Luftkrieg: Psychische Belastungen alliierter Flugzeugbesatzungen im Luftkrieg 1942/45

Was man bei dieser Diskussion auch nicht außer acht lassen sollte, sind die begrenzten Chancen der Besatzungen aus getroffenen Maschinen herauszukommen.


Plakativ gilt dies für den Heckschützen einer B 17, der durch den Rumpf nach hinten klettern musste und für diesen Weg durch eine enge Röhre kriechend so viel Zeit (Minuten) benötigte, dass ein Aussteigen nach einem Treffer im Falle des Absturzes utopisch war. Entsprechendes gilt für den Schützen im Kugelturm unter dem Rumpf. Auch ein Entkommen aus einer trudelnden Maschine war bis auf die MG Schützen an den seitlichen Rumpföffnungen nur sehr schwer möglich, so dass ein erheblicher Treffer an der Maschine auch oft das Ende von 80 % der Besatzung bedeutete.

Ein weiterer Aspekt waren die immensen Verletzungen der Getroffenen in den Maschinen, die durch die Kaliber von 17mm bis 20mm (später sogar 30 mm) Geschossen bedingt waren. Wenn man berücksichtigt, dass ein einzelnes Explosivgeschoss einer MG 20 FF in der Tragfläche einer B 17 ein Loch von einem Quadratmeter reissen konnte, mag man eine Vorstellung davon bekommen, wie die Besatzungen bei Beschuss zugerichtet wurden.

Auf den englischen Flugplätzen gab es das geflügelte Wort vom Schicksal der B 17 Heckschützen, die bei Treffern nur noch mithilfe eines Wasserschlauchs aus dem Heck entfernt wurden. Der Anblick solcher Folgen bei Kameraden, mit denen man noch zusammen frühstückte, dürfte auch zu den erheblichen Stessbelastungen beigetragen haben.
 
Lag es nicht vielmehr daran, dass aufgrund des Vordringens der Alliierten auf dem europäischen Festland die Anflugwege und -zeiten der Bomber wesentlich verringert werden konnten und im Bedarfsfall auch rascher Hilfe durch Jagdflieger angefordert werden konnte?

Zuvor waren die aus England anfliegenden Verbände bereits über dem Ärmelkanal angegriffen worden, mussten sich dann durch mehrere Flakgürtel durchquälen, wurden immer wieder von Jägern angegriffen. Und hernach mussten sie den ganzen Weg wieder zurück nach GB fliegen. Das waren mehrere Stunden unter enormer Anspannung. Vor allem, wenn der Treibstofftank immer leerer wurde...

Spätestens ab Herbst 1944 hatte sich die Lage für die Aliierten wesentlich gebessert, trotz Strahlenflugzeuge und Nachtjäger der Luftwaffe.

Mit Ausnahme der 9. USAAF, die vornehmlich taktische Bombardierungen vornahm, wurde die 8.USAAF (und die 15. USAAF von Italien aus) bis Kriegende von den Flugplätzen in England aus eingesetzt, so dass die Länge der Anflüge blieb; sie erhöhte sich sogar noch, da ab 1944 vermehrt östlich der Elbe bombardiert wurde.

Lediglich der verbesserte Jagdschutz durch den Einsatz der P 51 Mustang sowie durch die Zusatztanks verbesserten die Lage der Bomberbesatzungen
 
Obwohl die alliierten Bomberflotten die meisten Verluste durch die (Nacht-)Jäger der Luftwaffe erlitten, gaben viele Besatzungen an, dass die psychologische Wirkung der Flakriegel wesentlich höher war, als die Gefahr durch die Jagdflieger. Hier kommt mit Sicherheit der Effekt stark zum Tragen, den einige Vorredner schon erwähnt haben, gegen Jäger kann man sich wehren, gegen Flakbeschuss faktisch nicht.

Zu dem Thema Empathie ist mir noch etwas eingefallen. Paul Tibbets, der Kommandant der Enola Gay, von der aus die erste Atombombe auf Hiroshima abgeworfen wurde, zeigte in keinem Interview, das ich mit ihm gesehen hatte, irgendeine Form von Mitleid für die Opfer dieses Angriffs. Auch er berief sich immer wieder auf seine soldatische Pflicht, er hatte also nur einen Befehl ausgeführt. Ob das ganze jetzt eine Verlagerung der Schuld auf eine gesichtslose Befehlsstruktur oder fehlende Empathie ist, kann und will ich nicht beurteilen, auf jeden Fall gibt es von ihm signierte Bilder der zerstörten Stadt.
 
