Literatur zur Methodik der Geschichtswissenschaft gesucht

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Platonist

Gast
Hallo,

Ich beginne im Oktober ein Philosophie und ein Geschichtsstudium und hatte mir überlegt, es könne nicht schaden, mich auf letzteres schon einmal vorzubereiten (auf das Philosophiestudium bin ich schon, soweit ich das einschätzen kann, recht gut vorbereitet).
Ich suche deshalb Literatur zur Methodik der Geschichtswissenschaft.
Kann mir da jemand ein Buch oder mehrere empfehlen?
 
Ich zitiere mich mal selber aus dem Thread, das "handelnde Individuum.." und hatte folgendes geschrieben: Als Literatur würde ich vor allem Gerber empfehlen, aber natürlich auch die anderen.

http://www.geschichtsforum.de/f72/das-handelnde-individuum-der-geschichte-43556/

In der Historiographie wird selten die Frage thematisiert, in welchem Zusammenhang die Erkenntnisgewinnung zum Gestand steht, der historisch erklärt werden soll. Oder anders, was ist eigentlich eine dem Gegenstand angemessene historische Erklärung.

Es liegen zwar unterschiedliche Modelle vor, welche Erkenntnistheorie und Methoden für die Historiographie prinzipiell angemessen sind. Dennoch, so formulieren Esser u.a. "Nach wie vor stehen viele Praktiker und auch Theoretiker …den "Erkenntnisinteressen" und der Verwertbarkeit wissenschaftstheoretischer Analysen kritisch und reserviert gegenüber;"

Diese Kritik hat bereits Lazarsfeld aus einer anderen Perspektive zugespitzt formuliert und betont die geringe praktische Relevanz der Erkenntnistheorie, die sich einseitig auf die Form der Erkenntnisgewinnung im Bereich der Naturwissenschaften bezieht. Einem Modell, das sich stark an der Formulierung von allgemeingültigen Gesetzen orientiert und diese zur Grundlage einer Historiographie machen möchte. Eine Idee, die beispielsweise dann bei Kraft als methodischer Anspruch an die Historiographie ausformuliert ist und die explizite Übernahme des Modells des "Erklärens" fordert.

Diesem Anspruch nach Überprüfung von Gesetzmäßigkeiten in der Geschichte und ihrer gesetzmäßigen Erklärung steht ein Gegenstand entgegen, der nicht selten durch singuläre Ereignisse gekennzeichnet ist. Der Komplexität des Gegenstands steht zudem in der Regel eine sehr eingeschränkte Quellenbasis gegenüber, die ein Testen von Hypothesen und ihre gesetzesmäßige Verallgemeinerung normalerweise nicht erlaubt.

Vor diesem Hintergrund formuliert Sewell: "Theory has a strikingly less central place in history than in the social science disciplines". Dieser Befund geht teilweise auf die Arbeit von Droysen (1858) zurück, der für die Naturwisschaften das Ziel formulierte, "erklären" zu wollen und grenzte dagegen die Historiographie ab, die "verstehen" will. Diese Idee wurde im Wesentlichen von Dilthey systematisch ausformuliert.

Eine deutliche Positionsbestimmung für die Historiographie nahmen Gardiner 1952 und Dray 1957 vor, indem sie das positivistische Paradigma kritisierten und beanspruchten, dass sich historische Erklärungen nicht auf allgemeine Gesetze stützen würden. Dray formuliert seine Ansichten über historische Akteure im Rahmen eines "Rational-Action-Modells" und unterstellt im weberschen Sinne eine zweckrationale Absicht der Handlung und fragt nach der Motivation für eine Handlung. Diese ergänzt er durch Überlegungen zur Beziehung von Zwecken und dem angemessenen Einsatz von Mitteln, um ein erstrebenswertes Ziel zu erreichen.

Diese Motivation für das Handeln des Individuums, so Gardiner (S.138), wird durch die Beziehung zur Struktur bzw. Umwelt beeinflusst und bildet somit einen Teil der Determination für Handlungen.

In der Formulierung der Re-enanctment-Theorie von Collingwood (vgl. Gerber, S. 39ff) bedeutet historisches Verstehen der Versuch, "sie als eine Handlung zu erkennen, …, so wie der [historisch] Handelnde diese gesehen hat" (ebd. S. 41). Es stellt sich somit dem Historiker die Aufgabe, einer möglichst präzisen Rekonstruktion der strukturellen Voraussetzungen für Handlungen, der Ziele und Gewinne von alternativen Handlungsoptionen und der letztlich getroffenen Entscheidung und seine Begründung.

Eine wichtige Erweiterung für die analytische Philosophie der Historiographie wurde durch Anscombes Buch, "Intention" angeboten. Sie betonte im Rahmen ihrer Theorie die "Intentionalität" des handelnden Individuums. Mit dieser Position eröffnete sie die Ausformulierung einer eigenständigen "verstehenden" Erkenntnistheorie, die sich auf die Handlung von Individuen konzentriert (vgl. Wright, S. 36).

Eine Ergänzung für dieses Erklärungsmuster bildete die Arbeit von Taylor 1964. Er fügte der intentionalen Handlungstheorie von Anscombe zusätzliche Annahmen über die Logik von Verhaltensweisen von Individuen hinzu. Diese Arbeiten beschleunigten unter anderem auch den Niedergang des Behaviorismus in den Sozialwissenschaften.

