Luther / Münzer

G

Gast

Gast
Hallo,

kann mir jemand sagen, wieso man in westdeutscher Literatur mehr Informationen über Luther als über Thomans Münzer findet?

LG
F.
 
Luther hatte schlicht und einfach die größere und v.a. nachhaltigere Wirkung, er ist deshalb - aus der Sicht der Nachgeborenen! - der historisch bedeutsamere.*
In der DDR war das natürlich anders. Hier gab es ein historisch-materialistisches Geschichtsbild, Müntzer und der Bauernkrieg wurden hier hineingepresst als Repräsentanten der frühbürgerlichen Revolution. Ob Marx sich das mit seiner Geschichtstheorie wirklich so vorgestellt hat, wie das in der DDR durchexerziert wurde, ist natürlich eine andere Frage.


*Schiller forderte in der Geschichtsforschung nur die Dinge zu berücksichtigen "welche auf die heutige Gestalt der Welt und den Zustand der jetzt lebenden Generation einen wesentlichen, unwidersprechlichen und leicht zu verfolgenden Einfluß gehabt haben". Wir würden das heute natürlich in dieser ausschließlichen Form ablehnen, aber letztlich ist unser Interesse doch durch das bestimmt, was wir kennen und so kommt die schillersche Forderung durch die Hintertür wieder herein und Luther setzt sich gegen Müntzer durch.
 
Geschichte wird immer aus dem Spiegel unserer Zeit heraus interpretiert und da ist Luther einfach im Moment wichtiger, woraus auch Mehr an Literatur resultiert. Theoretisch ist aber natürlich nicht auszuschließen, dass sich das in ferner Zukunft drehen könnte...
 
@Gast

In Ergänzung zu den Postings meiner Mitdiskutanten.

Die Reformation, deren Protagonist u.a. Martin Luther war, hatte eine welthistorische Bedeutung und wirkt bis heute in Form des Protestantismus fort.

Thomas Müntzer als historisch einzuordnende Person, hatte regional- bzw. höchstens nationalgeschichtlichen Rang, noch dazu zeitlich arg begrenzt.

M.
 
In der DDR war das natürlich anders. Hier gab es ein historisch-materialistisches Geschichtsbild, Müntzer und der Bauernkrieg wurden hier hineingepresst als Repräsentanten der frühbürgerlichen Revolution. Ob Marx sich das mit seiner Geschichtstheorie wirklich so vorgestellt hat, wie das in der DDR durchexerziert wurde, ist natürlich eine andere Frage.

Zimmermann schreibt in seinem "Bauernkrieg" dass man bei der Beurteilung Thomas Müntzers seine große Jugend berücksichtigen müsse. Er wollte zuviel und sofort.

OT: Übrigens eine sehr interessante Epoche der deutschen Geschichte. Mit vielerlei Strömungen und allerlei interessanten Persönlichkeiten, die es Wert sind näher betrachtet zu werden.
 
@Gast

Thomas Müntzer als historisch einzuordnende Person, hatte regional- bzw. höchstens nationalgeschichtlichen Rang, noch dazu zeitlich arg begrenzt.

M.

War für mich jetzt Anlass mal wieder in meinem Zimmermann zu lesen.
Was mir bisher entgangen war, Thomas Münzer hat im Herbst/Winter 1524 gut 3 Monate im Schwarzwald, Hegau, Oberschwaben zugebracht.

Einen "nationalen" Rang kann man ihm von dem her schon zugestehen.

Eigentlich erstaunlich, dass die im Bauernkrieg angelegten Bestrebungen
und Forderungen faktisch auch in der Folge keinerlei Relevanz mehr gehabt haben.
Ist das dem 30jährigen Krieg ein Jahrhundert später geschuldet?
 
@Repo

Ich meine keine Linie zwischen dem gleichsam "historischen Versinken" der Forderungen des Bauernkrieges und dem späteren 30'jährigen Krieg erkennen zu können.