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Obwohl die alliierten Bomberflotten die meisten Verluste durch die (Nacht-)Jäger der Luftwaffe erlitten, gaben viele Besatzungen an, dass die psychologische Wirkung der Flakriegel wesentlich höher war, als die Gefahr durch die Jagdflieger.

Dazu habe ich noch die entsprechende medizinische Statistik gefunden:

Incidence of Psychological Disorders and LMF among RAF Aircrew
Jahr ...........Neurosis ...Lacking in Confidence
1942–43 .....2503 ........416 (16.6%)
1943–44 .....2989 ........307 (10.2%)
1944–45 .....2910 ........306 (10.5%)
Source: C. P. Symonds and Denis Williams, Investigation into Psychological Disorder in Flying Personnel, p. 1, AIR2/6252, TNA.

zitiert nach: Edgar Jones: “LMF”: The Use of Psychiatric Stigma in the Royal Air Force during the Second World War, JoMH 2006, S. 452. Die Schätzungen der aussortierten Fälle schwanken zwischen 4.500 und 6.000 (ein Teil wurde in den "Bodeneinsatz" überstellt.
 
Das Thema ist wieder einmal in der Literatur behandelt worden, diesmal unter dem Aspekt alliierter Landungen von Flugzeugbesatzungen in neutralen Ländern:

Dwight S. Mears: The Catch-22 Effect - The Lasting Stigma of Wartime Cowardice in the U.S. Army Air Forces, JoMH 2013, S. 1025-1054.

Anknüpfungspunkt ist das bekannte "Catch-22" und "Whispers in the Air".
Catch-22 ? Wikipedia
BFI | Film & TV Database | WHISPERS IN THE AIR (1989)

"During World War II, U.S. airmen circulated pernicious rumors about the motives of the hundreds of aircrews who landed in neutral countries. Although investigated and disproven by the leadership of the U.S. Army Air Forces (USAAF), the rumors persisted in popular memory and ultimately stigmatized the veterans who endured neutral captivity. This essay examines the motives of some airmen who landed in Switzerland, and argues that the stigma associated with neutral captivity resulted in denials of benefits and military decorations to deserving veterans."

Der Artikel beschäftigt sich mit den psychischen Belastungen der Einsatzflüge (limitiert auf 25 Einsätze, die Besatzungen eine 50%-ige Überlebenschance "sichern" sollte) unter dem Aspekt, ob sich die gehäuften Ausweichlandungen in neutralen Ländern unter diesem Aspekt sehen lassen.

Dafür wurden die Ursachen analysiert, aber auch der Umstand, dass zB in der Schweiz nahezu 60% (!) der internierten Besatzungen tatsächlich Fluchtversuche zurück zu den alliierten Linien unternommen haben (und dort weitere Verwendung im Kriegsdienst erwarten mussten), obwohl die Motive hierfür wohl sehr komplex waren.

Die Analyse der Einzelfälle von Flügen in neutrale Länder (dazu gab es diverse Untersuchungskommissionen, zT schon während des Krieges) ließ jedenfalls keinen Zusammenhang mit LMF-Syndromen erkennen. Die Zahlen der Einzelfälle wurden außerdem durch Spekulationen künstlich erhöht, indem kursierte, "Hunderte" von Fällen seien während der Fluchtversuche in neutrale Länder abgeschossen worden. Dafür gibt es nicht den geringsten Beleg. Die betroffenen Internierten wurden dagegen nach dem Krieg als "Kriegsgefangene 2. Klasse" behandelt und waren häufig diskreditiert.

"The pseudo-historical narrative created by popular literature, media, and history apparently affected real-world veterans benefits such as the priority medical treatment afforded to those designated as former Prisoners of War (POWs) by the U.S. Department of Veterans Affairs (VA). ... “our government responds as if we got into Switzerland on a vacation cruise.”
 
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