Bei von Wrights "praktischem Syllogismus" werden die bisherigen Modelle zusammengefasst (vgl. das Modell S. 126). Dieser Position widerspricht Gerber (S. 58) und hält sie für ergänzungsbedürftig und streicht vor allem heraus, dass die bisherigen Ansätze die Problematik "des sozialen und kollektiven Handelns" nicht ausreichend berücksichtigen (ebd. S.61) und fordert, (S.240), dass eine historische Erklärung die "kollektive Intentionalität" erkennt, indem das soziale bzw. kollektive Handeln analysiert wird.

Gerber geht zudem auf die Bedeutung der "Struktur" ein, die das Handeln der einzelnen Akteure auch beeinflussen und schreibt: " In der Geschichtstheorie ist das intentional handelnde Subjekt der Geschichte in erster Linie deshalb immer wieder mit Skepsis und Vorbehalt betrachtet worden, weil dessen Handeln sich auf der Grundlage von sozialen Strukturen vollzieht." (S.297).

Doris Gerber: Analytische Metaphysik der Geschichte. Handlungen, Geschichten und ihre Erklärung. Frankfurt am Main 2012. - H-Soz-u-Kult / Rezensionen / Bücher

SEHEPUNKTE - Rezension: Geschichte - Ergebnis von Handlungen, nicht von Konstruktionen. Warum die Geschichtswissenschaft Doris Gerbers Frage nach dem "Wesen der Geschichte" nicht ausweichen sollte - Ausgabe 13 (2013), Nr. 6

Ihr Vorschlag für die weitere Entwicklung der analytischen Metaphysik der Geschichte ist dabei in den Kontext der Sichtweise von Wehler einzuordnen und seiner Kritik an poststrukturellen bzw. postmodernen Ansätze zur Historiographie wie den von Hayden White, Foucault oder Lyotard.

Zudem ergeben sich bei der Betonung des intentional handelnden Individuums direkte Anknüpfungspunkte zur "Realistischen Theorie", die wesentlich von Bhaskar mit formuliert wurde, und auf die sich die Arbeit von Archer beziehen.

Anscombe, E: Intention, 1957
Bhaskar, R.: A Realist Theory of Science, 1975
Dray, W: Laws an d Explanation in History, 1957
Esser H., K. Klenovits, H. Zehnpfennig: Wissenschaftstheorie, 2. Bände, 1977
Gardiner, P. The Nature of Historical Explanation, 1961
Gerber, D. : Analytische Metaphysik der Geschichte, 2012
Kraft, V.: Geschichtsforschung als strenge Wissenschaft, in: Topitsch, E.(Hg.): Logik der Sozialwissenschaften, 1967, S. 37-52
Lazarsfeld, P.F.: Wissenschaftslogik und empirische Sozialforschung, in: Topitsch, E.(Hg.): Logik der Sozialwissenschaften, 1967, S. 37-52
Sewell, W.H.: Logics of History. 2005
Taylor, C.: The Explanation of Behavior, 1964
Wright von, G.H: Erklären und Verstehen, 1984
 
In den meist thematisch sortierten Lehrbuchsammlungen der Gesamtbibliotheken findet man solche Methodenbücher. Das sind dann meist eine ganze Reihe an Titeln, zu Teil allgemeiner Natur, zum Teil schon speziellerer Natur.
 
thane, ich habe keine Ahnung von dem was Du da schreibst, aber ich würde dem TE bzw. Eingangsfragensteller nur raten, dass was da geschrieben wurde, sehr professionell ist oder wirkt.

Bewerten kann ich grad nicht, aber ich denke, eine Anerkennung tut mal not ...:winke:
 
Hallo,

Ich beginne im Oktober ein Philosophie und ein Geschichtsstudium und hatte mir überlegt, es könne nicht schaden, mich auf letzteres schon einmal vorzubereiten (auf das Philosophiestudium bin ich schon, soweit ich das einschätzen kann, recht gut vorbereitet).
Ich suche deshalb Literatur zur Methodik der Geschichtswissenschaft.
Kann mir da jemand ein Buch oder mehrere empfehlen?

Wir geben den Erstsemesterstudenten folgende Literaturtipps ab:

Borowsky, Peter : Einführung in die Geschichtswissenschaft I. Grundprobleme, Arbeitsorganisation, Hilfsmittel. Westdeutscher Verlag. 1989

Brandt , Ahasver v.: Werkzeug des Historikers. Kohlhammer Urban Verlag. 1998

Burkhardt, Martin: Arbeiten im Archiv. Praktischer Leitfaden für Historiker und andere Nutzer. UTB Verlag. 2006

Jordan, Stefan: Einführung in das Geschichtsstudium. Reclam Verlag. 2005

Lengwiler, Martin: Praxisbuch Geschichte. Einführung in die historische Methode. UTB Verlag. 2011

Oldenbourg Geschichte Lehrbuch:
Die Basis-Lektüre fürs Geschichtsstudium!
Jeder einzelne Band behandelt eine der großen Epochen der Geschichte: Antike, Mittelalter, Frühe Neuzeit, Neueste Geschichte.

Reihe bestehend aus 4 Einzeltiteln

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