Marxistische Lehre

Rachel

Neues Mitglied
Hallo

Ich habe dieses Forum hier auf meiner Suche nach einer Antwort auf meine Frage gefunden und hoffe, dass ihr mir helfen könnt.

Meine erste Frage bezieht sich auf die Marxistische Lehre.Ich bin mir unsicher, ob ich den Sinn der Aussage richtig erfasst habe.
Ich habe es so verstanden:
Marx war der Ansicht, dass die Arbeiter allgemein ausgenutzt werden. Die Menschen wollen immer mehr und mehr und stoßen dabei an die Grenzen dessen, was sie produzieren können. Die Arbeiter in den Fabriken sind die eigentlich "Herrscher", denn sie stellen das her, wovon die anderen Leben, aus dessen verkauf die Fabrikbesitzer leben.
Irgendwann wird es dazu kommen, dass die gesammte Macht auf das einfache Bürgertum übergehen wird - es wird eine Revolution geben.

Gleichtzeit ist die Frage: Wieso ist es in unserer Zeit nicht so weit gekommen? Wieso gab es diese Revolution nicht?
Weil wir festgesetze Löhne haben oder weil wir einfach ein verzweigtes soziales Netzwerk besitzen?

Vielleicht könnt ihr mir helfen, ich finde darauf keine Antwort.
 
Die Arbeiter in den Fabriken sind die eigentlich "Herrscher", denn sie stellen das her, wovon die anderen Leben, aus dessen verkauf die Fabrikbesitzer leben
Herrscher ist ein ungünstiges Wort, denn es ging ihm gerade darum, dass ihre Bedeutung für die Produktion sich nicht in den Lebensumständen niederschlägt. Also nicht Herrscher, sondern Stütze, zentrales Element oder ähnliches. Knackpunkt ist, dass beim Übergang von Rohmaterial zu Produkt sich der Wert selbiger steigert und Marx dies als Verdienst der Arbeiter sieht. Ausbeutung ist es für ihn deshalb, weil dieser Preisunterschied hauptsächlich dem Fabrikbesitzer, der Maschinen zur Verfügung stellt, zukommt.
Irgendwann wird es dazu kommen, dass die gesammte Macht auf das einfache Bürgertum übergehen wird - es wird eine Revolution geben.
Was meinst Du mit "einfaches Bürgertum"? Das Bürgertum - so Marx - gewinnt aus seiner wirtschaftlichen Macht irgendwann politische Macht ohne die Arbeiterschaft daran teilhaben zu lassen und dann käme die Revolution, des (fast) hoffnungslosen Proletariats.
Weil wir festgesetze Löhne haben oder weil wir einfach ein verzweigtes soziales Netzwerk besitzen?
Guter Ansatz, aber feste Löhne sind doch letztenendes ein Teil des sozialen Netzes.
 
Hallo

Vielen Dank ersteinmal für die schnelle Antwort.
Ich denke, ich habe es jetzt einigermaßen verstanden.

In den Augen Marx war das Proletariat für den gesellschaftlichen Wohlstand und Aufstieg der Bourgeoise verantwortlich. Während die Fabrikbesitzer nur die Rohmaterialien und die notwendigen Maschinen stellten, waren die Arbeiter diejenigen, die die eigentlichen, verkaufsfertigen und ertragsbringenen Waren herstellten.
In Marx Augen werden die eigentlichen „Schöpfer“ der Produkte nur ausgenutzt und mit einem Hungerslohn abgespeist, den eigentlichen Profit aus der Arbeit kommt aber den Besitzern der Fabriken zugute.
Marx prophezeit eine Revolution des Proletariats, da die Macht der Bourgeoise sich im wirtschaftlichen Bereich so weit ausweiten wird, dass sie irgendwann auch in den politischen Lebensbereich eindringen wird.


