ostfront gab. Die Bezeichnung als Kriegsverbrechen im Fall von Leningrad fand ich persönlich logisch nicht schlüssig. Daher die ganze Diskussion hier. Das hat nicht mehr viel mit der Aufgabenstellung für das Referat zu tun, sondern hauptsächlich mit meinem Interesse. Man sollte meinen, dass ein Forum wie dieses für Diskussionen dieser Art gedacht ist. Anstelle deiner doch relativ beleidigenden Anschuldigung darfst du sehr gerne auf meine zahlreichen Fragen aus #52 eingehen und meinen Bemühungen "die Wehrmacht von dem Kriegsverbrechen freizusprechen" etwas entgegensetzen.

Aber die Frage, ob es sich dabei um ein Kriegsverbrechen handelt, ist primär eine juristische, die anhand des damaligen Kriegsvölkerrechts zu beantworten ist.

In der Wikipedia habe ich folgende Aussage gefunden:

Der Völkerrechtler Christoph Safferling vertritt in einem Vortrag im Jahr 2014 demgegenüber die Ansicht, dass in den frühen 1940er Jahren noch keine explizite völkerrechtliche Vorschrift gegen den Einsatz von Hunger als Waffe gegen die Zivilbevölkerung existiert habe. Eine solche sei erst 1977 mit einem Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen eingeführt worden. Dies sei auch der Grund dafür, dass die Leningrader Blockade in den Nürnberger Prozessen nicht als Kriegsverbrechen bezeichnet wurde.[24]
Ich hatte diesen Absatz aus dem Wikipedia Artikel bereits einmal gelesen, wusste aber auch in diesem Fall nicht inwiefern es sich dabei um eine bloße Meinung des Historikers handelt. Die genaue Definition von Kriegsverbrechen ist am Ende sicherlich der zentrale Grund für die Meinungsverschiedenheiten. Ich für meinen Teil habe den Begriff ausschließlich juristisch wahrgenommen. Alles andere erlaubt zu viel Interpretationsspielraum und führt zu keinem Ergebnis. Ich muss natürlich weiterhin sagen, dass ich die sämtlichen Kriegskonventionen der damaligen Zeit nicht im Detail kenne und es für mich entsprechend nicht möglich ist ein abschließendes faktisches Urteil zu bilden. Ich werde auf jeden Fall in den von dir zitierten Artikel reinschauen. Danke dafür!
 
@Sören

Lies deine eigenen Beiträge doch einmal selbst durch. Du willst die Wehrmacht von Verbrechen freisprechen, wo es nichts freizusprechen gibt. Deine Bemühungen sind eher eine Beleidung für die Millionen Opfer der deutschen Wehrmacht. Stell dich mal in Petersburg hin und wiederhole dort deine Behauptung. Es ist letzten Endes nicht die Begrifflichkeit von Bedeutung, sondern die unumstrittene Tatsache, das in Leningrad, aber eben nicht nur dort, zahllose, grauenhafte Verbrechen und Morde begangen worden sind. Du findest die Bezeichnung Kiegsverbrechen für Leningrad nicht schlüssig? 1 Million Menschen sind dort verhungert und du meinst die Stadt sei selbst schuld, weil sie nicht kapituliert bzw. zur offenen Stadt erklärt wurde. Ich kann es kaum glauben.

Ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass das die präzise Aufgabenstellung deines Geschichtslehrers deines Gymnasiums ist, die Wehrmacht reinzuwaschen, weil die juristische Kodifizierung fehlt. Aber genau darauf willst du hinaus. Und du stellst in einer Tour fragen, um deine These bestätigt zu bekommen.
 
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