Logistik des Gewaltritts von Karl XII. 1714?

muck

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Hallo zusammen,

im Wikipedia-Eintrag dieses schwedischen Monarchen steht, Karl habe, als er im Herbst 1714 sein türkisches Exil verließ, die 2150 Kilometer zwischen Pitesti in der Walachei und dem damals schwedischen Stralsund in sage und schreibe 15 Tagen zurückgelegt. Als Quelle dient die Biographie von Otto Haintz, die ich nicht kenne.

Ich bin auch nicht sonderlich bewandert, was etwa die Infrastruktur im Barock angeht, aber mich interessiert die Logistik hinter Karls sagenhaftem Gewaltritt sehr. Weiß jemand mehr darüber? Über die Organisation dieser Reise, die offenbar im Geheimen stattfand, da Karl nur mit einem Begleiter reiste?

2150 km in 15 Tagen entsprechen einer Tagesleistung von fast 145 km. Zum Vergleich: Nach Clausewitz kann ein gesundes und wohl ernährtes Kavalleriepferd, wenn es nicht zuschanden geritten werden soll, in 2 Tagen umgerechnet maximal 140 km zurücklegen. Danach benötigt es wenigstens 1 Tag Regeneration.

Ein Tagesritt von 145 km könnte ein Pferd dauerhaft schädigen oder gar töten. Karl muss also regelmäßig (und an gut vorausberechneten Stellen) die Pferde gewechselt haben, aber wo und wie oft? Wer hat dafür gesorgt, dass er die Kilometer so nahtlos abspulen konnte? Besten Dank im Voraus!
 
Ich habe mal die schwedische wikipedia zu Karls Ritt mittels DeepL übersetzt. Dort wird erwähnt, dass Karl XII. mit dem habsburgischen Kaiser Karl VI. vereinbart habe, dass der schwedische König inkognito durch das HRR reisen könne (weil Karl XII. androhte ansonsten auf französischen Schiffen zu reisen*) .

Die Route (Klausenburg, Debrecen, Budapest (Ofen, Pest), Wien, Passau, Regensburg, Nürnberg, Bamberg, Würzburg, Hanau, Kassel, Braunschweig und Güstrow nach Stralsund) ist ja auch in der deutschen wiki wiedergegeben mit dem Vermerk, dass Karl XII. den Kriegsgegner Sachsen habe meiden wollen. Die schwedische wiki sagt hingegen, dass Karl VI. darauf bestanden habe, dass der Schwede kaiserliche Protestanten (Preußen und Sachsen?) im Reich meiden solle, um keinen Aufruhr zu verursachen. Im Endeffekt hielt ihn das nicht davon ab, über Kassel zu reisen.

Der große Unterschied in der schwedischen wiki zur deutschen ist, dass dort erwähnt wird Karl XII. habe von Siebenbürgen nach Stralsund Postkutschen genutzt, also eben nicht selbst geritten sei.

Belegt wird die schwedische wiki mit Liljegren, Bengt (2000). Karl XII: en biografi. Lund: Historiska Media. Libris 7776628. ISBN 91-89442-65-2
habe ich nicht gelesen. Ich kann kein schwedisch.

*inwiefern diese Drohung ein so schlagendes Argument war, halte ich für fragwürdig.
 
dass dort erwähnt wird Karl XII. habe von Siebenbürgen nach Stralsund Postkutschen genutzt
Welche Geschwindigkeit bzw welche Distanzen waren zu der Zeit pro Tag per Postkutsche erreichbar?
Karl habe, als er im Herbst 1714 sein türkisches Exil verließ, die 2150 Kilometer zwischen Pitesti in der Walachei und dem damals schwedischen Stralsund in sage und schreibe 15 Tagen zurückgelegt.
 