Die Frage, warum es dennoch nicht so weit gekommen ist, kann ich allerdings immer noch nur lückenhaft beantworten.
Ich vermute einfach mal, dass es daran liegt, dass sich Gewerkschaften gebildet haben, dass es Mindestlöhne gibt und das wie heutzutage nicht mehr in einer "klassengesellschaft" leben.
Liege ich damit richtig?
Mir fällt es schwer, Ursache und Wirkung zu trennen...
 
Den ersten Teil finde ich sehr gut. Auch weil Du schön betonst, dass es eine Interpretation ist.
Für deine 2. Frage ist die Verelendungsthese wichtig. Die Revolution war ja als Folge der fortschreitenden Verelendung der Arbeiterschaft gedacht, während nur die Bourgeosie vom Wirtschaftswachstum profitiere. Hilfreich ist es also zu untersuchen, wie dieser Prozess abgemildert/verhindert/umgekehrt wurde (was zutrifft ist natürlich auch zu klären).
Wenn Du die heutige Gesellschaft nicht mehr als Klassengesellschaft bezeichnest, ist es gut zu sagen, wie sie sich stattdessen beschreiben lässt, denn soziale Unterschiede gibt es immer noch. Welche Rolle spielen diese und was unterscheidet sie von der Industrialisierung.
Industrialisierung ist auch ein gutes Stichwort. Welche Wirtschaftssektoren kennst Du und weißt Du wie sich deren Anteil an Arbeitsplätzen oder im BSP entwickelt?
 
In den Augen Marx war das Proletariat für den gesellschaftlichen Wohlstand und Aufstieg der Bourgeoise verantwortlich. Während die Fabrikbesitzer nur die Rohmaterialien und die notwendigen Maschinen stellten, waren die Arbeiter diejenigen, die die eigentlichen, verkaufsfertigen und ertragsbringenen Waren herstellten.
In Marx Augen werden die eigentlichen „Schöpfer“ der Produkte nur ausgenutzt und mit einem Hungerslohn abgespeist, den eigentlichen Profit aus der Arbeit kommt aber den Besitzern der Fabriken zugute.
Marx prophezeit eine Revolution des Proletariats, da die Macht der Bourgeoise sich im wirtschaftlichen Bereich so weit ausweiten wird, dass sie irgendwann auch in den politischen Lebensbereich eindringen wird.

Marx hat die Fabrikbesitzer keinesfalls restlos verbal niedergemacht. Deshalb sollte in deinem Text das Wort "nur" gestrichen werden. Ohne Rohmaterialien und Maschinen hätte kein Arbeiter arbeiten können. Die "Schöpfer" der Produkte (Waren oder noch besser Güter) sind bei Marx nicht imaginär. Sie verdienen also keine Gänsefüßchen. Und der Hungerslohn ist orthographisch ohne s besserer deutscher Ausdruck.

Übrigens: "Klassengesellschaft" ist ein sozialistisch-kommunistischer Begriff. Mit diesem Begriff sollen Gesellschaften gespalten und gegebenenfalls aufeinander gehetzt werden.
 
Wenn das Weber wüsste...

Max Weber unterschied verschiedene soziale Lagen und Schichten in einer Gesellschaft. Er hetzte diese nicht innerhalb einer Gesellschaft gegeneinander auf. Er bemerkte, dass bei technisch-ökonomische Erschütterungen das Hauptaugenmerk auf die Klassenlage und nicht auf die Stabilität der ständischen Gliederungen gelegt wurde. Weber hat nie den Klassenkampf für die Klassenlagen und -schichten in einer Gesellschaft propagiert.
Marx hingegen teilte die Gesellschaft in mindestens zwei Gesellschaften auf und erklärte sie zu Klassengesellschaften.
 