Die Niederlage der Bauern war vollkommen. Vielmehr setzte eine sozioökonomische Entwicklung ein, die die Rechte der Bauern verschlechterte "zweite Leibeigenschaft", insbesondere in den ostelbischen Gebieten, vergl. hier:

Agrarverfassung und Vererbung

"...Doch seit dem 14./15.Jh.. vor allem mit dem zunehmenden Geldbedarf der Feudalherren, entwickelte sich eine feudale Reaktion, die zur sog. zweiten Leibeigenschaft führte. Zeichnete sich die (erbte) Leibeigenschaft durch eine Vielzahl von Abhängigkeits­verhältnissen und Überschneidungen von Herr­schaftsverhältnissen aus, so ist die zweite Leibeigenschaft durch vereinfachte Abhängigkeitsverhältnisse gekenn­zeichnet: ..."

Quelle:

Leibeigenschaft

Ich nehme an, der "Widerstand" der Baueren verlagerte sich wieder auf den "Vorkriegsstand", also Prozesse führen.

Hier würde man bestimmt fündig:

http://startext.net-build.de:8080/b...9A14893C&uid=F84804AD0B624B68B0E1AC0B5231FAC4


M.
 
Vielen Dank erstmal für die Antworten!
Kann mir vielleicht noch jemand darüberhinaus ein DDR-Geschichtsbuch (vielleicht Schulbuch?) empfehlen, in dem Thomas Müntzer entsprechend der politischen Vorstellungen dargestellt und gewürdigt wurde?


LG
F.
 
@Gast

Meiner Erinnerung nach wurde Müntzer/Bauerkriege in der 8. Klasse behandelt. Zur Sicherheit schau aber auch 7. und 9. Klasse, ist schon ein Weilchen her.
Das war im 1. Halbjahr 7.Klasse.:winke:

In der 6. Klasse wurde alles ab ca. Jahr 0 bis zur Eroberung Amerikas behandelt, inklusive dieser.
 
Kein DDR-Geschichtsbuch.

Aber schau doch mal in den Zimmermann "Der große deutsche Bauernkrieg"
gibt es in den meisten Büchereien.

Mindestens 2 Kapitel Münzer.
 
Der Zimmermann ist allerdings aus dem 19. Jhdt. Mag sein, dass ich die Frage des Gastes falsch interpretiere, aber ich hatte den Eindruck, dass es darum geht, warum in Westdeutschland zwischen '49 und '89 Müntzer weniger intensiv rezipiert wurde, als Luther bzw. als in der DDR.
 
Der Zimmermann ist allerdings aus dem 19. Jhdt. Mag sein, dass ich die Frage des Gastes falsch interpretiere, aber ich hatte den Eindruck, dass es darum geht, warum in Westdeutschland zwischen '49 und '89 Müntzer weniger intensiv rezipiert wurde, als Luther bzw. als in der DDR.
Ein bisschen passt es schon. Wir hatten eine Ausgabe vom Zimmermann in der Stadtbib und darin wurde im Vorwort erklärt, warum es auch heute (also zur Zeit des real existierenden Sozialismus) richtig ist, das Werk zu verlegen. Ich glaube, man leitete das von einer Einschätzung von Engels über das Werk her.
Leider habe ich die Ausgabe natürlich nicht daheim, aber sie war auf jeden Fall aus der DDR-Zeit und auch in der DDR gedruckt.:winke:
 
Vergl. hier:

Willhelm Zimmermann, Der Grosse Deutsche Bauernkrieg, Volksausgabe, Dietz Verlag 1984

Zur Luther Rezeption in der späten DDR, Gert Wendelborn, Martin Luther, Leben und reformatorisches Werk, Verlag Böhlaus Nachf., 1983, Union Verlag, ISBN 3-205-00542-2

M.
 
Der Zimmermann ist allerdings aus dem 19. Jhdt. Mag sein, dass ich die Frage des Gastes falsch interpretiere, aber ich hatte den Eindruck, dass es darum geht, warum in Westdeutschland zwischen '49 und '89 Müntzer weniger intensiv rezipiert wurde, als Luther bzw. als in der DDR.

Stimmt schon.
Aber meines Wissens noch immer das deutschsprachige Standardwerk zum Bauernkrieg.

Und auch meine Zierde des Bücherschrankes ist aus dem Dietz-Verlag.=)
 
Zurück
Oben