Welche Geschwindigkeit bzw welche Distanzen waren zu der Zeit pro Tag per Postkutsche erreichbar?
Das weiß ich nicht. Ich gebe mal den von deepL übersetzten Wortlaut wieder:
"
Sie fanden einen Schweinehirten, der ihnen den Weg zum Dorf Kenin in Siebenbürgen zeigte, wo sie in der Abenddämmerung des 28. Oktober ankamen. Hier verließ König von Rosen "mit dem Befehl, vier Stunden nach ihm aufzubrechen und ihm zu folgen, ohne an Backbord und Ferse Halt zu machen"[6] und begab sich selbst mit Düring und zwei Führern zur Festung Rothenthurm. Von dort fuhren sie mit einer Postkutsche über Hermmanstadt nach Ungarn. Der König und Düring setzten ihre Postkutsche über Debrecen, Budapest und Győr fort, umgingen die Stadt Pressburg, nachdem sie erfahren hatten, dass sich der Kaiser dort aufhielt, und kamen am 5. November in Wien an. Dort besorgten sie sich ihre eigenen Pferde und folgten dann der Straße entlang der Donau über Linz nach Regensburg, wo sie eine kurze Pause einlegten. Sie fuhren dann weiter nach Norden, über Nürnberg, Erlangen, Bamberg, Würzburg und Remlingen. Während der gesamten Reise gab es immer wieder Gerüchte und Geschichten, dass Karl XII. an verschiedenen Orten gesehen wurde oder dass der König in den Häusern einer lokalen Macht nach der anderen auftauchte. Als Karl XII. über Hessen zum Postamt in Kassel kam, wurde seine wahre Identität beinahe von einem schwedischstämmigen Offizier aufgedeckt. Karl XII. und Düring fuhren dann weiter durch Hannover und Mecklenburg. Um 2 Uhr morgens am 11. November kamen sie schließlich am Triebseer Tor in Stralsund an.

Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)"
 
Die deutsche Wiki beruft sich auf Anders Fryxell – Wikipedia und seine 'Lebensgeschichte Karl des Zwölften, Königs von Schweden : Nach d. schwed. Original frei übertr. v. G[eorg] F[riedrich] von Jenssen-Tusch [u.] L. Rohrdantz. In 5 Th. [Karl XII., König v. Schweden]. 2' - Digitalisat | MDZ .
Dort wird auch beschrieben, dass Karl zwischen Hermannstadt und Deutschland die Postkutsche benutzt habe: in Deutschland wurde die Reise wieder zu Pferde fortgesetzt. Die schwedische Wiki sieht diesen Wechsel des Transportmittels in Wien. Das wären also auf heutigen Straßen etwa 800 km mit der Kutsche.
Ich versuche einmal ein paar waghalsige Berechnungen:
Laut https://www.landesarchiv-bw.de/media/full/71737 ist bei Postkutschen anfangs des 18. Jh. bei besten Straßen mit maximal 6 km/h zu rechnen. Das entspricht ziemlich genau der Durchschnittsgeschwindigkeit der ganzen Reise. Der König soll sich aber über die Langsamkeit der Kutsche geärgert haben. Wenn die durchschnittliche Tagesleistung von 143 km mit der Kutsche gehalten werden sollte, musste der Kutscher also auch Tag und Nacht fast wie bei Polanskis Tanz der Vampire durch Siebenbürgen gerast sein.
Realistischer wären wohl vielleicht 100 km pro Tag = 8 Tage mit der Kutsche. Dann wären das für die anderen 1350 km noch 7-8 Tage und damit 170-190 km pro Tag beim Pferderitt.
Im modernen Distanzreiten Distanzreiten – Wikipedia werden wettkampfmäßige Eintages-Distanzritte höchstens bis 160km ausgetragen.

Die von @El Quijote erwähnte Schwed. Reisz-Beschreibung beschreibt eine Reise des General Meijerfeldt aus dem Jahr 1709 und verlief in einem gemächlichen Tempo (700 km von Bender bis Munkatsch in 16 Tagen) , zeigt aber im Detail, wie so etwas ablief. Der Schreiber büßte in 10 Tagen 2 Pferde ein (S. 94) und beschreibt, wie die Tatarn müde Pferde vor die Köpffe schlugen und trenchierten (S. 14).
Das Digitalisat kann hier geladen werden: Schwedische Reiß-Beschreibung Von Pultawa nach Bender, Und durch die Wallachay und Moldau Nach Teutschland : Worinn die dabey sich ereignete seltsame Zufälle communiciret werden, Deme noch hiebey gefüget: Die grosse Missive und das Göttliche Manifest An das zwar gedruckte, aber nicht unterdruckte Schweden, Betreffend: Die veritable und Welt-kündige Gewißheit der Gegenwart Caroli XII. Königs in Schweden, [et]c. / [Johann Wendel Bardili]