Impliziert Klassengesellschaften gleich Klassenkampf oder nur, dass sich eine Gesellschaft eher in Klassen als in Stände unterteilt?
Weber mag keine Klassenkämpfe gewünscht haben, aber er hielt zumindest Klassenhandeln für möglich und dies zeigt imho, dass der Begriff Klassengesellschaft nicht zwingend den Wunsch nach Klassenkämpfen impliziert
Auf Seite 4 Weber über Klassenhandeln http://www.sociosite.net/topics/texts/weber_klassen.pdf
 
Die Klassengesellschaft existiert ja auch in der von Marx beschriebenen Form.
Ob das einen Kampf der unteren gegen die obersten Schichten zwangsläufig verlangt, wage ich zu bezweifeln.
Aber das muss den Arbeitern damals wohl wie eine Epiphanie erschienen seinen, die einen Weg aus dem Elend der ach so fortschrittlichen Gesellschaft wies?
Oder wurde im Gegenteil von der angesprochenen Klasse eher mit Ablehnung reagiert?
 
Die Klassengesellschaft existiert ja auch in der von Marx beschriebenen Form.

Vergessenes <e> oder absichtlicher Präsens? Denn über eines sind sich die Soziologen einig: Dass sich der Begriff Klasse auf die heutige Gesellschaft nicht mehr anwenden lässt, ohne ihn anders zu definieren. Um aber nicht in Abgrenzungsschwierigkeiten zu kommen, spricht man von Milieus.

Um den Unterschied zu verdeutlichen: Im 19. Jahrhundert war Bildung, um die marx'sche Terminologie zu benutzen, ein Produktionsmittel. Wer gebildet war hatte - sofern er nicht aus politischen Gründen verfemt war - einen gut bezahlten Beruf sicher in Aussicht. Jemand der nichts außer seiner Körperkraftbesaß zählte dagegen zu den Besitzlosen und konnte nichts außer seiner Körperkraft auf dem Arbeitsmarkt verkaufen. Das ist heute sehr viel differenzierter. Seit den siebziger Jahren gibt es arbeitslose Akademiker - was vorher quasi unbekannt war. Diese können aber im marx'schen Sinne nicht unter die Proletarier eingeordnet werden, denn sie tragen ihr Produktionsmittel ja mit sich herum. Doch sie sind nicht in der Lage, dieses Produktionsmittel einzusetzen.
Auch im Bereich des Proletariers hat sich einiges geändert. Während Arbeiter und Angestellte es teilweise zu einem geringen Wohlstand bringen konnten, gibt es andere, die in Deutschland in absoluten Ausbeutungssituationen, fast wie im 19. Jahrhundert leben, Leute, die Hartz IV zusätzlich zum Vollzeitlohn benötigen (ich will darüber nicht diskutieren, sondern nur die Bandbreite verdeutlichen). In anderen Milieus vererben die Eltern die Arbeitslosigkeit und Sozialhilfeabhängigkeit an ihre Kinder weiter, ganz unabhängig vom Arbeitswillen dieser Leute, der ihnen ja gerne abgesprochen wird, ist das Milieu z.T. schuld daran, dass diese Leute aus der Situation einfach nicht mehr heraus kommen. Das sind Phänomene, die Marx nicht kannte. Deshalb, wie gesagt, ist die Soziologie heute auf den Begriff Milieu ausgewichen, der Begriff Klasse ist dagegen entweder historisch, politisch oder unscharf.
 
Vergessenes "e"... ehehehe...
Gute Definition! Die heutige Gesellschaft ist ohne Zweifel viel zu facettenreich, um diese Theorie anzuwenden.
Allein die Informationsmenge bei all diesen Menschen ist unvorstellbar.
Ob Milieu, Unwillen oder Herkunft, die Faktoren vermischen sich extrem miteinander.
 
Ich beschäftige mich nun schon etwas länger mit Marx und freue mich zu sehen, dass es noch Menschen gibt, die ihn ernst nehmen. Ich versuche hier erstmal zwei (implizite) Fragen aufzunehmen:

1. Was ist Ausbeutung?

Um zu verstehen, was Marx unter Ausbeutung verstand und warum das kein moralischer Begriff ist, muss man sich erstmal die marxsche Wertlehre vornehmen. Marx ging wie seine Vorgänger Smith und Ricardo davon aus, dass menschliche Arbeit ökonomischen Wert (d.h. Tauschwert) schafft und zwar nur menschliche Arbeit. Auch Naturstoffe besitzen nur den Wert der Arbeit, die notwendig ist, um sie zu gewinnen. Die Höhe des Wertes wird durch Arbeitszeit gemessen. Im Gegensatz zu Ricardo nahm Marx jedoch an, dass nicht die konkrete Arbeit (Holzfällen, Taxifahren, etc.) sondern menschliche Arbeit schlechthin (d.h. "abstakte Arbeit") diesen Wert bildet und auch nur die "gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeit".

Nun kommt die Klassentheorie ins Spiel: Es gibt zwei gesellschaftliche Klassen, das Proletariat und die Bourgiousie. Proletarier sind in doppeltem Sinne frei: Einmal rechtlich, sie gehören keinem Lehnsherren oder Sklavenhalter und können ihre Arbeitskraft verkaufen, gleichzeitig sind sie auch frei von allen Lebensmitteln, und müssen daher auch ihre Arbeitskraft verkaufen. Die Bourgiousie besitzt die Produktionsmittel und setzt ihr Geld als Kapital ein: Die allgemeine Kapitalformel lautet G-W-G'. Mit ihrem Geld (G) kaufen die Kapitalisten eine bestimmte Ware (W), nämlich die Arbeitskraft. Wer gut aufgepasst hat, weiss was jetzt kommt: Da die Arbeit den Wert schafft, wird die ursprünglich vorgeschossene Geldmenge (G) verwertet und somit vermehrt zu G'.

Schauen wir uns den Arbeitsprozess an: Der Arbeiter verausgabt seine Arbeitskraft und schafft dadurch Wert - meistens acht, zu Marx Zeiten zwölf Stunden am Tag. Ein Teil des Arbeitstages, sagen wir vier Stunden, erarbeitet der Arbeiter den Wert, der sein eigener Lohn sein wird, welchen er zur Reproduktion seiner Arbeitskraft braucht (Essen, Unterkunft, etc.). Wichtig: Im Lohn wird nicht der Wert der Arbeit bezahlt (der wäre acht Stunden), sondern der Wert seiner Arbeitskraft (vier Stunden). Das alles nennt Marx die notwendige Arbeitszeit. Die restlichen vier Stunden arbeitet der Proletarier für den Kapitalisten, die sogenannte Mehrarbeitszeit. Der Proletarier schafft vier Stunden lang Mehrwert, den sich der Kapitalist dann unbezahlt aneignet. Dies tut er nicht, weil er so ein böser Bursche ist, sondern weil der universelle Konkurrenzdruck aller Kapitalisten ihn dazu zwingt, seine Produktivkraft zu steigern. Wenn er nämlich besonders gut ausbeutet, kann er den Anteil der notwendigen Arbeit am Produkt senken und somit auch die Preise, wobei der Mehrwert gleich bleibt. Wichtig ist: Weder Proletarier noch Kapitalist wissen eigentlich wirklich, was da passiert. An der Oberfläche sieht es so aus, als würden sich Kapitalist und Arbeiter den Profit teilen. Weil aber im Arbeitsprozess unbezahlte Arbeit enthalten ist, liegt Ausbeutung vor.

Puh! Das waren jetzt zweihundert Seiten "Kapital" im Schnelldurchgang. Ich denke, da bleiben notwendigerweise einige Unklarheiten, also fragt besser nochmal nach.

2. Kann man die marxsche Klassentheorie heute noch benutzen?

Diese Frage kann man nur mit einem klaren "JA!" beantworten. Mal abgesehen davon, dass der Klassenbegriff weder von Marx erfunden, noch ausschließlich von ihm benutzt wurde (neben Max Weber fällt mir noch Pierre Bourdieu ein), ist dieser Begriff eigentlich nur in Deutschland so verpöhnt. Auch die erzkonservative Margret Thatcher hatte kein Problem damit, von der "working class" zu sprechen.