O.T. mich würde wirklich interessieren, wer diese Reisebeschreibung geschrieben hat. Während Ballagi ganz klar Daniel Krman als Verfasser sieht, wird beim Digitalisat Johann Wendel Bardili angegeben, während in https://dergipark.org.tr/tr/download/article-file/783216 ein E.G. Naundorf favorisiert wird.
Ich kann keine Verbindung zwischen Johan Wendel Bardili Deutsche Biographie - Bardili, Johann Wendel und dieser Reise herstellen, außer dass ein Sekretär Meijerfeldts Bardilli geheißen haben soll und an der Expedition teilnahm.
 
Robert K. Massie schreibt in seiner mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Biographie Peters des Großen (Peter the Great S. 530) dass Karl XII. für die Strecke von ca. 2000 Kilometer etwas weniger, als 14 Tage brauchte. In Pitesti in der Walachei begann Karls Parforcetour, und sie endete in Stralsund. 850 Kilometer war Karl in Postkutschen gereist, den Rest zu Pferd. Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit betrug mehr als 160 km pro Tag. Auf der letzten Strecke zwischen Wien und Stralsund als der zunehmende Mond die Strecken beleuchtete, war Karls Geschwindigkeit sogar noch größer: In sechs Tagen und Nächten legte er 1200 km zurück. Unterwegs hatte Karl nicht ein einziges Mal die Kleider gewechselt. Als er in Stralsund ankam, musste man ihm die Stiefel von den Füßen schneiden. Je weiter er kam, um so ungeduldiger wurde Karl. In Pitesti trafen Karl und seine Eskorte auf eine Gruppe von Schweden, die in Bender geblieben waren. Die Reisegruppe bestand aus 1200 Mann mit 2000 Pferden. Karl setzte sich daraufhin von der Gruppe ab. Er wollte eine mögliche Gefangennahme durch Sachsen, Russen oder Polen vermeiden und auch lästige Sympathiekundgebungen deutscher Protestanten vermeiden, die seine Reisegeschwindigkeit reduziert hätte.Selten nur übernachtete Karl in einem Gasthaus und schließ lieber in einer Postkutsche. Über Regensburg, Nürnberg und Kassel ging die Reiseroute.
 
Ich kann keine Verbindung zwischen Johan Wendel Bardili Deutsche Biographie - Bardili, Johann Wendel und dieser Reise herstellen

Johann Wendel Bardili war 1703 bis 1709 der Reiseprediger des Prinzen Max Emanuel von Württemberg.

Ihm wird ein 1730 anonym in Stuttgart erschienener Reisebericht zugeschrieben:

"Des Weyland Durchl. Printzens Maximilian Emanuels Hertzogs in Würtemberg etc. Obristen über ein Schwedisch Dragoner-Regiment Reisen und Campagnen durch Teutschland in Polen, Lithauen, roth und weiß Reußland, Volhynien, Severien und Ukrainie. Worinnen nebst denen Vielen Seltenen Zufällen des Durchl. Printzens, Die Staaten, Sitten, Gewohnheiten und Religionen dieser Völcker, wie auch die Fruchtbarkeit und Beschaffenheits dieser Länder kürtzlich beschrieben werden.
Nebst der Reys-Beschreibung von Pultawa nach Bender."
(letztere als Anhang ab S. 481) Des Weyland Durchl. Printzens Maximilian Emanuels Hertzogs in Würtemberg [et]c. Obristen über ein Schwedisch Dragoner-Regiment Reisen und Campagnen durch Teutschland in Polen, Lithauen, roth und weiß Reußland, Volhynien, Severien und Ukrainie - OpenDigi
 
außer dass ein Sekretär Meijerfeldts Bardilli geheißen haben soll

Kein Sekretär Meijerfeldts, sondern des Prinzen Max Emanuel von Württemberg:
Leben Karl des Zwölften Königs in Schweden mit Münzen und Kupfern