Wichtiger ist allerdings, was die marxsche Klassentheorie von bürgerlichen Vorstellungen unterscheidet. Es geht keinesfalls um äußerliche Dinge, wie Einkommen, Lebenstandart, Konsumverhalten, etc. Sondern um die Stellung im Produktionsprozess: Es muss immer Leute geben, die gezwungen sind ihre Arbeitskraft zu verkaufen und es muss Leute geben, die ihr Geld als Kapital einsetzen, also Arbeitskraft kaufen und verwerten.

Die Klasse ist keinesfalls ein Propagandabegriff um "die Gesellschaft aufeinander zu hetzen", sondern sowohl ein reales Verhältnis, als auch eine Kategorie zur Erklärung des Kapitalismus.

(Das geht jetzt schon über die Fragestellung hinaus, aber ich würde mich auch dagegen wehren, dass die marxsche Theorie auf eine Agitation verkürzt wird. Marx wollte keine Programmschrift für irgendwelche Parteien schreiben [so ist er oft in der Arbeiterbewegung misverstanden worden], sondern die realen Widersprüche im Kapitalismus auf ihre Sprengkraft untersuchen.)

Das erstmal zum Einstieg. Die kontroverseste Frage, nämlich danach warum die Umwälzung nicht stattgefunden hat, habe ich erstmal ausgespart. Würde ich aber gerne mit euch diskutieren.
 
Die kontroverseste Frage, nämlich danach warum die Umwälzung nicht stattgefunden hat, habe ich erstmal ausgespart. Würde ich aber gerne mit euch diskutieren.
Aber die Umwälzung hat doch stattgefunden - im Jahre 1989. Spätestens da müsste doch eigentlich jeder eingesehen haben, dass die ganze Theorie nicht für die Realität taugt. Fast jeder.
 
Meine erste Frage bezieht sich auf die Marxistische Lehre.

Hallo,

auch wenn das jetzt entgegen der bisher eingeschlagenen Diskussionsrichtung geht, möchte ich trotzdem deine Frage noch einmal anders aufgreifen. Marx war meines Wissens auch als Geschichtsphilosoph tätig. Die Revolution des Proletariats ordnete er zusammen mit Engels in einer determinierte Abfolge verschiedener Systeme ein:

Stammes- oder Urgesellschaft, auch Urkommunismus Sklavenhaltergesellschaft
Feudale Gesellschaft
Kapitalistische Gesellschaft
Sozialismus
Kommunismus

mfg
 
An sich ist die Theorie schon gut. Sie widerspricht nur dem menschlichen Naturell. Vielleicht in ein paar hundert Jahren...
Wäre es dann nicht angebracht, eine neue, funktionierende Idee zu ersinnen, die der Realität des Menschen Rechnung trägt ?

Ist es legitim, eine Theorie realisieren zu wollen, die eine grundlegende Veränderung des Menschen als Voraussetzung hat ? Mao hat sich damit ja schon redlich Mühe gegeben, aber die Chinesen sind leider uneinsichtig geblieben.
 
Sieferle, Rolf Peter: Die Revolution in der Theorie von Karl Marx
Berlin, Ullstein Verlag, 1979 ISBN 3-548-03584-1