Die von @El Quijote erwähnte Schwed. Reisz-Beschreibung beschreibt eine Reise des General Meijerfeldt aus dem Jahr 1709 und verlief in einem gemächlichen Tempo (700 km von Bender bis Munkatsch in 16 Tagen)

Die Reise Meijerfeldts ab Bender umfasst die Seiten 79-99. Davor wird die Flucht Karls XII. und der Reste seines Heeres nach der Niederlage von Poltava bis ins türkische Asyl bei Bender beschrieben.

Diesen Teil hat Bardili mehr oder weniger wörtlich übernommen und mit einigen Erweiterungen versehen. Die Abreise Meijerfeldts wird erwähnt, auf die nähere Beschreibung seiner Reise wird verzichtet.
 
Kein Sekretär Meijerfeldts, sondern des Prinzen Max Emanuel von Württemberg:
Dachte ich auch. In dem Reisebericht zu Prinz Maximilian Emanuel finde ich keinen Hinweis darauf, dass der Verfasser im August/September 1709 seinen sterbenden Dienstherrn zwecks Expedition mit Meijerfeldt verlassen hätte. (Abritt Meijerfeldt 20.8.1709, Tod Maximilian Emanuel von Württemberg 25.9.1709)
Es gibt aber Hinweise, dass Bardili 1709 entweder seinen Arbeitgeber gewechselt hatte, oder ein anderer Bardili in Diensten Meijerfeldts war. Interessant ist auch, dass ein Friedrich Würzburg als Sekretär des Herzogs von Württemberg als Teilnehmer genannt wird.

Zitat Ballagi S.183:
Die Expedition bestand aus folgenden Mitgliedern:
Generalmajor Meijerfelt, Oberauditor Johann Löwenheim, Generaladjutant Johann Schultz, Garde-Kapitän Christian Bennet, des Herzogs von Würtemberg Sekretär Friedrich Würzburg, die königl. Gardisten Jakob Wallrave und Christian Oxhufvud, der königl. Hofkaplan Peter Rydell, die Dragoner Kapitäns Robert Gustav Frahser und Peterson, der Rittmeister Friedrich Arnkiel, der Kapitn zu Fuss Karl Piper, Der Fussoffizier Johann Gerten und der Auditor Aron Holm, sowie der Sekretär Meijerfelts, Bardilli, weiters ein Dienerpersonale von cirka 22 Personen.

Er bezieht sich hier auf das Archivum Rákóczianum.

Dazu auch aus Daniel Krman, Jozef Minárik, Gustáv Viktory: Itinerarium. (Cestovný denník z rokov 1708–1709)
...domini Mayerfeldi secretarius, Bardilli dictus,...
...et secretario Mayerfeldino, Bardilli dicto,...

Itinerarium

Bardili gibt uns seinem Reisebericht über Prinz Maximilian Emanuel wenigstens einen Hinweis auf die urprüngliche Frage:
Wer hat dafür gesorgt, dass er die Kilometer so nahtlos abspulen konnte?
An denen Siebenbürgischen Grentzen wurde er von Herrn General Grafen von Steinwille, an denen Ungarischen Grentzen aber, von Herrn General Grafen von Welzeck, Namens Sr. Kayserl. Maj. complimentirt, welche Ordre gehabt den König durch alle Kayserliche Lande zu defrairen.

Im September 2000 startete der schwedische General Åke Sagrén zu einem Reenactement des Gewaltritts Karls. Dazu wurden insgesamt 36 Pferde bereit gestellt.
Ich finde jedoch nichts über eine Ankunft in Stralsund. Weiß jemand, ob das erfolgreich war?
Gewaltritt auf königlichen Spuren - WELT
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke für die Antworten. Selbst wenn ein Teil der Wegstrecke per Kutsche zurückgelegt wurde – eine beeindruckende Reise. Die dürfte in die Knochen gegangen sein.
 
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