http://www.geschichtsforum.de/f46/marxismus-leninismus-15309/index5.html

Marx und Engels waren der Meinung, dass der Sozialismus unter internationalen Gesichtspunkten verwirklicht werden muss: "Die Emanzipation der Arbeiterklasse (ist) weder eine lokale, noch eine nationale, sondern eine soziale Aufgabe" (Marx, Gründungserklärung der Internationalen Arbeiterassoziation).
Marx bekanntestes Werk, das „Das Kommunistische Manifest“, endet bekanntermaßen mit den Zeilen: "Proletarier aller Länder vereinigt euch!".
Unter Lenin wurde der Gedanke der Weltrevolution noch als Leitidee angesehen, und so wurde im März 1919 die Dritte, die Kommunistische Internationale (Komintern) gegründet. Die Aufgabe dieser Organisation war, die noch nicht vereinte und siegreiche, aber immerhin existierende Weltrevolution der Jahre 1917-1926 um jeden Preis zu unterstützen: "Aus den dargelegten Grundsätzen folgt, daß die gegenseitige Annäherung der Proletarier und werktätigen Massen aller Nationen und Länder zum gemeinsamen revolutionären Kampf für den Sturz der Gutsbesitzer und der Bourgeoisie zum Eckstein der gesamten Politik der Komintern in der nationalen und kolonialen Frage gemacht werden muß."
(Lenin, Ursprünglicher Entwurf der Thesen zur nationalen und kolonialen Frage).
Nach dem Tode Lenins kam es in der Sowjetunion zum offenen Machtkampf zwischen dem Generalsekretär der KPDSU und zukünftigem Despoten Stalin und dem Revolutionär und späterem Führer der Linken Opposition, L. Trotzki.
Stalin befürwortete einen nationalen Kurs der "Neutralisierung der Weltbourgeoisie" und der diplomatischen Verhandlung, was mit einer These ideell untermauert wurde, die der Auffassung von Marx und Engels deutlich widersprach ("Sozialismus in einem Lande"): "Früher hielt man den Sieg der Revolution in einem Lande für unmöglich, da man annahm, daß zum Siege über die Bourgeoisie eine gemeinsame Aktion der Proletarier aller fortgeschrittenen Länder oder jedenfalls der Mehrzahl dieser Länder erforderlich sei. Jetzt entspricht dieser Standpunkt nicht mehr der Wirklichkeit. Jetzt muß man von der Möglichkeit eines solchen Sieges ausgehen"
(Stalin, Über die Grundlagen des Leninismus).
Trotzki verteidigte gemäß seiner Theorie der permanenten Revolution, der theoretischen Basis seines Lebenswerkes, die Parole der Weltrevolution, die auf der Analyse von Marx beruhte, dass in einer internationalen Produktionsweise jeder Gedanken an das längerfristige Überleben einer autarken Wirtschaftsorganisation ein Hirngespinst sei.
Im Gegensatz zu Stalin hielt er den Sozialismus im nationalen Rahmen gerade in einem so rückständigen Bauernland wie Russland für unmöglich: "»Glauben Sie etwa«, erwiderten mir in den Jahren 1905 bis 1917 dutzende Male die Stalins, Rykows und alle sonstigen Molotows, »daß Russland für die sozialistische Revolution reif ist?« Darauf habe ich stets geantwortet: Nein, das glaube ich nicht. Aber die Weltwirtschaft als Ganzes und vor allem die europäische Wirtschaft ist für die sozialistische Revolution völlig reif."
(Trotzki, Die permanente Revolution).
Stalin, verwarf zugunsten des status quo die Notwendigkeit der Weltrevolution
Interview Stalins mit dem amerikanischen Journalisten Roy Howard
(Scripps-Howard Newspapers, Ausgabe des 1. März 1936)
Während dieser Unterhaltung spielte sich in etwa folgende Szene ab:
"Wie steht es mit den Plänen und Absichten in Bezug auf die Weltrevolution?", so die Frage Howards. Darauf behauptete Stalin: "Solche Pläne und Absichten hatten wir niemals". Auf die perplexe Stammelei "Ja, aber..." Howards antworte der Sowjetdiktator, alles sei "die Folge eines tragischen Missverständnisses", worauf Howard, der sich nun wieder einigermaßen gefangen hatte, "Eines tragischen Missverständnisses?" nachhakte. Nach einer nun folgenden, leicht spitzfindigen und hier irrelevanten Erörterung, die mit dem Ergebnis endete, dass das Vermuten von Plänen einer Weltrevolution bei der sowjetischen Führung ein tragikomisches Missverständnis sei, fuhr Stalin fort, zu dozieren: „Export der Revolution – das ist Unsinn. Jedes Land führt seine Revolution selbst durch, wenn es so will, wenn es aber nicht will, so wird es keine Revolution geben. Unser Land zum Beispiel wollte die Revolution durchführen und hat sie durchgeführt.
 
Aber die Umwälzung hat doch stattgefunden - im Jahre 1989. Spätestens da müsste doch eigentlich jeder eingesehen haben, dass die ganze Theorie nicht für die Realität taugt. Fast jeder.
Was haben denn die vornehmlich politischen Umwälzungen dieses Zeitraumes mit den von Marx und Engels erwarteten wirtschaftlichen Umwälzungen zu tun?
Sie zeigten höchstens, dass die sowjetische Interpretation des Marxismus nicht stabil ist. Um damit den Marxismus zu widerlegen, wäre nötig zu zeigen, dass dies die einzig mögliche Anwendung der Theorie ist und dafür müssten imho die Prozesse am Anfang der SU betrachtet werden, ansonsten ist die Begründung imho nicht schlüssig.
Und zur eigentlichen Frage (Warum erhob sich das Proletariat nicht kollektiv gegen die Besitzer der Produktionsmittel) trägt es auch nichts bei.
 
@urvo: Ja, da ist schon viel richtiges dran an dem, was du schreibst. Meineserachtens kommt Trotzki allerdings zu positiv bei dir weg. Trotzki hat zwar sehr zu Recht die Idee vom Sozialismus in einem Lande kritisiert, hat aber gleichzeitig an der Taktik der Machtübernahme im Staat und dem Vorrang der Partei festgehalten. Ich vertrete eher die rätekommunistische Kritik am Bolschewismus, die die Führung durch jede Partei oder Avantgarde ablehnten und die Möglichkeit des Umsturzes nur durch die Etablierung von Arbeiterräten bei gleichzeitiger Zerschlagung des Staates sahen. Das scheint mir auch wesentlich näher an Marx, der mal an Bebel schrieb:

"Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiterklasse selbst sein. Wir können also nicht zusammengehn mit Leuten, die es offen aussprechen, daß die Arbeiter zu ungebildet sind, sich selbst zu befreien und erst von oben herab befreit werden müssen durch philanthropische Groß- und Kleinbürger." (MEW 19)

@balticbirdy: Der Vorwurf eines "zu positiven Menschenbildes" ist imho ein beliebtes Misverständnis gegenüber der marxschen Theorie. Marx hat so etwas wie ein Menschenbild möglichst aus seiner Theorie raus gehalten. Dazu stand er zu sehr in der Tradition Kants und Hegels, die in ihrer kritischen Philosophie alle Ontologien ("der Mensch ist von Naur aus X") kritisiert hatten. Marx lehnt folglich alle ontologischen Ableitungen ab (wie beispielsweise die Hobbesche Staatsableitung, die davon ausgeht, der Mensch sei so böse, dass man einen Staat schaffen muss, weil man sich sonst gegenseitig permanent die Köpfe einschlagen würde.). Marx ging vielmehr davon aus, dass sich Ausbeutung und Herrschaft auf einem bestimmten Entwicklungsstadium der Produktivkräfte begründen. Durch die rasante Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus qua Konkurrenz müsste folglich irgendwann ein Stadium erreicht sein, in dem alle Bedürfnisse ohne Herrschaft und Ausbeutung befriedigt werden können.

Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. (MEW 23)

Wichtig: Marx sah in den Menschen auch keine altruistischen Engel, sondern Wesen mit (egoistischen) Bedürfnissen. Das Bedürfnisbefriedigung aber zwangsläufig durch Konkurrenz erfolgt, dass hielt er für den bürgerlichen Idealismus des Bösen.

Ich halte es für einen Fehler, die marxsche Theorie auf die Ideologie einer Bewegung oder gar auf eine Utopie zu verkürzen.

Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung. (MEW 4)

Marx sagt nicht: "Kapitalismus blöd - Kommunismus gut", sondern fragt sich, wie aus der historischen Entwicklung des Kapitalismus eine "freie Assoziation der Produzenten" möglich wird.
 
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